18.04.2015. Zeit online porträtiert die Lyrikerin Mara Genschel, die Poesie als Störfall begreift. Der Tagesspiegel berichtet von der großen Sebastião-Salgado-Schau in Berlin. Die Berliner Zeitung widmet sich dem Thema deutsche Schuld und "Der Kommissar". Auch für Grass war die Welt nur ein old boys club, bemerkt Marlene Streeruwitz in der taz. Die taz feiert den Record Store Day. NZZ und SZ besuchen die Mailänder Möbelmesse.
Kunst, 18.04.2015
Sebastiao Selgado: Yamal Peninsula, Siberia, Russia, 2011, Amazonas ImagesUnter enormem Publikumsandrang wurde gestern Abend
im C/O Berlin Sebastião Salgados große Schau "Genesis" eröffnet, für die der Fotograf fünf Jahre lang die vom Menschen weitgehend unberührten Gegenden der Welt bereist hat. Für den
Tagesspiegel hat sich Birgit Rieger mit dem Künstler getroffen, dessen Bilder "
die Welt als Paradies" zeigen: "Üppige Wälder, majestätische Canyons, geheimnisvolle Eisberge. Man sieht Alligatoren in Brasilien, schaut in die Augen von Affen, Walrossbullen strecken ihre mächtigen Stoßzähnen in die Luft, einem Wal im argentinischen Meer kam Salgado so nah, dass man denkt,
er wäre auf dessen Rücken geritten." Für die
SZ hat sich Lothar Müller mit Selgado unterhalten.
Astrid Mania (
SZ)
berichtet von der
Art Cologne. Besprochen werden die Ausstellung über die
feministische Avantgarde aus den 70ern
in Hamburg (
Tagesspiegel) und drei Lucas-Cranach-Ausstellungen
in Thüringen (
FAZ).
Film, 18.04.2015

Von wegen gemütliche Krimi-Knobelei: Kopfüber hat sich Arno Widmann im vergangenen Jahr in die Schwarzweiß-Welt des seligen "
Kommissars" gestürzt. In der
Berliner Zeitung berichtet er von seinen Entdeckungen, bei denen es ihm allmählich dämmerte, dass die von
Herbert Reinecker geschriebene Serie eine von der eigenen Schuld an den Gräueln des Zweiten Weltkriegs traumatisierte Fernsehnation jede Woche an triftige Frage heranführte: "Für jeden Zuschauer, der 1972 fünfzig Jahre alt war, waren
die Anspielungen, die Assoziationen völlig klar. Er wurde entlastet, weil die Verbrechen weiter stattfanden auch von einer anderen Generation. Zugleich aber befeuerte Reineckers ruheloses Fragen nach dem "Warum?"
die Neuronen des Publikums. Der Patient wurde in die Röhre der Krimierzählung geschoben, um desto besser - in immer neuen Geschichten - durchleuchtet zu werden. Immer als Einzelner, aber immer auch als Einzelner einer Gruppe.
Nie aber kam die Nation in die Röhre." Ganz besonders können die
Perlentaucher-Filmkritiker im übrigen die von
Zbynek Brynych inszenierten Episoden empfehlen. Über dessen
"Papierblumenmörder" schrieb unser
Autor Lukas Foerster vor einiger Zeit in seinem Blog
einige Zeilen.
Zeitenwende in
Cannes? Für Jan Schulz-Ojala offenbar schon: Der
jubelt im
Tagesspiegel darüber, dass neben dem Eröffnungsfilm sogar noch zwei weitere Filme von Frauen im (ansonsten natürlich dennoch stark von Männern dominierten) Wettbewerb laufen. Und was hat Festivalleiter
Thierry Fremaux dazu zu sagen? Im Gespräch auf
Variety äußert er sich so: "I feel no more proud to have Emmanuelle Bercot as the opening film than I do guilty when there are no women in competition.
