17.07.2015. Die NZZ feiert Bob Dylan für seine Kunst der ständigen Erneuerung und den Architekten und radikalen Marxisten Hannes Meyer für seine vertikalen Brigaden. Die Autorin NoViolet Bulawayo erklärt in der Deutschen Welle, warum sie in Amerika verstummte. Die Nachtkritik fragt, warum alle über Rassismus auf deutschen Bühnen diskutieren, Sexismus aber immer durchgeht.
Architektur, 17.07.2015
Die ehemalige Bundesschule des Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbundes (ADGB) in Bernau bei Berlin, von Hannes Meyer und seinen Studenten entworfen. Foto: Bauhaus DessauAnlässlich einer
Ausstellung im Bauhaus Dessau
porträtiert Bettina Maria Brosowsky in der
NZZ den Basler Architekten und radikalen Marxisten
Hannes Meyer, der von 1928-30 am Bauhaus die Werkstatt für Architektur leitete: "Ohne Erfahrung in der Lehre etablierte Meyer dort die interdisziplinäre Teamarbeit in sogenannten
vertikalen Brigaden. Je heterogener deren Zusammensetzung, je gegensätzlicher die Fähigkeiten, desto schöpferischer schienen sie ihm. Keine fiktiven Projekte sollten bearbeitet werden, sondern reale Bauaufgaben von sozialer Relevanz. Architektur wurde
praktizierte Gesellschaftslehre, "Volksbedarf statt Luxusbedarf" lautete das neue Motto."
Weiteres: Eine dem Architekten
Paul Schneider-
Esleben gewidmete Ausstellung in der
Pinakothek der Moderne zeige die "
Vielfalt und den Reichtum der Moderne", schwärmt Gottfried Knapp in der
SZ. Besprochen wird die
Le-Corbusier-Schau in der Villa Le Lac in Corseaux bei Vevey (
NZZ).
Bühne, 17.07.2015
"Castorf-Chicks" Bibiana Beglau, Andrea Wenzl, Aurel Manthei. Foto © Thomas AurinÜber Rassismus wird auf deutschen Bühnen ja gern diskutiert, über
Sexismus - nicht so gern,
notiert Leopold Lippert in der
Nachtkritik. Dabei hat sich für Frauen am Theater nie wirklich etwas verändert: Sie halten die Klappe und ziehen sich aus. Wobei
Nacktheit nicht das Problem ist, so Lippert: "Wenn sich also, wie vor kurzem auf
nachtkritik anlässlich
Frank Castorfs Baal-Inszenierung (Residenztheater München, Saison 14/15), Sophie Diesselhorst
darüber beschwert, dass die "Castorf-Chicks" immer halbnackt mit Glitzer- und Spitzenschlüpfern rumlaufen müssen, dann geht es weniger um den konkreten Textilanteil als um die Konstruktion eines
männlich-heterosexuell begehrenden Blicks auf eben diese "Chicks". Das Gegenargument, auch Männer müssten sich bei Castorf ausziehen (in den Kommentarspalten entspann sich eine etwas skurrile Diskussion über Aurel Mantheis "Schmerbauch"), führt also an der Sache vorbei, weil ja nicht Nacktheit an sich das Problem ist, sondern der durch die Inszenierung begehrend darauf gelenkte Blick."
Douglas Gordon kennt man von seinen Videoinstallationen her, nun macht er
in Manchester mit "Neck of the Woods" abgedunkeltes Musiktheater, dessen Sound an den Nerven zerrt, wie uns Christine Lemke-Matwey in der
Zeit versichert. "Vieles in diesem hybriden, gesamtkunstwerkhaften Opus mag rätselhaft bleiben, eingeschlossen in Gordons selbstreferentielle Dunkelheitsfantasien, mehr Raunen als Ästhetik und durchaus pathosverliebt. ... Die Provokation aber, im
Ungleichgewicht der globalen Kräfte nicht den Untergang zu sehen, das Böse, Teuflische, "Wölfische" schlechthin, sondern
ein brachliegendes Potenzial, die sitzt. Als könne der böse, teuflische, wölfische Mensch nur
an sich selbst genesen." In England wurde das Stück derart verrissen, dass Gordon aus Wut
mit einer Axt auf das Theater losging,
meldet die
Welt.
