Efeu - Die Kulturrundschau

Sechs Wörter für Freude

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.05.2014. Am Wochenende begann der Berliner Theatertreffen: Auf dem "Selbstvergewisserungsaltar des Kulturbetriebs" wurden Osttheater, Kunstanstrengung und postmodernes Ego-Hopping zum Opfer gebracht, wie die Zeitungen schreiben. Im Standard erklärt Amos Oz das Glück zu einer christlichen Fiktion. Als rundum misanthrop genießt die Berliner Zeitung die Musik der Band The Body. Die Welt feiert den Impressionisten und Genussmenschen Max Slevogt. Die Presse huldigt Oskar Kokoschka, mit Betonung auf der ersten Silbe.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.05.2014 finden Sie hier

Bühne

Am Wochenende begann das Berliner Theatertreffen. Von Dimiter Gottscheffs Heiner-Müller-Inszenierung "Zement" aus München sind die Feuilletons noch immer nicht überzeugt: Katrin Bettina Müller schreibt in der taz über diese nach "Osttheater riechende" Kunstanstrengung: "Schwer schleppten die Schauspieler an Steinen, die alles Belastende symbolisieren konnten zwischen Sisyphos-Mythos, Steinbruch der Geschichte und dem schwer zu beschaffenden Rohstoff für die wieder anzukurbelnde Zementproduktion; und schwer schleppten sie an einer Suche nach Wahrhaftigkeit und Wahrheit, die wie ein Erbstück aus dem Theater der Vergangenheit wirkte." (Foto: Armin Smailovic)

Auch Ulrich Seiler von der Berliner Zeitung verliert über die letzte Inszenierung des im vergangenen Jahr gestorbenen Regisseurs keine guten Worte: "Nach Gotscheffs Tod stieg die Inszenierung zum sakrosankten Vermächtnis auf und wurde nun beim Theatertreffen auf dem Wilmersdorfer Selbstvergewisserungsaltar des Kulturbetriebs zum Opfer dargebracht. So indifferent-existenziell und opernhaft-weihevoll diese Inszenierung tönt, so wenig ist sie geeignet, sich den nicht hinnehmbaren Verlust dieses Theatermannes klar zu machen."

Dafür stimmt Karin Henkels Inszenierung von Kleists "Amphityron und sein Doppelgänger" alle Kritiker versöhnlich: Für "überraschend gegenwartstauglich" hält etwa Christine Wahl vom Tagesspiegel das Stück. "Die Regisseurin treibt das Identitätskrisendrama so scharfsichtig wie unerschrocken komödienselig auf die Spitze. ... So hübsch Sicherheit suggerierende Begriffe wie Original und Kopie lassen sich bei Henkel längst nicht mehr auseinanderdividieren; die Akteure stürzen sich lustvoll ins postmoderne Ego-Hopping, wo Identität immer nur ein temporäres Produkt mit rasant schwindender Haltbarkeitsdauer ist." (Foto: Matthias Horn)

Außerdem: Im Tagesspiegel porträtiert Christine Wahl Johan Simons, der gerade mit dem Berliner Theaterpreis ausgezeichnet wurde. Rüdiger Schaper vom Tagesspiegel berichtet von der Eröffnung des Berliner Theatertreffens.

Besprochen wird Eyal Weisers am Münchner Volkstheater aufgeführtes "Nystagmus" (SZ, Nachtkritik).
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Literatur

Auch der Standard gratuliert dem israelischen Schriftsteller Amos Oz zum fünfundsiebzigsten Geburtstag mit einem Interview. Darin erklärt Oz unter anderem, warum er das Glück für eine christliche Erfindung hält: " Dass man, wenn man nur das Richtige tue, im anhaltenden Glück ankäme. Das ist übrigens auch eine Hollywood-Idee. Im biblischen Hebräisch gab es kein Wort für Glück, aber es gab sechs Wörter für Freude. Freude ist etwas, das kommt und geht, und ich glaube an Freude."

Weitere Artikel: Die FAZ wird künftig unter dieser Adresse täglich eine Episode aus Thomas Cadènes in Frankreich gefeierten Comics "Sechs aus 49" ("Les autres gens") veröffentlichen, meldet Andreas Platthaus. Hans-Jörg Neuschäfer berichtet etwas unfroh in der NZZ, dass Spanien nach den sterblichen Überresten von Cervantes suchen lässt, um dem bedeutendsten Autor des Landes ein Staatsbegräbnis zuzumuten. Christian Gohlke meldet mit zwei Registerbänden den Abschluss der großen Frankfurter Goethe-Ausgabe.

