19.05.2015. Die Abwesenheit deutscher Filme in Cannes lässt die Kritiker über die Misere des hiesigen Kinos und Födersystems nachdenken. Die taz verfolgt, wie sich Georgien auf seinen Auftritt als Gastland der Frankfurter Buchmesse 2018 vorbereitet. Geradezu prophetisch erscheint der Welt die wiederentdeckte, zurzeit in Berlin ausgestellte Installation "Total Recall" von Gretchen Bender aus dem Jahr 1987. Beim Berliner Theatertreffen bekamen die Besucher so viel Gegenwart wie möglicherweise noch nie geboten. Zum Abschluss gab es ein allerletztes Mal Frank Castorfs künftig verbotenen "Baal".
Bühne, 19.05.2015

Mit der letzten, offenbar von allgemeiner Heiterkeit begleiteten Aufführung von
Frank Castorfs von den Brecht-Erben verbotenen "Baal"-Inszenierung ("Pardon. Ein
grandioser Abend",
schreibt Ulrich Seidler in der
Berliner Zeitung) ist das Berliner Theatertreffen an sein Ende gekommen. Ein ausgesprochen passender Abschluss,
findet Dirk Pilz in der
NZZ: "Dass die Jury allen Ernstes glaubte, die "Baal"-Einladung tauge auch als "Impuls an die Brecht-Erben, sich nochmals Gedanken zu machen", zeugte zwar von Weltfremdheit und
grotesker Selbstüberschätzung, weil die Rechtsprechung nicht den Vorlieben von Jurys, sondern der Gesetzgebung folgt. Aber die Inszenierung passte damit zu einem Festival, das nach politischer Relevanz giert. Man möchte gern Wirkung erzeugen, und sei es in einer
Wirklichkeitsnische wie dem Urheberrecht."
(Im Bild: Frank Pätzold als Ekart und Aurel Manthei als Baal. Foto: Thomas Aurin.)In diesem Punkt sind sich alle einig: Dieses Theatertreffen war bemerkenswert politisch ausgerichtet. Immer wieder warfen Inszenierungen die Frage auf, "wer für wen sprechen kann,
wer wen repräsentieren darf",
meint dazu Katrin Bettina Müller in der
taz. Auch Christine Wahl (
Tagesspiegel)
sah hier keine dem Theater gerne nachgesagte Nabelschau, sondern "
so viel Gegenwart wie möglicherweise noch nie". Dass es dabei keine "platte Instant-Lösungs-Dramatik" zum Besten gab, rechnet sie den Stücken hoch an: "Vielmehr klopfen sie (...) historische Folien mit hohem IQ und Sprachbewusstsein auf die Gegenwart ab, kreisen um biografische Kriegserfahrungen (...) oder verweigern aus Achtung vor der
Komplexität ihres Sujets süffige Konsumierbarkeit." Beinahe schon zu ernst wurde es Mounia Meiborg von der
SZ, die einige Fragen hat: "Was kommt jetzt? Wird Theater zu der moralischen Anstalt, von der Schiller träumte? Zur Volkshochschule? Zur
Bundeszentrale für politische Bildung?" Überwiegend unterwältigt
äußert sich allein Jan Küveler in der
Welt: "Zwei, drei der zehn Abende waren ganz gut. Die anderen waren ärgerlich, überflüssig,
albern, läppisch, achtlos oder blutleer. Dauernd wurde eine Petition vorgelesen."
Außerdem: Für die
SZ trifft sich Tobias Krone mit
Christopher Rüping, der als Hausregisseur an die Münchner Kammerspiele unter
Matthias Lilienthal wechselt. Und die
FAZ hat Gerhard Stadelmaiers Besprechung von
Yasmina Rezas "Bella Figura" (
unser Resümee) online
nachgereicht.
Besprochen werden ein Mainzer Tanzabend mit Choreografien von
Danièle Desnoyers und
José Navas (
FR),
Puccini- und
Battistelli-Aufführungen an der Mailänder Scala (
FAZ) und ein von
Christoph Marthaler in Basel inszenierter Liederabend mit
Anne Sofie von Otter (
SZ, FAZ).
