Efeu - Die Kulturrundschau

Jenes Reich der Zwänge

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10.01.2017. Trotz aller Golden Globes: Zum deutschen Kinostarts kommt Damien Chazelles "La La Land" bei den Kritiker nicht gut an: Critic.de erschrickt gar über die strenge Miene, mit der hier zum Exzess angehalten wird. Die SZ wünscht sich mehr Musik-Nerds unter Mädchen. Keine gehuldigten Herrscher, sondern hilflose Helden erlebt die FAZ bei den Händel-Aufführungen in Mannheim und Frankfurt. Im Guardian empfiehlt Jonathan Jones statt eines Museumsstreiks gegen Donald Trump eine Pause im Reality-TV.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.01.2017 finden Sie hier

Film



Bei den Golden Globes hat Damien Chazelles "La La Land", eine Hommage ans Musical der 50er Jahre, gerade abgeräumt wie zuvor kein zweiter Film, da rammt ihn Till Kadritzke auf critic.de schon ziemlich ungespitzt in den Boden: Der Film markiere seine unverkrampfte Freiheit auf ziemlich krampfig-unfreie Weise, stellt er fest. "Deshalb muss er auch ständig Platzhalter für jenes Reich der Zwänge produzieren, aus dem er sich dann heroisch befreien kann. Zum Beispiel die tristen Production Credits, die Chazelle hier in die Ästhetik des Glorious Technicolor eintaucht, bevor er mit seiner Eröffnungssequenz einen Massenstau auf einem Highway nahe L.A. in eine aufwändige Tanzchoreografie übergehen lässt. Die so 'originell' ist, dass sie nicht mehr überrascht; die uns mit ganz schön strenger Miene erklärt, dass sie Fan vom Exzess ist; die sich jetzt mal so richtig locker macht, koste es, was es wolle!"

Rechte Freude an dem Film hatte auch Manuel Brug nicht: Dieser sei "ein gerade wegen seiner strahlenden Buntheit so herb aufstoßender Wust von Zitaten. Festgefahren in seiner eigenen Historizität, wie zu Anfang die Protagonisten Mia und Sebastian im Dauerstau", schimpft er in der Welt. Marietta Steinhart von ZeitOnline sah dagegen "einen Liebesbrief an eine längst vergangene Ära" und schwelgt in all den großzügig verstreuten Nostalgie-Markern. Mehr dazu in unserer Filmrundschau vom Filmfestival in Venedig.

Weiteres: The Quietus bringt als Auszug aus Mark Fishers neuem kulturtheoretischen Buch "The Weird and the Eerie" dessen Essay über Stanley Kubrick, Andrej Tarkowski und Christopher Nolan. Im Standard empfiehlt Bert Rebhandl die Retrospektive "Sizilien" des Österreichischen Filmmuseums. Antoni Krauzes umstrittener Film "Smolensk" entpuppte sich bei der von den Satirikern des Clubs der polnischen Versager angeleierten Vorführung als "der mit Abstand schlechteste polnische Film der vergangenen Jahre", schreibt Philipp Fritz in der FR. In den USA wurden die Nominierungen für die Goldene Himbeere, die jedes Jahr traditionell an den schlechtesten Film des Jahres vergeben wird, bekannt gegeben, meldet Marcel Reich in der Welt. Christiane Peitz (Tagesspiegel) und Susan Vahabzadeh (SZ) resümieren die Golden Globes: Insbesondere Meryl Streeps emotionale Rede gegen Trump imponierte beiden sehr:



Besprochen werden Park Chan-Wooks "Die Taschendiebin" (Schneeland, unsere Kritik hier) und ein von Daniel Kothenschulte zusammengestellter, aufwändiger Bildband zur Geschichte des Disney-Animationsfilms (SZ, unsere Kritik hier).
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Kunst

