Efeu - Die Kulturrundschau

Oh, der innere Fanboy

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
03.11.2015. Die NZZ vergleicht Zeichnungen von Raffael, Parmigianino und Barocci, macht sich Gedanken übers Architektur-Rendering und stellt die irische Autorin Eimear McBride vor. Die Akademie für Sprache und Dichtung ist ausgelebt, notiert der Merkur nach den Preisverleihungen am Wochenende. Die FAZ ist ähnlicher Ansicht zur Universität der Künste. Die Zeit entschwebt beim Festival Pro Musica e Arte Sacra in den Papstbasiliken in höhere Sphären.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.11.2015 finden Sie hier

Architektur


(Bild: zanderroth architekten, Thulestrasse 62 / Berlin. Foto: architecture2brain.com)

In einem schönen Essay erklärt Andrea Roedig in der NZZ, warum Architektur-Rendering - anders als Architekturfotografie - nur mit Menschen funktioniert, und wie das die Wirklichkeit verändert: "Renderings wirken daher wie Staffagen, Filmstills, eingefrorene Bewegungen, die man weiterlaufen lassen könnte. Was sagt der Mann mit der roten Jacke zu den beiden Frauen ihm gegenüber? Warum schaut die eine von ihnen nach oben? Renderings stellen Szenen dar, und zwar alltägliche, die stattfinden können in einer Zukunft, die gut ist. - Utopie und Werbung fließen hier in eins, und als untergründige Ironie mag man auffassen, dass diese luminösen Ikonen neokapitalistischer Zukunftsimagination massiv an die Bildtradition des sozialistischen Realismus erinnern."

In einer Ausstellung im Museo Palladio im italienischen Vicenza erfährt Thomas Steinfeld von der SZ, wie der Palladianismus über Thomas Jefferson zur Staatsarchitektur der jungen USA wurde.

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Film

Im Tagesspiegel wirft Nadine Lange einen Blick ins Programm des Festivals des osteuropäischen Films in Cottbus, das heute beginnt. Hans-Jörg Rother resümiert für die FAZ das Festival für Dokumentar- und Animationsfilm in Leipzig. Und im Filmforum Bremen verweist Marco Koch wieder auf Aktualitäten aus der deutschen Filmblogosphäre.

Besprochen wird Xavier Giannolis Film "Madame Marguerite" (Welt).
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Musik

Beim Besuch des Festival Pro Musica e Arte Sacra in den Papstbasiliken zu Rom entschwebt Evelyn Finger von ZeitOnline in höhere Sphären: "Wenn eine Beethoven-Sinfonie anhebt in einem dieser Herzräume der europäischen Kultur, dann weitet sich der Horizont ins Unendliche. Dann versinkt die profane Welt mit ihren Sorgen, und erlebbar wird etwas Höheres: Man kann es Schönheit nennen, Erhabenheit oder eben Gott."

Weiteres: Christian Blumberg und Thaddeus Hermann sprechen für Das Filter mit dem Vaporwave-Frickelmeister Oneohtrix Point Never, der sein neues Album für sein bislang eingängigstes Werk hält, ja fast schon für Rockmusik: "Das ist meine Taylor-Swift-Platte." (was natürlich allenfalls relativ zu verstehen ist) Die Zeit hat Stefan Hentz' Porträt von Richard Williams, dem neuen Leiter des Berliner Jazzfests, online nachgereicht. Für The Quietus plaudert Simon Price mit Jeff Lynne, der sein Electric Light Orchestra wieder zum Leben erwecken will. VAN bringt den vierten Teil von Hartmut Welschers Tourtagebuch, der das Deutsche Symponie-Orchester auf seiner Reise durch Südkorea und Japan begleitet. Im Poptagebuch für den Rolling Stone berichtet Eric Pfeil von seiner Heirat im Zeichen italienischer Popmusik und Andreas Michalke zelebriert in der Jungle World den "Ledernacken-Blues" von Reiner Schöne.