I don"t know whether the filmmakers are men or women, big or small, white or black or red, young or old. We select the films; we don"t choose according to the gender (of their directors). This year, there are no Spanish films in competition.
That"s how it is."
Weiteres: Auf
Artechock wirft Nora Moschüring einen Blick auf die
Türkischen Filmtage in München. Besprochen werden
Jan Martin Scharfs Film "Dessau Dancers" über die Breakdance-Subkultur in der DDR (
FR),
Thomas Cailleys Komödie "Les combattants" (
NZZ) und
Patrice Lecontes "Nur eine Stunde Ruhe" (
FAZ)
.Architektur, 18.04.2015
In der
NZZ porträtiert Ursula Seibold-Bultmann den finnischen Architekturtheoretiker
Juhani Pallasmaa, der von der Architektur nicht nur ästhetische Erfahrungen nicht nur für das Auge, sondern
alle sieben Sinne einfordert: "Ansatzpunkte für seine Theorie fand Pallasmaa beim dänischen Architekten Steen Eiler Rasmussen, der schon 1959 in seinem Buch "Experiencing Architecture" eine Architektur eingefordert hatte, die sämtliche Sinne anspricht. Im Zentrum von Pallasmaas Kritik steht seither die Einseitigkeit jener Art zeitgenössischer Architektur, die - durchaus in der Hauptlinie westlicher Architekturtheorie seit der frühen Renaissance - vor allem
auf das Auge und somit inzwischen auch auf
fotogene Wirkung hin konzipiert ist. Architekten sollten sich überlegen, so meint er, inwieweit ein von den übrigen Sinnen isolierter Sehsinn uns von der Welt distanziere und zu
bloßen Zuschauern oder Bilderkonsumenten mache."
Literatur, 18.04.2015
Auf
ZeitOnline porträtiert Michael Braun die Lyrikerin
Mara Genschel, deren quer zum Betrieb stehende Volten einen merklichen Reiz auf ihn ausüben: Ihre Kollegen
fordert sie zum Pöbeln auf, auch ansonsten lässt sie nichts aus, um Sand in die Maschinerie zu streuen. Sie setze "auf die große Verweigerung, auf die Abwehr aller gefälligen Literaturrituale, auf
Poesie als Störfall. Den einzigen Weg für eine widerständige Poesie sieht sie im
Gekritzel, im Durchstreichen der dichterischen Aura, in der
Destabilisierung der Textautorität."
Hier
ihr Blog und hier liest sie 3 Ex-Texte:
Weitere
Grassiana: Grass hat unzweifelhaft auf die deutsche Gesellschaft eingewirkt,
schreibt die
Schriftstellerin Marlene Streeruwitz in der
taz, doch sein Kampf für die soziale Revolution überging dabei ihrer Ansicht nach geflissentlich die
Frauen. Frauen waren demnach lediglich "mitgemeint. Die soziale Revolution sollte nie Geschlechtergerechtigkeit meinen. Da war schon die Sozialdemokratie davor. Nie stand eine Frau gleichberechtigt neben Personen wie Grass. Nie wurde uns gezeigt, wie das aussähe.
Ernstgenommen.
Würdig. Das ging wohl nicht. ... Die deutsche Kultur [wurde] zu einem der vielen
old boys clubs, wie sie die Welt immer schon beherrschten."
Der polnische
Autor Stefan Chwin erzählt in der
FAZ vom liebevollen Verhältnis, das
Danzig zu dem
verstorbenen Schriftsteller hatte: "Wir teilten seine antitotalitäre Haltung, begeisterten uns für seine moderne Vision eines Romans, und das bürgerliche Danzig, das er nicht mochte, wurde dank ihm zu einer
imaginären Stadt, zu einem geistigen Fundament, auf dem wir
unsere eigene freiheitliche Identität aufbauten."