In den USA haben KünstlerInnen Cindy Sherman, Richard Serra und Joan Jonas für den Tag von Donald Trumps Amtsantritt zu einem Museumsstreik aufgerufen. Im Guardian bekundet Jonathan Jones zwar eine gewisse Sympathie mit dem Aufruf, hält aber trotzdem wenig davon: "Ein Kunststreik ist so ziemlich die uneffektivste Weise, gegen Trump zu protestieren, die ich mir vorstellen kann. Die amerikanische Linke sieht einer langen unglücklichen Zeit der Irrelevanz entgegen, wenn das ihre Vorstellung von Gegenwehr ist... Sehen wir es doch ein: Kunst und ernste Kultur sind absolut randständig im amerikanischen Leben. Trumps Sieg beweist das. Das Schließen von Museen wird keinerlei Wirkung auf seine Unterstützer haben. Bei allem Respekt, sie kümmerte es mehr, wenn Reality TV in den Ausstand ginge."


Pipilotti Rist, Exhibition View, New Museum. Photo: Maris Hutchinson / EPW Studio

Als wahre "Augapfelmassage preist Andrea Köhler in der NZZ die von Pippilotti Rist auf New York Hochglanzfassaden gespielten Phantasmagorien. Schön irritierend fand sie zum Abschluss auch das kleine Iphone im Treppenhaus des New Museums, auf dem ebenfalls ein Video lief: "Nach den raumgroßen Projektionen riesiger Unterwasser-Traumwelten, in die wir wie in einen psychedelischen Trip eingetaucht sind, wirkt dieses winzige Ding nachgerade absurd. Wie kann es sein, dass wir freiwillig dauernd in dieses klaustrophobisch enge Gehäuse kriechen?"

Weiteres: Im FAZ-Interview erklärt die Chefin der im Sommer eröffnenden Documenta, Annette Kulenkampff, wie sich die angespannte Weltlage auf die Kunst auswirkt.:Repressalien selbst hätten die meisten Künstler nicht erlebt, aber einen Rückzug vieler Geldgeber, vor allem von Stiftungen. Marco Zschiek berichtet in der taz vom Urban-Art-Project "Art United Us", das mit Wandmalereien die tristen Fassaden Kiews aufhellen will, räumt allerdeings freimütig ein: "Etwas Subversives haftet dem Projekt nicht an."

Besprochen die von jungen Kuratorinnen zusammengestellte Schau "Next Generation" im Wiener Wuk (Standard), eine Schau der "Wilden 80er Jahre in der deutsch-deutschen Malerei" im Potsdam-Museum (FAZ), eine Ausstellung mit Collagen und Fotomontagen von Ludwig Mies van der Rohe im Ludwig-Forum in Aachen (NZZ).
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Literatur

Ein Jammer, meint der serbische Schriftsteller Bora Ćosić in der NZZ, dass das Traumbuch seines Kollegen Ibrahim Hadžić bislang noch nicht ins Deutsche übertragen wurde: Interessanteres werde man in der serbischen Lyyrik nämlich nicht finden als diesen "herausragenden Text einer neuen Art Surrealismus, der mit Sicherheit in die Anthologie des schwarzen Humors gehört, in die von Breton."

Weiteres: In der Welt erinnert Philipp Haibach an den Schriftsteller John Fante, der wegweisend war für Autoren wie Charles Bukowski und Benjamin von Stuckrad-Barre. Für die Presse spricht Norbert Mayer mit dem Dichter Peter Turrini.

Besprochen werden T.C. Boyles "Die Terranauten" (Tagesanzeiger),
der neue Essayband von Teju Cole (NZZ), Milenko Goranovics "Vom Winseln der Hunde" (FR), Eduardo Halfons Erzählband "Signor Hoffman" (ZeitOnline) und John Dos Passos' "Manhattan Transfer" (FAZ).
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Architektur

Kurz vor der Eröffnung der Elbphilharmonie verteidigt Gerhard Matzig in der SZ die Architekten Herzog und de Meuron gegen alle Kritiker: "Die Architekten aus Basel haben der Architektur eine verloren gegangene Sinnlichkeit zurückgegeben. Und sie haben nicht den Fehler gemacht, Architektur als Logo misszuverstehen. Hadid-Bauten sehen immer wie Hadid-Bauten aus; und Richard Meier hat immer wieder das gleiche Haus gebaut. Nicht so HdM."

