12.07.2014. Die Welt versucht mit der Weltliteraturformel das Aussterben des guten, alten Lesers zu verhindern. Außerdem hat sie Angst vor positiver Diskriminierung im britischen Film. Die taz sucht im Maxim-Gorki-Theater nach Identität und im Jüdischen Museum nach Berlin-hebräischer Literatur. Und die NZZ hat Angst vor Museen mit Wellnessbereich.
Literatur, 12.07.2014
Alexander Schimmelbusch
begibt sich für die
Welt mit New Yorker und Berliner Agenten auf die Suche nach der "
Weltliteraturformel", bedauert das
Aussterben des alten, treuen Lesers und lernt, dass Romane die meisten Erfolgsaussichten hätten: "die lang und lesbar seien, die sich ebenso mit grundlegenden
gesellschaftlichen Veränderungen befassten wie mit deren Auswirkungen auf das Individuum oder die Familie. Hilfreich seien auch ein simpler Titel, eine Thematik, die sich in Rezensionen interessant und knapp zusammenfassen lässt, sowie eine Vielzahl von Handlungssträngen, die der hochprofessionelle Autor am Ende "fein säuberlich
mit einer Schleife zusammenbindet"". Wer Relevanz und Innovation hingegen vor Reichweite stelle: "könne die Rolle von Literatur auch darin sehen, von oben einzuwirken, die
prägenden Köpfe zu prägen".
Für die
taz hat sich Judith Hoppe mit den drei in Berlin lebenden, auf hebräisch schreibenden israelischen Schriftstellern
Maya Kuperman,
Ronen Altman Kaydar und
Mati Shemoelof getroffen, die heute Abend
im Jüdischen Museum in Berlin ihre Arbeiten vorstellen. Eine homogene Berlin-hebräische Literatur kann sie allerdings nicht identifizieren: "Berlin fließt in die Literatur der drei SchriftstellerInnen ein. Aber ihre Biografien und ihre Literatur scheinen doch
zu disparat, um Spezifika auszumachen. Wenn es was Gemeinsames gibt in ihrem Schreiben, dann wohl die Lust, mit
Konzepten von Migration und Heimat zu spielen."
Weiteres: Der
Schriftsteller Alain Claude Sulzer stellt in der
FAZ seinen Lieblingsbuchladen in Basel vor. In der SZ schreibt
Schriftsteller Saša Stanišić über seine Schuhe: Wichtig ist ihm an jeglichem Schuhwerk "eine
ausgezeichnete Hineinschlüpfbarkeit". Vera Botterbusch gratuliert in der
SZ dem nigerianischen
Schriftsteller Wole Soyinka zum 80. Geburtstag.
Besprochen werden
Oleg Jurjews Roman "Halbinsel Judatin" (
FAZ),
Marlene Streeruwitz" Roman "Nachkommen" (
SZ -
mehr),
Glyn Dillons Comic "Das Nao in Brown" (
taz),
Dragan Velikics Roman "Bonavia" (
taz)
und
Eva Horns literaturwissenschaftliche Studie "Zukunft als Katastrophe" (
FR). Mehr in unserer
Bücherschau um 14 Uhr.
In der Frankfurter Anthologie der
FAZ stellt die
Autorin Gabriele Wohmann ihr Gedicht "Armer Beethoven" vor:
"Eine Ära ist um!
Sie wird die eine
Abendstunde am Klavier ..."
Musik, 12.07.2014
In der
Berliner Zeitung erinnert sich Jens Balzer an seine ausgelassenen Clubbing-Erlebnisse in
Tel Aviv vor wenigen Monaten: "Dass an den gleichen Orten, an denen ich neulich noch trank und tanzte, jetzt wieder die
Sirenen heulen und Raketenteile vom Himmel fallen, ist unfassbar - nicht nur, weil es objektiv schrecklich ist, sondern auch, weil es so surreal wirkt. Als ich in Tel Aviv war, hatte ich nicht das Gefühl, weit von zu Hause weggekommen zu sein. Seit Dienstagabend suche ich in Berlin unwillkürlich den Himmel nach Raketen ab."
Christine Käppeler vom Freitag
lässt sich von einer Performance der Indie-Band
Phantom Ghost restlos verzaubern: Sänger
Dirk von Lowtzow "ist
zugleich höchst artifiziell und höchst authentisch, unheimlich befreiend wirkt das und auch der Festivaltitel Foreign Affairs ergibt auf den Abend gewendet nun Sinn, denn hierzulande ist das ein
sehr untypisches Gebaren, leider."
