Efeu - Die Kulturrundschau

Ich kann höher

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.11.2016. Das hohe C ist gar kein Problem, versichert Tenor Juan Diego Floréz in der Welt. Die NZZ erlebt den Pianisten Grigory Sokolow in Luzern als Meister der Anschlagfarben. In Angela Schanelecs neuem Film "Der traumhafte Weg" sind sogar die Berliner Busfahrer nett, staunt critic.de. Und Herausgeber Walter Fanta stellt im Gespräch mit dem Standard die neue Musil-Ausgabe und das Musil-Internetportal vor.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 21.11.2016 finden Sie hier

Bühne


Szene aus den "Hugenotten" an der Deutschen Oper Berlin. Foto: Bettina Stöß

Der Peruaner Juan Diego Floréz singt gerade in Berlin den Raoul in Meyerbeers Grand Opéra "Die Hugenotten". Für Welt-Kritiker Manuel Brug ist er der beste Tenor der Welt. Angst vor dem hohen C hat er jedenfalls nicht. Es ist für ihn "ein Ton, einfach ein Ton", erklärt er im Interview. "Ich kann höher. In meiner 'La Fille du régiment'-Arie, die ich immer wieder sehr gern singe, gibt es neun Cs. Die sind leichter als die ruhigen, lyrischen Passagen davor, zumindest für mich. Die Stimme sitzt, sie springt an, ich habe keine Probleme mit der Intonation. Viel schwerer ist beispielsweise von der Lage, von den Verzierungen her, die Tenorarie in Rossinis 'La donna del lago'. Das merkt nur keiner, besonders nicht, wenn man gut war. Vor diesem Stück habe ich einen Heidenrespekt."

In der Presse schreibt Barbara Petsch den Nachruf auf den Theaterintendanten, Regisseurs und Schauspielers Heribert Sasse.

Besprochen werden Simon Solbergs Inszenierung von Kleists "Käthchen von Heilbronn" in Düsseldorf (nachtkritik), Lily Sykes' Inszenierung von Shakespeares "Romeo und Julia" am Grazer Schauspielhaus (die beiden Liebenden langweilen sich zu Tode, seufzt im Standard Colette M. Schmid, der es auch nicht besser ging, nachtkritik) und Sebastian Hartmanns Inszenierung des "Raubs der Sabinerinnen" in Stuttgart (nachtkritik, SZ).
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Musik

Das Klavierfestival in Luzern eröffnete am Samstag mit einem weihevoll gestimmten Konzert des russischen Pianisten Grigory Sokolow, das Christian Wildhagen von der NZZ sehr beeindruckt hat. Sokolow mache sich im Laufe erneut für Mozarts Sonaten stark, erfahren wir. Bei der, laut Wildhagen, schwer interpretierbaren Sonata facile in C-Dur KV 545 zeigte sich der Pianist demnach "als Meister der Anschlagsfarben, der jedem neuen Formteil stilsicher ein eigenes Kolorit verleiht. So tönt etwa die (eigentlich regelwidrige) F-Dur-Reprise des Kopfsatzes ungemein hell, fast unirdisch leicht - ein wirkungsvoller Kontrast zum Durchführungsteil mit seinen Moll-Eintrübungen, in denen Sokolow unvermittelt für kurze Augenblicke alles Unbeschwerte fahren und düstere Vorahnungen dessen aufscheinen lässt, was in dieser ersten Konzerthälfte noch kommen sollte. Dieses bedrängende Umkippen ins Verloren-Melancholische wiederholt sich nach dem auffallend flott und mit ausgezierten Wiederholungen dahinfließenden Andante ein weiteres Mal im betont zurückgenommenen Allegretto des Schlussrondos."