Literatur, 19.05.2015
taz-Literaturkritiker Dirk Knipphals
hat Georgien besucht, das offen nach Anschluss an
Europa sucht und auch deshalb über seinen Auftritt als Gastland der
Frankfurter Buchmesse 2018 diskutiert. Besonders stark im Land ist dabei eine traditionelle Intelligenzija, für die allein die Hochkultur zählt: "Kann gut sein, dass sie sich unter einem gelungenen Messeauftritt eher
andächtige Klassikerlesungen vorstellen als die professionell aufgezogene PR-Schau unter der verschärften Aufmerksamkeitskonkurrenz der weltweit größten Buchmesse, die der Auftritt, um nicht unterzugehen, aber in Wirklichkeit nun einmal auch sein muss. Und so muss sich die "junge" Generation, die den Gastland-Auftritt vorantreibt, nun nicht nur um eine verstärkte Übersetzerförderung, um Kontaktpflege nach Deutschland und um Interesse seitens der georgischen Autoren kümmern, sondern auch um
Anerkennung innerhalb der kulturellen Szenen Georgiens, in der natürlich jeder jeden kennt."
Weiteres: Roman Bucheli
zieht in der
NZZ eine positive Bilanz der 37. Solothurner Literaturtage. Ebenfalls in der
NZZ berichtet Marion Löhndorf von der
Frühjahrstagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in London. Besprochen werden
Angola Ondjakis "Die Durchsichtigen" (
Freitag),
Lorrie Moores "Danke, dass ich kommen durfte" (
Freitag),
Hedwig Pringsheims Tagebücher aus den Jahren 1905 bis 1910 (
FR),
Dietmar Sous" "Roxy" (
Tagesspiegel),
Anne Webers Zeitreisetagebuch "Ahnen" (
NZZ), "Der Bergmann und der Kanarienvogel" von
Catherine Safonoff (
NZZ),
Bernhard Strobels Geschichtenband "Ein dünner Faden" (
NZZ),
Anthony Doerrs "Alles Licht, das wir nicht sehen" (
SZ) und der von
Florian Werner herausgegebene Band "Wenn ich groß bin, werd ich Dichter" (
FAZ).
Kunst, 19.05.2015
Gretchen Bender: Total Recall (1987). Foto: Andreas Rossetti."Nicht nur verblüffend aktuell, sondern
geradezu prophetisch"
wirkt auf Gesine Borcherdt (
Welt) die wiederentdeckte, aus 24 Röhrenfernsehern bestehende Installation "Total Recall" von
Gretchen Bender aus dem Jahr 1987, die zurzeit im
Prinzessinnenpalais Unter den Linden in Berlin zu sehen ist: "Denn "Total Recall" vereint
alles, woran wir glauben und was uns beherrscht: Ideologien, Informationen, Interferenzen - verwandelt in Filme, Firmenlogos, Fingertipps; damals auf die Fernbedienung, heute aufs Smartphone... Standbilder aus "Shining" und "Salvador", Logos von General Electric, CBS und AT&T (deren Globus Bender als "
Todesstern" bezeichnet), gepaart mit zitternden und zappelnden Mustern, Feuerwerken und Menschenmengen in Zeitlupe: Es ist Kondensat aus Sci-Fi, MTV und Geldindustrie, gegen das die Skulpturen des Medienkunstpioniers
Nam June Paik wirken wie Reiterstandbilder."
Damian Zimmermann (
taz)
berichtet vom
Photomonth in Krakau, der sich zentral mit dem Thema "Konflikt" befasst.
Besprochen wird die Werkschau des Fotografen
Pep Bonet in der
Michael Horbach Stiftung in Köln (FAZ).
Musik, 19.05.2015
Unter den Eindrücken von
Ferguson und
Baltimore wirft Paul Rekret (
The Quietus) einen Blick zurück auf
N.
W.
