Efeu - Die Kulturrundschau

Aufrecht, leise, immer gefährdet

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04.03.2016. She She Pop suchen in München nach einer neuen Sprache für Sexualität, finden laut nachkritik aber nur Bilder. Open culture blättert begeistert durch Paul Klees Notizbücher, die das Klee-Zentrum online gestellt hat. Dezeen begutachtet den neuesten Versuch, die Lücke zu schließen, die der Abriss der Pariser Markthallen in den Siebzigern hinterlassen hat. Die SZ freut sich: Bob Dylan wird endlich kanonisiert.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.03.2016 finden Sie hier

Bühne


She She Pop in den Münchner Kammerspielen. Foto: Judith Buss

Der Versuch von She She Pop, in den Münchner Kammerspielen mit "50 Grades of Shame" ein neues Sprechen über Sexualität zu finden, ist auf interessante Art gescheitert - am Bild nämlich, und am Körper, meint Tim Slagman in der nachtkritik. Dabei fängt es schon mit der Aufstellugn der Schauspieler, die von mehreren Kameras aufgenommen werden, erst mal gut an: "Teile ihrer Körper sind dabei schwarz abgedeckt und somit auf den Leinwänden unsichtbar. Die so erhaltenen Fragmente schichten sich zunächst scheibchenweise übereinander wie bei einem Drehspielzeug: Anna Drexler, die in einer Lektion eine weibliche Variante des dominanten Christian Grey darstellt, liefert da etwa den Kopf für Hemd, Krawatte und Hose von Christian Löber. Bald wirbeln Kleider über Männerbäuche, Herrenköpfe stehen auf nackten Brüsten - ein Durcheinander entsteht, eine Auflösung von Geschlechterrollen und Scheingewissheiten, so simpel wie eindrucksvoll, so witzig wie effektiv."

Weitere Artikel: In der FR berichtet Sylvia Staude vom Auftakt der Tanzplattform Deutschland in Frankfurt. Und in der SZ freut sich Alexander Menden, dass mit "Cleansed" erstmals eines der kontroversen, intensiven Stücke von Sarah Kane am National Theatre in London aufgeführt wurde: Die 1999 gestorbene Dramatikerin erhält damit "eine institutionelle Anerkennung, die sie vielleicht nicht nötig hat, aber sicher verdient". Besprochen werden Felix Rothenhäuslers Ibsen-Inszenierung "Nora oder ein Puppenheim" in Bremen (nachtkritik) und die Uraufführung von Robert Schindels Stück "Dunkelstein" im Wiener Theater Hamakom (nachtkritik).
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Literatur

Besprochen werden Ta-Nehisi Coates' "Zwischen mir und der Welt" (FR), Stefan Mosters "Neringa oder Die andere Art der Heimkehr" (SZ), Rainer Klouberts "Peking. Verlorene Stadt" (SZ) und Gioacchino Criacos "Schwarze Seelen" (online nachgereicht bei der FAZ). Mehr zu Literatur im Netz in Lit21, unserem Metablog zur literarischen Blogosphäre.

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Stichwörter: Coates, Ta-Nehisi

Kunst



Gerade sind erstmals auf Englisch die Notizbücher Paul Klees erschienen und jetzt hat das Paul-Klee-Zentrum auch noch alle 3.900 Seiten aus Klees Notizbuch während seiner Zeit in Weimar 1921-31 online gestellt, freut sich open culture. Und es ist toll gemacht: Klees Text steht transkribiert neben den Seiten, mit Hilfe aufleuchtender Markierungen kann man immer sehen, an welcher Stelle im Originaltext man sich befindet. Aber Vorsicht: Das Suchtpotenzial ist erheblich.

In der Münchner Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung kann man derzeit die Bilder des in Spanien längst kanonisierten Malers Joaquín Sorolla entdecken, ermuntert in der SZ Gottfried Knapp. Ihm ging es "nicht um soziale Belange, sondern ausschließlich um das Erfassen eines ausdrucksstarken, bildkräftigen Moments im Leben bestimmter Menschen. Wie kein anderer hat Sorolla etwa den Alltag von Fischern den Sinnen der Betrachter nähergebracht".

