Efeu - Die Kulturrundschau

Über jeden Zweifel erhaben

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19.02.2015. In der taz erklärt die Filmregisseurin Ava DuVernay, warum sie die Reden Martin Luther Kings für ihren Bürgerrechtsfilm "Selma" neu schreiben musste: Copyright. Die SZ erklärt, warum Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung nur noch zwei Mal gezeigt werden darf: Copyright. Der Freitag erzählt am Beispiel der Band Kante, wie man Musik vom Staat subventionieren lässt. Die Presse staunt über die Licht- und Schatteneffekte des Modefotografen Edward Steichen. Und: das erste englischsprachige Video von Pussy Riot über den Tod von Eric Garner.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.02.2015 finden Sie hier

Film


Nur gegen Gebühr: Martin Luther Kings (David Oyelowo) Reden in "Selma" mussten umgeschrieben werden

Im Interview mit der taz spricht Ava DuVernay über ihren Film "Selma", der die Geschichte der schwarzen Bürgerrechtsbewegung auf die drei Monate 1965 in Selma konzentriert, als Afroamerikaner in drei Märschen für ein uneingeschränktes Wahlrecht, Freiheit und Gleichberechtigung demonstrierten. Bei der Arbeit am Drehbuch musste DuVernay auch die Reden Martin Luther Kings neu schreiben, erzählt sie: "Der Luther King Estate hat die Reden an Steven Spielberg beziehungsweise Dreamworks lizensiert. Wir hatten also keine Rechte. Deshalb haben wir beschlossen, uns von seinen Worten zu lösen und seine Ideen in den Mittelpunkt zu rücken. Ich habe mir die Reden oft angehört und versucht, genau zu verstehen, was er sagen wollte." (Zwei sehr informative Artikel über den Copyright-Streit um Martin Luther Kings Reden findet man hier und hier. Besprechungen zum Film bringen Freitag, critic.de und SZ.

Immer mehr Neustarts pro Woche prügeln sich um immer weniger Leinwände - eine Entwicklung, die durch die Filmförderung absurderweise verschärft wird, wie man bei Birgit Heidiesk im Freitag erfahren kann. Insbesondere der Deutsche FilmFörderFonds befördert die Kannibalisierung: Dieser unterstützt "auch kleine Filme mit geringem Kinopotenzial. Die Produzenten können die Gelder nur in Anspruch nehmen, wenn ein Verleih sich vertraglich verpflichtet, einen Spielfilm mit mindestens 45 Kopien (20 Kopien für Filme mit weniger als 320.000 Euro Förderung) ins Kino zu bringen. ... Der wirtschaftliche Schaden, der durch diese Förderpolitik in der Filmbranche entsteht, ist immens."

Beim Filmfestival in Teheran bot sich Amin Farzanefar für die SZ die Möglichkeit, sich über den Stand der Dinge im iranischen Kino zu informieren. Eher skurril findet er es, dass als teuerste iranische Produktion aller Zeiten ausgerechnet ein aufwändiger Mohammed-Film zu sehen war, in dem der Prophet stets aus der Ferne zu sehen war, damit die Gesichtszüge unkenntlich bleiben. Der Rest des Festivals war auch nicht berauschend: "Oberflächlich mag der Druck der schwarzen Ära Ahmadinedschad abgenommen habe, doch dort waren die Fronten klar, die Risiken kalkulierbar. Momentan jedoch bietet jeder, der ein starkes Kino mit Kontur und Profil vertritt, den Hardlinern Angriffsfläche für Propagandafeldzüge." Dem Deutschlandradio Kultur gab Farzanefar zudem ein Interview über das Festival.

Weitere Artikel: In der Welt porträtiert Michael Pilz den Schauspieler und "Fack ju Göthe"-Darsteller Elyas M"Barek, der ab diese Woche in "Traumfrauen" zu sehen ist. Filmlöwin Sophie Charlotte Rieger berichtet von den zahlreichen Diskussionen über die Frauenquote im Film, die die diesjährige Berlinale flankierten. Ekkehard Knörer empfiehlt in der taz eine Aufführung von Chris Markers Essayfilm-Klassiker "Sans Soleil" im Kino Arsenal. Filmemacher Christoph Hochhäusler bringt in seinem Blog Notizen zu jüngst gesehenen Filmen. Und epdFilm bietet wieder einen Überblick über interessante Filme in Mediatheken, darunter Ulrich Köhlers "Schlafkrankheit" (unsere Kritik).

