17.01.2015. Die italienische Filmbranche protestiert gegen das geplante Rauchverbot in Filmen und Fernsehserien, berichtet die FAZ. Für Zeit Online ist die Zigarette nicht weniger als ein glimmendes Symbol für die Liebe zum Kino. Die Frage, ob sich die Berliner Uraufführung von Dea Lohers "Gaunerstück" beglückend, befreiend und lebensbejahend ist oder sich in Prekariatsfolklore erschöpft, spaltet die Kritiker. Panda Bear erklärt der taz, wie mit der Digitalisierung der swingende Bounce aus der Musik verschwand. Und die SZ blickt neidisch auf die neue, von wuselndem Leben durchflutete Markthalle in Rotterdam.
Bühne, 17.01.2015
Gefühlter fünfzigster Abend: Dea Lohers "Gaunerstück". Bild: Arno Declair/Deutsches Theater Berlin.Glänzend gelaunt verlässt Ulrich Seidler (
FR) das
Deutsche Theater Berlin, wo er die Uraufführung von
Dea Lohers "Gaunerstück" (Regie:
Alize Zandwijk) gesehen hat. Darin geht es um zwei Leute, die sich allen Widrigkeiten zum Trotz vornehmen, ein "superschönes Leben" zu haben. Und wie das umgesetzt wird,
bezirzt den Kritiker bis tief ins Herz: "Loher und Zandwijk nehmen die Bühne als
Überall-
und Immer-
Raum. Hier kann man sich erholen von der
Knechtschaft durch Chronologie und Kausalität, die vermutlich ohnehin nur Sortierhilfen für unser unzureichendes Erkenntnisvermögen sind."
Christine Wahl (
Tagesspiegel) und Dirk Pilz (
Nachtkritik) kann er damit nicht überzeugen. Erstere
grämt sich sehr über diesen "gefühlt fünfzigsten Abend, an dem man sogenannte "kleine Leute" in
pittoresk abgerockten Szenarien herzallerliebste Stehaufmännchen spielen sieht." Vergiftetes Lob geht an die Ausstattung (Thomas Rupert), der "in puncto
optischer Prekariatsfolklore ... redliche Anstrengung anzusehen [ist], allerhöchsten Authentizitätsansprüchen zu genügen." Auch Pilz
kann sich nicht damit anfreunden, dass diesem Stück beim Versuch, sich die "Gegenwartswirklichkeit" anzuverwandeln, diese durch die Finger rinnt: "Was will dieses Theater von der Welt? Dass sie bleibt, wie sie ist, auf dass es
hinterherhoppeln darf."
Als "Deutschland, ein
Prekariatsmärchen"
bilanziert auch Stefan Grund in der
Welt den Abend, meint das allerdings nicht negativ: Für ihn ist es ein "bewegtes Stück Theaterglück mit
zauberhaften Momenten". Noch vehementer
verteidigt es Sascha Krieger (
Stagescreen): Die Autorin sei hier auf der Höhe ihrer Kunst zu erleben. Ihr Stück ist "in erster Linie ein Versuchsraum der Möglichkeiten, ein Spielfeld der Imagination... Der Text ist so
reich, dass er sich ganz natürlich auf andere,
wortlose Erzählebenen transponieren lässt, die nie nebeneinander stehen, sondern gemeinsam ein
multisensuales Narrativ bilden."
Brüllen, stolpern, rammeln: "Baal". Bild: Thomas Aurin/Residenztheater München.Auch
Frank Castorfs am
Münchner Residenztheater aufgeführte, fast fünfstündige, heftig mit dem Vietnamkrieg flirtende Inszenierung von
Brechts "Baal" spaltet die Kritik erwartungsgemäß. Hubert Spiegel (
FAZ) vergeht geradezu vor Langeweile - und das obwohl "die Schauspieler
brüllen,
stolpern,
rammeln." Immerhin hat ihm das Bühnenbild (Aleksandar Denić) gefallen, "eine gigantische Installation, die sich den ganzen Abend über spreizen und
gorillahaft auf die Brust trommeln wird", dabei aber doch "durchdacht und funktional" ist. Egbert Tholl (
SZ) unterdessen bedankt sich bei Castorf für ein entgrenzendes Rauschvergnügen: Er fühlt sich im Anschluss, "als habe man einen
psychedelischen Trip überstanden oder ein ausuferndes Rockkonzert. Man ist erledigt, der Kopf dröhnt, und doch ist man
seltsam glücklich." Nicht zuletzt wohl wegen der "irisierenden Zärtlichkeit" des Abends, den man "umgeben von einem
Schaum von Assoziationen" verbringt.
