Efeu - Die Kulturrundschau

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18.06.2014. Die NZZ bietet eine Preview der Art Basel, während die Welt unendlichen Spaß in der Schirn hat. In der SZ kämpft die Experimentalfilmerin Tacita Dean für analoges Material. Die taz betrachtet in Dresden das Theater der Geheimdienste. Das Fotoblog kwerfeldein erkundet mit Christoph Bangert die Grenzen der Kriegsfotografie.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.06.2014 finden Sie hier

Kunst

Philipp Meier hat sich für die NZZ die Art Basel - und ihre Besucher - genauer angesehen und festgestellt, dass es nicht nur bei Yoko Ono oder Marina Abramović vor allem - menschelt: "Wer hingegen in John Bocks Gruselkabinett hineinschlüpft, begibt sich in einen Freiraum der verbotenen Spiele und Schmuddelecken, des unaufgeräumten Sammelsuriums und sich selbst genügenden Wahns in Videofilmen, alles zelebriert vom deutschen Aktionskünstler mit geradezu dämonisch-kindlicher Inbrunst. Vielleicht sind es ja gerade solche Kunstwerke, die einen ein Stück weit finden lassen, was man auf einer Kunstmesse sucht."

Zunächst sehr emotional, dann aber auch sachlich sehr interessant bespricht Martin Gommel in seinem Fotoblog kwerfeldein den Band "War Porn" des Fotografen Christoph Bangert, der normalerweise für Stern oder New York Times unterwegs ist, hier aber Bilder präsentiert, die Medien nicht drucken würden. Der Band versteht sich als Reflexion über sein Metier: "Bangert sieht sich ständig der Zensur dieser Bilder ausgesetzt. Zum einen können und werden viele Aufnahmen nicht publiziert, da Bildredakteure entscheiden, was zu krass ist und was nicht. Weiter geht die Zensur in den Köpfen der Gesellschaft, die bestimmte Aufnahmen von den Folgen des Krieges nicht sehen will oder kann. Zu guter letzt sieht Bangert sich selbst in der Kritik und weiß, dass auch er zensiert, denn er kann sich bei manchen Bildern nicht mehr daran erinnern, wie er sie gemacht hat."

Weitere Artikel: Harald Jähner begeistert sich in der Berliner Zeitung für die Fotografien des 1994 verstorbenen Eberhard Püscher, aus dessen gewaltigem Fundus gerade eine Auswahl als Buch erschienen ist (hier dazu mehr). Im Mittelpunkt von Püschners Werk steht die Stadt Alfeld, die er vierzig Jahre chronistisch begleitete: "Es ist ein sonderbares, berührendes Werk." Überraschend beschwingt wandert Jan Küveler für die Welt durch die von David Foster Wallaces Roman "Unendlicher Spaß" inszenierte Ausstellung in der Frankfurter Schirn und erlebt eben solchen. In der FAZ schreibt Dietmar Dath den Nachruf auf Isabelle Dufresne, besser bekannt als Warhols Ultra Violet.

Besprochen werden eine Ausstellung über Osteuropa in der zeitgenössischen Fotografie im Kunstforum Ostdeutsche Galerie in Regensburg (FAZ) und die Ausstellung "Blow Up. Antonionis Filmklassiker und die Fotografie" in der Wiener Albertina (Zeit) (Welt).
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Film

Die Experimentalfilmemacherin Tacita Dean beklagt sich im SZ-Gespräch mit Catrin Lorch, dass das klassische fotochemische Filmmaterial und damit ihre Arbeitsgrundlage zu verschwinden droht: "Ich habe die letzten Rollen Kodak Black Opaque Acetate Leader gekauft, Filmemacher aus New York haben mich schon angebettelt, um ein paar Meter davon zu bekommen. Wenn die neun Rollen aufgebraucht sind, wird niemand mehr einen Film herstellen können, ohne ihn ins Digitale einzuspeisen. Und da kommt er nie wieder heraus." Hier die Website ihrer Initiative zur Rettung des analogen Films.

In der taz berichtet Claus Löser vom Internationalen Animationsfilm-Festival im französischen Annecy, wo man - da in Frankreich nicht nur viele Filmemacher ausgebildet werden, sondern danach auch tatsächlich in diesem Beruf arbeiten können - den "authentischen Ausdruck einer pulsierenden cineastischen Szene" erleben kann: "Das kann schon etwas neidisch stimmen, denn dies gibt es bei uns so nicht."