Für Daniel Furhop, Autor der Streitschrift "Verbietet das Bauen!", gilt in der taz eine simple Regel, wenn es ums Bauen geht: "In 'amerikanisierten' Städten fühlt man sich nicht wohl. Das ist auch eine Frage des Stadtbildes und der Architektur: europäische Städte zeichnet es aus, ihre Geschichte zu zeigen und alte Häuser zu bewahren." Und: Das hilft sogar gegen AfD!
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Bühne


Gaelle Arquez (Xerxes) und Louise Adler (Atalanta) in Händels "Xerxes" an der Oper Frankfurt. Foto: Barbara Aumüller.

Zwei grandiose Händel-Aufführungen hat FAZ-Kritiker Gerhard Koch erlebt, Nigel Lowerys "Hercules"-Inszenierung in Mannheim, die auf "Kunterbuntes und Antikisches" souverän verzichte, und Tilmann Köhlers "Xerxes" in Frankfurt: "Es geht nicht im mindesten um eine Herrscher-Huldigung: Der triebgesteuerte Perserkönig Xerxes bleibt ein erotischer Loser, wenn auch ein gefährlicher Dandy. Von barocker Haupt- und Staatsaktion kann keine Rede sein. Eher ist das Ganze ein latent tragisches Liebes-Karussell voller Begierden, Einbildungen, Verstellungen und Verwechslungen: eine Seifenoper der upper class samt Intrigen und Drohungen. Analog zu 'Hercules' heißt auch hier das Schlüsselwort 'Eifersucht', die alle Beziehungen zerfrisst."

Atmosphärisch dicht, lakonisch und herrlich retro findet Regine Müller in der taz Wilfried Schulz' Uraufführung des Stückes "Auerhaus" nach dem Roman von Bov Bjerg am Düsseldorfer Schauspiel: "Die Generation der Best-Ager erkennt sich mühelos in der Geschichte, die in den 1980er Jahren in einem schwäbischen Dorf spielt."
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Design

Gerhard Matzig würdigt in der SZ das Iphone als Stilikone: "Die Form triumphiert letztlich über die Funktion."  (mehr bei 9Punkt) Wolfgang Ullrich rühmt in der Zeit die Wagenfeld-Lampe: "Sie soll mehr bieten als perfektionierten Funktionalismus." Ein neuer Trakt im Design Museum in Kopenhagen widmet sich dem Stuhl, berichtet Thomas Steinfeld in der SZ.
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Musik

Die klassische Musik weist in Sachen Geschlechterfrage eine überdeutliche Schieflage auf, kritisiert Simon Tönies in der SZ. "Wie kann man Verhältnisse schaffen, in denen Mädchen Musik-Nerds sein dürfen und Frauen das Risiko eingehen, eine Komponistinnenkarriere einzuschlagen?"

Weiteres: In der Neuen Musikzeitung spricht Dirk Wieschollek mit dem Philosophen Harry Lehmann über ästhetische Fragestellungen der Neuen Musik. Jens Balzer plaudert in der Berliner Zeitung mit Blixa Bargeld darüber, dass nun ausgerechnet die Einstürzenden Neubauten ein Greatest-Hits-Album veröffentlicht haben. Die Wiederveröffentlichung der beiden einzigen LPs der Seattler Bands Mother Love Bone und Temple of the Dog lassen Torsten Groß in der SZ über das Verhältnis zwischen Hardrock und Punk nachdenken, das für den Grunge der ersten Stunde prägend war. Manuel Brug verabschiedet sich in der Welt von der Ära der Laeiszhalle in Hamburg, die mit der morgigen Eröffnung der Elbphilharmonie zu Ende geht.

Besprochen werden das neue Album der Flaming Lips (Spex), neue neue Musikveröffentlichungen aus Norwegen (Skug) und die Compilation "Doing in Lagos" mit nigerianischem Disco, Boogie und Pop aus den 80ern (Pitchfork). Auf Bandcamp kann man sie sich anhören:


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