Besprochen werden ein Band über die Zürcher Sprayerszene (NZZ), Sandra Frimmels Buch über Kunsturteile in Russland (SZ) und zwei Armando-Ausstellungen in Potsdam (Tagesspiegel).
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Film

Für denTagesspiegel hat sich Martin Schwickert mit Hans Steinbichler über dessen Neuverfilmung des "Tagebuchs der Anne Frank" unterhalten.

Besprochen werden Alexander Sokurows "Francofonia" (Zeit, Tagesspiegel, Perlentaucher), Pablo Traperos "El Clan" (FR, FAZ) und der neue Disneyfilm "Zoomania" (FR, Tagesspiegel).

Außerdem "Tücken der digitalen Welt": Die taz erklärt, wie es dazu kam, dass Barbara Wurms erst heute veröffentlichte Besprechung von Sokurows "Francofonia" schon gestern im Perlentaucher zitiert wurde.
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Architektur



Vom Abriss der Pariser Markthallen in den Siebzigern hat sich das betroffene Viertel nie recht erholt. Versuche, die riesige Lücke zu schließen, blieben immer ungeliebt. Im April kann man jetzt den neuesten Versuch begutachten: Die Architekten Patrick Berger und Jacques Anziutti haben ein großes neues Shopping- und Kulturzentrum erbaut, Canopy, das unter einem gigantischen Glasdach untergebracht ist, berichtet Dezeen. "'The dynamic elements of the site guided the idea of the Canopy,' said the architects. 'Its curvilinear and organic forms are the result of observations and analyses of the natural and human-made forces that act on an urban environment. Under the vast shelter of the Canopy, some 18,000 glass shells diffuse a soft light whatever the weather forecast, so that the interior temperatures are maintained without undue energy consumption,' they added."

Außerdem: In der NZZ schreibt Andrea Köhler zur heutigen Eröffnung von Santiago Calatravas U-Bahn-Kathedrale für Ground Zero. Die französische Architektin Odile Decq hat den Jane-Drew-Preis für Architektinnen gewonnen, meldet Dezeen.
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Musik

Bob Dylan wird endgültig Literatur, "die Philologisierung der populären Musik kommt weiter voran", freut sich Lothar Müller in der SZ. Der Grund: Für einen stattlichen Millionenbetrag wechselt Dylans Privatarchiv in die Bestände der Universität Tulsa über, wo es systematisiert und der Forschung zugänglich gemacht werden soll (hier die offizielle Website des Bob Dylan Archivs). Für Müller zeigt sich damit: "Der Songwriter ist nicht einfach nur 'Liedermacher', er ist der Autor seiner Songs im doppelten Sinn: als Komponist und als Schriftsteller."

Weiteres: Für Pitchfork porträtiert Devon Maloney M83. Fatma Aydemir berichtet in der taz von ihrem Treffen mit dem Rapper Anderson Paak. In der Welt annonciert Josef Engels die Deutschlandtour des schwedischen Jazzposaunisten Nils Landgren mit seinem Bernstein-Tribute-Album "Some Other Time". Marcus Stäbler (NZZ), Reinhard J. Brembeck (SZ) und Eleonore Büning (FAZ) gratulieren dem Komponisten Aribert Reimann zum Achtzigsten. In der SZ gratuliert Helmut Mauró dem Dresdner Kreuzchor zum 800-jährigen Bestehen: "Vielleicht klingt so die menschliche Seele. Aufrecht, leise, immer gefährdet."
 
Besprochen werden neue Aufnahmen mit Claudio Abbado (NZZ), das Berghain-Konzert der Düster-Organistin Anna von Hausswolff (Kirsten Riesselmann vom Tagesspiegel ist enttäuscht: "Trotz waberndem Gelärme wirkt dieses Konzert fast verzagt"), das neue Album "Brute" von Fatma Al-Qadiri (The Quietus), das neue Album von Me and My Drummer (taz), ein Gastspiel der Dresdner Philharmonie mit dem Pianisten Nobuyuki Tsujii in Berlin (Tagesspiegel) und ein Beethoven-Konzert von Julia Fischer und Igor Levit (Tagesspiegel).
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