03.02.2016. Der Guardian blickt zurück auf die feministische Porno-Kunst der siebziger Jahre. Die FAZ verteidigt Ai Weiwei. Die SZ wünscht sich eine Architektur, die Städte schafft, nicht nur Gebäude und Räume. Die NZZ lauscht Cowboy-Liedern im Nebel. Und Vanity Fair erzählt, wie Joan Didion das alte Los Angeles zerstörte.
Kunst, 03.02.2016
Cosi Fanni Tutti im Dallas ContemporaryIm
Guardian freut sich Sarah Galo sehr,
ausgerechnet in Texas die Ausstellung
"Black Sheep Feminism" zu sehen. Das Museum Dallas Contemporary zeigt die feministische Kunst der siebziger Jahre in engem Clinch mit der Pornografie: Zum Beispiel
Cosi Fanni Tutti: "Tuttis Arbeiten - sie posierte für Porno-Magazine und stellte dann diese Bilder als ihre eigenen aus - würden heute gefeiert werden. Aber es ist auch 2016, und wir sind bereits in der
vierten feministischen Welle. Die antipornografische Bewegung der zweiten Welle scheint antiquiert. Vielleicht zeigt sich die Kraft des
Black Sheep Feminism darin, dass die Empörung für junge Feministinnen irrelevant ist. Eine
positive Einstellung zum Sex ist an der Tagesordnung."
In der
FAZ verteidigt Julia Voss
Ai Weiwei vor dem laut gewordenen Vorwurf des Zynismus, nachdem der Künstler das Foto des ertrunkenen syrischen Jungen
Aylan Kurdi nachgestellt hatte. Opportunistisch sei das nicht, denn politischer Aktivismus, erklärt Voss, habe Karrieren im Betrieb bislang eher geschadet: Nützlicher seien zu diesem Zweck "
Werke von dekorativer Untröstlichkeit, die den Abgrund des Menschlichen beklagen, ohne Täter und Opfer zu benennen. Ai Weiwei, der die Kunstwelt besser kennt als die meisten seiner Kritiker, hat diese Fotografie wohl kaum deshalb anfertigen lassen, weil er glaubt, dass sie ihm nutzt. Sondern trotzdem - denn er weiß, dass sie ihm vermutlich schadet. ... '
Ich bin Aylan Kurdi', lautet die Solidaritätsbekundung von Ai Weiwei. Die Geste mag hilflos sein.
Zynisch ist sie nicht."
Für die
SZ stattet Kia Vahland dem nach langer Restaurierung wiedereröffneten
Augusteum in Oldenburg einen Besuch ab.
Architektur, 03.02.2016
Stadtforscher und Literaturwissenschaftler der TU Cottbus haben im Auftrag des Bundesamts für Bauwesen und Raumordnung mehr als 50 Filme, Bücher, Comics und Computerspiele des Genres ab 1970 auf
Tauglichkeit für die Stadtplanung untersucht,
berichtet Juliane Wiedemeier auf
Zeit online: "Eine zentrale Erkenntnis der Studie:
Science-Fiction bietet den Planern keine Anleitung für die Gestaltung der Stadt der Zukunft. Aber sie funktioniert bestens als
Frühwarnsystem. Selbst aus heutiger Sicht sehr unwahrscheinliche Szenarien seien geeignet, die Gesellschaft für Chancen und Risiken zu sensibilisieren, heißt es im Fazit."
Der im
Bändchen "Architektur der Stadt" aufgestellten Forderung nach einem
architectonic turn in der
Urbanistik, der die ästhetische Sedierung der Innenstädte durch die Vormachtstellung der Stadtplanung brechen soll, kann sich Gerhard Matzig in der
SZ nur voll und ganz anschließen. Diese Forderung nach einer "Renaissance der
von Architektur durchdrungenen Stadt" sei "so klug wie geschichtsbewusst, so pointiert wie überzeugend" formuliert und überdies noch stichhaltig: "Die Architektur soll wieder
Städte schaffen. Nicht nur Räume, sondern Stadträume. Und die Städte sollen nicht nur funktionieren, sondern
schön sein. Das ist ein so selbstverständlicher wie erschütternd titanischer Gedanke."
Außerdem: Im
Tagesspiegel stellt Lars von Törne ein Projekt der Berliner Zeichnerin und Architektin
Katharina Greve vor, die
im Internet ein Hochhaus baut, das sie wöchentlich um eine Etage aufstockt.
Film, 03.02.2016
Eher lauwarm fallen die Besprechungen von "Suffragette" aus, in dem
Sarah Gavron von den ersten feministischen Demonstrationen im 19. und 20. Jahrhundert erzählt. In der
taz schreibt Toby Ashraf (durchsetzt von Passagen von Madeleine Bernstorff, die dem Film eher historisch auf den Zahn fühlt): "Ein kleines, glattes
Memo an die Frauenrechtsgeschichte - why not? 'Suffragette' ist gut gemeintes, gut gespieltes, wenn auch lückenhaftes
Lehrbuch-
Arthaus." In der
FAZ hält Andreas Platthaus den Film für ein "im besten Sinne
Lehr-
und Rührstück zugleich".