A.s
HipHop-Klssiker "Fuck the Police" und dessen Niederschlag in der Pop-, Rap- und Protestkultur. Andreas Hartmann (
taz)
porträtiert das Berliner
Underground-Label Blackest Ever Black. Christopher Resch
stellt arabische Musiker, darunter die Sängerin
Yasmine Hamdan, vor. Für
The Quietus spricht Christian Ede mit der Laptopmusikerin
Holly Herndon (mehr zu deren neuem Album
hier). Die
Zeit hat Carolin Pirichs Porträt des Stradivari-Cellos
Mara online nachgereicht. In der
Zeit porträtiert Ulrich Stock die Jazzer von der
Rolf Kühn Unit. Noel Gardner
führt auf
The Quietus durch neue
Punk-
und Hardcoreveröffentlichungen. Andreas Platthaus (
FAZ) gratuliert
Pete Townshend zum 70. Geburtstag. Und
The Quietus bringt ein DJ-Set von
Björk:
Besprochen werden "Ratchet" von
Shamir (
Pitchfork),
neue Alben von
Du Blonde (
Spex) und
Conchita Wurst (
FAZ),
das Jubiläumskonzert zum 30-jährigen Bestehen des
Philharmonia Quartetts (
Tagesspiegel)
und das neue Album von
Snoop Dogg (
SZ).
Film, 19.05.2015

Debattentag in
Cannes. In der
taz berichtet Cristina Nord von einer Diskussionsveranstaltung am Rande des Festivals, bei der unter anderem
Claire Denis über die Marginalisierung von
Filmemacherinnen sprach. Rüdiger Suchsland (
Negativ Film)
schnappt einiges an Unmut deutscher Produzenten darüber auf, dass die hiesige
Filmförderung ihre Projekte nicht gefördert habe, mit denen sie in Cannes ganz sicher gepunktet hätten. Darüber kann der Kritiker nur lachen: Nicht die Filmförderung, die
Hasenherzigkeit der Produzenten sei am
grassierenden Mittelmaß schuld: Er sehe jedenfalls "immer wieder Filme, die feige und langweilig, vorhersehbar und substanzlos sind, die sich beim Publikum anzubiedern versuchen, die
irgendwelchen Ratgebern aus den 90ern verpflichtet sind, die weder auf glaubwürdigen Realismus setzen, noch auf Phantastik, sondern in denen abgestandener Humanismus, unverstandenes Autorenkino, Zoten- und Pennälerhumor und
Halbwissen über die Kinogeschichte dominieren." Auch Jan Schulz-Ojala (
Tagesspiegel)
geißelt die hiesige Filmkultur: "Sollte die Filmförderung da nicht
radikal umsteuern und programmatisch stärker auf Kultur statt auf überwiegend
wirtschaftlich orientierte Subvention setzen?"
Auch Filme wurden gesehen: Für Daniel Kothenschulte (
FR)
zeichnet sich nach Filmen von
Apichatpong Weerasethakul,
Nanni Moretti und
Kiyoshi Kurosawa eine thematische Konstante des Festivals ab: "Ist es ein Zufall, dass ein Großteil der bisher in Cannes gezeigten Filme von der
Gegenwart des Todes handelt?" Die Filme von
Nanni Moretti und
Todd Haynes haben lange in Rüdiger Suchsland gearbeitet, wie er in einem langen Essay über die beiden Filme auf
Negativ Film gesteht. Auf
ZeitOnline berichtet Wenke Husmann von ihren jüngsten Sichtungen. Weitere Besprechungen bringen die Online-Berichterstattungen von
kino-zeit.de,
critic.de,
epdFilm,
film-dienst und
KeyFrame Daily. Tägliche Fotoimpressionen
bringt weiterhin Katrin Doerksen.
Reißschwenk auf Gefilde jenseits von Cannes: Dirk Peitz (
ZeitOnline)
resümiert die neueste Episode von "
Game of Thrones". Die
Welt bespricht die Netflix-Serie "Grace und Frankie" mit
Jane Fonda und
Lily Tomlin. Und Matt Zoller Seitz (
Vulture)
verabschiedet sich in der Rekapitulation der allerletzten Episode von "
Mad Men" (Warnung: das illustrierende Bild stellt einen Spoiler dar!).