Efeu - Die Kulturrundschau

Die Ausschüttungszyklen der deutschen Subventionskultur

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03.06.2014. Die Welt erkennt anlässlich einer Wiener Ausstellung in Isa Genzkens Stilverweigerung die Intelligenz einer Künstlerin. Die FAZ verfolgt im Louvre von Lens, wie sich das Kriegsbild ästhetisierte und zur pazifistischen Waffe wurde. Auf Zeit Online spricht Richard Linklater über seinen Film "Boyhood" und die Zeit als aktiven Faktor. Die SZ fragt nach dem Literaturfestival Prosanova: Wie viel Verzweiflung liegt im Hedonismus der Jungen? Und Edward Snowden bekommt zwar nirgendwo Asyl, aber seine Geschichte wird gleich zweimal verfilmt, meldet Mashable.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.06.2014 finden Sie hier

Kunst

Hans-Joachim Müller feiert in der Welt die Bildhauerin Isa Genzken, der die Wiener Kunsthalle eine große Ausstellung widmet: "Es ist wohl nicht ganz falsch, wenn man in Isa Genzkens Verweigerung der kunstbetrieblich dienlichen Spurtreue die Intelligenz einer Künstlerin erkennt, die sich maskuliner Dominanz gegenüber gerade dadurch behauptet, dass sie wider die vorgeformte Künstler-Grandiosität ihre formlose Künstlerinnen-Unscheinbarkeit ausspielt. Das hat auch etwas Schroffes, wie da immer wieder Neugier geweckt und Erwartungen enttäuscht werden." (Bild: © Isa Genzken. Courtesy the artist, Hauser & Wirth and Galerie Buchholz, Cologne)

Für Niklas Maak von der FAZ ist die große französische Ausstellung "Die Schrecken des Krieges 1800-2014" in der Louvre-Dependance in Lens gerade auch aus medienhistorischer Perspektive erhellend, wandelt sich doch mit der Entwicklung der Fotografie um 1830 das Bild vom Krieg, insbesondere in der bildenden Kunst: Die Ausstellung "zeigt, wie Fotografen Kriegsgemälde reinszenierten, und umgekehrt Kriegsmaler sich auf Fotografien bezogen. Sie führt die Geschichte der Ästhetisierung des Krieges vor ... Man kann diese Ausstellung auch lesen als eine Geschichte künstlerischer Versuche, die Enthumanisierung des Menschens im Krieg sichtbar zu machen, eine Geschichte des Kriegsbildes als pazifistischer Waffe."

Weitere Artikel: Für den Tagesspiegel trifft sich Gunda Bartels mit dem Fotografen Jochen Wermann, der zuletzt historische Berlinaufnahmen von Max Missmann nachfotografiert hat. Roland Mischke von der FAZ besucht das neue, im ehemaligen Kaufhaus Schocken untergebrachte Staatliche Museum für Archäologie in Chemnitz.

Besprochen werden eine Werkschau mit Fotografien von Ute Mahler und Werner Mahler in den Hamburger Deichtorhallen (taz) und die Ausstellung "Über Unterwelten - Zeichen und Zauber des anderen Raums" im LWL-Industrimuseum in der Zeche Zollern (SZ).
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Film

Bei Zeit online spricht Martin Schwickert mit Regisseur Richard Linklater über dessen neuen Film "Boyhood" (hier unsere Kritik von der Berlinale), der mit einer Entstehungszeit von insgesamt 12 Jahren das Heranwachsen eines Jungen beobachtet. Vor allem der Aspekt der Zeit hat den Regisseur bei diesem Kinoexperiment interessiert: "Die komplexeste Beziehung in unserer Psyche ist das Verhältnis, das wir zu unserer eigenen Vergangenheit haben. Sich zu erinnern, wie man als Sechsjähriger, als Teenager oder als junger Erwachsener war und das mit dem eigenen heutigen Sein zu vergleichen - das ist ein komplizierter, aber hochinteressanter Prozess."

Gerhard Midding besucht die Cinémathèque française, die ihrem Gründer Henri Langlois zum hundersten Geburtstag mit einer Ausstellung spendiert hat: Langlois als Magier, Philosoph und "Stratege des Chaos", der gegen Ordnung und Kontrolle aufbegehrt: "Dieses großartige Durcheinander barg Gefahren. 1959 fiel das Filmlager einem Brand zum Opfer. Wie groß der Schaden war, lässt sich nicht mit Sicherheit bestimmen, denn der paranoide Langlois machte stets ein Geheimnis aus seinen Beständen. Ohne Zweifel hatte er selbst längst den Überblick verloren. Fest steht allerdings, dass damals die einzige Kopie von Erich von Stroheims "The Honeymoon" zerstört wurde."

Nach zehn Filmen über Julian Assange und mehreren zu Steve Jobs, zeigt sich Josh Dickey in Mashable erleichtert, dass auch aus Edward Snowdens Geschichte gleich doppelter Filmstoff wird: "Zwei Wochen nachdem Sony verkündet hat, sich die Rechte an "No Place to Hide" gesichert zu haben, das Buch des früheren Guardian-Kolumnisten Glenn Greenwald, meldet die Zeitung, dass Oliver Stone bei einer Big-Budget-Adaption der "Snowden Files" Regie führen will, der Geschichte des NSA-Skandals von Guardian-Reporter Luke Harding."