Weitere Artikel: In der SZ empfiehlt Fritz Göttler eine Münchner Reihe mit den Filmen von Kelly Reichardt. Für critic.de hat sich die Regisseurin, deren neuer Film "Night Moves" bald ins Kino kommt, mit Danny Gronmaier unterhalten. Für den Tagesspiegel hat Martin Schwickert mit Regisseur Steven Knight gesprochen, dessen neuer Film "No Turning Back" nur in einem Auto spielt. Katja Nicodemus hebt in der Zeit die französische Schauspielerin Sara Forestier ("Die unerschütterliche Liebe der Suzanne") aufs Podest neben Isabelle Huppert, Charlotte Gainsbourg und Lea Seydoux.

Und: Das Kino im Kino, ein toller Videoessay:

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Bühne

Für die taz war Hartmut Krug beim Dresdner Theaterfestival "Parallel Lives - Das 20. Jahrhundert durch die Augen der Geheimdienste gesehen", bei dem sich sechs osteuropäische Inszenierungen mit den Geheimdiensten des Ostblocks auseinandersetzen. Dafür "wurden die Künstler zu innovativen Rechercheuren in (oftmals noch schwer zugänglichen) staatlichen Archiven.... Anders als das alte Dokumentartheater belehren sie den Zuschauer nicht, sondern erwarten, dass er sich in die Auseinandersetzung mit einer Vielfalt von Darstellungsformen begibt und selbst in den nationalen Geschichten auf Erkenntnissuche geht. Es ist ein Theater, das politische Fragen von gestern als heutige zur Diskussion stellt."

Erinnerungen an den Fall Natascha Kampusch weckt die von Georg Friedrich Haas inszenierte Oper "Bluthaus" nicht nur bei Peter Hagman (NZZ), der die diesjährigen Wiener Festwochen durchaus "erlesen" findet.

Besprochen werden Rüdiger Schapers Buch "Spektakel. Eine Geschichte des Theaters von Schlingensief bis Aischylos" (Nachtkritik), Lily Sykes" Adaption von Julian Barnes" Roman "Vom Ende einer Geschichte" am Schauspiel Frankfurt (FR).
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Literatur

Wolfgang Kunath gratuliert in der FR dem brasilianischen Musiker und Schriftsteller Chico Buarque zum 70. Geburtstag. Science Fiction ist jetzt Real Life, meint Iris Radisch in der Zeit, deshalb sehnen sich Autoren wieder nach echter Realität.

Besprochen werden Will Selfs "Regenschirm" (SZ - mehr), Peter Sloterdijks Großessay "Die schrecklichen Kinder der Neuzeit" (Zeit) und Colson Whiteheads "Zone One" (FAZ - mehr) und zwei Bücher über das "Gehen" (NZZ). Mehr in unserer aktuellen Bücherschau um 14 Uhr.

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Musik

Auf Pitchfork ist Ian Cohen enorm begeistert von "Deep Fantasy", dem neuen Album von White Lung: "It"s an uncompromising feminist punk record that can be grasped by anyone who finds themselves compelled by kickass rock music and basic human decency. ... This is principled music, not doctrine, and while inspired by its surroundings, it"s defined by its leader making bracing art. "Deep Fantasy" is a product of its environment, as well as one hell of a survival guide to live through this."

Außerdem: Ganz entspannt jubelt in der SZ Schriftsteller Joachim Lottmann beim Wiener Konzert den Rolling Stones zu und erklärt Diedrich Diederichsens 1982 im Spiegel veröffentlichte Kampfansage an die Altrocker endgültig für obsolet und überwunden (warum Lottmann Diederichsens "20 Jahre derselbe Beat" im Zitat zum bösen "20 Jahre derselbe Scheiß" macht, bleibt allerdings sein Geheimnis). "So wunderbar hässlich kann Hip-Hop sein", freut sich Daniel Gerhardt auf ZeitOnline nach dem Anhören von Clippings neuem Album "CLPPNG". Hier deren aktuelles Video:



Besprochen werden der Open-Air-Auftritt der Berliner Philharmoniker beim Berliner Fest am Kulturforum (Tomasz Kurianowicz ärgert sich im Tagesspiegel über "die vielen Pärchen, die nicht still sein wollen") und eine konzertante Aufführung von Richard Strauss" "Die Liebe der Danae" in der Oper Frankfurt (FR).
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