13.10.2015. Cool irgendwie, findet die taz den Buchpreis für Frank Witzels Roman "Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969". Die Welt beäugt die Opfergaben, die Künstler aus aller Welt in Basel vor dem heiligen schwarzen Quadrat Malewitschs ablegen. Die NZZ lernt die Grundregeln tropischen Bauens in Indonesien. Die SZ ermuntert deutsche Architekten, sich ein Beispiel an Hans Schwippert zu nehmen, der nach dem Krieg für Flüchtlinge baute. Tagesspiegel und SZ hören Beethovens Neunte mit Simon Rattle.
Literatur, 13.10.2015

Der
Deutsche Buchpreis geht in diesem Jahr an
Frank Witzel für seinen epischen BRD-Roman "Die Erfindung der Rote Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969" (
hier unsere Rezensionsnotizen). Auf
taz.de reibt sich Dirk Knipphals über diese Entscheidung so erstaunt wie freudig die Augen: "Nun ist es passiert.
Cool irgendwie. ... Wer noch einmal behauptet, der deutsche Literaturbetrieb tendiere zum
Mainstream, passt gerade wirklich nicht richtig auf."
Ist das 21. Jahrhundert, mit der wachsenden Mittelschicht in Ländern wie China, Brasilien oder Indien ein
goldenes Zeitalter für die lokalen Buchverlage? Oder fressen die Internetgiganten und global agierende Verlage wie Penguin Random House auch hier alles auf? Der Ausgang ist noch offen,
meint Rüdiger Wischenbart in der
Welt. Im Moment zeichnet sich Konkurrenz vor allem für Amazon und Co ab: "Mit
Rakuten ist ein
japanischer Konzern ins Spiel eingestiegen. Und in
China bauen chinesische Gruppen wie Tencent oder Alibaba geradezu an einer östlichen
digitalen Gegenwelt, mit zunehmend globaler Ambition."
Der
Lyriker Tom Schulz erzählt in der
NZZ von seinen vier Monaten als Stadtschreiber in Hausach im
Schwarzwald, wo er sich bei einem Fest, dem Speckeierhock, von einer Frau ihren
Bollerhut zeigen lässt. ""Warten Sie", spricht sie. Und zeigt mir eine Fotografie, auf der sie als junge Frau, vielleicht achtzehn Jahre, den roten Hut trägt. Ihr Gesicht darauf ist
hell und schön. "Das ist jetzt fünfzig Jahre her", sagt sie, und ich spüre eine tiefe Melancholie. "Die Wahrheit über den Bollenhut ist, dass jedes Mädchen, das ihn im Alter der Konfirmation erhielt,
auf den Heiratsmarkt gestellt wurde." Wir sehen uns an und schweigen. Es wird später Abend beim Speckeierhock."
Heute eröffnet
Salman Rushdie die Frankfurter Buchmesse mit einer Rede zur Meinungsfreiheit. "Hat Rushdies Auftritt nicht auch etwas
Wohlfeiles, gehorcht er nicht primär den Gesetzen der Aufmerksamkeitsökonomie",
fragt Gerrit Bartels, den dieser Artikel im
Tagesspiegel zur Eröffnung der Buchmesse rein
gar nichts gekostet hat. Andreas Rosenfelder, dem Irans Kulturminister
Ali Dschannati kürzlich im
Welt-Interview noch versichert hatte, die "Zensur zu zensieren", kann sich
keinen Reim darauf machen, welche Rolle Dschannati beim Boykott der Buchmesse spielt. In der
taz schreibt Stefan Hochgesand, dass die Buchmesse sich
politischer gibt als in den Jahren zuvor. Literaturbeilagen zur
Frankfurter Buchmesse bringen
SZ,
tazWeiteres: Im Blog der
NYRB zieht Timothy Snyder den Hut vor
Swetlana Alexijewitsch. Antje Rávic Strubel (
Tagesspiegel)
lauscht in
Indonesien dem Gockelgeschrei. Alan Posener
stellt in der
Welt Uriel Adivs neues
Portal für
Lehnwörter aus dem Deutschen vor, die im
Hebräischen verwendet werden. Im
Merkur-Blog
berichtet Danilo Scholz von seinem Wiedersehen mit der
Fauser-Episode der Sendeeihe "Autor-Scooter", die er sich "zur Erfrischung nach dem "Literarischen Quartett" erstmal" ansehen musste. Im
Tagesspiegel unterhält sich Gerrit Bartels mit der
Autorin Jenny Erpenbeck unter anderem über die
Flüchtlingskrise. Giovianni di Lorenzo
führt in der
Zeit ein episches Gespräch mit
Umberto Eco.
