Efeu - Die Kulturrundschau

Quantitativ Überwältigendes

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01.04.2015. Der Standard versinkt in den Pixelfluten von Pipilotti Rists Donau. In der Zeit erklärt Wim Wenders die Risiken der 3-D-Technik. Die Berliner Zeitung wünscht sich die Volksbühne nach Frank Castorf als Dauerprobenraum. Die NZZ bestaunt das ganz große Seelentheater Alexander McQueens im Londoner Victoria and Albert Museum. Der Guardian grübelt über Tidal, den neuen Streamingdienst für mittelalte Multimillionäre.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 01.04.2015 finden Sie hier

Kunst


Ausstellungsansicht "Pipilotti Rist", Kunsthalle Krems, 2015. Foto: Lisa Rastl

"Komm Schatz, wir stellen die Medien um & fangen nochmals von vorne an" heißt die Ausstellung von Pipilotti Rist in der Kunsthalle Krems. Bisschen kokett, findet Roman Gerold im Standard, aber eigentlich lässt er sich ganz gern bezirzen: "Wenn Rist die Medien umstellt, dann mit dem Ziel, ihnen Körperlichkeit zu verleihen. Sie möchte den Intellekt hintergehen und direkt die Sinne ansprechen. Auf die Spitze treibt sie solches im letzten Raum, wo sich über drei Wände - 360 Quadratmeter - die Arbeit "Gnade Donau Gnade" erstreckt: ein vorwitziger Versuch, ein quantitativ Überwältigendes nur aus Pixeln zu schaffen. Umschwappt von graublauen Fluten möchte man hier Ausgleichsschritte machen, weil man meint, gleich kippe der Raum. Zumindest, wenn man sich nicht auf die hier wie fast überall herumliegenden Pölster gefläzt hat. Wie die Videos an die Wand kamen, wie Rist die Schwerkraft aushebelte, davon erzählt "Komm Schatz" zunächst."

Weitere Artikel: In Italien wurde das Studierzimmer des Fürsten Montefeltro wiedereröffnet, berichtet Thomas Steinfeld in der SZ. Für die Weltkunst spricht Tim Ackermann mit Heinz Mack über die Ursprünge der Avantgardebewegung "Zero", die derzeit in Berlin ausgestellt wird.

Besprochen werden die Gastausstellung von Werken aus den Beständen des Tel Aviv Museum of Art im Berliner Gropius-Bau (FR), Martin Kollars in Mannheim ausgestellte Fotoserie "Field Trip" (taz) und eine Ausstellung über die feministische Avantgarde der 1970er Jahre in der Hamburger Kunsthalle (FAZ, mehr hier und hier),
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Film

Im Interview mit Katja Nicodemus in der Zeit erzählt Wim Wenders die sehr traurige Geschichte eines Autounfalls, den er vor langer Zeit miterlebte, und er spricht über die neueste 3-D-Technik im Kino, die er auch in seinem Film "Everything Will Be Fine" benutzte: "Es ist eine andere Art sowohl des Zeigens für den Filmemacher als auch des Sehens für den Zuschauer. Zwei Kameras tun viel mehr als bloß das Doppelte aufzunehmen. Sie erheben alles zum Quadrat. Das 3-D-Bild erzeugt eine andere Präsenz, eine andere Tiefe, eine andere Aura und macht auf diese Weise alles deutlicher als das herkömmliche flache Bild. Das kann auch gefährlich sein, weil man auch jeden Fehler überdeutlich sieht. Bei den Schauspielern sieht man jedes "Überspielen" oder besondere Hinspielen zur Kamera noch mehr als sonst."

Weitere Artikel: Auf ZeitOnline spricht Wiebke Husmann ebenfalls mit Wim Wenders über dessen neuen Film "Every Thing Will Be Fine", künstlerische Verarbeitung und Verantwortung. Barbara Schweizerhof schreibt in der taz zum Tod von Helmut Dietl. Der Freitag präsentiert dazu eine kommentierte Youtube-Schau.

Besprochen werden Wim Wenders" "Every Thing Will Be Fine" (taz, Perlentaucher) und Mathieu Amalrics Verfilmung von Georges Simenons gleichnamigem Roman "Das Blaue Zimmer" (FAZ, Perlentaucher).
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Literatur

Jan Küveler besucht für die Welt das Literaturfestival am Monte Verità, Christopher Schmidt reist für die SZ an, beide bestaunen Schriftsteller, die die Utopie verweigern. Für die FAZ berichtet Katharina Laszlo von Judith Kerrs und Philip Pullmans Aufritt beim Oxford Literary Festival. Auf Zeit Online gibt"s die KrimiZeit-Bestenliste vom April.

Besprochen werden Annemarie Webers wiederaufgelegter Roman "Roter Winter" (Freitag), Polina Scherebzowas Tagebuch (ZeitOnline), Leif Randts "Planet Magnon" (FAZ), Max Lehmanns "Bismarck - Eine Charakteristik" (taz) und Xiaolu Guos "Ich bin China" (Tagesspiegel) und Szilard Borbelys Roman "Die Mittellosen" (Zeit).