Außerdem: Christian Wildhagen besucht für die
NZZ Surrealisten-Opern von Bohuslav Martinů in Frankfurt und
lernt, warum diese
Traumkombi so selten zu sehen ist: "Der Geist der Zeit, dem Dada und Surrealismus entsprangen, lässt sich rund ein Jahrhundert später nicht mehr beliebig herbeizitieren, ohne dass das Ergebnis
uneigentlich erscheint und somit in die Nähe des Kunstgewerblichen gerät."
Kunst, 17.07.2015
Musik, 17.07.2015
"Welche andere Galionsfigur der legendären Sixties kann es sich leisten, im heutigen "tour de chant" die alten Klassiker
zur Hälfte durch neuere Stücke zu ersetzen",
fragt ein begeisterter Martin Schäfer in der
NZZ nach einem Auftritt von
Bob Dylan beim Festival Moon and Stars in Locarno: "Der Vergleich mit der Songliste von Locarno 1987 zeigt:
Max Frisch, der 1987 beim Konzert dabei war, hätte nur gerade zwei gleiche Songs gehört: "I"ll Be Your Baby Tonight" und "Thin Man", alles andere war nun neu und gut die Hälfte auch neueren Datums. Der Zauber entsteht bei Dylan gerade nicht aus der Wiederholung, sondern aus
Umdeutung und Variation."
Weitere Artikel: Matthias Heine
untersucht in der
Welt die Herkunft des Worts
Hipster: "Alles begann mit einem senegalesischen Wort für "wachsam"." Und Martina Meister
trifft die französische Sängerin
Louane. Für die
taz sprechen Stefanie Alsch und Franziska Buhre mit dem brasilianischen Musiker
Hermeto Pascoal, der heute in Berlin auftritt.
Frankfurt müht sich um die Wahrung seines Technoerbes der 90er Jahre,
berichtet Stefan Müller in der
taz.
Besprochen werden der
Amy-
Winehouse-Dokumentarfilm "Amy" (
Jungle World, FAZ),
das neue Album von
Tame Impala (
Tagesspiegel), das Kollaborationsalbum "Con-Struct" von
Conrad Schnitzler und
Pyrolator (
The Quietus),
ein Konzert von
Modest Mouse (
The Quietus),
Pere Ubus "Elitism For The People 1975 - 1978" (
The Quietus),
ein Konzert von
Suicide (
The Quietus),
ein Konzert des Pianisten
Kit Armstrong (
FR) und das Gospelpunk-Debüt von
Algiers (
taz).
Literatur, 17.07.2015
Im
Interview mit der
Deutschen Welle spricht die in Amerika lebende simbabwische Autorin
NoViolet Bulawayo über ihren Roman
"Wir brauchen neue Namen" und eine der prägendsten Erfahrungen von Einwanderern: "Ich erinnere mich an meine eigene Erfahrung, dass ich das erste Jahr in den USA
stumm verbracht habe. Ich wurde von einem der lautesten Kinder in der Klasse zum stillsten. Und ich hatte mit allem Möglichen zu kämpfen, vor allem dem Kulturschock und damit, dass es mir nicht gelang,
sprachlich einen Zugang zu finden. Genau das passiert auch [im Roman] Darling. Ein Teil ihrer Identität ist durch den Raum, dem sie angehört, definiert. Also wird sie ohne ihre Sprache und ohne die Menschen, mit denen sie gewöhnlich verkehrt, zu einer
anderen Person. Ich weiß, dass das manchen Lesern nicht gefällt, aber ich möchte sie anregen, ein bisschen mehr darüber nachzudenken, was mit Darling geschieht."
Uwe Schütte
beugt sich im
Freitag noch einmal über den Text "Recherche" von
Nora Gomringer und fragt sich, wie er den
Bachmannpreis gewinnen konnte: "Virtuos ist die Effektmaklerin Gomringer nämlich vor allem darin, in ihrem Text just jene Ingredienzien zusammenzumischen, die versprechen, den
Geschmack der Jury breitestmöglich abzudecken."
