Efeu - Die Kulturrundschau

Choreografien des Spekulativen

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26.03.2014. Der Freitag tanzt den Chodzinski. Der Tagesspiegel besucht Ai Weiwei. In der Zeit erklärt Spike Jonze, was er beim Skateboardfahren fürs Filmemachen gelernt hat. Die taz beobachtet übermütige Digitalverleger in Berlin. Die NZZ freut sich schon auf die Sauna der Finnen in Frankfurt.Und die Welt staunt: Selbst Lady Gaga zelebriert den Untergang des Kapitalismus.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.03.2014 finden Sie hier

Kunst

Jürgen Ziemer unterhält sich im Freitag mit dem Aktionskünstler Armin Chodzinski, der auch wegen seiner popkulturellen Sozialisation als Mod immer wieder auf Tanz in seiner Kunst zurückgreift, um ganz unterschiedliche Dinge zu vermitteln. Dazu erklärt er: "Die Grundidee kommt von dem Satz: Die Sedimente des Handelns sichtbar machen. Ich möchte herausfinden, was meine eigene Brüchigkeit mit der Gesellschaft zu tun hat. Mit dem Tanzen ist es ähnlich wie beim Fußball. Die Herstellung von Repräsentationsideologien greift nur in einem ganz geringen Maß, höchstens die ersten paar Minuten. Danach geht es einfach ums Fußballspielen - oder ums Tanzen. Weil dann die Körper aktiv werden, erzählen und kommunizieren."

Anders gesagt: Was man nicht versteht, muss man tanzen. Herr Chodzinski, bitte.



In Österreich warnen Galeristen und Museumsleute vor einem überstürzten Kauf der Sammlung Essl, berichten Thomas Kramar und Anne-Catherine Simon in der Presse: "Die Sammlung müsste erst einmal öffentlich gemacht werden, meint Gabriele Senn, Chefin des Verbands österreichischer Galerien moderner Kunst: 'Man weiß ja gar nicht, was zur Sammlung gehört und was vielleicht Privatbesitz der Familie ist.' Und sie warnt vor einer raschen Entscheidung unter 'vehementem Druck': 'Zu sagen, wir verkaufen die Sammlung Essl um 89 Millionen, und dann haben wir 4000 Arbeitsplätze gerettet, das ist höchst populistisch.'" In einem weiteren Artikel werden die Schulden des Baumax-Unternehmers Essl mit 569 Millionen Euro beziffert.



Niklas Maak begutachtet für die FAZ einige Entwürfe innovativer Architekten für die Verdichtung von Plattenbauarealen in Berlin und nennt etwa die Entwürfe des Büros June 14 (Bild, mehr auf der Website des Wettbewerbs): "Solche Häuser würden, wenn sie denn gebaut würden, die Vorstellung vom Leben in der Stadt grundlegend ändern. Sie würden viele, die entnervt an den Stadtrand ziehen, weil sie in der bisherigen Wohnungsbaugesellschaftstristesse nicht die Ruhe, das Grün, den eigenen Raum finden, in die Stadt zurückbringen." Was allerdings bisher neuen Wohnbauten in Berlin zu sehen ist beschreibt Maak so: "Nullenergie-Kästen, optische und urbane Minusvisionen".

Weiteres: Im Tagesspiegel beginnt Christiane Peitz mit einer auf drei Teile angelegten Reihe über ihren Besuch im Studio von Ai Weiwei. Eine Meldung im Standard informiert uns, dass die europäische Kunstbiennale Manifesta wie geplant in St. Petersburg veranstaltet wird, Krim-Annektion hin oder her.

Besprochen werden die Ausstellung "Farbe für die Republik" im Deutschen Historischen Museum in Berlin (Tagesspiegel), eine Ausstellung mit Arbeiten von Yoshiaki Kaihatsu in der Mikiko Sato Gallery in Hamburg (taz), Matthew Barneys im Münchner Haus der Kunst zu sehendes Projekt "River of Fundament" (taz), die Ausstellung "Room Service" in der Kunsthalle Baden-Baden (FR), die James-Ensor-Ausstellung im Kunstmuseum Basel (NZZ) und die Tobias-Rehberger-Ausstellung in der Frankfurter Schirn (Welt).
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Bühne

In der FAZ stellt Irene Bazinger die Truppe des "RambaZamba" vor, einem Berliner Theater mit und von Behinderten. Besprochen werden Ulrich Rasches Berliner Inszenierung von Nis-Momme Stockmanns "Die kosmische Oktave" (Tagesspiegel), Andreas Kriegenburgs Dresdner "Così fan tutte" (taz, "wenig aufregend", findet Manuel Brug in der Welt) und ein "Parcours zu den Choreografien des Spekulativen" im Tanzquartier Wien (Standard).
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Film

Christoph Amend führt in der Zeit anhand einer Begegnung mit dem Regisseur Spike Jonze, dessen neuer Film "Her" diese Woche ins Kino kommt, durch dessen Karriere. Dabei erfahren wir auch, warum ihm seine Wurzeln in der Skateboard-Szene ihm bis heute bei der Arbeit helfen. Er sagt: "Worum geht es beim Skaten? Das Prinzip ist: Du nimmst dein Board, ziehst mit deinen Freunden los, ihr sucht euch einen guten Ort, um die neuesten Tricks auszuprobieren, ihr hängt rum, macht Quatsch, zeigt euch gegenseitig, was man mit dem Board machen kann, und am Ende hattet ihr nicht nur eine gute Zeit: Ihr seid auch bessere Skater geworden."