Besprochen werden unter anderem
Umberto Ecos "Nullnummer" ( einer seiner "besten Romane", versichert Steffen Richter in der
NZZ),
Lydia Hausteins Band über zeitgenössische Kunst in China (
NZZ), eine Ausstellung zu Leben und Werk
Erich Kästners im Münchner
Literaturhaus (
NZZ), ein Buch von
Riccardo Chailly mit Gesprächen über Musik (
NZZ),
Charlotte Roches "Mädchen für alles" (
Berliner Zeitung),
William Shaws "Kings of London" (
Tagesspiegel),
Michail Ossorgins "Eine Straße in Moskau" (
Tagesspiegel),
Kat Kaufmanns "Superposition" (
FAZ) und die
Arno-
Schmidt-Ausstellung in der
Akademie der Künste in Berlin (
SZ, mehr dazu
hier).
Musik, 13.10.2015
Im
Tagesspiegel ist Christiane Peitz
unbeeindruckt von
Beethovens Neunter unter
Simon Rattle und den Berliner Philharmonikern. "Rattle erkundet die
Mechanik der Beethoven"schen Energieerzeugung, verwandelt die Neunte in ein Manifest der Vergeblichkeit. Die ins Chaos mündenden Fugati, die sportliche Phrasierung, die grimmige Lautstärke, die abrupten dynamischen Wechsel, Wut, Verzweiflung, volle Kraft voraus - und die Musik kommt
doch nicht vom Fleck."
Begeisterung dagegen bei Simon Tönies in der
SZ: "Das Formganze wird nicht durch metronomgenaues Durchschlagen der Musik von außen übergestülpt, sondern
entwickelt sich bruchhaft und widerspruchsvoll gerade aus der Verschiedenheit ihrer Bestandteile. Das ist der Zauber von Rattles Symphonienzyklus: Beethoven so zu dirigieren,
als sei noch nichts entschieden." Außerdem hat die
FAZ Martin Wilkenings Text aus der gestrigen Ausgabe über Simon Rattle und Beethoven
online nachgereicht.
Weiteres: Julia Spinola
porträtiert in der
Zeit den Nachwuchsdirigenten
Omer Meir Wellber. Mark Espiner
plaudert im
Tagesspiegel mit Ur-Punk
John Lydon.
Besprochen werden das Album "Fading Frontier" von
Deerhunter (
Pitchfork),
die Jubiläumsbox zum zehnjährigen Bestehen von
Ghost Box Records (
The Quietus), "To Those of Earth... And Other Worlds" von
Sun Ra and His Arkestra (
The Quietus) und das Debüt von
Mild High Club (
FAZ.net).
Bühne, 13.10.2015
Der
Michael-
Althen-
Preis der
FAZ geht in diesem Jahr an
Rupprecht Podszun für seinen auf
Nachtkritik.de veröffentlichten Text "Bitte nix mixen". Julia Haak
spricht in der
Berliner Zeitung mit den beiden Staatsballett-Tänzerinnen
Barbara Schroeder und
Martin Szymanski.
Besprochen werden drei Produktionen zum Auftakt von
Matthias Lilienthals Intendanz an den Münchner Kammerspielen (
NZZ,
taz),
Ballettpremieren in Paris und Mailand (
Welt) und
Michael Sturmingers Münchner Inszenierung von Bellinis "La Sonnambula" (
FAZ).