Besprochen werden das Schlagzeuger-Drama "Whiplash" (Perlentaucher, taz, SZ), Benedikt Erlingssons "Von Menschen und Pferden" (Filmgazette), Yael Reuvenys auf DVD veröffentlichter Film "Schnee von gestern" (taz), Thorsten Rosemanns Dokumentarfilm über das Hamburger Off-Kino Lichtmess (taz), Anika Deckers "Traumfrauen" (Tagesspiegel, kino-zeit.de), die australische Serie "The Code" (FR), der Fantasyschinken "Into the Woods" mit Johnny Depp und Meryl Streep (Tagesspiegel, FAZ) und Bob Marshalls Filmmusical "Into the Woods" (Presse).
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Bühne

Die Brecht-Erben haben in Kooperation mit Suhrkamp Verlag ihren Erblasser erfolgreich zensiert. Frank Castorfs "Baal"-Inszenierung, meldet Egbert Tholl in der SZ, darf nach einem Vergleich vor Gericht "noch einmal am Residenztheater gezeigt werden, wahrscheinlich am 28. Februar, und einmal beim Berliner Theatertreffen im Mai. Auf alle weiteren Aufführungen muss das Bayerische Staatsschauspiel verzichten."

Weiteres: Tilman Strasser interviewt im Tagesspiegel die Theaterregisseurin Cornelia Lanz, die in ihren Arbeiten eng mit syrischen Flüchtlingen zusammenarbeitet.

Besprochen wird Giovanni Paisiellos Oper "Il barbiere di Siviglia" in Wien (schade, trotz der engagierten Aufführung für die Bühne nicht zu retten, meint in der NZZ Daniel Ender, "respektabel", findet der Standard).
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Literatur

Besprochen werden u.a. Robert Warshows Essaysammlung "Die unmittelbare Erfahrung" (Filmgazette, unsere Leseprobe), eine Wiederauflage von Thea von Harbous "Metropolis"-Roman (Freitag), Hunter S. Thompsons "Die Odyssee eines Outlaw-Journalisten: Gonzo-Briefe 1958-1976" (taz), Iris Hanikas "Wie der Müll geordnet wird" (Freitag), Stefano D"Arrigos "Horcynus Orca" (Tagesspiegel), Ursula Ackrills "Zeiden, im Januar" (Zeit), Riad Sattoufs Comic "Der Araber von morgen" (Tagesspiegel), Götz Alys "Volk ohne Mitte" (FR, unsere Leseprobe) und Thomas Brussigs "Das gibts in keinem Russenfilm" (Berliner Zeitung). Mehr in unserer Bücherschau um 14 Uhr.
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Musik

Pussy Riot haben ihren ersten Song auf Englisch veröffentlicht, berichtet das NYMag. Darin greifen sie den Tod des New Yorkers Eric Garner auf, der im Würgegriff der Polizei starb:



Vielleicht von der Bildfläche, nicht aber von der Bühne verschwunden war in den vergangenen acht Jahren die Hamburger Band Kante, die ihr Handwerk in dieser Zeit in den Dienst zahlreicher Theaterinszenierungen gestellt hatte und die daraus enstandenen Kompositionen nun als Album veröffentlicht hat. Warum immer mehr intellektuelle Popbands das Bündnis mit dem staatlichen Kulturbetrieb suchen, erfährt man im Freitag in Andreas Hartmanns Feature über die Band: Dieses "Abtauchen ins Theater fällt in die Zeit, "in der die Folgen der Digitalisierung und der Zusammenbruch der alten Musikindustrie immer spürbarer wurden", sagt Thiessen. ... Inzwischen wird die Produktion von Pop-Platten immer öfter durch Gelder diverser Kulturfonds mitfinanziert, weil es von den Plattenfirmen für kleinere Bands keine Vorschüsse mehr gibt. Kante waren Vorreiter der Entwicklung, sich so auch die eigene Musik subventionieren zu lassen."