Ein Mozart-Interpretin ganz eigener, sehr sonderbarer Art war Florence Foster Jenkins, die legendär schlechte Sängerin, an der das Kino derzeit mit einem Dokumentarfilm sowie zwei Spielfilmen, darunter einer mit Meryl Streep in der Hauptrolle, auffällig viel Interesse zeigt. Warum eigentlich, fragt sich Reinhard J. Brembeck in der SZ und stellt dabei diese Beobachtung an: "Frears' und Giannolis Filme sind in ihrem Beharren auf dem zelebrierten Ungenügen ihrer Heldin Manifeste gegen die Leistungsgesellschaft. Für sie ist ein Leben nur dann erfüllt und sinnvoll, wenn es sich arglos absolut einer so harmlosen Leidenschaft wie der Musik hingibt. ... Jenkins' Aufführungen sind gesangstechnisch unzweifelhaft grauenvoll. Aber es sind Interpretationen, die tiefer reichen als viele makellos gesungene Aufführungen."

Weitere Artikel: In der SZ bringt Peter Burghardt Hintergründe zum für Berlin geplanten House of Jazz, das nach einer Machbarkeitsstudie nun auch im Bundesetat berücksichtigt ist (mehr dazu in der Berliner Zeitung). Eric Facon porträtiert in der NZZ den senegalesischen Musiker Youssou N'Dour, der nach einem intermezzo in der Politik seines Landes sein musikalisches Comeback mit einem neuen Album feiert. Für NPR spricht Scott Simon mit A Tribe Called Quest (mehr zu deren neuem, frenetisch gefeierten Album hier). In ihrem taz-Jazzblog legt Franziska Buhre ausführlich dar, warum sie zwei jüngere, auf den ersten Blick eher unverdächtige Besprechungen von Jazzkonzerten für rassistisch grundiert hält. Außerdem berichtet Buhre in der taz vom Jazzfestival im Berliner ZigZag-Club, bei dem unter anderem Dave Holland und Dave Douglas auftraten. Für die Berliner Zeitung plaudert Katja Schwemmers mit Sting. Thomas Schacher berichtet in der NZZ vom Auftakt der Tage Neue Musik Zürich. Claus Lochbihler schreibt in der NZZ zum Tod der Soulsängerin Sharon Jones. Dazu passend: Ein Tributmix auf Mixcloud.



Besprochen werden die große, historische New-Age-Compilation "The Microcosm: Visionary Music of Continental Europe, 1970-1986" (Pitchfork), der dritte Abend des "Wien Modern"-Festival mit einem Boulez-Konzert ("Die komplexen gestischen Arabesken leuchteten in kristallinen Strukturen und bei vollkommener Klarheit", schwärmt Daniel Ender im Standard), der Auftakt des Impro-Festivals "Unerhört" in Zürich mit unter anderem Noisy Minority (NZZ), ein Konzert von Anne-Sophie Mutter in Berlin (Tagesspiegel), das neue Album von Justice (The Quietus), Leonard Cohens Album "I'm Your Man" von 1988 (Pitchfork), ein Konzert von Mariss Jansons mit dem BR-Symphonieorchester und dem Geiger Gil Shaham (FR), der Frankfurter Aufritt der Red Hot Chili Peppers (FR) und der in Berlin der Synthpop-Pioniere Human League (taz).
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Film



Beim Regensburger Heimspiel Festival hat Angela Schanelecs neuer Film "Der traumhafte Weg" Michael Kienzl von critic.de ziemlich umgehauen: Schanelecs Werk "zeigt eine Version der Wirklichkeit, die nur deshalb so stilisiert wirkt, weil sie von all den Verstellungen und Trugbildern, die unser Leben bestimmen, befreit ist - sogar die Berliner Busfahrer sind (...) nett. Dass die Bildsprache manchmal streng wirkt und die Bewegungen der Schauspieler etwas hölzern, legt eigentlich den Schluss nahe, dass die Figuren gefangen im Formalismus sind. Doch tatsächlich sind sie auf so ungewohnte Weise frei, dass man diese Freiheit auf den ersten Blick gar nicht erkennt." (mehr zu dem Film in unserer Presseschau zum Festival in Locarno)

Weiteres: Die Welt bringt Elmar Krekelers Bericht von den Dreharbeiten zu Dominik Grafs neuem (in der FAZ besprochenen) Fernsehreißer "Zielfahnder - Flucht in die Karpaten" (hier in der Mediathek). Auf kino-zeit.de spricht Anna Wollner mit Jim Jarmusch über dessen neuen Film "Paterson". In der Filmgazette berichtet Filmhistoriker Klaus Kreimeier von "magischen Momenten" in Carol Reeds "Dritten Mann" (hier) und in Chantal Akermans "L'homme à la valise" (dort). Und ZeitOnline bringt eine Strecke ikonischer Filmstills anlässlich einer Ausstellung in der Wiener Albertina.