Von rauschhaften Überrumpelungen
berichtet auch Michael Stadler bei der
Nachtkritik: "Na also,
das Theater darf das Kino auch mal überholen", applaudiert er nach einem Durcheinander aus Theater- und Filmbildern samt diverser Dialog-Überholmanöver. Dennoch: "Mögen die Darsteller den Text noch so herauskatapultieren und sich
busengrapschend,
knutschend,
vögelnd in die Baalsche Vitalität schmeißen - ein schauspielerisches Highlight ergibt sich dieses Mal nicht." Und Castorf sieht Stadler mit Sieben-Meilen-Stiefeln im "
Münchner Mainstream" angekommen.
Weiteres: Sandra Luzina (
Tagesspiegel)
porträtiert die israelische Theaterfamilie
Ronen. Besprochen werden außerdem
Karin Henkels Inszenierung von
Bernard-
Marie Koltès "Robert Zucco" am Schauspielhaus Zürich (
Nachtkritik,
NZZ,
Tages-Anzeiger)
und
Iso Camartins Buch "Opernliebe" (
FAZ).
Architektur, 17.01.2015

Einen "
Triumphbogen für den gebauten Wahnsinn" stellt die neue, von wuselndem Leben durchflutete
Markthalle in
Rotterdam (
mehr) dar, schwärmt Laura Weißmüller (
SZ) in höchster Beglückung. Davon könne man sich hierzulande mehr als nur eine Scheibe abschneiden, findet sie: Denn "wer solchen architektonischen Wahnwitz in Deutschland sucht, kann sich gleich ein paar Glückspillen verschreiben lassen. Er wird ihn nämlich nicht finden in all der gebauten
Ödnis aus Stahl und Beton. Wir dichten und dämmen zwar wie die Weltmeister, aber was hinter der Fassade entsteht, entspricht nicht im geringsten dem, was dieses Land eigentlich braucht. Zum Beispiel endlich ein paar schlagende Ideen, wie in den entvölkerten Landstrichen strukturschwacher Gegenden so etwas wie ein soziales Netz entsteht und nicht der Zigarettenautomat der letzte Treffpunkt im Ort bleibt."
Weitere Artikel: In der
NZZ erinnert Stanislaus von Moos an den Entwurf eines Turms aus Glas und Stahl, mit dem
Max Frisch 1953 bereits in der ersten Runde aus dem Wettbewerb für ein neues Physikgebäude der Universität Zürich ausschied. Ebenfalls in der
NZZ untersucht Michael Gnehm das Universitätsgebäude von
Karl Moser in Zürich auf seine "zahlreichen kirchenarchitektonischen Anleihen und einen damit verbundenen
religiösen Gehalt".
Musik, 17.01.2015
Sehr angeregt
unterhält sich Julian Weber (
taz) mit
Panda Bear, der die Musik auf seinem neuen Album auch als Reaktion auf die Digitalisierung aller Produktionsschritte beim Komponieren und Arrangieren verstanden wissen will: Musiksoftware mache das "etwas langweilig. Ich mag es lieber, wenn Delay-Effekte danebenliegen... Als in den nuller Jahren die HipHop-Produktion digitalisiert wurde, mit Midi-Systemen und dem Step-Sequencing, kam Sampling aus der Mode, und somit ist der
Swing verschwunden. Alles klingt seither
robotermäßiger. ... Ich wollte für dieses Mal zurück zu diesem Sound, der einen
swingenden Bounce hat."
Die Stimme des Sängers
Asaf Avidan lässt Thomas Winkler (
taz) nicht nur dahinschmelzen, sie macht ihn auch sehr grundsätzlich: Sänger und Publikum finden darin "zusammen in einer gemeinsamen, doch
diffusen Agonie, einem Leiden vor allem an sich selbst, einer Verzweiflung ob der Haltlosigkeit in
einer immer komplizierteren Welt ohne Ideale, für die es sich zu sterben, oder
Utopien, für sie es sich zu leben lohnte." Hier kann man sie sich anhören:
Weitere Artikel: Ein kleines Wunder: Der
RBB hat den sonst für seine Verschlossenheit berüchtigten
Ralf Hütter von
Kraftwerk sehr ausgiebig befragt (
hier als mp3-Download etwas umfangreicher). Sehr launig
kommentiert Kommunikationsdesign-Professor Michael Pichler auf
VAN die
Cover zahlreicher jüngerer Klassikveröffentlichungen. Für
ZeitOnline hört Daniel Gerhardt neue Popveröffentlichungen, darunter neue Alben von
Marilyn Manson und
Belle and Sebastian. Andrian Kreye (
SZ) besucht
Peter Maffay. Julian Weber
schreibt in der
taz zum Tod des Produzenten
Kim Fowley.
Besprochen werden ein von
Donald Runnicles dirigierter
Brahms-Abend in der Deutschen Oper Berlin (
Tagesspiegel)
und ein Auftritt des
Brahms Ensembles Berlin mit
Martin Helmchen (
Tagesspiegel)
.Design, 17.01.2015
Franziska Augstein (
SZ)
hat sich in Berlin eine
Ausstellung über die Inneneinrichtung der Stasi angesehen: Diese versammelt "Tische, Stühle, Sessel, Schränke, die in den Fünfziger- und Sechzigerjahren modern waren, meist in
muffig anmutenden Farben gehalten."
