03.08.2015. Die NZZ prophezeit den Münchnern mit dem neuen Kammerspiel-Intendanten Matthias Lilienthal eine Berliner Spezialität: freies, unangepasstes, engagiertes und lebendiges Theater. Albert Ostermaiers "Gemetzel" in Worms enttäuscht die Kritik: Wo ist denn das Gemetzel, fragt die SZ. Nur der Unterhaltungswert zappelt, klagt die FR. In der Presse erzählt Regisseur Mathieu Amalric, wie er seine Geliebte neu entdeckte. Die Welt reist von Bayreuth nach Wacken. Und: Alle trauern um den Bühnenbildner Bert Neumann.
Bühne, 03.08.2015
In der
NZZ erklärt Peter Michalzik den Münchnern und uns, wie
Matthias Lilienthal als neuer Chef der Münchner Kammerspiele, die
stinkedle Maximilianstraße zurück in die Stadt integrieren will: "Auch wenn darin sozialer Sprengstoff steckt, es geht in diesem Spiel nicht mehr um Widerstand, es geht im Kern wahrscheinlich um die Frage, ob sich Orte wie die Münchner Kammerspiele an Orten wie der Maximilianstraße behaupten können. Ob man sie als Orte freien Denkens, ungeordneter Phantasie und eines umherschweifenden Geistes lebendig halten kann. Lilienthal will aufstacheln, Differenzen bloßlegen, aber er will nicht einfach "dagegen" sein. Er will den Organismus - die Stadt -
von innen her in Bewegung bringen, nicht von einer Außenposition kritisieren."
Metal, Batman, "Game of Thrones"-Anleihen: Unter prächtigem Vollmond starteten die
Nibelungenfestspiele in
Worms mit "Gemetzel",
Albert Ostermaiers Bearbeitung des Nibelungenlieds in der Inszenierung von
Thomas Schadt und vor einem Bühnenbild von
Aleksandar Denic. Bei der Kritik fiel die Sache gründlich durch: Judith von Sternburg (
FR)
beobachtete manche "Läppischkeit". Und "im Zuviel geht am Ende das meiste unter, nur
der Unterhaltungswert zappelt und hält sich über Wasser." Sehr enttäuscht ist auch
SZ-Kritikerin Christine Dössel: Für ihren Geschmack mangelt es "an Fokussierungen, an Intimität und Witz. ... Das
Gemetzel bleibt aus. Stattdessen wird es bei Ostermaier kompliziert, mit einem Spiel im Spiel und freien Umdeutungen des Hergangs. Zum Problem wird, dass die Burgunder kein Profil bekommen. Gunther, Giselher, Gernot, Volker -
who is who im Nibelungen-
Wust? Egal." Und Hubert Spiegel (
FAZ) spricht von einem "
gründlich missratenen Abend".
Weitere Artikel: Große Sorgen ums Theater
macht sich Simon Strauß in der
FAS: Von Fernsehserien und Kino sei es im kulturellen Standing längst überholt, ist ihm bei genauerer Betrachtung aufgefallen. Zur Profilierung fordert er ein "
radikales Bekenntnis zum Unrealistischen und Gegenweltlichen des Theaters". Ulrich Gutmair
hat für die
taz das "In House"-Festival in
Jerusalem besucht. Seine "Revoluzzer-Regie [altert] erstaunlich schnell", meint Eleonore Büning (
FAZ) nach der Wiederaufname von
Castorfs umstrittener Bayreuther "Ring"-Inszenierung aus dem Jahr 2013.

Besprochen werden
Henry Masons Inszenierung von Shakespeares "Die Komödie der Irrungen" als mit Slapstick angereichertes Musical bei den Salzburger Festspielen ("Überraschungen bot diese
altbackene Inszenierung keine",
bedauert Margarete Affenzeller im
Standard, "hier
stimmt einfach alles",
lobt dagegen Barbara Petsch in der
Presse, am Ende gabs
verdienten Applaus,
meint Thomas Rothschild in der
nachtkritik, "so witzig, so festlich,
so überwältigend kann Theater sein", frohlockt Gerhard Stadelmaier in der
FAZ) und
Marc-
Aurel Floros" in der Kammeroper Rheinsberg aufgeführte "Adriana" (
Tagesspiegel)
. (Bild: Shakespeare, "Die Komödie der Irrungen". Inszeneriung von Henry Mason, Salzburger Festspiele 2015. Foto: © Salzburger Festspiele / Ruth Walz)
Und: Alle trauern um
Bert Neumann, den überraschend verstorbenen Bühnenbildner der Berliner Volksbühne. "Es ist zwar nicht Frank Castorf gestorben, sondern Bert Neumann, aber auf gewisse Art ist das dasselbe",
trauert Jan Küveler in der
Welt. In der
FAS verabschiedet sich
Carl Hegemann, Dramaturg am Hause, "von dem Menschen, ohne den dieses Theater
am wenigsten vorstellbar ist. Bert Neumann hat den Geist und das Gesamtbild der Volksbühne seit 1992 nach innen und außen mindestens so stark geprägt wie der Intendant selbst. Er setzte von Anfang an die Standards." In der
taz würdigt Katrin Bettina Müller den Verstorbenen als den Mann, der Castorfs "
Exzesse des Zusammenbrechens ermöglichte." Weitere Nachrufe schreiben Dirk Pilz (
FR), Barbara Villiger Heilig (
NZZ) und Frederik Hanssen (
Tagesspiegel)
. Die
nachtkritik dokumentiert zur Erinnerung
René Polleschs Laudatio für Bert Neumann zur Verleihung des Hein-Heckroth-Bühnenbildpreises im April 2015.
