Efeu - Die Kulturrundschau

Liebeserklärung an die Glatze

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.10.2014. Der Tagesanzeiger rühmt die drei Augen des René Burri. Die taz freut sich, dass die Malerin Florine Stettheimer auch ganz ohne Mann Odaliske sein konnte. Thomas Meinecke feiert in der SZ die eklektische Splitterung des Oeuvres von NRBQ. Den Donaueschinger Musiktagen steht eine Zukunft als wirbellose Molluske bevor, fürchtet die FAZ. Die Welt besucht Arvo Pärt und Robert Wilson in Tallin.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.10.2014 finden Sie hier

Kunst

"Drei Augen besaß René Burri, und damit machte er sich zur Legende", schreibt Daniele Muscionico im Tages-Anzeiger im Nachruf auf den berühmten Schweizer Fotografen, der mit 81 Jahren in Zürich gestorben ist. Und erzählt, wie Burri 1963 zu seinem berühmten Foto von Che Guevara kam: "Burri sollte die Starreporterin von Look, Laura Bergquist, zu einem Interview begleiten. Doch während sich die Journalistin bald in politischen Themen verhakte, kettenrauchend wie der Kubaner selbst, ergriff Burri die Gelegenheit: Er fotografierte den Mann, seine Spannung und Entspannung, seinen gönnerhaften Blick auf die Frau, seine Verstimmung auch, sein Gesicht, seine Körperhaltung. Er fotografierte Che aus der Deckung seines diplomatischen Talents und seines Stilgefühls, seiner Diskretion, seines Charmes, seiner Burri-typischen Verführungskunst und seiner Begeisterungsfähigkeit."

In der taz freut sich Annegret Erhard, dass das Lenbachhaus in München erstmals in Europa die Bilder von Florine Stettheimer ausstellt. "Wie gründlich sie sich über Gepflogenheiten hinwegsetzen konnte, belegen ihre liegenden Akte, Selbstporträts, in denen sie sich als Odaliske darstellt, in Manet"scher Manier oder zart verschleiert. Damit eignet die Malerin sich rigoros ein bislang unerschlossenes Terrain an und belegt, dass es zur Darstellung eines weiblichen Akts, schon gar des eigenen Körpers, nicht des männlichen Blicks bedarf." (Bild: Florine Stettheimer, Self-Portrait with Palette (Painter and Faun), undated, Gift of the Estate of Ettie Stettheimer, 1967)

Weitere Artikel: Nach dem Besuch der Architektur-Biennale in Venedig stellt Peter von Becker im Tagesspiegel fest: "Je weniger ein Volk zu sagen hat, desto bombastischer sind die Häuser der Volksvertreter." ZeitOnline stellt die neue, von Frank Gehry entworfene Fondation Louis Vuitton in Paris mit einer Bildstrecke vor.

Besprochen werden eine Ausstellung über Camille Pissarro, den "Vater des Impressionismus" im Von der Heydt Museum in Wuppertal (Welt), eine der Mumins-Erfinderin Tove Jansson gewidmete Ausstellung im Schwulen Museum in Berlin (taz), der in der Robert Morat Galerie in Berlin ausgestellte Fotozyklus "Die seltsamen Tage" von Ute und Werner Mahler (Berliner Zeitung), die Ausstellung "Blicke! Körper! Sensationen!" im Dresdner Hygiene-Museum (Tagesspiegel) und die Ausstellung "Canaletto - Bernardo Bellotto malt Europa" in der Alten Pinakothek in München (FAZ).
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Musik

Meist nicht sehr überzeugt (mit Ausnahmen bei alten Avantgardisten!) berichtet Eleonore Büning aus Donaueschingen. Und bangt der für 2016 vorgesehenen Abschaffung des Freiburger SWR-Orchesters entgegen, das dann mit Stuttgart fusioniert werden soll: "Gleichwohl sprach Orchestermanager Reinhard Oechsler jetzt hochgemut davon, dass sein SWR-Sinfonieorchester, auf zeitgenössische Musik spezialisiert und flexibel wie kein anderes, traditionell das "Rückgrat" der Donaueschinger Musiktage sei. Alle nickten. Und alle wussten: Das sagt er jetzt zum vorletzten Mal. Wie aber werden die Musiktage ab 2016 weiterleben: als wirbellose Molluske?" Teresa Roelcke berichtet in der taz aus Donaueschingen.

