11.06.2014. The New Republic fragt, ob Englands Dichter für ihre irrelevante Lyrik zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Der Tagesspiegel fragt, ob eventuell der Krieg ein Schrittmacher der Poesie war. Die FAZ verirrt sich in den gescheiterten Hoffnungen der italienischen Moderne. Außerdem huldigen alle dem vor 150 Jahren geborenen Richard Strauss und seiner romantischen Seelenmalerei, die Welt vermisst allerdings die intellektuelle Auseinandersetzung mit dem janusköpfigen Komponisten.
Literatur, 11.06.2014
Adam Kirsch
berichtet in
The New Republic von einem hübschen Aufruhr unter den
Dichtern in Großbritannien, wo der
BBC-Moderator
Jeremy Paxmann diesmal in die Jury des Forward Prize berufen wurde. Das hat sich laut Kirsch echt bezahlt gemacht: "Paxmann wurde mit den Worten zitiert, er wünschte, dass Lyrik "ihre Einsätze ein bisschen erhöhen würde, ihre Sichtbarkeit" und "sich bemühen würde,
auch normale Menschen anzusprechen". Er liebe Poesie, betonte er, die Shortlist des Forwards sei gut, doch im Allgemeinen würde sich die Kunst mit ihrer eigenen Irrelevanz abgeben". Bis dahin hatte Paxmann noch nichts gesagt, was nicht viele Dichter auch selbst oft sagen - zumindest wenn Dana Gioia fragt "Spielt Dichtung eine Rolle?" Was die Lyriker aber wirklich ärgerte, war, dass Paxmann "
eine Inquisition" forderte, vor der Dichter "für ihre Lyrik zur Rechenschaft gezogen würden"."
In der
FAZ berichtet Patrick Bahners außerdem von einem Auftritt
Edward St. Aubyns, der in New York seinen Schlüsselroman "Lost for Words" über den
Booker Prize präsentierte.
Ulrike Baureithel vom
Tagesspiegel resümiert den bisherigen Verlauf des
Berliner Poesiefestivals, auf dem in diesem Jahr viel vom Krieg die Rede ist: "Der Bogen spannt sich vom Ersten Weltkrieg bis zu den Schlachten am Gezi-Park und in der Ukraine. Ist der Krieg eine Art
Schrittmacher der Poesie, der "ungeahnte, sieghafte Zu-Ende-Bildner", wie die Apologeten des Ersten Weltkriegs glaubten? Oder kreiert er (...) doch nur
vereinzelte avantgardistische Spitzen, Leuchtraketen über dem Schlachtfeld lyrisch-nationalistischer Propaganda?" Auch beim Poesiefestival aufgetreten ist die Dichterin
Phillippa Yaa de Villiers, die in der
Zeit mit Sarah Zimmerman über Erfahrungen in Südafrika zu Zeiten der Apartheid
spricht.
Weitere Artikel: Im
Tagesspiegel freut sich Oliver Ristau auf den
Comic-
Salon in Erlangen.
Besprochen werden die von
David Foster Wallace"
Roman "Unendlicher Spaß" inspirierte, gleichnamige Ausstellung in der
Frankfurter Schirn (Alexander Jürgs
berichtet im
Freitag von "einem düsteren, einem melancholischen Bild vom Beginn des 21. Jahrhunderts"),
Andrea Camilleris Krimi "Der Tanz der Möwe" (
Welt), Gunther Geltingers Roman "Moor" (
NZZ), ein Sammelband mit den
Aufrufen und Reden deutscher Professoren im Ersten Weltkrieg (Arno Widmann, der den Band in der
FR bespricht,
regt an, zur Ergänzung
Kurt Flaschs 2000 im
Alexander-Fest-Verlag erschienenen Band "Die geistige Mobilmachung" als Taschenbuch bei Rowohl neu aufzulegen) und
Gertrud Leuteneggers "Panischer Frühling" (
SZ).