Film, 03.08.2015

Der französische Regisseur
Mathieu Amalric erzählt im
Interview mit der
Presse, warum
Stéphanie Cléau, Drehbuchautorin, Dramaturgin und seit zehn Jahren
seine Geliebte, die weibliche Hauptrolle in seiner Verfilmung von George Simenons
amour-fou-Geschichte "Das blaue Zimmer" spielt: "Es war ein ganz großes Vergnügen für mich, sie zu filmen. Sie ist ja an sich keine Schauspielerin. Sie hat auch nicht diesen Exhibitionismus, der typisch für Schauspielerinnen ist, sie ist sich
ihrer Schönheit nicht bewusst. Sie stand zum ersten Mal vor der Kamera, genau wie vor einem neuen Liebhaber. Das einzufangen, sie quasi
mit der Kamera ganz neu zu entdecken, hatte etwas Magisches."
Besprochen werden eine neue DVD-Edition von
Carol Reeds Klassiker "Der Dritte Mann" (
Tagesspiegel) und
Jake Schreiers Verfilmung von
John Greens Roman "Margos Spuren" (
SZ).
Literatur, 03.08.2015
Via
Lyrikzeitung: Der Kontext Verlag hat ein Gespräch Adelbert Reifs mit dem Slawisten
Fritz Mierau online gestellt. Der will sich keineswegs als bedingungslos russophil verstanden wissen: "Mich Russland vollkommen zu ergeben, habe ich mich immer gescheut. Ich bin genügend Deutscher
und
damit eben Mitteleuropäer, um eine gute Distanz wahren zu können gegenüber dem, was man in den Begriff "Mythos Russland" fassen könnte. Und zwar deshalb, weil es in meinem Leben nie eine Zeit gab, die von einer
Ablehnung Deutschlands und deutscher Geistigkeit geprägt gewesen wäre. Auf eine solche Ablehnung trifft man gerade in meiner Generation sehr häufig und sie scheint mir in unserer Zeit der Vereinigung Europas wieder modisch zu sein. Ich aber werde mich immer zu Goethe bekennen".
Weiteres: Detlef Kuhlbrodt
streift für das Logbuch Suhrkamp durch Berlin. In einer literarischen Vignette für die
FR wirft der
Schriftsteller Roddy Doyle einen Blick ins
Dublin des Jahres 2030. Im
Standard denkt der Wiener Schriftsteller
Martin Prinz über blinde Flecken in
Familienchroniken nach. Besprochen werden
Lily Kings "Euphoria" (
FR) und ein
Rübezahl-Hörbuch (
FAZ).
In der mittlerweile online gestellten Frankfurter Anthologie
denkt Hans-Albrecht Koch über
Matthias Claudius" "Der große und der kleine Hund" nach:
"Ein kleiner Hund, der lange nicht gerochen
Und Hunger hatte, traf es nun
Und fand sich einen schönen Knochen
..."
Architektur, 03.08.2015
Geradezu mit Abscheu
betrachtet Maik Novotny im
Standard die
neue Architektur der Berliner Republik: "In der heutigen Berliner Republik herrscht eine tonnenschwer steinerne Architektur, die Masse, Tektonik und Gewicht betont. Die 2014 eröffnete Zentrale des Bundesnachrichtendienstes von den Architekten Kleihues+Kleihues,
ein Orwell"scher Gigant mit 14.000 Schießscharten-Fenstern, zeigt dies am brutalsten. Zwischen Stadtschloss und der Stelle, an der einst das papierdünn aufgefächerte Betontragwerk der DDR-Gaststätte "Ahornblatt" (1973 erbaut, 2000 abgerissen) stand, mit seinem ingenieurtechnisch ausgelotetem Minimum an Masse, reihen sich heute großbürgerliche "Townhouses" für die neue Elite aneinander. Mittendrin das Schloss als machtstrotzendes Indiz für diese
bleierne Verpreußung..."