Film, 17.01.2015
Aus Diversitätsperspektive geben die diesjährigen
Oscarnominierungen wenig Anlass zur Freude,
erklärt Tobias Kniebe in der
SZ: "
So weiß wie diesmal waren die Oscars zuletzt vor siebzehn Jahren, wissen die Statistiker zu berichten, und auch die Frauenquote ist wieder einmal
miserabel."

Ganz nostalgisch
blättert Ulrich Rüdenauer (
ZeitOnline) in einem Buch über die "
Zigarette im Film": In den darin versammelten Texte gehe es auch um die "Liebe zum Kino, die immer auch eine
Liebe zu Gesten ist, zum Verschwenderischen und zum Wagnis, zum erträumten Leben und zum bewegten Traum. Die Zigarette ist ein
glimmendes Symbol dieser Liebe." Zuvor
besprach bereits Peter Gutting (
kino-zeit) den Band. Dazu passend
erfahren wir in der
FAZ, dass nun ausgerechnet
Bella Italia darüber nachdenkt, das Rauchen in Film und Fernsehen zu
verbieten, wogegen sich in der Branche bereits
reger Widerstand bemerkbar macht. Bemerkenswert aber auch, wie viele Videos sich mit dem Rauchen im Film befassen:
Hier pafft uns John Waters was vor,
dort gibt es einen Supercut, und
arte hat gleich einen ganzen Videoessay gebastelt:
Dietmar Dath (
FAZ) gratuliert
Kevin Costner zum Sechzigsten. Hanns-Georg Rodek
geht für die
Welt mit
Edgar Reitz und
Jan Harlan essen und plaudert über süddeutsche Dialekte und Filmsynchronisation. Manuel Brug
wundert sich in der
Welt, dass die langersehnte zweite Staffel der
HBO-Serie "The Comeback" bei den Golden Globes übergangen wurde. Besprochen werden der Wanderfilm "Der große Trip - Wild" mit
Reese Witherspoon (
ZeitOnline,
Standard),
Mikkel Nørgaards Krimi "Schändung" (
Welt)
und
Sönke Wortmanns "Frau Müller muss weg" (
FAZ).
Literatur, 17.01.2015
Sophie Jung (
taz)
liest in Georgien
georgische Literatur. Für die
taz unterhält sich Jan Feddersen mit
Ulrich Raulff vom Literaturarchiv Marbach über die verwegen linken
Lese-70er, über die Raulff gerade auch
ein Buch geschrieben hat. Anlässlich der Veröffentlichung von
Siegfried Unselds zweitem Band mit Tagebuch-Aufzeichnungen würdigen Felicitas von Lovenberg, Sandra Kegel und Hubert Spiegel (
FAZ) den Verleger als Handlungsreisenden, Netzwerker und Investor.
Besprochen werden zwei Bände mit Briefen von
Rudolf Borchardt an Hugo von Hofmannsthal und Marie Luise Borchardt (
NZZ), eine neue
Helmut-
Schmidt-Biografie (
Freitag),
Howard Jacobsons "Im Zoo" (
taz),
Vanessa Barbaras "Salatnächte" (
taz),
Christoph Schwandts Biografie über
Carl Maria von Weber (
FR),
Steven Uhlys "Königreich der Dämmerung" (
SZ) und
Alastair Brotchies Biografie über
Alfred Jarry (hier "
vorgeblättert"). Mehr in unserer aktuellen
Bücherschau um 14 Uhr.
Kunst, 17.01.2015

Mit detaillierten, aufwändigen Kopien der Werke großer Meister ist die vergangenes Jahr gestorbene Künstlerin
Elaine Sturtevant vielleicht nicht berühmt, aber doch berüchtigt geworden. Nun werden ihre Arbeiten
im Museum für Moderne Kunst in Frankfurt ausgestellt. Anlass genug für Sonja Eismann (
Jungle World), die Künstlerin endgültig zu
rehabilitieren: "Ihre Werke destabilisieren den
Herrschaftsanspruch des monolithischen Kunstwerks, indem sie es als zeitlich und räumlich kontingentes Ereignis zeigen, das immer wieder aufs Neue erforscht werden kann. Diese akribische Erforschung hat mit einem vermeintlich passiven, stupiden Kopieren nichts zu tun, sondern nötigt durch das ständige Herstellen von Bezügen nicht nur der Schöpferin, sondern auch den Rezipienten
ein hohes Maß intellektuellen Engagements ab." (Bild:
Elaine Sturtevant: Lichtenstein Laughing Cat, 1987. Foto: Estate Sturtevant/Galerie Thaddaeus)