Im
Tagesspiegel erinnert sich die französische
Journalistin und Autorin Pascale Hugues an Günter Grass: "Deutschland verliert ein Nationaldenkmal, wir anderen Europäer verlieren
unseren Deutschen vom Dienst." Ein Rang, der auch zur Folge hatte, dass sie bei ihren Redakteuren selten einen anderen deutschen Intellektuellen positionieren konnte, wenn es um einen Kommentar zur Lage in Deutschland ging. Übliche Antwort: ""
Frag doch lieber Günter Grass!""
Weitere Artikel:
tazlerin Sarah Emminghaus
findet sich in einem "Traum", bzw. in einer
queeren Karaokebar in Berlin-Friedrichshain wieder, wo unter dem programmatischen Veranstaltungstitel
"Naked Boys Reading" nackte Kerle große Literatur vor begeistertem Publikum rezitieren. Frédéric Schwilden
bittet für die
Welt die Autorin
Antonia Baum zu Tisch. Der schwache Franke und die im Zuge der aufgehobenen Buchpreisbindung Niedrigpreise bei Amazon machen der
Schweizer Buchszene schwer zu schaffen, erfahren wir in Jürg Altweggs Reportage in der
FAZ. Susanne Ostwald
schreibt in der
NZZ zum 200. Geburtstag von
Anthony Trollope.
Besprochen werden neue Hörbücher (
taz),
Dave Eggers" "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" (
FR),
Rachel Kushners "Flammenwerfer" (
Zeit),
Manfred Kappelers Buch "Lessings Kiste" (
Welt),
Frank Witzels "Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969" (
taz) und
Anne Tylers "Der leuchtend blaue Faden" (
FAZ).
Bühne, 18.04.2015
Thomas Ostermeier droht die
Schaubühne zu verlassen,
meldet die
Welt, wenn ihm nicht endlich mal ein Politiker sagt, "wir finden es gut oder nicht". Im
Tagesspiegel spricht Patrick Wildermann mit dem Regisseur
Simon McBurney über dessen neues,
an der Berliner Schaubühne uraufgeführtes Stück "Amazon Beaming". Für
skug unterhalten sich Ruth Ranacher und Michael-Franz Woels mit der Sprachperformance-Künstlerin
Gina Mattiello. Alexandra Albrecht gratuliert in der
FAZ dem Choreografen
Mats Ek zum 70. Geburtstag.
Besprochen werden
Ina Christel Johannessens in Wolfsburg aufgeführte Choreografie "Wasteland" (
FR), eine Aufführung von
Halévys Oper "La Juive" in der Oper Gent (
NZZ)
und
Philipp Preuss" Hamburger Bühneninterpretation von
Kafkas Fragment "Amerika" (
FR)
. Musik, 18.04.2015
Die Band der Stunde ist laut Jan Tölva (
Jungle World) gefunden: Mit "White Men Are Black Men Too" haben die aus Edinburgh stammenden
Young Fathers einen ausrichtsreichen Kandidaten für das "Album des Jahres" vorgelegt,
schreibt er. Diese Musik "wirkt
aufregend neu und durch ihren Reichtum an Zitaten und Versatzstücken doch vertraut. Ihre Texte sind bei allem
Fragmenthaften, was der an William S. Burroughs geschulte Cut-up-Stil so mit sich bringt, doch von politischem Selbstbewusstsein geprägt und überaus prägnant. Vor allem aber illustriert ihre Geschichte diese Welt, in der
Raum und Zeit für viele zu relativen Bezugsgrößen geworden sind." Hier gibt es eine Hörprobe:
Im
Tagesspiegel porträtiert Andreas Hartmann den Technoproduzenten
Nick Höppner, dessen neues, offenbar recht gediegenes Album "Folk" schon rein äußerlich mit seinem Retro-Chic alter Sitzbänke mit Cordbezug aus der Techno-Ästhetik herausfällt: "Früher war diese Musik
futurismussüchtig, alles musste auf ein utopisches Morgen verweisen, bei Höppner dagegen ist der Fortschritt etwas, an das wir uns längst gewöhnt haben, das uns selbstverständlich umgibt, ja gar etwas
Nostalgisches."