Film, 13.10.2015
In seinem neuen Bildessay auf
Newfilmkritik blickt Rainer Knepperges der Filmgeschichte
tief ins Auge. Marco Koch vom
Filmforum Bremen bietet wieder einen Überblick über Neues aus der deutschen Film-Blogosphäre.
Architektur, 13.10.2015
Corinne Elsesser
besucht für die
NZZ eine Ausstellung über neue
Architektur aus Indonesien im
Deutschen Architekturmuseum in Frankfurt. Die Arbeiten von zwölf Architekturbüros der Region beziehen sich stark auf
traditionelle Baustile, die ausgezeichnete Lösungen für Probleme wie Regen, Feuchtigkeit und Hitze anbieten, lernt sie: "Der die Schau begleitende Katalog versucht, den Begriff des
tropischen Bauens aus der Architekturgeschichte Indonesiens abzuleiten. Die in Frankfurt präsentierten Beispiele dienen zunächst einmal als Fallstudien. Darüber hinaus zeigen sie, wie vielseitig die Bezüge zu den indigenen Bauformen sein können und welch
interessante klimarelevante Lösungen sie bieten."
Wie reagierten die
deutschen Architekten eigentlich unmittelbar nach dem Krieg auf die zahlreich ins Land kommenden Flüchtlinge aus dem Osten,
fragt sich Agatha Buslei-Wuppermann in der
SZ. Bei der Beantwortung ihrer Frage stößt sie auf die zwar behelfsmäßigen, aber praktischen Entwürfe für Unterkünfte und Möbel des
Architekten Hans Schwippert: Diese "zeigen integrative Lösungen und verweisen auf eine "Willkommenskultur", wobei die
Würde des Menschen - trotz aller Kriegswirren und Beengtheit - bei den Überlegungen und Entwürfen an allererster Stelle stand. Sicherlich sind sie nicht auf hier und heute übertragbar, aber sie zeigen vor allem eines: Wie in schwierigen Zeiten
so erfinderisch wie praktisch mit Problemen umgegangen werden kann."
Kunst, 13.10.2015
Die letzte futuristische Ausstellung der Malerei "0,10" in Petrograd, Winter 1915/16. Raum von Malewitsch mit Schwarzem Quadrat und weiteren suprematistischen Bildern. Foto: Fondation BeyelerDie
Fondation Beyeler hat "Die
letzte Futuristische Ausstellung der Malerei 0,10", die 1915 in Petersburg die russische Avantgarde versammelte, in Basel
rekonstruiert. "Groß, überwältigend, fern",
schreibt Hans-Joachim Müller in der Welt. "Basel ist wohl derzeit der einzige Ort, wo genügend Sicherheit und genügend Geld garantiert sind, um ein solches
kunsthistorisches Traumziel anzusteuern. Und Sam Keller, der Direktor der Stiftung, bedankt sich für das Vertrauen auch aufs Feinste. Mit den fast unerschöpflichen Mitteln seiner Museumssammlung und erlesenen Leihgaben lässt er eine Künstlergemeinde aus aller Welt das
heilige schwarze Quadrat anbeten. Von Ad Reinhardt bis zu Gerhard Richter, von Carl Andre bis zu Sigmar Polke, von Mark Rothko bis zu Rosemarie Trockel legen sie alle ihre Opfersachen auf den schwarzen Altar. Ob sie es gläubig tun oder ironisch, spielt kein Rolle."
Besprochen werden außerdem die Ausstellung "Das dekonstruierte Glück - Fotografien von
Barbara Köppe" im
Willy-Brandt-Haus in Berlin (
FAZ), die Ausstellung "E.A.T. - Experiments in Art and Technology" im
Museum der Moderne in Salzburg (
FAZ) und
Abraham Cruzvillegas" Ausstellung "Empty Lot" in der
Tate Modern in London (
SZ).