Weshalb Jonze auch mit seinem überlangen "Her" Rat bei Steven Soderbergh suchte, der den Film von zweieinhalb auf schlanke anderthalb Stunden kürzte. Besprechungen zum Film gibt es in Welt, Presse und Tagesspiegel

Weiteres: Gunda Bartels porträtiert für den Tagesspiegel die Kamerafrau Judith Kaufmann, deren mit Feo Aldag gedrehter Film "Zwischen Welten" jetzt in die Kinos kommt. Russland will eine Quote von 50 Prozent für einheimische Filme einführen, meldet der Standard.

Besprochen werden außerdem Axel Breuers Doku "Im Zweifel schuldig" über eine amerikanischen Universitätseinrichtung, die Justizirrtümer untersucht (Presse) und der Actionfilm "Captain America: The Winter Soldier" (Standard).
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Literatur

In der taz berichtet Sascha Josuweit von einem Berliner Kongress über Literatur und Digitalisierung. Die einstigen Versprechungen vom Buch als offenem, vernetzten Text sind bis heute nicht erfüllt, auch ist der Anteil von E-Books in der Gesamtbilanz noch immer sehr überschaubar, schreibt er. Außerdem "amüsierten sich die geladenen unabhängigen Digitalverleger darüber, wie sie von einer begriffsstutzigen Literaturkritik weiterhin am klassischen Printgeschäft gemessen und digital verfügbare Texte stur als Drucksachen angefordert werden. Allerdings wurde auch deutlich, dass die jungen Programmmacher ihr Selbstverständnis, von der PR auf Lesungen und Messen über die Autorenpflege bis hin zur Terminologie, zu einem nicht geringen Teil aus der Gutenberg-Galaxie beziehen."

Noch sitzen wir zwischen den Frühjahrsbüchern, da stellt Aldo Keel in der NZZ schon das Gastland der Frankfurter Buchmesse vor: Finnland. Die haben was vor mit uns! "Zur Feier des hundertsten Jahrestages der finnischen Unabhängigkeit soll in drei Jahren in Helsinki eine prachtvolle neue Zentralbibliothek eröffnet werden, ein Haus, das nach offiziellen Angaben zugleich 'Treffpunkt und gute Stube der Stadtbewohner' sein will. Auch eine Sauna wird der Büchertempel enthalten. Die Sauna ist elementarer Bestandteil der finnischen Kultur, ihre Tradition reicht weiter zurück als die des Buches. Im Nationalepos 'Kalevala' beginnt die christliche Ära in der Sauna, wo die von einer Preiselbeere geschwängerte Jungfer Marjatta einen Sohn gebiert. In Frankfurt werden Leseratten eingeladen, mit finnischen Dichtern in der Sauna zu plaudern."

Außerdem: Cornelia Geißler spricht in der Berliner Zeitung mit der Schriftstellerin Janne Teller unter anderem über die Situation in der Ukraine. Im Tagesspiegel unterhält sich Jens Bayer-Grimm mit dem Comiczeichner Ralf König. Elmar Krekeler trifft sich für die Welt mit dem Krimiautor Oliver Bottini. Die geplante Umwidmung des Zürcher Literaturmuseums Strauhof stößt auf Widerstand, freut sich Volker Breidecker in der SZ.

Besprochen werden unter anderem Uwe Kolbes Roman "Die Lüge" (Zeit), Elias Canettis "Buch gegen den Tod" (Welt), Lothar Machtans Buch über Max von Baden (FR - mehr hier) und eine Münchner Ausstellung über Robert Musil im Ersten Weltkrieg (NZZ).

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Musik

Felix Zwinzscher stellt in der Welt das neue, nicht eben bescheidene Musikvideo von Lady Gaga vor: Dieses "Opus [hat] alles, was ein Opernfreund verlangt. Hier trifft Pseudomythologie auf Harald-Glööckler-Ästhetik, während unter Salven kriegerischer Beats allerlei Rachefantasien gedeihen. Es geht der Sängerin um nichts Geringeres als die Götterdämmerung des Kapitalismus. "



In der Welt-Reihe über mögliche Nachfolge-Kandidaten für Simon Rattle bei den Berliner Philharmonikern wägt Kai Luehrs-Kaiser die Chancen von Yannick Nézet-Séguin ab und ist sich sicher: "Er ist derjenige, den man am ernstesten in Erwägung ziehen muss". Konstantin Richter wundert sich über den armenischen Geiger Ashot Tigranyan, der ein kleines Vermögen dafür ausgibt, sein überschaubares Talent in namhaften, aber so gut wie leeren Hallen unter Beweis zu stellen. Boris M. Peltonen unterhält sich mit dem aus der Ukraine stammenden Rapper Olexesh. In der taz berichtet Elise Graton vom Marseiller Weltmusik-Festival Babel Med Music. Katja Schwemmers unterhält sich für die Berliner Zeitung mit Rufus Wainwright. Jürg Zbinden (NZZ), Dietmar Dath (FAZ) und Manuel Brug (Welt) gratulieren Diana Ross zum Siebzigsten.

Besprochen wird ein Konzert des AsianArt Ensembles (taz).
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