Phillip Rhensius von der Jungle World staunt, wie gesittet sich der Musiker Kevin Martin alias The Bug auf seinem neuen Album (hier einige Hörproben) gibt: "Während sich Martin live weiterhin dem Extremismus der akustischen Überwältigung verschreibt, klingt das neue Album "Angels & Devils" im Vergleich zu den Vorgängeralben fast schon zurückgelehnt bis entspannt. Vor allem die ersten sechs der zwölf Tracks haben viel Platz für traumwandlerische Melodien, verletzliche Gesanglinien und eine unter dichten Lärmwänden vergrabene Melancholie, die man bereits aus dem Nebenprojekt King Midas Sound kennt. "

Thomas Meinecke jubelt in der SZ: Die Band NRBQ hat ein neues Album veröffentlicht. Darum geht es in Meineckes Text jedoch nur sehr am Rande, vielmehr schreibt sich der FSK-Musiker und Schriftsteller seine tief empfundene, langjährige Liebe für die Band von der Seele: "Womöglich ist es die eklektische Splitterung, die dem gewaltigen Oeuvre dieser Band, die 1966 in Louisville, Kentucky, gegründet wurde und sich bald über Miami, Florida, nach Upstate New York hochbewegte, etwas Fragmentarisches, gleichsam Posthistorisches und den stringenten Verfahrensweisen der Hitfabriken Entgegengesetzes verliehen."

Weitere Artikel: Anton Humpe erinnert im Freitag an den vor 36 Jahren gestorbenen Bluesmusiker Son House. Gunda Bartels empfiehlt im Tagesspiegel den Berlinern eine dem Kreuzberger Underground-Musiker Klaus Beyer gewidmete Werkschau. Wir bringen dazu seine Liebeserklärung an die Glatze:



Besprochen werden Haley Bonars Album "Last War" ("eine Zauberin des Unterschwelligen", schwärmt Jan Freitag auf ZeitOnline), John Mellencamps neues Album "Plain Spoken" (FAZ) und das neue Album von Element of Crime (FR).
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Bühne

In Tallinn besucht Marco Frei (Welt) die Proben für das Großprojekt "Adam"s Passion" von Arvo Pärt und Robert Wilson. Es ist eine Art musikalisches Porträt Pärts, lässt sich Frei vom Dirigenten Tõnu Kaljuste erklären: "In "Adam"s Lament" von 2009 für Chor und Streichorchester beginne der Konflikt um den Menschen zu schwären, der die "große Perspektive" aus dem Blick verliere, erklärte Kaljuste in Tallinn. Im Violin-Doppelkonzert "Tabula rasa" mit präpariertem Klavier von 1977 werde der Konflikt gelöst, um im "Miserere" von 1989/92 für Chor, Solisten, Ensemble und Orgel zu einem finalen, läuternden Gebet geführt zu werden. Als Introduktion hat Pärt für dieses Projekt die "Sequentiae" neu komponiert."


Sibylle Berg: Viel gut essen. Foto: © David Baltzer

Gut gemeint, doch nicht gut gekonnt, lautet Sascha Westphals Fazit in der Nachtkritik nach Sibylle Bergs am Schauspiel Köln aufgeführten neuen Stück "Viel gut essen". Es geht um die Ressentiments sich als ganz normal empfindender Männer, die Regisseur Rafael Sanchez in Szene zu setzen versuchte: "Natürlich hat dieser Text etwas Verstörendes und auch Gefährliches an sich. Schließlich gießt Sibylle Berg all die viel zu vertrauten Hasstiraden gegen Frauen und Asylanten, moderne Künstler und Moslems, Juden und Homosexuelle ganz ungefiltert über dem Publikum aus. So geht sie genau dahin, wo es wirklich noch schmerzt. In dieser Uraufführung schmerzt allerdings nichts, außer den unzähligen verpassten Chancen." Hans-Christoph Zimmermann von der taz seufzt ebenfalls mehr, als dass er sich freuen kann: Der Regisseur "nimmt mit der nerdigen Selbsttherapie jede Bedrohlichkeit zurück. ... So einfach ist Bergs Text nicht beizukommen." In der SZ bespricht eine ebenfalls nicht überzeugte Cornelia Fiedler die Aufführung.