Kunst, 11.06.2014
Für die
FAZ berichtet Dieter Bartetzko von der
Architekturbiennale in Venedig, wo ihn nicht nur Ozeandampfer auf dem Wasser erschrecken, sondern auch insgesamt der beklagenswerte Umgang Italiens mit seinen antiken Bauten. Auch die
Moderne, der sich die Biennale schwerpunktmäßig widmet, macht es Bartetzko nicht leicht: "Der nachhaltigste Eindruck ist der, sich durch einen
Irrgarten der gescheiterten Hoffnungen zu bewegen. Immer wieder bröselnde oder unvergängliche Betongiganten, die, egal ob in den siebziger Jahren entstanden oder erst vor wenigen Monaten, teils von maßloser Selbstüberschätzung, teils von grenzenloser Gutgläubigkeit, fast immer aber von
Schlamperei und Korruption zeugen." In der
Berliner Zeitung findet die Entscheidung, den südkoreanischen Beitrag mit dem Goldenen Löwen auszuzeichnen, Nikolaus Bernaus
volle Zustimmung.
Skeptisch berichtet Catrin Lorch in der
SZ von
Marina Abramovićs Londoner Pressekonferenz, auf der die Performancekünstlerin, dabei Journalisten streichelnd, ihr Projekt "512 Hours" mangels bislang erstelltem Konzept mit buchstäblich leeren Händen vorstellte. Das passt der Kritikerin gut ins Konzept, hat sie mit Abramovićs Körperkunst eh noch ein Hühnchen zu rupfen: "Allen, die sich mit stillen Bildern und komplizierten Konzepten langweilen, kommt eine Dramatikerin recht, der
das Werk in den eigenen Leib gefahren ist. Für die Prominentenkultur hat das den Vorteil, dass man die Kunst mit der Gästeliste abhaken kann, für das Publikum, dass Kunst als Gegenüber erscheint, als zugängliche,
allzeit bereite Personifikation." Dazu passend hat die
FAZ nun Johanna Adorjáns
Bericht ihrer Begegnung mit der Künstlerin aus der letzten
Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung online gestellt.

Außerdem: Für die Online-Ausgabe des
Freitag hat sich Nana Neidhues mit der afrikanischen, lesbischen Künstlerin und Aktivistin
Zanele Muholi über deren, zur Zeit im
Schwulen Museum Berlin ausgestellten Fotografien
unterhalten, in denen sie die Erfahrungen von queeren Menschen in Afrika verarbeitet. Im
Tagesspiegel bewundert Falk Jaeger die von deutschen Architekten entworfenen
Fußballstadien in Brasilien. Sonja Vogel
ärgert sich in der
taz darüber, dass das Museum für zeitgenössische Kunst in
Belgrad seit Jahren leer steht. (Bild: Miss Lesbian I. Amsterdam, 2009 © Muholi, STEVENSON | Kapstadt 2009)
Besprochen werden die Ausstellung "Preußen und Sachsen. Szenen einer Nachbarschaft" im
Schloss Doberlug (
FAZ), die Bayerische Landesausstellung "Ludwig der Bayer. Wir sind Kaiser"
in Regensburg (
FAZ) und die Ausstellung "Mapping Spaces" über
Netzwerke des Wissens in der Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts im ZKM Karlsruhe (
NZZ).
Musik, 11.06.2014
Alle huldigen
Richard Strauss, der heute vor 150 Jahren geboren wurde. Im
Tagesspiegel stellt Ulrich Amling neue Bücher über den Komponisten vor. Hans-Klaus Jungheinrich
führt in der
FR durch dessen Werk und
war überdies bei einer Aufführung von Strauss" Oper "Feuersnot" in Dresden. Für die
SZ war Helmut Mauró beim von
Franz Welser-
Möst dirigierten Gedenkkonzert des Bayerischen Staatsorchesters. Die
FAZ bringt gleich zwei ganze Seiten, auf denen unter anderem Eleonore Büning von
Strauss" Klangwelten schwärmt: "Mit Tonmalerei im wörtlichen Sinn ... hat diese Sprache des "Visuell-Klanglichen" bei Strauss nichts mehr gemein. Vielmehr mit
romantischer Seelenmalerei - und natürlich mit der Autonomie des psychologisierenden Wagnerschen Orchesters, das immer etwas gescheiter ist, als die Sänger es sein dürfen. Aber kräftig, wie die Alten, mit den Tönen gemalt hat Strauss auch, ganze Gebirge, auch Gewitter und Sonnenauf- und -untergänge, und aus einem
banal monotonen Falkenruf gleich ein handlungstragendes Motiv abgeleitet."
