Efeu - Die Kulturrundschau

Jedes Tier ist eine Künstlerin

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
18.02.2015. Der Guardian lernt von Edouard Manet, warum Kunst Präzision braucht. Die Welt lernt von Niccoló Jommelli, wann Kunst nicht überlebt. Die taz lernt von Clint Eastwood, wie man einen Kulturkrieg anzettelt. Der Freitag lernt aus einer Studie, wer in der Musikindustrie von wem profitiert.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 18.02.2015 finden Sie hier

Kunst

Frances Spalding besucht für den Guardian die Hommage auf Manet im Norwich Castle Museum und versteht, warum die Engländer ihr Herz an die Mademoiselle Claus verloren haben: "Wie Manet erklärte: "Präzision ist in der Kunst ebenso notwendig wie Eleganz. Ein präziser Mensch regt zum Denken an, ein geschwätziger langweilt. Das Ziel muss immer die Präzision sein.""

Ebenfalls im Guardian feiert Jeanette Winterson die Wiedereröffnung der Whitworth Art Gallery in Manchester, deren Motto "Fall in Love Again" sie zu Gedanken über die Liebe und die Kunst anregt, aber mehr noch zu Kunst und Öffentlichkeit: "Labour war in Sachen Kunst nicht deshalb so stark, weil sie der Mittelklasse dient, sondern weil die Arbeiterklasse an ihr angestammtes Recht glaubte: auf Bildung, Kunst, Kultur. Der Thatcherismus hat nicht nur Bildung, Kunst und Kultur den Krieg erklärt, sondern auch dem öffentlichen Raum. Privatisierung braucht Konsum. Es war eine toxische Verbindung, die uns die Shopping Mall als Volkspalast verkaufen wollte."


Aha oe feii? ( Wie! Du bist eifersüchtig? ) Staatliches Museum für Bildende Künste A.S. Puschkin, Moskau , Foto: © Staatliches Museum für Bildende Künste A.S. Puschkin

Fast sprachlos steht Welt-Rezensent Hans-Joachim Müller in der großen Ausstellung zum Spätwerk Paul Gauguins in Basel: "Es ist beschrieben worden, wie viel Matisse, Munch, der Picasso der blauen Periode, Nolde, Cuno Amiet, Franz Marc oder Heckel und Schmidt-Rottluff ihrem französischen Patron verdanken. Aber es ist doch etwas anderes, wenn man vor Gauguins grandiosen Bildern steht und einem die ganze Erbfolge durch den Kopf geht."

Sehr bedauerlich findet es Catrin Lorch von der SZ, dass sich Rosemarie Trockel nach ihrer aktuellen Schau im Kunstmuseum Bregenz für sieben Jahre zurückziehen wird, wie die Künstlerin angekündigt hat: "Streik? Verweigerung? Auszeit? Es ist ja nicht irgendwer, der geht. ... Trockel ist das Beispiel für weiblichen Erfolg in einem Metier, das lange Malerfürsten vorbehalten war. Nicht nur, weil sie die Kunst um entscheidende Werke bereichert hat, sondern auch, weil ihr Werk lange als feministische Ansage gedeutet wurde. Weil sie Bilder strickte, Herdplatten an die Wand nagelte, Hühnerställe baute und verkündete, "jedes Tier ist eine Künstlerin"." Zuvor schrieb bereits die FAZ über die Ausstellung.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Arbeiten der Lindgren-Illustration Ilon Wikland in Berlin (Berliner Zeitung), Vivian Maiers derzeit im Willy-Brandt-Haus in Berlin ausgestellten Fotografien (sie "fügen sich zu einer Geschichte des urbanen Alltags in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts", erklärt Christian Schröder im Tagesspiegel) und die Ausstellung "Der doppelte Kirchner: Die zwei Seiten der Leinwand" in Kunsthalle Mannheim (FAZ).
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Bühne


"Berenike, Königin von Armenien" von Niccoló Jommelli. Oper Stuttgart. Foto: A.T. Schaefer

Die Oper Stuttgart entdeckt Niccoló Jommellis Oper "Berenike" wieder, freut sich Judith von Sternburg in der FR: Der Sprung ins Repertoire wird dem Werk wohl nicht mehr gelingen, meint die Kritikerin zwar, "dass aber eine 250 Jahre alte Oper die grenzenlose Vitalität des Musiktheaters dokumentiert, ist imposant". In der Welt winkt Manuel Brug ab: Anders als Bohuslav Martinůs in Zürich wiederentdeckte Oper "Juliette" - "vorwärtsdrängend, pikant orchestriert, rhythmisch flexibel, auf eigenartige Weise einlullend und die Sinne schärfend" - werde die "Berenike" bald wieder ins Kellerregal verfrachtet: "Jommelli hat die überlebten Opera-Seria-Schemata nie hinter sich gelassen - deshalb wirkt seine Musik bei aller Sturm-und-Drang-Innovation im Detail steif und unpersönlich."