Weitere Artikel: Im
Freitag sucht Michael Angele nach der dominanten Gefühlslage im Werk von
Rainald Goetz. Ebenfalls im
Freitag schreibt Gerd Ueding zum 150. Geburtstags von "Max und Moritz". Wilhelm von Sternburg
erinnert in der
FR an den vor 30 Jahren gestorbenen
Heinrich Böll. Gustav Seibt (
SZ) und Hubert Spiegel (
FAZ) gratulieren dem
Germanisten Albrecht Schöne zum 90. Geburtstag.
Besprochen werden
Harper Lees "Gehe hin, stelle einen Wächter" (
FR,
NZZ,
SZ,
mehr), ein Fotoband mit Schriftstellerporträts von
Renate von Mangoldt (
NZZ),
Alissa Walsers Band "Von den Tieren im Notieren" (
NZZ) und das neue "Jahrbuch der Lyrik", das Heike Kunert von
ZeitOnline ziemlich genervt
aufstöhnen lässt: "Elf Dimensionen hat das All zu bieten; wie viele der
Dichterkopf?"
Film, 17.07.2015
Inga Pylypchuk
reiste für die
Welt zum
Odessa Filmfestival und schildert die Stimmung in der nahe der Krim gelegenen ukrainischen Hafenstadt: "Wenn man die Menschen hier fragt, ob es in der Stadt noch
pro-russische Stimmungen gibt, wird man angeschaut, als hätte man etwas Peinliches gesagt. Odessa gehört zur Ukraine, Punkt, antwortet man kurz. Doch die Frage ist berechtigt. Immerhin war auch Odessa ein Teil von Wladimir Putins
Projekt Neurussland. Immerhin gab es hier heftige Auseinandersetzungen zwischen Separatisten und pro-ukrainischen Aktivisten. 48 Menschen sind am 2. Mai 2014 gestorben. 43, die meisten davon pro-russische Aktivisten, kamen beim Brand im Gewerkschaftshaus um. Noch zum Jahrestag der Tragödie im Mai stand eine selbstgemachte Gedenkstätte für die Opfer vor dem Gebäude. Nun ist alles weggeräumt worden."
Gangster, Hiphop, Musical:
Sion Sono, Japans Spezialist Nummer Eins für durchgeknalltes Kino (vor Jahren lief sein toller "Love Exposure" auf der Berlinale,
hier unsere Kritik), hat mit der Mangaverfilmung "Toyko Tribe" wieder gründlich zugeschlagen. In
Perlentaucher-Kritiker Lukas Foerster
hat er damit einen großen Fan gefunden: Toll an diesem Film ist seiner Ansicht nach, "dass Sono nicht einfach ein Anti-Hip-Hop-Manifest gedreht hat. Alles, was
im Kleinen krude, exaltiert, holprig ist, fügt sich im großen Ganzen des Films, in Sonos frenetischer Montage der Attraktionen, zu einem faszinierend unförmigen, und trotzdem hypnotischen flow. Keine Strophenstruktur, keine Refrains zum Mitgröhlen, kein polierter Doppelreim, keine abgezählten bars, nur der
chaotische Freestyle einer gründlich unversöhnten Welt." Weitere Besprechungen auf
critic.de und im
Tagesspiegel.
Christian Schröder (
Tagesspiegel), David Steinitz (
SZ) und Andreas Kilb (
FAZ) gratulieren
Donald Sutherland zum Achtzigsten.
Besprochen werden
Thomas Vintersbergs "Am grünen Rand der Welt" (
Tagesspiegel), Bill Condons Sherlock-Holmes-Film mit
Ian McKellen in der Hauptrolle (
NZZ),
Doug Aitkens Dokumentar-Performancefilm "Station to Station" (
taz),
Álvaro Brechners Komödie "Señor Kaplan - Ein Rentner räumt auf" (
Tagesspiegel),
Justus von Dohnanyis Gangsterkomödie "Desaster" (
Welt)
und
Michaela Krützens Buch "Klassik, Moderne, Nachmoderne - Eine Filmgeschichte" (
FAZ).