Besprochen werden das zweite Album "Nicht sterben. Aufpassen" von Dietmar Daths Musikprojekt The Schwarzenbach ("eine der schönsten Herbstplatten des Jahres", schreibt Sebastian Ingenhoff in der Spex; hier eine Hörprobe), das Berliner Randy-Newman-Konzert (taz, FR), ein Konzert des Philharmonia-Quartetts in Berlin (Tagesspiegel), neue Grime-Veröffentlichungen (The Quietus) und ein Frankfurter Konzert der Berliner Philharmoniker unter Simon Rattle (FR).
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Literatur

Eine ziemlich beeindruckte Angela Schader stellt in der NZZ den Debütroman "Das Mädchen ein halbfertiges Ding" der irischen Autorin Eimear McBride vor. Hauptfigur ist eine rebellische Dreizehnjährige, die mit dem kranken, von seinen Mitschülern gequälten Bruder und der bigott religiösen Mutter auf dem Land lebt: "So sehr die kantige, schartige Sinnlichkeit der Sprache Wirklichkeit behauptet: Es wäre verkehrt, Eimear McBrides Roman als einen realistischen zu lesen. Man möchte spekulieren, ob nicht sein heimlicher Hauptakteur der Tumor ist, dessen lähmende und letztlich tödliche Präsenz im Kopf des Bruders ein exaktes Pendant im Charakter- oder Seelenbild der scheinbar so viel lebensfähigeren Schwester findet."

Die Akademie für Sprache und Dichtung erklärt auf ihrer Website, warum sich Heinrich Detering, der Präsident der Stiftung, von Otto Köhlers Laudatio auf Gabriele Goettle distanziert hatte (wir resümierten gestern): "Gemeint war damit der polemische Gebrauch der Wörter 'Endsieg' für den NATO-Einsatz im Jugoslawienkrieg und 'Anschlussgebiet' für die neuen Bundesländer, die Verwendung des Wortes 'Euthanasie' sowie eine auf Pegida bezogene Wendung, die Heinrich Detering als gedankenlose Beleidigung jener Dresdner erschien, die sich gegen Pegida engagieren."

In der NZZ fand Joachim Güntner Otto Köhlers Reizworte zwar "dämlich", seine Polemik "in konformistischen Zeiten wie unseren" dann doch erfrischend. Er hätte sich allerdings gewünscht, dass Köhler Gabriele Goettle nicht einfach als politische Überzeugungstäterin zeichnet: "Goettle hat mit ihren Reportagen eine originelle literarische Form entwickelt, allenfalls denen von Studs Terkel in den USA vergleichbar. Ihre Kunst ist, sich Einzelschicksale erzählen zu lassen, dem Individuum Stimme zu geben und eben damit das Allgemeine, die Physiognomie deutscher Verhältnisse, fasslich zu machen."

Und mehr zu Rainald Goetz in Darmstadt: Für den Merkur ist Max Wallenhorst, mit nichts als Begeisterung für den Preisträger sowie dem Feuilleton der Süddeutschen im Gepäck, zur großen Preisverleihung gereist. Im Blog der Deutschen Zeitschrift für Europäisches Denken erstattet er minutiös Bericht: "In der allerersten Reihe tuschelt Rainald Goetz in jeden Applaus mit dem neben ihm sitzenden Diedrich Diederichsen. Oh, der innere Fanboy. Auch bei schlechten Pointen grinsen sie sich superaufgekratzt an. Goetz' Rede schlägt nicht zuletzt deshalb so massiv ein, weil sie noch einmal die Unbrauchbarkeit des Vorangegangenen so gnadenlos dokumentiert. Schon klar, dass so ein Event nicht als Konzentrationspunkt eines progressiven Literaturbetriebs fungiert. Die Institution und ihre Menschenkörper sind notwendig ausgelebt, aber ihnen fehlt, das ist das Problem, eine wenigstens mittelgut finanzierte und öffentlichkeitswirksame Gegenbewegung."

Weitere Artikel: Karl-Ove Knausgard widmet in der New York Times Michel Houellebecqs "Unterwerfung" eine epische Besprechung. In Clarkesworld zeigt sich der in den USA derzeit mit Preisen überhäufte, chinesische Science-Fiction-Autor Liu Cixin erstaunt darüber, wie unterschiedlich seine Romane und die seiner Kollegen in seiner chinesischen Heimat aufgefasst und interpretiert werden. In ihrer neuen Ausgabe befasst sich die Polar Gazette mit irischen Krimis: Thomas Wörtche schafft einen ersten Überblick. Carsten Germis berichtet, dass der irische, hierzulande vor kurzem bei Pulp Master untergekommene Seamus Smyth in Japan über eine treue Fanbasis verfügt. Und wo sind eigentlich die irischen Krimi-Autorinnen, fragt sich Sonja Hartl.