Weiteres: Bei den
Solothurner Filmtagen stach insbesondere eine Retrospektive der Filme von
Peter Liechti hervor,
berichtet Carolin Weidner in der
taz. Auf
kino-zeit.de macht sich Patrick Holzapfel "ein paar Gedanken zu
Jacques Rivette." Besprochen wird
Rick Famuyiwas Komödie "Dope" (
SZ, unsere Kritik
hier)
.Literatur, 03.02.2016
In
Vanity Fair schreibt Lili Anolik in einem riesigen Essay noch einmal über
Joan Didion, wagt aber auch eine echte These: "Didion schuf zusammen mit
Andy Warhol, ihrem Zwilling im Geiste und in der Kunst,
Los Angeles, das moderne, zeitgenössische Los Angeles, das gleichbedeutend mit Hollywood geworden ist. Und allein war sie das Vehikel der Zerstörung. Für die Stadt von Los Angeles war Didion der
Angel de la Muerte."
Jésus Ruiz Mantilla
empört sich in einem aus
El País übernommenen Text in der
Welt, dass Spanien so wenig zum 400. Todestag des großen
Cervantes veranstaltet, während Großritannien auf allen Kanälen
Shakespeare feiere: "Eingeweihte Kreise munkeln von chaotischen Zuständen."
Beim großen
Comicfestival in
Angoulême würdigte man unter anderem den für "Lucky Luke" bekannten Zeichner
Morris,
berichtet Heiner Lünstedt in der
SZ.
Besprochen werden
Ilija Trojanows "Durch Welt und Wiese oder Reisen zu Fuß" (
FR),
Michael Rutschkys "Mitgeschrieben: Die Sensationen des Gewöhnlichen" (
Berliner Zeitung),
Ta-
Nehisi Coates' "Zwischen mir und der Welt" (
Tagesspiegel),
Paul Noltes "Hans-Ulrich Wehler" (
NZZ),
Erika Tophovens "Godot hinter Gittern" (
FR),
Ror Wolfs neue Gedichtsammlung "Die plötzlich hereinkriechende Kälte im Dezember" (
SZ) und
Miklós Bánffys "In Stücke gerissen" (
FAZ).
Musik, 03.02.2016
Die
Zeit hat das
Interview mit dem Pianisten
Grigory Sokolov nachträglich online gestellt.
Besprochen werden eine von
Paul van Nevel dirigiertes
Caccini-Konzert in München (
SZ),
das Album "Is The Is Are" von
Diiv (
Spex,
Pitchfork,
Popmatters, Field Musics neues Album "Commontime" (
Popmatters,
Pitchfork), ein Konzert der Geigerin
Julia Fischer (
Tagesspiegel) und eine Ausstellung von
Niklaus Troxlers Jazzplakaten
in Berlin (
Tagesspiegel).
Bühne, 03.02.2016
Mit größtem Entzücken berichtet
FAZ-Kritikerin Christiane Tewinkel von
Tschaikowskis Oper "Jewgeni Onegin", die gerade an der
Komischen Oper Berlin in der Inszenierung von Intendant
Barrie Kosky gezeigt wurde: "
Unschuld liegt über diesem Abend, eine tiefe, fast kindliche Freude am Erzählen. Sie behauptet sich gegen
die Ansprüchlichkeit des Opernbetriebs, setzt sich übers Verkomplizierenmüssen ebenso wie über das Abstrahierenwollen hinweg, pumpt keine Nebensächlichkeiten auf, zieht auch nicht an der Ordnung der Figuren. Anders gesagt, (...) Musiktheater in der einfachsten und besten aller möglichen Formen: als Erinnern und Vergegenwärtigen, als Überwältigung, die immer künstlich bleibt und dennoch
schwer am Herzen reißt." Bei
Arte kann gibt es eine Aufnahme des Premierenabends.
Fels und Nebel: Philippe Quesnes "Caspar Western Friedrich" an den Münchner Kammerspielen Theaterwunder oder Unfug? Irritiert
kommt Bernd Noack in der
NZZ aus dem Münchner Stück "Caspar Western Friedrich", in dem der französische Theatermann
Philippe Quesne Caspar David Friedrich und Western-Romantik zusammenbringt: "Vor dem eisernen Vorhang hocken vier Männer und eine Frau, gekleidet wie Bonanza-Helden, um ein künstlich flackerndes Lagerfeuer. Sie singen
traurige Country-Lieder ('Meine Büchse, mein Pony und ich'), trinken Tee und brabbeln Unwesentliches." Für Jan Küveler
blieb in der
Welt bei dem Abend "alle Magie Behauptung".
Weiteres:
Adolphe Binder wird neue Intendantin des
Tanztheaters Wuppertal,
meldet Anne Linsel in der SZ.
Besprochen werden die Münchner Weltpremiere von
Miroslav Srnkas Oper "South Pole" (
FR,
mehr im gestrigen Efeu und
hier ein Mitschnitt), eine Frankfurter Aufführung der raren
Verdi-Oper "Stiffelio" (
FR), neue Inszenierungen von
Philippe Quesne und
David Marton an den Münchner Kammerspielen (
taz,
FAZ) sowie
Calixto Bieitos Inszenierung von
Henry Purcells "The Fairy Queen" in Stuttgart (
FAZ).