Besprochen werden Jens Sparschuhs Roman "Ende der Sommerzeit" (Tagesspiegel), Javier Cercas' (Leseprobe) "Outlaws" (SZ), Daniel Woodrells Krimi "In Almas Augen" (FAZ) und Tomas Espedals "Wider die Natur" (Zeit).
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Musik

Hin und weg ist Jens Balzer (Berliner Zeitung) von der "rundum misanthropen Musik" der Band The Body, die gerade in Berlin ein Konzert gegeben hat: Vor dem Gitarrist stand dabei "ein schminkköfferchengroßer Kasten, aus dem er ergänzend noch brüllend brustkorbbedrängende Brummtöne verschickt, aber auch hirnsägende Sirenengeräusche und Sinustöne knapp unterhalb jener Frequenzschwelle, jenseits derer nur noch Hunde was hören. ... So wirkt nicht nur alles Menschliche in dieser Musik auf besonders stimmige Weise gequält und bedrängt; durch den Kontrast von leisen und lauten Momenten erhält sie eine im Ohrenschinder-Metal-Bereich eher seltene Dreidimensionalität." Menschenverachtende Hörproben gibt es auf Bandcamp.

Weiteres: In der taz porträtiert Carla Baum die Musikerin und Künstlerin Ebba Durstewitz, der Worthülsen ein Gräuel sind und die kommenden Freitag in Berlin eine Performance geben wird. Für den Tagesspiegel hat sich Tatjana Kerschbaumer "XScape", das postume, aus Archivresten gebastelte Album von Michael Jackson angehört. Das Ergebnis findet sie teils gar nicht übel, es handelt sich hierbei um "mehr als aufpolierte Resteverwertung. Michael Jackson hört sich hier genauso an wie auf dem Zenit seines Erfolgs." Für die Zeit hat sich Christoph Dallach mit Damon Albarn unterhalten. René Walter von Nerdcore bringt einen ganzen Strauß neuer Musikvideos.

Besprochen wird das Berliner Konzert der japanischen Avantgarde-Grindcore-Band Melt Banana (Berliner Zeitung) und eine CD des Ensemble Recherche zum Thema Liebe und serieller Musik (Freitag).

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Film

Jan Schulz-Ojala gratuliert im Tagesspiegel Jean-Pierre Léaud zum 70. Geburtstag. Außerdem wäre gestern Audrey Hepburn 85 Jahre alt geworden: Bei KeyframeDaily sammelt David Hudson dazu internationale Links.
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Kunst

Als den sympathischsten unter den impressionistischen Malerfürsten erlebt Tilman Krause den Max Slevogt in einer großen Schau in Mainz: freier als Liebermann und heiterer als Corinth: "Wenn dieser Mann, der so ganz dem landestypischen Bild vom genussfreudigen Gemütsmenschen entspricht und ein wohlbeleibter Esser, Trinker, Zigarrenraucher war, in seinem 'entlegensten Gehöft Deutschland', wie er selbst es hübsch selbstironisch nannte, den Pinsel schwang, dann explodierte etwas. Dann loderten die Farben, dann flirrte das Licht, dann läutete tatsächlich Pan den großen Mittag ein. Außerdem: Das Fleckchen Erde, auf dem das geschah, gehört wirklich zu den schönsten dieser Erde." (Max Slevogt: Bal paré - Selbstbildnis mit Gattin, 1904 © Landesmuseum Mainz)

Kokoschka wird gar nicht auf der zweiten Silbe betont, weiß der Österreicher Karl Gaulhofer, der in der Presse die Oskar-Kokoschka-Ausstellung "Humanist und Rebell" im Kunstmuseum Wofsburg bespricht: "Weil Kokoschka der Mensch wichtiger war als das Ornament, revoltierte er gegen den Jugendstil. Weil er das Menschliche nur im Figürlichen bewahrt sah, verweigerte er sich abstrakten Strömungen. So geriet der politisch Aufmüpfige mit dem Siegeszug des Abstrakten Expressionismus nach dem Krieg ins großbürgerliche Abseits. Aber in seinen letzten Jahren wurde er wieder Vorbild, für die Neoexpressionisten und Neuen Wilden, von Lüpertz bis Anzinger. "

Weiteres: Christiane Meixner vom Tagesspiegel bilanziert kurz und bündig das 10. Gallery Weekend in Berlin. Brigitte Werneburg identifiziert in der taz unterdessen zwei Trends des Kunstwochenendes: "Abstraktion und wie man sie heute noch einmal ganz neu durchdeklinieren kann" sowie "die Wiederentdeckung älterer Künstler". Im Standard berichtet Thomas Trenkler, dass das einst sehr gefeierte Kunsthaus Graz nun doch noch wegen seiner hohen Betriebskosten in die Kritik gerät. In der Welt schwärmt Hannes Stein vom Dach des Metropolitan Museum in New York.

Besprochen werden der Fotoband "Armutszeugnisse - West-Berlin vor der Stadterneuerung in den sechziger Jahren" von Heinrich Kuhn (taz) und eine Ausstellung im Schloss Rochlitz zur Rolle der Frau bei der Reformation (SZ).
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