Besprochen werden Richard Flanagans "Der schmale Pfad durchs Hinterland" (FAZ, online nachgereicht), Richard Price' Polizeiroman "Die Unantastbaren" (FR), Dieter Wellershoffs "Im Dickicht des Lebens" (FAZ) und der von Achim Engelberg herausgegebene Briefwechsel zwischen Wolf Jobst Siedler und Ernst Engelberg (SZ).
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Bühne

Besprochen werden Tilmann Köhlers Inszenierung von Schillers "Jungfrau von Orleans" am Hamburger Schauspielhaus (Welt), Claudia Meyers Inszenierung von Shakespeares "Othello" im Konzert Theater Bern (NZZ), Christian von Götz' Inszenierung von "Schneewittchen und die 77 Zwerge" an der Komischen Oper in Berlin (Tagesspiegel), Giacomo Puccinis "La Bohème" am Opernhaus Zürich (NZZ), Uwe Eric Laufenbergs Inszenierung von Mozarts "Così fan tutte" am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden ("Alles, fast alles geht ganz wunderbar auf", freut sich Judith von Sternburg in der FR; SZ, FAZ) und Thom Luz' Theaterabend über Albert Hofmann und dessen Entdeckung des LSD, am Theater Basel ("ein wenig zu ernüchternd", findet Martin Halter in der FAZ).
Archiv: Bühne

Kunst


Francesco Mazzola detto il Parmigianino, Due studi della stessa testa di un giovane di profilo (dal Laocoonte) - Firenze, Gabinetto Disegni e Stampe degli Uffizi

Künstlerische Appropriation gab es schon im 16. Jahrhundert, lernt Axel Christoph Gampp (NZZ) in der Ausstellung "Raffaello, Parmigianino, Barocci - Metafore dello sguardo" in den Kapitolinische Museen in Rom. Große Kunst war das Ergebnis: Während Raffael detailliert zeichnet und "wenig im Unklaren lässt, ist die ganze Manier von Parmigianino weit ungehaltener, gelegentlich nervöser und am Ende auch freier. Suchend fährt der Zeichenstift ein und derselben Konturlinie immer wieder nach und findet erst allmählich zur gültigen Form. Der womöglich etwas langweiligere, aber sehr bemühte Barocci hingegen greift die Klarheit der raffaelinischen Formulierungen wieder auf; nur wo er unsicher wird, nimmt er zu den suchenden Linien Zuflucht, aber am Ende steht ihm als Ziel der scharfe Umriss vor Augen. "

Julika Bickel (taz), Marcus Woeller (Welt) und Jan Kedves (SZ) berichten von Ai Weiweis unglücklich verlaufendem Antritt als Berliner Gastprofessor an der UdK (mehr dazu hier). Auch Niklas Maak von der FAZ war bei der Veranstaltung und empört sich sehr darüber, wie in deren Verlauf Studenten in Einspielern und bei aufgeregt gestellten Fragen an den Künstler dem Amüsement des Publikums und dessen "herzlosem Lachen" preisgegeben wurden: "Wenn man vom Erkenntnisgewinn dieses Nachmittags auf die Qualität des Kunststudiums in Berlin hochrechnen müsste, könnte man den Studierenden nur empfehlen, viel zu reisen und hin und wieder mit Ai Weiwei allein in einem Café über Kunst und die Welt zu sprechen."

Außerdem: In der NZZ amüsiert sich Andrea Köhler anlässlich der Schau "How Cats Took Over the Internet" im New York Museum über Katzenbilder.

Besprochen werden die Frank-Stella-Retrospektive im New Yorker Whitney Museum (Welt), Gustav Metzgers Ausstellung "Mass Media - Today and Yesterday" im N.B.K. Berlin (taz), die Ausstellung "Kampf um Troja" im Alten Museum in Berlin (Tagesspiegel) und die Ausstellung "Wege der Versöhnung: Germaine Tillion" im Osthaus Museum in Hagen (FAZ).
Archiv: Kunst