Das Filter bringt eine weitere Besprechung und bejubelt "eine kleine Offenbarung".
Hier kann man sich das Album im Stream anhören.
Heute
ist Record Store Day. Die
taz bringt dazu einen großen Musik- und Vinyl-Schwerpunkt. Jens Uthoff und Thomas Mauch
pilgern durch
Berlins Plattenladenszene, wo sie darüber stutzen, dass selbst die Majors wieder Vinyl produzieren und flächendeckend ausliefern - und das sogar von Helene-Fischer-Alben! Den Enthusiasmus um den Record Store Day kann
Maurice Summen vom Staatsakt-
Label nur bedingt teilen, wie er gegenüber Jens Uthoff im Interview
verrät: Das "nimmt inzwischen extreme Ausmaße an. Die Labels produzieren
Extrareleases wie irre, was dazu führt, dass die Presswerke überlastet sind. Wir müssen deshalb auf normale Releases länger warten. ... Die große Aufmerksamkeit am Record Store Day [verzerrt] auch immer ein bisschen, wie es den Rest des Jahres in den kleinen Plattenläden aussieht." In der
Welt denkt Michael Pilz dagegen über die
neuen Streamingdienste nach.
Außerdem: In der
Welt unterhält sich Manuel Brug mit
Elena Bashkirova über "Intonations", den Berliner Ableger ihres Jerusalemer Musik-Festivals.
Japanische und koreanische Musikstudenten laufen ihren deutschen Kommilitonen mit eiserner Arbeitsdisziplin den Rang ab, berichtet Kerstin Holm in der
FAZ. Katharina Schipkowski
spricht mit
Marga Glanz vom Hamburger
Plattenladen Groove City unter anderem über
Frauen im HipHop. Philipp Rhensius
porträtiert DJ Paramida, die im Berliner
Salon zur Wilden Renate auflegt.
Besprochen werden das Berghain-Konzert von
Jam City ("Kapitalismuskritik durch Verweigerung"
bescheinigt Andreas Busche dem Abend in der
Berliner Zeitung) und ein
Schubert-Konzert von
András Schiff (
Tagesspiegel)
.Design, 18.04.2015
Serie "Belleville" für Vitra. Entwurf: Ronan und Erwan Bouroullec. Foto: DezeenGeschichten erzählen, das ist für Andrea Eschbach das wichtigste Motiv auf der
Möbelmesse in Mailand. Besonders gut können das klassische Firmen wie Vitra, für die die Brüder Ronan und Erwan Bouroullec eine neue Tisch-Stuhl-Serie, "
Belleville", entworfen haben,
erklärt sie in der
NZZ: "Der stapelbare Kunststoffstuhl besteht aus zwei Komponenten - einer Rahmenstruktur und der Sitzschale. So kann er schlank und dennoch robust sein. Die feine Silhouette des Stuhls prägt der schwarze Kunststoffrahmen für Beine und Rückenlehne. Der Rahmen nimmt eine nur
3 Millimeter dünne Schale auf. Die Sitzschale ist dabei in farbigem Polyamid, furniertem Formsperrholz oder in Leder beziehungsweise gepolstert erhältlich. Erst auf den zweiten Blick erschließen sich Materialität und Konstruktion."
Auch Thomas Steinfeld wandert für die
SZ über die Möbelmesse, die jährlich ihren Stück für Stück ihren Charakter verändere, wie er
beobachtet. Weil die Ästhetik des Wohnens mehr und mehr zu einer Sache der Repräsentation wird, nimmt sie zusehends "den Charakter einer Messe für
zeitgenössische Kunst an". Was zu Folge hat, dass auch mancher "Gestalter, als wäre er ein Künstler, seinem
abstrakt freien Ich offenbar freien Lauf lassen darf und die so entstehenden Dinge oft der Skulptur näher stehen als etwa einem Stuhl."