Völlig hingerissen ist Jens Balzer (Berliner Zeitung) vom Debütalbum von Ibeyi, dem Projekt zweier Schwestern, die auf diesem Album nicht nur alte Göttinnen und Götter besingen, sondern auch den Spuren ihres verstorbenen Vaters Miguel "Anga" Diaz nachgehen, der beim Buena Vista Social Club (Wim Wenders" gleichnamiger Film aktuell in der 3sat-Mediathek) gespielt hat: Das Album handele "von Herkunft und Prägung, vom Verlust und Bewahren. ... Doch verbindet sich die Beschwörung der Tradition bei Ibeyi mit einer ebenso entschiedenen Modernität. Man kann auch klitzeklein zerklickerte Samples von präparierten Klavieren und warm wobbelnde Bässe in ihrer Musik hören; manchmal liegen, kaum merklich, schön verschleiernde Filter über den Stimmen." Hier eine Hörprobe:



Weiteres: In der taz stellt Julian Weber das eklektizistische Elektro-Label The Trilogy Tapes vor, das sich als "extrem spannendes Labor für kompromisslos noisigen, oftmals übersteuerten Dancefloor-Sound entwickelt" hat. Besprochen wird das neue Album von Bilderbuch, ein "Hybrid aus fetten Beats, minimalistischem Funk, rockistischen Applikationen an den richtigen Stellen" und dem Falsett von Maurice Erns, ein Meisterwerk, versichert Karl Fluch im Standard.
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Architektur

In Paris würdigt man den vor 200 Jahren geborenen Architekten Eugène Viollet-le-Duc, dessen Restaurierung historischer Bauwerke höchst umstritten ist, berichtet Johannes Wetzel in der Welt. Alles über sein Selbstbild erfährt man in der Kathedrale von Notre Dame, die er renoviert hat: "Wie in vielen anderen Fällen glaubt er, es besser machen zu können als die einstigen Baumeister: Statt eines hölzernen setzt er einen steinernen Turm aufs Dach. Kritik lässt ihn ungerührt: Unter den Apostelstatuen zu Füßen des Aufbaus ist der heilige Thomas, Patron der Architekten, dem der Bildhauer das Gesicht von Viollet-le-Duc gegeben hat. Als einziger wendet er den Blick zur Spitze. Auf dem Lineal in seinen Händen steht: "NON: AMPLIVS: DVBITO" - über jeden Zweifel erhaben.""
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Kunst

Edward Steichen war ein Pionier der Modefotografie. Geboren 1879 in Luxemburg, 1881 mit der Familie nach Amerika ausgewandert, arbeitete er für Vogue und Vanity Fair. Am Anfang seiner Karriere orientierte er sich noch an Künstlern wie Rodin, Matisse, Kandinsky, erzählt Sabine B. Vogel in der Presse. Doch bald emanzipierte er sich, wie man gerade in einer Ausstellung im Wiener "Westlicht" sehen kann: "Alsbald entwickelte Streichen seinen ganz eigenen Stil, ein "modern eye", wie es Ewing nennt: Scharfe Kontraste, Diagonalen, Geometrie, Untersicht und Vogelperspektive, Kulissendesign und vor allem aufwendige Licht- und Schatteneffekte - Steichen arbeitete mit einem ausgefeilten Lampensystem - prägten seinen Stil, in den er oft auch einen Schuss Art-déco einfließen ließ. Großartig die "Abendschuhe von Vida Moore" [Bild], die in einem Spiel aus Linien und Spiegelungen ein Eigenleben entwickeln."

Das Albertinum in Dresden stellt derzeit Caspar David Friedrich und Johan Christian Dahl gegenüber. Das ist durchaus bildgewaltig geraten, meint Kia Vahland (SZ), die sich allerdings etwas mehr Diskurs drumherum gewünscht hätte: Denn "leider belässt es die Ausstellung bei Augenschau versus Augenschmaus. Sie klärt nicht die unterschiedlichen Kunstbegriffe der beiden Maler."

Besprochen werden außerdem die Ausstellung "The Future of Memory" in der Kunsthalle Wien (Standard) und ein Band über die Fotografendynastie Fetzer in Bad Ragaz (NZZ).
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