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Bühne

In der FR bringt Stefan Scholl Hintergründe zur Absetzung des "Tannhäusers" in Nowosibirsk nach Protesten orthodoxer Christen (siehe auch unsere gestrige Rundschau): "Magomedsalam Magomedow, stellvertretender Chef der Präsidialverwaltung, erklärte am gleichen Tag, in Zukunft müssten Experten die Aufführungen in den russischen Staatstheatern bewerten, um neue Konflikte zu vermeiden. "Vermutlich muss man das Repertoire an irgendeiner Stelle untersuchen." Zensur liegt in der Luft. Der kremlnahe Politologe Alexei Muchin sagte der FR, zur Zeit berieten Fachleute über ein "Protokoll", das regeln soll, wie sich Kulturschaffende, Staatsbeamte und die verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen künftig verhalten sollten. "Die Staatsduma wird diesem Protokoll in den nächsten Monaten Gesetzesnorm verleihen.""

Nun ist es offiziell: Frank Castorf wird die Volksbühne 2017 verlassen. Als Nachfolger ist weiterhin Chris Dercon von der Tate Modern im Gespräch. Viel zu voreilig und namensbezogen findet Dirk Pilz dies allerdings. In der Berliner Zeitung plädiert er deshalb für eine öffentliche Diskussion über die Nachfolge, in der es auch um ganz Grundsätzliches gehen sollte. Den Labor-Charakter, den eine Dercon-Intendanz zur Folge hätte, fände er zwar interessant, doch "es gilt, den Ensemble-Gedanken mit der Idee eines freien Hauses zu verbinden. Labor würde dann heißen: Statt einen Spielplan abzuarbeiten, das Haus in eine Darstellungs- und Denkstätte zu verwandeln. Statt auf ein Produkt (die Premiere) hinzuarbeiten, einen Dauerprobenraum zu schaffen. Statt das Publikum als Kunstendabnehmer zu behandeln, es zur Teilhabe an einem Experiment einzuladen."

Besprochen werden Keith Warners "ebenso geistreiche wie sinnliche und spannende" Inszenierung des "Parsifal" in Karlsruhe (FR), Dmitri Tcherniakovs Inszenierung des "Parsifal" an der Berliner Staatsoper (NZZ), Brigitte Fassbaenders "Rosenkavalier"-Inszenierung in Baden-Baden ("keine Offenbarung", seufzt Georg Rudiger im Tagesspiegel enttäuscht), Uwe Eric Laufenbergs "Electra"-Inszenierung in Wien (SZ) und eine Aufführung von Kurt Tucholskys und Walter Hasenclevers selten gespieltem Stück "Christoph Kolumbus oder Die Entdeckung Amerikas" in Konstanz (FAZ).
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Architektur

Via Instagram wirft Peter Richter einen ersten Blick ins neue, von Frank Gehry konzipierte Hauptquartier von Facebook.
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Design


Spray-painted dress, No. 13, Spring/Summer 1999. Model: Shalom Harlow. Image: Catwalking

Marion Löhndorf besucht für die NZZ die Londoner Alexander-McQueen-Ausstellung, die nach New York um 66 Stücke und ganze Arrangements erweitert wurde. Und sie begreift, warum die Biografie des schwulen Sohns eines Londoner Taxifahrers nicht nur für die Ausstellung von Bedeutung war: "McQueen erzählte seine Geschichte in Kleidern. Auf dem Laufsteg - und an den Menschen, die sie kauften, wurde sie neu belebt. Sein Lebensprojekt, man kann es so hochtrabend formulieren, war die Dramatisierung des eigenen Lebens durch das Medium der Mode. Deshalb präsentiert das Londoner Victoria & Albert Museum (V&A) die Ausstellung "Alexander McQueen - Savage Beauty" als Mischung aus glamouröser Show und ganz großem Seelentheater."
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Musik

Viele namhafte Stars wie Kanye West, Beyonce, Madonna oder Daft Punk setzen auf den neuen, vom Rapper Jay Z finanzierten Streamingdienst Tidal, der die Künstler deutlich höher entlohnen will als die Konkurrenz, berichten Fatma Aydemir (taz), Jennifer Beck (Spex) und Nadine Lange (Tagesspiegel). Der Guardian versucht sich über die Sache in einem Selbstgespräch klar zu werden: "How important is Tidal, exactly? If you"re an artist who owns it, it"s the single-most important thing in the history of the world. To demonstrate this, the launch was a ridiculous orgy of nodding and frowning and Nietzsche quotes and solemn contract-signing. It sounds like the Treaty of Versailles. Exactly, if Georges Clemenceau had rocked up in a giant glittery space helmet, as Daft Punk did for this. Still, what could possibly go wrong? Well, it could just turn out that Tidal is purely a way to make a few middle-aged multimillionaires even richer, and it"ll do nothing for artists who lack their platform."

Weitere Artikel: Für The Quietus führt Helen King durch das musikalische Schaffen von Billy Childish. In der taz porträtiert Thomas Winkler Queau Queau Joans, deren Musik von "raumgreifender Melancholie" durchsetzt ist. Die FAZ hat Edo Reents" Geburtstagsglückwünsche an Angus Young von AC/DC online nachgereicht. Außerdem stellt der Pianomusiker Nils Frahm sein neues Album kostenlos zum Download bereit, meldet die Spex. Hier eine Vorab-Hörprobe:



Besprochen werden ein Konzert von Ennio Morricone (FR), der wiederaufgelegte Soundtrack von Saul Bass" 70s-SciFi-Klassiker "Phase IV" (Pitchfork), ein Beethoven-Konzert der Berliner Philharmoniker in Baden-Baden (FAZ) und das Comeback-Album von Blur (FAZ).
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