Efeu - Die Kulturrundschau

Weißmehl und Marmorstaub

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25.03.2014. Der neue Pritzkerpreisträger Shigeru Ban baut am liebsten mit Karton, erzählt der Guardian. Presse und Standard fragen: Was wird aus der Sammlung Essl nach der Pleite von Karlheinz Essls Firma Baumax. In NYT und SZ empfiehlt Colson Whitehead frustrierten Romanciers ein kritikerresistentes Schreibprogramm: LitMode 100. Der französische Verlag Gallimard ist jetzt Teil der Luxusindustrie, meldet Telerama. Und die FR beobachtet gerührt ein liebestrunkenes Publikum bei Lang Lang.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.03.2014 finden Sie hier

Kunst

Im Guardian stellt Oliver Wainwright den japanischen Architekten und neuen Pritzker-Preisträger Shigeru Ban vor, der nicht nur für seine Architektur aus Karton, sondern auch für seine humanitäre Arbeit bekannt ist: "'He is a force of nature,' said the jury chairman, Lord Palumbo, 'which is entirely appropriate in the light of his voluntary work for the homeless and dispossessed in areas devastated by natural disasters.' In 1994, prompted by the displacement of millions by the Rwandan civil war, Ban proposed paper-tube shelters to the United Nations high commissioner for refugees, followed a year later by paper log cabins after the Kobe earthquake, with foundations made of sand-filled beer crates and walls of vertical cardboard tubes. After founding the Voluntary Architects' Network in 1995, he has tackled disaster relief in Turkey, India, China and Haiti, most recently erecting a magnificent cardboard cathedral after the earthquake in Christchurch, New Zealand, rising in an elegant A-frame next to the ruins of George Gilbert Scott's stone building." (Bilder von seiner Arbeit gibt's im Blog Dezeen, oben die Kartonkathedrale in Christchurch)

Früher war die Entscheidung, in China Künstler oder Avantgardist zu werden, gleichbedeutend mit einem Leben in Armut; heute leben Chinas Künstler in demonstrativ zur Schau gestelltem Luxus - sofern sie sich gut mit dem Staat stellen, berichtet Christiane Tramitz in einer langen Reportage im Tagesspiegel. "Kunst, so sagen diese Künstler, könne durchaus politische Botschaften haben. Man müsse dabei aber nicht so laut und provokativ auftreten wie Ai Weiwei. Derartiges Verhalten schade der Kunst. ... Überhaupt, über Chinas berühmtesten Dissidenten wird ungern gesprochen. Wenn, dann überwiegend kritisch."



Die Firma Baumax ist pleite. Und die Kunstsammlung ihres Gründers, Karlheinz Essl, fällt in die Konkursmasse. Essl hofft jetzt, dass der österreichische Staat seine Sammlung - fast 7000 Werke mit vorwiegend zeitgenössischer österreichischer Kunst - kauft, berichtet in der Presse Judith Hecht: "Wenn die Republik die Sammlung übernimmt, sei gesichert, dass die Exponate für alle Zeiten der Öffentlichkeit erhalten bleiben. Für den maroden Konzern wiederum könnte der Kauferlös die notwendige Kapitalspritze bedeuten, um Baumax wieder eine Zukunftsperspektive zu geben. Der Ertrag würde, so Essls Vorhaben, zur Gänze in die Sanierung des Unternehmens fließen."

Im Standard macht Thomas Trenkler darauf aufmerksam, dass es auch "erhebliche Bedenken gegen einen Ankauf" gibt: "Im Gegensatz zu den Sammlungen Ludwig (Pop-Art, Hyperrealismus, später Picasso) und Leopold gäbe es in der Sammlung Essl nichts, was nicht ohnedies gekauft wurde oder - falls die Museen über ein ausreichend hohes Ankaufsbudget verfügen würden - angekauft worden wäre. Interessant seien lediglich Teile der Sammlung, so Agnes Husslein, die Chefin des Belvedere: 'Die Werke von Maria Lassnig sind ein Desiderat.' Aber auch sie wäre auf die naheliegende Idee gekommen, Hauptwerke von Lassnig zu erwerben."

Außerdem: Das Städel Museum in Frankfurt kooperiert mit einer Drogeriekette, wo man sich nun Drucke von Digitalisaten aus den Museumsbeständen bestellen kann, berichtet Marcus Woeller in der Welt.