Außerdem: Für
Electronic Beats unterhalten sich
Kenneth Goldsmith und
Fatima Al Qatiri. In der
taz begeistert sich Thomas Winkler für die Skills des noch minderjährigen
Rappers Sierra Kid. Auf
Pitchfork stellen Marc Masters und Grayson Haver Currin Underground-Labels für
experimentelle Musik vor. Für den
Tagesspiegel trifft Nicola Kuhn den britischen Künstler
Jeremy Deller, der beim Berliner Festival Foreign Affairs seine
Acid-Brass-Musik vorstellen wird. In der
taz unterhält sich Julian Weber mit ihm.
Spiegel-Online meldet den Tod des amerikanischen Jazz-Kontrabassisten und Komponisten
Charlie Haden, der etwa mit Keith Jarret oder Yoko Ono spielte.
Besprochen werden das neue Album von
Morrissey (
Berliner Zeitung,
FAZ, mehr in unserem
gestrigen Efeu), das Debütalbum von
Jungle (
Zeit)
und der Dokumentarfilm "Mistaken for Strangers" über eine Tour der Indie-Band
The National (
Zeit)
.Film, 12.07.2014
Gerhard Midding
hat in der
Welt Bedenken, dass die Kriterien, die ab September in Großbritannien für die
heimische Filmförderung erfüllt werden müssen -
Minderheiten, "die wegen ihres Geschlechts, ihrer s
exuellen Orientierung, ihrer ethnischen und Klassenzugehörigkeit, ihres Alters oder einer Behinderung benachteiligt sind" - sollen in drei Punkten repräsentiert werden, zu Problemen führen: "Allenfalls führt er zu einem idealisierten Bild einer integrativen Gesellschaft. Der
Oktroy einer positiven Diskriminierung ist eine Anleitung zum Opportunismus. Viele Geschichten dürften fortan nicht mehr erzählt werden, da ihnen die gesellschaftliche Legitimation fehlt. Das Drehbuchschreiben wäre nicht mehr eine Frage des erzählerischen Impulses, sondern der politisch korrekten Arithmetik. Das britische Kino könnte in die Untiefen deutscher
Fernsehseifenopern mit Quotenschwulen abgleiten."
Jan Schulz-Ojala vom
Tagesspiegel fährt mit dem Zug von Berlin zum
Internationalen Filmfestival in
Karlsbad. Cosima Lutz
plaudert in der
Welt mit dem Schauspieler
Hermann Treusch über Fußball, Rinder-Carpaccio und die Freiheit,
keine Kunst mehr machen zu müssen.
Besprochen werden der Berlin-Kreuzberg-Film "Umsonst" (
Tagesspiegel)
und
Claudia Sainte-
Luces Komödie "Der wundersame Katzenfisch" (
FAZ).
Bühne, 12.07.2014
Shermin Langhoffs erste Spielzeit am Berliner
Maxim Gorki Theater wurde von den Feuilletons
genau beobachtet. Nun
zieht sie im ausführlichen
taz-Gespräch mit Lea Streisand Bilanz. Ihr Haus sieht sie dabei als Stadttheater, das die Diversität Berlins abzubilden versucht: "Theater ist immer wieder eine
Befragung der identitären Konzepte, der Wahrnehmungen, der Zuschreibungen. Weil natürlich genau die Diskurse, die sich sehr eng um Identität drehen, selbst das Problem sind. ... Wenn wir über Berlin sprechen, sprechen wir doch in dieser Heterogenität und Diversität über
Tausende von Verbindungen in die ganze Welt, die wir mitbringen, Konfliktzonen, die wir hier bearbeiten."
Sehr skeptisch zeigt sich Mounia Meiborg (
SZ) in ihrem Resümee des Berliner
Festivals Foreign Affairs: Unter anderem in
Yan Duyvendaks und
Roger Bernats "Plase, Continue (Hamlet)", bei dem professionelle Theaterschauspieler im Rahmen einer improvisierten Gerichtsverhandlung auf Laien aus dem Justizapparat treffen, offenbarte sich ihr eine
Krise des Theaters: Es zeigt sich, "unter welchen Zwängen Regisseure stehen, die ihre Arbeiten auf den immer zahlreicher werdenden internationalen Festivals zeigen wollen. ...
Old school Hamlet?