Weitere Artikel: In der FR bringt Sebastian Moll zu den Protesten gegen eine New Yorker Aufführung der Oper "Klinghoffers Tod", die mit Antisemitismus-Vorwürfen belegt wird (mehr dazu in der New York Times). In der Welt mokiert sich Lucas Wiegelmann über die Chorsänger der Pariser Bastille-Oper, die nicht vor einer Frau im Niqab singen mochten.

Besprochen werden die neuen Episoden des "Life & Times"-Zyklus des Nature Theater of Oklahoma im Frankfurter Mousonturm (FR), Ingo Kerkhofs Inszenierung von Hans Krásas Oper "Verlobung im Traum" am Staatstheater Karlsruhe (FR, taz), ein in Berlin von Polina Semionova dargebotener Boléro (Tagesspiegel), Bizets "Carmen" im Theater St. Gallen (NZZ), eine Inszenierung von Camus" "Die Gerechten" in Düsseldorf (FAZ) und eine Münchner Aufführung von Leoš Janáčeks Oper "Die Sache Makropulos" (SZ).
Archiv: Bühne

Literatur

In der Presse stellt Oliver Grimm den irakischen Autor Hassan Blasim vor, der 2000 vor Sadam Hussein floh: "Über den Iran, die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn floh Blasim nach Finnland, wo er nach vier Jahren der Irrfahrten 2004 Asyl fand. Dort ist auch sein Sohn geboren. In Finnland fand Blasim die Ruhe, um zu einer der stärksten Stimmen der zeitgenössischen arabischen Literatur zu werden. Seine Kurzgeschichtensammlung "The Iraqi Christ" gewann heuer den Foreign Fiction Prize der britischen Tageszeitung The Independent: In den 24 Jahren ihres Bestehens hat noch kein arabischer Schriftsteller diese Auszeichnung erhalten, die unter anderem an Milan Kundera und W. G. Sebald vergeben worden ist."

Weitere Artikel: Japan liest und feiert die Bücher von Arno Schmidt und das dank der idealistischen Übersetzungsarbeit des dafür jüngst mit dem Merck-Kakehashi-Literaturpreis ausgezeichneten Stadtangestellten Jun Wada, berichtet Carsten Germis in der FAZ. Die in den Romanen von Javier Marías immer wieder auftauchende Nebenfigur Francisco Rico existiert tatsächlich, erklärt Paul Ingendaay in der FAZ: Es handelt sich dabei um einen Barcelona lehrenden Philologen selben Namens.

Besprochen werden Ulf Erdmann Zieglers Roman "Und jetzt du, Orlando!" (NZZ), Lena Dunhams "Not that Kind of Girl" (ZeitOnline), Marcel Beyers neuer Gedichtband "Graphit" (Tagesspiegel), Botho Strauß" "Heimat" (Tagesspiegel), Daniel Alarcóns "Des Nachts gehn wir im Kreis" (SZ) und Tanguy Viels "Das Verschwinden des Jim Sullivan" (FAZ).
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Film


Robert Downey jr. und Robert Duvall in "Der Richter"

Der wunderbare Robert Duvall, gerade im Kino zu sehen als Vater von Robert Downey in "Der Richter", plaudert im Interview mit der Welt über seinen Schaukelstuhl, Marlon Brando und die alten Zeiten, die so gut gar nicht waren: "Ach wissen Sie, es heißt immer, früher habe man diese tollen Filme gemacht, heute gibt es sie nicht mehr. Das stimmt ja nicht. Der Unterschied ist, dass Sie damals innerhalb des Systems gemacht wurden, heute sind es die Independent-Filme. Was heute produziert wird, das gehört zum Besten. Schauen Sie sich mal die iranischen Filme an, überhaupt das internationale Kino. Und die Filme, die hier außerhalb des Systems entstehen. Da sind viele ganz wunderbare Sachen."

Besprochen werden Wes Balls" "Maze Runner" (Tagesspiegel) und John Michael McDonaghs "Am Sonntag bist Du tot" (Tagesspiegel).
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