Besprochen werden die Victor-Man-Ausstellung in Berlin (Berliner Zeitung), die Ausstellung "Farbe für die Republik - Auftragsfotografie vom Leben in der DDR" (Freitag) und die Matthias-Koeppel-Ausstellung in Berlin (taz)
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Film

Besprochen werden die Verfilmung von Julia Francks Roman "Lagerfeuer" (Zeit), Spike Jonzes Film "Her" (FAZ) und Schlöndorffs "Baal" (SZ).
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Stichwörter: Baal, Franck, Julia, Jonze, Spike

Musik

Gerührt beobachtet Bernhard Uske (FR) das Publikum bei Lang Langs Frankfurter Konzert, das dem Pianisten elektrisiert zu Füßen lag und sich keinen Deut um den üblichen Konzertbenimm scherte: "Weißmehl und Marmorstaub - aber vielleicht ist es ja gerade das, was ein großes und zweifellos nicht sattelfestes Publikum an eben der 'Klassik' sucht. Herrlich, wie wenig die Dressur des geübten Konzerthörers hier griff und wie viele Handys trotz Verbots fotografierten und filmten. Kreativ war auch der Umgang mit der Applaus-Ordnung, auf die sich Lang Lang schnell einstellte. Nicht nach dem Ende der einzelnen Werke unbedingt, sondern nach den lautesten und schnellsten Sätzen rührten sich mächtig die Hände."

Katharina Granzin resümiert in der taz ein Konzert von Unsuk Chin im Rahmen der Berliner MaerzMusik: "Wäre man ernsthaft synästhetisch veranlagt, sähe man beim Hören von Unsuk Chins Musik wahrscheinlich grandiose Farbstrukturen. ...Immer wieder kommt es dazu, dass der quasi impressionistische Klanggestus sich steigert zu einem immer spannungsreicheren Zusammenspiel von Soloinstrument und Orchester, bis die Spannung sich löst in kraftvoll rhythmisierten Intermezzi."

Weiteres: Carla Baum porträtiert in der taz die britische Musikerin Peta Devlin, die die Hamburger Musikszene entscheidend mitgeprägt hat. Jan Brachmann resümiert in der FAZ wenig freundlich die MaerzMusik.

Besprochen werden die Berliner Aufführung von Michael Wertmüllers "Anschlag" (Tagesspiegel), Brad Mehldaus und Mark Giulianas Album "Mehliana" (Zeit), eine Schubert-Aufnahme von Bertrand Chamayou (Tagesspiegel) und Bergs "Wozzeck" in Wien (Standard, Presse)

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Literatur

Nase voll von Kritikern, die den Roman für tot erklären, weil sie " ihre persönlichen Mucken für universelle Werte halten"? Sehnsucht nach einer Literatur, die immun ist gegen Kritikermoden? Der amerikanische Autor Colson Whitehead hat die Lösung, er empfiehlt in der NYT (und heute in der SZ): LitMode 100. "Der LitMode 100 ist ein voll anpassungsfähiges, leichtgewichtiges Schreibmodul auf dem neuesten Stand der Technik. Konstruiert aus literarischem Material von absoluter Top-Qualität und gestaltet von aktiven fiktionalen Autoren, ist es kompakt, spülmaschinenfest und kommt mit einem benutzerfreundlichen Thesaurus-Menü ins Haus. Der LitMode 100 wurde eigens entwickelt, um Angriffen des Kritiker-Establishments ebenso standzuhalten wie anonymen Bloggern und sogar den üblichen Internet-Trollen bis zu einer ab Werk skalierten Belastung von 1200 K.P.T.s (Kommentaren pro Tag)."

"Luxusstrategie" nennt Vincent Ramy in Télérama die Vernunftallianz, die der französische Verlag Gallimard mit dem Luxuskonzern LVMH eingegangen ist. Mit dem Kauf von Flammarion war Gallimard 2012 zur drittgrößten Verlagsgruppe geworden, brauchte im letzten Herbst aber frisches Geld für die beiden höchst unterschiedlich ausgerichteten Verlagshäuser, die beide Verluste gemacht hatten. "Wird Bernard Arnault dem Ozeanriesen eine neue Richtung geben können? 'Jede Kapitalöffnung gegenüber einer buchfremden Welt ist immer beunruhigend', meint der Verlagshistoriker Jean-Yves Mollier. 'Die eigentliche Frage ist aber zu wissen, ob dieses Kapital lange genug zur Verfügung steht und ob es zur Liquidität beiträgt und keine zweistelligen Zuwachsraten einfordert. Unter diesem Gesichtspunkt weiß man, dass ein Industriekonzern - und Luxus ist eine Industrie - immer mehr einbringt als ein Investitionsfonds.'"