Manuel Brug
stört sich in der
Welt ein wenig an der grassierenden "
tranig werkimmanenten" Sicht auf Strauss und wünschte sich eine intellektuellere Auseinandersetzung mit der
janusköpfigen Gestalt des Genies und Opportunisten in der NS-Zeit: "Er wusste ungemein genau, was er an
Hugo von Hofmannsthal und
Stefan Zweig als zwei der sensibelsten Librettisten der Operngeschichte hatte. Dass einer von beiden "Volljude" war, störte ihn, den zeitweiligen Präsident der Reichsmusikkammer, der bei Goebbels antichambrierte und Polens Gouverneur
Hans Frank zu seinen engen Familienfreunden zählte, gleichzeitig in lebensgefährlicher Überheblichkeit aber die Nazis für ein "Pack von Lausejungen" hielt, überhaupt nicht."
Ingo Techmeier
empfiehlt in der
taz ein zweitägiges Festival
im Berliner Berghain, das
elektronische Musik von Frauen aus den 50ern bis heute präsentiert. Neben Black Sabbath und den
Rolling Stones (
hier der Bericht von Edo Reents in der
FAZ) beehrten auch die Altrocker von
Aerosmith dieser Tage Berlin,
berichtet Jens Balzer in der
Berliner Zeitung. Für den
Tagesspiegel war Nadine Lange beim Konzert. Und beim
Rolling Stone schreibt Eric Pfeil weiter fleißig Poptagebuch.
Besprochen werden das Debütalbum der wegen
ihrer Online-Videos bereits gefeierten Jazzrocker
Dirty Loops (
SZ), die Berliner Stadionmesse von
Black Sabbath (
Welt) und das neue Album von
Meshell Ndegeocello (
FAZ).
Film, 11.06.2014
Hanns-Georg Rodek
sichtet für die
Welt den Schatz von 20.000 Filmrollen, der in einem Kreuzberger Hinterhof geborgen wurde. Bei
Fandor präsentiert Ekkehard Wölk seine Fotoaufnahmen des für seine darstellerischen Leistungen in
Werner Herzogs Filmen "Jeder für sich und Gott gegen alle" und "Stroszek" bekannt gewordenen, 2010 in ärmlichen Verhältnissen verstorbenen Berliner Straßenmusikers
Bruno S. und erinnert sich an seine Begegnung mit ihm vor zehn Jahren. Passend dazu: Ein
knapp halbstündiges Feature, das
Vice noch zu Lebzeiten über Bruno S. gedreht hat.
Besprochen werden eine Ausstellung über
Michelangelo Antonionis Film "Blow-Up" und die Fotografie in der Wiener Albertina (
taz),
Josh Boones Verfilmung von
John Greens Roman "Das Schicksal ist ein mieser Verräter" (
SZ,
FAZ,
kino-zeit.de) und
Aleksey Igudesmans Dokumentarfilm "Noseland" über den Geiger
Julius Rachlin (
Tagesspiegel,
programmkino.de).
Bühne, 11.06.2014
Barbara Villiger Heilig
trifft für die
NZZ den norwegischen Dramatiker
Jon Fosse, der dem Theater den Rücken kehren will: "Fosse ist ein hypersensibler Mensch.
Sozialer Druck setzt ihm zu. Öffentlichen Auftritten hielt er früher nur dank Alkohol stand; als er den Alkohol nicht mehr kontrollieren konnte, sondern von ihm kontrolliert wurde, hörte er auf zu trinken - und öffentlich aufzutreten. Kein Lesungen mehr. Premieren: nie. Mit dem Theater schließt er nun ohnehin ab.
Nur Opernlibretti interessieren ihn nach wie vor."
In der
Presse berichtet Judith Hecht, dass im Streit um den früheren Burg-Intendanten
Matthias Hartmann jetzt um die Befangenheit der Gutachter gestritten wird.
Besprochen werden
Martin Kusejs "Faust" am Residenztheater München (
NZZ) und die die Wiener Premiere von
Franz Schuberts "Winterreise" mit Matthias Goerne, Markus Hinterhäuser und 24 Animationsfilmen von William Kentridge (
Standard). Alexander Jürgs
nimmt vom Festival
Theater der Welt in Mannheim eine "
neue Härte" mit.