Besprochen werden das in Magdeburg aufgeführte Gershwin-Musical "Crazy for You" (Tagesspiegel), Christof Loys "Daphne"-Inszenierung in Basel (FAZ) und ein von Richard Bletschacher in Wien inszenierter "Barbier von Sevilla" (ein "Geniestreich", begeistert sich Reinhard J. Brembeck in der SZ).
Archiv: Bühne

Film


Bradley Cooper in "American Sniper"

Clint Eastwoods Veteranendrama "American Sniper" wird in arabischen Ländern mit Empörung aufgenommen, berichtet Paul-Anton Krüger in der SZ. Für die taz fasst Rieke Havertz die amerikanische Debatte über Eastwoods Film zusammen: "Jeder kann in diesem Film und in der Debatte über ihn das Feindbild gegenüber den politisch und gesellschaftlich Andersdenkenden bestätigt sehen. Die einen nehmen die Heldengeschichten als einfache Antwort auf ungelöste Konflikte an, die anderen wagen den Perspektivwechsel im eigenen Land."

Besprochen werden das Martin-Luther-Biopic "Selma" (Berliner Zeitung, Filmlöwin, FAZ), Jim Chuchus auf der Berlinale gezeigter, in Kenia wegen seiner Homosexuellen-Thematik verbotener Film "Stories Of Our Lives" (Spex, hier unsere Kritik) und Damien Chazelles Musiker-Drama "Whiplash" (critic.de, SZ).
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Literatur

In der FAZ erinnert sich Michael Krüger an den Schriftsteller Danilo Kiš: "Er hatte einen Horror vor interessanten Gesprächen mit besorgten Menschen."

Besprochen werden Ursula Ackrills "Zeiden, im Januar" (FR, mehr), Jules Barbey d"Aurevillys "Der Chevalier Des Touches" (taz, mehr), Jürgen Kaubes "Im Reformhaus" (SZ, mehr) und Davide Enias "So auf Erden" (FAZ, mehr). Mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr.
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Musik

Dass die von Streamingdiensten ausgezahlten Tantiemen für Musiker so niedrig ausfallen, hat in erster Linie damit zu tun, dass alle Welt und insbesondere die Plattenlabels einen beträchtlichen Anteil der Ausschüttungen in die eigene Taschen stecken, schreibt Jan Jasper Kosok im Freitag. "Die Industrie schenkt dem Markt Superstars, die den potenziellen Nachrückern als Wunschbild dienen für all das, was möglich ist, falls denn dieser Traum nur wahr würde. ... [Doch] während Musik-Märkte wieder zu wachsen beginnen, kommt bei den meisten Urhebern selbst nach wie vor wenig an. Sie sind die Leidtragenden der traditionellen Umverteilung von unten nach oben, die die Maschine "Musikindustrie" am Laufen hält."

Außerdem: Für The Quietus hat Simon Price ein episches Gespräch mit Marc Almond geführt. Julia Kaiser (VAN) erkundet die musikphilologischen Forschungen zu Tschaikowskis Klavierkonzert Nr.1, das im März erstmals in einer auf der authentischen Komposition fußenden Aufnahme veröffentlicht wird. Und: Lesley Gore hat ihre letzte Party gefeiert.



Besprochen werden das zweite Album von Zugezogen Maskulin (Tagesspiegel, taz), ein Konzert von Deerhoof ("knallte (...) mit ordentlichem Schmackes auf den Körper", frohlockt Thomas Mauch in der taz), das neue Album von Drake (Pitchfork) und das neue Album "Hexadic" von Six Organs of Admittance (The Quietus).

Außerdem: Der neue Podcast von Machtdose mit aktuellen Neuerscheinungen aus der Netzmusik-Szene:


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