Puschkin war nicht nur ein großer Dichter, sondern auch ein fabelhafter Zeichner, der eine ganze Reihe hingekritzelter Porträts hinterließ, berichtet Ilia Blinderman in Open Culture: "Pushkin would frequently jot down these charming black and white sketches both in his personal writings, and in the margins of his manuscripts. The final image, a page from Eugene Onegin, is a terrific example of his notebooks." (Bild: Selbstporträt)

Außerdem: Jörg Sundermeier schreibt in der taz einen Nachruf auf die Berliner Verlegerin Karin Kramer.

Besprochen weden unter anderem Feridun Zaimoglus Roman "Isabel" (Zeit), Volker Weidermanns Roman "Ostende" (Tagesspiegel), Jan Bauers Comic "Der salzige Fluss" (Tagesspiegel), Gertrud Leuteneggers Roman "Panischer Frühling" (NZZ)
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Bühne



In der Welt ist Stefan Keim absolut entzückt von dem Karnevalsrevue "Die fünfte Jahreszeit", die der Liedermacher Rainald Grebe am Schauspiel Köln inszeniert hat: "Fünf energiegeladene Schauspieler wechseln im furiosen Tempo die Kostüme und präsentieren sich in immer beknackteren Outfits als Mozartkugel und Knalltüte. [...] Es ist ein persönlicher Theaterabend, zersplittert und spontan, bissig und warmherzig. Das Publikum wird zum Mitsingen gebracht, wenig später kommt der berühmte Fernsehausschnitt einer Karnevalssession von 1973, in der das Publikum erst auf 'Zickezacke, zickezacke' mit 'Heuheuheu' antwortet. Und dann auf 'Sieg' mit 'Heil!' Der Büttenredner Jonny Burchardt meinte daraufhin, da seien aber viele 'alte Kameraden' im Saal." (Foto: Thomas Aurin)

Außerdem: Die "feudalen Zustände" an deutschsprachigen Bühnen sieht Dirk Pilz in einem faktenreichen Hintergrundartikel für die Berliner Zeitung mit der momentanen Krise am Wiener Burgtheater endgültig an ihr Ende gekommen. Matthias Heine denkt in der Welt über die Schwierigkeiten nach, den Ersten Weltkrieg auf der Bühne darzustellen.

Besprochen werden Calixto Bieitos Inszenierung von Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" in Antwerpen (in der Welt beobachtet Joachim Lange "Sexakrobatik in Softpornonähe"), Luk Percevals "Front" nach Erich Maria Remarque und Henri Barbusse (taz), die Berliner Aufführung von Stanton Welchs "Clear" und Alexei Ratmanskys "Namouna", mit der sich Malakhov von Berlin verabschiedet (Tagesspiegel, Welt), Fabian Gerhardts Inszenierung von Simon Stephens Stück "Punk Rock" in Frankfurt (FR), eine Choreografie von Alexej Ratmansky in Berlin (FAZ) und Calixto Bieitos Inszenierung von Schostakowitschs "Lady Macbeth von Mzensk" in Antwerpen (SZ).
Archiv: Bühne

Design

Deike Diening porträtiert im Tagesspiegel den Produktdesigner Konstantin Grcic, der gerade eine Ausstellung mit drei Rauminstallationen - Life Space, Work Space, Public Space - im Vitra Design Museum in Weil am Rhein aufbaut: "Das Wohnen sei in Zukunft noch mehr 'plug and play'. Das Spiel: Sei Du selbst. Eine funktionstüchtige Einheit, eine Art Wohn-Aggregat liefert dafür die technischen Voraussetzungen Wärme, Licht, Abluft und einen Ausblick. In diesem Fall auf einen Flughafen, für Grcic 'der denkbar schlimmste Unort' für eine Wohnung. Vielleicht würde es aber auch jemand gern wählen, weil für ihn Erreichbarkeit zählt? Wer weiß, wie das sein wird, in der Zukunft? Und weil er Sofas als eine Art Kapitulation begreift, mit ihrer Aufforderung zur Erschlaffung, körperlich und geistig, hat er seine strenge Liege 'Karbon' hier in der Zukunft platziert."
Archiv: Design