Efeu - Die Kulturrundschau

Mit wundervoller Eleganz wie Delikatesse

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26.08.2014. In der SZ fragt Karl Schlögel die deutsche Kulturpolitik, wie lange sie eigentlich noch das Jahr der russischen Sprache zelebrieren will. Im Zürcher Tages-Anzeiger analysiert der Theatermacher Milo Rau die politische Psychologie der Dschihadisten aus dem Westen. In der Nachtkritik klagt Frank-Patrick Steckel über Bad Hersfeld: Geld für Amazon, aber nicht für die Festspiele. Der Tagesspiegel hörte beim Berliner Konzert des West-Eastern Divan Orchestra die Verzweiflung und Wut des Nahen Ostens toben.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 26.08.2014 finden Sie hier

Kunst

In der SZ ärgert sich Historiker Karl Schlögel über die Zerstörung des Heimatmuseums im ostukrainischen Donezk im Zuge kämpferischer Auseinandersetzungen. Und er appelliert an die deutsche Kulturpolitik: "Nun soll Donezk nach dem Willen eines selbsternannten Volkssturms, der die Stadt in seine Gewalt gebracht hat, sich entweder ergeben oder von der Karte gelöscht werden. Dies geschieht, mit Rückendeckung aus Moskau, in einem Augenblick, da man sich in Deutschland auf ein "Jahr der russischen Sprache und Literatur" vorbereitet. Es ist immer noch Zeit, die Tagesordnung aufzukündigen. Plünderung von Museen und die Zelebrierung eines Kulturjahres passen nicht zusammen."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel stellt Peter von Becker das Kunstfest Weimar (mehr) vor. Außerdem berichten die Kunstkritiker der SZ von ihren Erfahrungen in den großen, überlaufenen europäischen Museen mitten in der verregneten Ferienzeit. In der FAZ porträtiert Jenni Roth die Multimedia-Künstlerin Antye Greie, die auf der finnischen Insel Hailuoto eine Art Klanglabor eingerichtet hat (hier was zum Hören). Thomas David hat sich für die FAZ mit dem Cartoonisten Jules Feiffer unterhalten (Auszüge aus dessen aktuellem Werk "Kill my Mother" bringt der New Yorker).

Besprochen werden Tom Holerts Studie "Übergriffe. Zustände und Zuständigkeiten der Gegenwartskunst" (taz) und eine Simone Forti gewidmete Ausstellung im Museum der Moderne in Salzburg (FAZ).
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Bühne


Milo Rau: The Civil Wars

Im Zürcher Tages-Anzeiger unterhält sich Alexandra Kedves mit dem Theatermacher Milo Rau, der sich für sein neues Stück "The Civil Wars" mit der Frage beschäftigt hat, was junge, im Westen aufgewachsene Männer in den Dschihad nach Syrien und den Irak treibt. Rau sieht die Gründe in einer Art politischen Psychologie: "Es verkörpert das Ende der Hoffnung auf eine echte multikulturelle und liberale Gesellschaft. Der globale Humanismus hat sich verabschiedet. Im großen wie im kleinen Maßstab sind die Menschen als Krieger unterwegs - allein, in der Krise, kämpfend und orientierungslos."

Im Juli wurde der Intendant der Bad Hersfelder Festspiele fristlos entlassen, nach langem Streit mit der Stadt um die knappen Finanzen. In der Nachtkritik ärgert sich der frühere Bochumer Intendant und Übersetzer Frank-Patrick Steckel schrecklich über die Vorgänge in der Stadt, in der Amazon ein riesiges Logistikzentrum errichtet hat: "Die Stadt hat neun Millionen Euro in die Amazon-Ansiedlung gesteckt, der Gewerbesteuererlös des US-Konzerns aber fließt - nach Luxemburg: "Da sind die weltweiten Konzerne in der Lage, internationale Gestaltungsoptionen zu nutzen", seufzt der Bürgermeister unter Verwendung des beschönigenden Politjargons, mit welchem die Raubzüge dieser Konzerne legalistisch bemäntelt werden, bis TTIP sie unwiderruflich absichert."