Weitere Artikel: Klaus Englert
hat für die
taz die
Triennale für Kunst und Architektur in Brügge besucht, wo ihm insbesondere die Installation
"Cataract Gorge" von
Romy Achituv neue Perspektiven erschloss: "Plötzlich erscheint das wohlbehütete Brügge
mitgerissen im Strudel der globalen Wirrnisse." Im Tagesspiegel
zeigt sich Falk Jaeger tief beeindruckt von der neuen
Stettiner Philharmonie: Eine "
auratische Erscheinung".
Kunst, 03.08.2015

Vor gut 20 Jahren hat man im antiken Aventicum (Avenche) die
Abfallhalde einer Glasbläserei entdeckt, aus der jetzt Funde im
Musée romain von Avenches präsentiert werden. Für Roman Hollenstein
beweist die Ausstellung vor allem eins: Dass das Aventicum dringend ein größeres Museum braucht. "Im Zentrum der informativen, von einem Katalog begleiteten Schau stehen die zwar schon 2001 publizierten, aber aus Platzgründen noch nie ausgestellten Funde von der Abfallhalde der Werkstatt eines Glasmachers: Die Kleinobjekte - Rohglas, Ausschussmasse und zerbrochene Gläser
aus dem 1.
Jahrhundert - wurden bei einer Notgrabung unmittelbar neben der großen, heute leider weitgehend überbauten Palastanlage von "Derrière la Tour" ausgegraben." (
Bild: Krug und zylindrische Krüge. Avenches, 1. Hälfte 2. Jh. n.Chr.. Foto: Musée romain Avenches)
Weitere Artikel: Deike Diening
stellt im
Tagesspiegel Monika Bartholomés nomadisch wanderndes
Museum der Zeichnung vor. Die
FAZ hat Marc J. Masurovskys Bericht über die
Kunstszene in Ruanda online gestellt.
Besprochen werden
Janos Frecots Ausstellung "Naturzeichenzeichnen" in der
Alfred-Ehrhardt-Stiftung in Berlin (
Tagesspiegel) und diverse Ausstellungen zum 100. Geburstag von
Hann Trier in Bonn, Ratingen und Köln (
FR)
.Musik, 03.08.2015
Manuel Brug, der fünfte
Welt-Kritiker, der sich in diesem Sommer aus seiner Komfortzone wagt, reist mit dem Bus
von Bayreuth nach Wacken, zum Heavy Metal Festival. Das versinkt in diesem Jahr im Schlamm, aber so viel anders als in Bayreuth, haltungsmäßig, ist es hier auch nicht,
stellt Brug fest: "Ich lerne schnell: Man will
das Erwartbare, so wie in Bayreuth die immer gleichen zehn Wagneropern. Nur was dort Ertrinken, Versinken, Wagner-Lust und -Frust ist, das wird in Wacken alles viel lockerer genommen. Hör zu oder nicht, egal, die nächste Band kommt gleich. Man merkt das im ruhig dösenden, bis zum Horizont reichenden
Happy Metal Camping Ground. Der sieht chaotisch aus, ist aber als Metropole auf Zeit durchaus verwaltungsgerecht nach DIN-Norm aufgestellt. Es gibt sogar Straßennamen..."
Schier kaum zu ertragen sei eine Compilation aus dem Hause Bear Family über die Blütezeit der
Neuen Deutschen Welle,
meint ein um sein psychisches Seelenheil sich sorgender Andreas Hartmann in der
taz: Hier stehen "Perlen des deutschen Postpunk direkt neben absoluten Belanglosigkeiten ...
Oh je!"
Weiteres: Der Schauspieler
Don Cheadle hatte einen Traum: Er wollte einen
Film über Miles Davis machen. Über die Crowdfunding-Website Indiegogo sammelte er fast 350.000 US-Dollar für sein Projekt, das im Herbst beim New York Film Festival uraufgeführt wird,
meldet Jazz Echo. Die
Jungle World bringt den zweiten Teil von Uli Krugs Reihe zur Geschichte der
Mods. In der
SZ staunt Jan Kedves darüber, wie viele
Musikvideos heute dem Hollywoodkino ebenbürtig sind. Außerdem schreibt er zum Tode der Countrysängerin
Lynn Anderson.
Besprochen wird der Berliner Auftritt der Bollywood-Grande-Dame
Asha Bhosle, der die anwesenden Kritiker von
taz,
Berliner Zeitung und
Tagesspiegel völlig begeisterte.