Besprochen wird Bo Mikkelsens auf Heimmedien veröffentlichter Zombiethriller "What we Become" (SZ).
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Literatur

Im Gespräch mit dem Standard stellt Herausgeber Walter Fanta die bei Jung und Jung erschienene neue Gesamtausgabe der Werke Robert Musils vor, die mit dem ebenfalls neu geschaffenen Internetportal musilonline.at verknüpft ist. Keine Angst vor der "Kostenloskultur" im Netz? Fanta winkt ab und erklärt sein exzellentes Konzept: Das Portal soll alle Texte Musils kostenlos zugänglich und mit einem Suchtool recherchierbar machen. "Die mehr als zehntausend Nachlassmanuskripte und etwa dreitausend Druckseiten werden als Bilddateien hochgeladen. Und außerdem ist tatsächlich geplant, den 'philosophischen Kommentar' nach dem Wiki-Prinzip anzulegen, statt bloß sinnverengende Sacherläuterungen zu bieten, soll eine offene Diskussion um die mögliche Vieldeutigkeit der Texte geführt werden. Die Einladung zur Pluralisierung des Sinns geht mit einer Pluralisierung der Autorschaft des Kommentars einher, beide können nur in einem interaktiven digitalen Kontext realisiert werden. Die Buchausgabe dagegen hat die Aufgabe, das Werk Musils in seiner Gesamtheit nach einheitlichen Prinzipien gestaltet für die literarische Lektüre zugänglich zu halten, darin besteht das vordringliche Ziel der auf zwölf Bände angelegten Gesamtausgabe."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel erzählt Moritz Rinke von der dadaistischen Atmosphäre auf der Buchmesse in Istanbul. Der österreichische Autor Wolf Haas plaudert im Interview mit dem TagesAnzeiger über seine Brenner-Krimis. FAZ und SZ berichten über eine von Herta Müller initiierte Tagung im Berliner Literaturhaus, auf der Autoren zur Errichtung eines Gedenkorts des Exils aufriefen. Im Freitag kommen die Krimiautorinnen Simone Buchholz und Katja Bohnet miteinander ins Gespräch. Gerrit Bartels gratuliert Don deLillo im Tagesspiegel zum Achtzigsten. Im Freitag gratuliert Thekla Dannenberg dem Krimiautor James Lee Burke zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden Liza Codys "Miss Terry" (Freitag), Jan Brandts Erzählband "Stadt ohne Engel" (Standard), drei Bücher über Paris (Zeit) und politische Bücher (SZ).

Mehr aus dem literarischen Leben auf: 

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Kunst


Und? Ist das Biedermeier? Josef Danhauser, Die Schachpartie, 1839 © Leihgabe der Goal Arts Foundation, Freeport, Bahamas, Foto: © Belvedere, Wien

Besprochen werden eine Ausstellung mit Werken des österreichischen Biedermeier im Unteren Belvedere in Wien (Standard), eine Ausstellung zum Geschlechterkampf, von Franz von Stuck bis Frida Kahlo, im Frankfurter Städel (Zeit), eine Ausstellung Maria Lassnigs über Landleben in der Galerie Ulysses in Wien (Standard), die Ausstellung "Barock - Nur schöner Schein?" im Reiss-Engelhorn-Museen Mannheim (taz), eine Ausstellung über den Arbeiterkampf in Großbritannien und im Ruhrgebiet im LVR-Industriemuseum Zinkfabrik Altenberg in Oberhausen (FAZ), eine Ausstellung mumifizierter Menschen und Tiere im Naturhistorischen Museum in Basel (FAZ) und eine Ausstellung zu Maria Magdalena im Antico Tesoro della Santa Casa im italienischen Wallfahrtsort Loreto (SZ).
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