Manuel Brug feiert in der Welt jetzt auch den spanischen Choreografen Marcos Moreau und seine Kompanie La Veronal als große Entdeckung des Festivals Tanz im August: "Zu barocken Klängen ver- und entwirrte sich ein Reigen optischer und semantischer Codes, der mit wundervoller Eleganz wie Delikatesse erdacht und ausgeführt war." (Bild: Siena von La Veronal, Foto: Jesús Robisco)
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Literatur

Thomas Hettche denkt in der NZZ über Sprache und Literatur nach angesichts einer Studie, derzufolge Menschen moralischer handeln, wenn sie in ihrer eigenen Sprache vor eine heikle Entscheidung gestellt werden. Christiane Pöhlmann war für die taz bei Nino Haratischwilis Lesung aus ihrem neuen Roman "Das achte Leben (Für Brilka)". Stephan Speicher berichtet in der SZ von der Eröffnung des Potsdamer Literaturfestivals, wo unter anderem Hans Magnus Enzensberger auftrat, in der Welt berichtet Mladen Gladic. In der Berliner Zeitung freut sich Cornelia Geißler über 60 Jahre Pixi-Bilderbücher. In der SZ erinnert Volker Breidecker an Schriftsteller Julio Cortázar, der heute vor 100 Jahren in Brüssel auf die Welt kam.

Besprochen werden Robert Warshows Essaysammlung "Die unmittelbare Erfahrung" (FAZ, hier unsere Leseprobe), George Plimptons Capote-Biografie (Standard) Julia Trompeters "Die Mittlerin" (FR) und Douglas Rushkoffs Zeitdiagnose "Present Shock" (NZZ).
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Film

Im Tagespiegel führt Frank Noack durch das Programm des Fantasy Filmfests, das morgen in Berlin beginnt. Spanien fliegt auf die Baskenland-Komödie "Ocho Apellidos Vascos", berichtet Martin Dahms in der Berliner Zeitung. Die Presse meldet die Emmys, die in diesem Jahr vor allem an die Serien "Breaking Bad" und "True Detective" gingen. Nachrufe auf Sir Richard Attenborough (mehr) schreiben Verena Lueken in der FAZ, Tobias Kniebe in der SZ, Julia Teichmann in der Berliner Zeitung , Hanns-Georg Rodek in der Welt und Gunda Bartels im Tagesspiegel.

Besprochen werden Jonas Alexander Arnbys Horrorfilm "When Animals Dream" (SZ) und Lasse Hallströms "Madame Mallory und der Duft von Curry" (SZ).
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Musik

Daniel Barenboims aus israelischen, palästinensischen und arabischen Musikern zusammengestelltes, als Beitrag zur Völkerverständigung konzipiertes West-Eastern Divan Orchestra hat seine Tournee mit einem Konzert in der Waldbühne abgeschlossen. Während des Konzerts gab es keine Stellungnahme zur aktuellen Situation im Nahen Osten, berichtet Udo Badelt im Tagesspiegel: "Es kann sich doch sowieso jeder vorstellen, welch ungeheure Verzweiflung, welche negativen Energien und Kräfte in dem Orchester getobt haben müssen." In der Berliner Zeitung ärgert sich Peter Uehling unterdessen sehr über die miese Akustik der Waldbühne. In der SZ bringt Wolfgang Schreiber historische Hintergründe zu dem Völkerverständigungs-Projekt.

Weitere Artikel: Recht unvergnügt hat Michael Pilz in der Welt verfolgt, wie Miley Cyrus bei den MTV-Awards einen Obdachlosen auf die Bühne schickte, um den preis für sie in Empfang zu nehmen: "Größer als das Unbehagen an der Armut ist dabei die Scham an der Zurschaustellung." (Alle anderen Preise im Standard) Das zweite Album von Cold Specks ist offenbar recht eklektizistisch ausgefallen, wenn man Britta Helm von ZeitOnline glauben darf: "Magische Achtziger-Synthies durchziehen ein Stück Sechziger-Midwesternfolk, und akustische und elektrische Gitarren mischen sich über einem schleppenden Beat zum bluesigen Bett für Geisterchöre."

"Das Warten hat sich gelohnt", jubelt Tobias Kreutzer in der FAZ nach Anhören des neuen, eher düster geratenen Albums der Retro-Popper Zoot Woman. In der Berliner Zeitung resümiert Andreas Busche das Berliner Atonal-Festival, bei dem das Kraftwerk Berlin mal zum Vorteil, mal zum Nachteil integraler Bestandteil des Geschehens wurde: Es "entpuppte sich (...) als begehbarer Klangkörper, der das Verhältnis von Hörer und Musik ständig neu auslotete." In der FR zeigt sich Stefan Schickhaus sehr zufrieden über Aridrés Orozco-Estradas Einstand als Dirigent beim HR-Sinfonieorchester (hier ein Mitschnitt des Konzerts).
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