Außerdem jetzt online: Marco Kochs wöchentlicher Blick in die deutsche Filmblogosphäre.
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Musik

Anders als seine Kollegen (etwa hier Andreas Borcholte) will sich René Hamann von der taz zu einem Verriss des neuen, offenbar bloß aus Finanznöten entstandenen Albums der Pixies vor lauter Ermattung gar nicht erst aufraffen: "Der Sound ist einerseits ruppiger geworden. Die Gitarren klingen nicht mehr so, als ob sie schräg aus weißen Wänden wachsen würden; manchmal klingen die Pixies hier nach den schwächeren Sachen von Weezer ... Das Schlagzeug ist ordentlich, die Produktion satt, aber klar: Gefälligkeit ist Trumpf. Warum auch nicht. Wer das wirklich seltsame Zeug will, muss halt die alten Sachen hören. "

In der Berliner Zeitung schwärmt Jens Balzer vom Primavera Festival in Spanien, wo er sich "zwischen jungen Finsterlingen und alten Druiden, zwischen Krautrock und Minimal Techno" pudelwohl fühlte.

Besprochen werden eine Aufnahme von Rossinis "Petite Messe Solennelle" des Bayerischen Rundfunks (Tagesspiegel), das neue Album der Performance-Pop-Punkband Bonaparte (SZ), das neue Album "The Moon Rang Like A Bel" von Hundred Waters (Zeit) un ein Auftritt von Joe Henry (Tagesspiegel).
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Literatur

Hannah Lühmann von der Zeit schlendert über das Areal des Prosanova Literaturfestivals in Hildesheim. Hier finden sich Jungautoren, Verleger und Journalisten zu einem offenbar recht entspannten Frühlingsfest zusammen, nur sehr am Rande beeindruckt von Debatten über die Gegenwartsliteratur oder über Krisen: Es "wurde viel verbal gekuschelt. ... Das klügste Pausengespräch ist nicht überliefert, man hörte aber häufiger den Satz, man sei eben weiß, reich und männlich respektive weiblich. Das mit der Politisierung der Literatur kommt schon noch mit der nächsten Krise. Bis dahin ist es wirklich ein unendlicher Spaß."

Felix Stephan zeichnet in der SZ ein zumindest in den Details sanft abweichendes Bild von der Veranstaltung. Kleine Spitzen ins Politische, wenn auch eher matt, gab"s schon: Sein Spiegel-Kollege Georg Diez etwa ermunterte die jungen Literaten in einer Ansprache zu mehr Widerspruch und Konfrontationskurs wider die "Ausschüttungszyklen der deutschen Subventionskultur ... Heute mangele es an Autoren wie Rainald Goetz, die entschieden Einspruch einlegten. Aber die Stimmung hier in Hildesheim, die sei gut, so Diez. Mit dieser charmanten Überheblichkeit war er jedoch genau jenem ausgestellten Hedonismus dieser Autoren-Generation auf den Leim gegangen, in dem immer auch eine verzweifelte Geste liegt, die für die Kritiker der Provokationsjahre bisweilen schwer zu entziffern ist."

Weitere Artikel: Michael A. Gotthelf erinnert sich in der NZZ an Marcel Reich-Ranicki, den die Schweizer in den 50ern nicht bei sich einreisen lassen wollten. Und Martina Läubli berichtet von den Solothurner Literaturtagen. Und in der taz spricht der bulgarische Autor Georgi Gospodinov mit Ruth Renée Reif über die Schwermut und Empathie in Europa.

Besprochen werden Andrej Kurkows "Ukrainisches Tagebuch" (Berliner Zeitung), Vorlesungen von Pierre Bourdieu über den Staat (NZZ), Jules Vernes Roman "Der grüne Blitz" (NZZ), Zsófia Báns "Als nur die Tiere lebten" (SZ) und Matthias Nawrats "Unternehmer" (FAZ).
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Bühne



Während die Bühne der Semperoper unter der Last des opulenten Bühnenbildes quietscht, ächzt im Publikum der von Christian Thielemann dirigierten Aufführung von Verdis "Simon Boccanegra" die FAZ-Kritikerin Eleonore Büning. Für sie ist der Abend symptomatisch für dieses Haus, an dem zuletzt ein Machtkampf zwischen Thielemann und Serge Dorny die Intendanz des letzteren verhindert hatte: "Zum wiederholten Mal klafft an der Semperoper ein krasser Widerspruch zwischen himmelstürmender musikalischer Leistung und letztklassiger Szene. Solange dieses Haus kein dramaturgisches Konzept hat, sondern nur administrativ verwaltet wird, regieren Mittelmaß und Gedankenarmut. Vielleicht sollte Thielemann, wenn er schon keinen Intendanten von Format neben sich duldet, sich endlich dazu entschließen, nur noch konzertante Aufführungen zu dirigieren." Ganz ähnlich sehen das Manuel Brug in der Welt und Josef Schmitt in der Presse. (Bild: Semperoper, Szene aus "Simon Boccanegra", Foto von Matthias Creutziger)

Weiteres: m Standard bejubelt Joachim Lange die Münchner Aufführung von Bernd Alois Zimmermanns Monumentaloper "Die Soldaten" als "einen Triumph", Thomas Trenkler meldet, dass die Salzburger Festspiele ab dem nächsten Jahr deutlich kürzer treten müssen, das Budget werde um fast zehn Prozent gekappt. Im Tagesspiegel gratuliert Peter von Becker, in der SZ Stephan Speicher dem Feuilletonisten und Theaterkritiker Günther Rühle zum 90. Geburtstag. Gerhard Stadelmaier (FAZ) schreibt einen Nachruf auf den Schauspieler Karlheinz Hackl. IDie SZ bringt ein letztes, von Malte Herwig im vergangenen März geführtes Gespräch mit der gerade verstorbenen, israelischen Schauspielerin Hanna Maron. Besprochen wird außerdem Andrea Moses" Abschiedsinszenierung von "La Bohème" an der Oper Stuttgart (FR).
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