No way! Die Arbeiten müssen neu sein, originell, anders. Also öffnen Regisseure das Theater. Manchmal wenden sie sich auch von ihm ab. Doch was bleibt übrig,
wenn Theater kein Theater mehr sein will? Beim dokumentarischen Ansatz konkurriert die Bühne mit der Wirklichkeit - und verliert meistens."
Traurig berichtet Wiebke Hüster in der
FAZ vom letzten Abend des Tänzers
Nicolas Le Riche an der Pariser Oper: "Mit Le Riche nimmt auch der letzte Protagonist einer Ära den Hut, in der die Unterschiede zwischen den nationalen Tanzinstitutionen noch erkennbar sind." Im
FR-Gespräch mit Judith von Sternburg
hält Manfred Beilharz, der scheidende Intendant des
Staatstheaters Wiesbadens, Rückschau auf seine Karriere im Theaterbetrieb. Sandra Luzina
plaudert im
Tagesspiegel mit
Sasha Waltz über deren "Orfeo"-Inszenierung, die im Oktober in Amsterdam aufgeführt wird. Und Simone Kaempf
vermisst auf
Nachtkritik den "improvisatorischen Geist" bei den
Autorentheatertagen.
Kunst, 12.07.2014

Kommt nach Ratgeberliteratur nun auch
Ratgeberkunst,
fragt die
NZZ nicht ohne Schaudern, nachdem sie die von den beiden (Popular-)Philosophen
Alain de Botton und
John Armstrong im Amsterdamer Rijksmuseum kuratierte Ausstellung "
Art is Therapy" besucht hat. Das lebensberatende Philosophen-Duo zeigt hier, wie
Rembrandt oder
Vermeer helfen, "ein gutes Leben zu führen" und fordert: "Die Therapeutika - die Kunstwerke - würden, wenn die Museen erst einmal zu Tageskliniken (mit
Wellnessbereich) umgestaltet wären, nicht mehr nach kunsthistorisch-chronologischen Kriterien, sondern nach psychischen Bedürfnissen und Schauplätzen der Seele sortiert und arrangiert. Auf diese Weise entstünden
Galerien des Leidens und Mitleidens, der Liebe und der Selbsterkenntnis . . . Und wenn die verordneten Arzneien nicht mehr wirken sollten, bestellte die Einkaufskommission bei den dienstbaren Künstlern genau das, was zur Seelenpflege jeweils gerade gebraucht würde." (
Bild: Jan Ekels: "A Writer Trimming his Pen", Quelle: Rijksmuseum Amsterdam.)In der
FAZ spricht Bettina Wohlfarth mit dem Pariser Galeristen
Yvon Lambert, der sich in den Ruhestand zurückzieht. Dem heutigen Betrieb kann er wenig abgewinnen: "Heute wird man als Galerist mit einem
Anlageberater verwechselt. Dem verweigere ich mich. Leute, die hierherkommen, um eine Kapitalanlage zu machen, schicke ich zur Bank."
Über Geld
will nun ausgerechnet
Jeff Koons im
Zeit-Gespräch mit Claudia Steinberg ganz und gar nicht sprechen. Lieber offenbart er die Tiefen seiner polierten Oberflächenkunst: Darin "gelangt man zum Tod, zum Platonismus, zum Konzept der puren Form und der puren Idee. Also
vom sexuellen Begehren in das Reich der Ewigkeit."
Monopol zitiert Gerhard Richter, der mit Blick auf den inhaftierten Kunstberater und "Filou"
Helge Achenbach findet, dass diese Form von Betrügereien beispielhaft "für einen
Kunstmarkt (sei), für den es keine Kritierien mehr gebe."
Spiegel Online spricht mit der litauischen Fotografin
Angelika Sher, die 13jährige
israelische Jugendliche im Konflikt zwischen Erwachsenwerden und
Krieg fotografiert hat: "Sie haben trotzdem eine glückliche Kindheit, und ihnen ist sehr wohl bewusst, was Frieden ist. Sie müssen lernen, ihre Angst zu beherrschen. Natürlich werden sie so schneller erwachsen."
Weiteres: Zwei spanische Ausstellungen dekonstruieren das Bild von
El Greco als spanischem Nationalmaler,
schreiben Sophia Ludolph und Michael Scholz-Hänsel in der
taz. Nachrufe auf
On Kawara schreiben Birgit Rieger (
Tagesspiegel), Niklas Maak (
FAZ) und Georg Imdahl (
SZ).
Besprochen werden die Ausstellung "Vanitas - Ewig ist eh nichts" im
Georg-Kolbe-Museum in Berlin (
Jungle World).