14.02.2017. In der SZ erklärt Andres Veiel Joseph Beuys zum Antipoden der RAF und der dogmatischen humorlosen Linken. Im Guardian wirft Wolfgang Tillmans einen letzten Blick auf den schwindenden pan-europäischen Geist. Die taz wünscht sich eine Stadt, die auch über die Bücher spricht, die sie liest. Und die Welt mokiert sich über die Grammy-Verleihung: handzahm wie DDR-Kabarett!
Film, 14.02.2017
Aus Andres Veiels Film: Joseph Beuys mit Studenten im Ringgespräch an der Kunstakademie Düsseldorf, 1967. Im
SZ-Interview mit Martina Knoben
spricht Regisseur
Andres Veiel über seinen
Beuys-Film, der heute auf der Berlinale laufen wird, und über den
Humor, den jede Revolution braucht: "Ich bin in einem Stuttgarter Vorort aufgewachsen, mit betonierten Garageneinfahrten und auf 1,20 Meter
gestutzten Ligusterhecken. Da wäre jede Fettecke sofort beseitigt worden. Beuys war mit seinen Ideenräumen Sprengstoff. Er hat bewirkt, dass wir viel ausprobiert haben, dass wir selbst
mit dem Bügeleisen auf Margarinewürfel und Farbe losgegangen sind und unsere Fettbilder gemacht haben, auch als Protest gegen die Aquarellbildchen, die wir im Kunstunterricht malen mussten. Er war nie ein Dogmatiker, der nur gepredigt hat, sondern er war
wie ein Hase: Im entscheidenden Moment stand er schon wieder woanders und hat über sich selbst gelacht. Damit war er auch
ein Antipode zur RAF und zur dogmatischen Linken, die mit ihrer Betonsprache eines immer als Erstes ausgetrieben haben: den Humor."
Mehr von der
Berlinale:
Thomas Arslans Wettbewerbsbeitrag "Helle Nächte" fällt bei den Kritikern eher durch. Immerhin sorgt
Sally Potters "The Party" im Anschluss bei manchen für gute Laune. Ein richtiger Favorit, ein richtiges Ärgernis zeichnet sich bei dieser bislang eher lauwarmen Berlinale allerdings noch immer nicht richtig ab. Mehr dazu
in der aktuellen Berlinale-Presseschau.
Weiteres: Im
Standard unterhält sich Michael Pekler mit
James Schamus über seine Philip-Roth-Verfilmung "Empörung"
Literatur, 14.02.2017
Im Berlin-Teil der
taz lotet Antje Lang-Lendorff die Chancen aus, nach New Yorker Vorbild
eine ganze Stadt das gleiche Buch lesen zu lassen: "'One Book, One New York' heißt die Aktion von Bürgermeister Bill de Blasio, bei der so viele StadtbewohnerInnen wie möglich parallel das gleiche Buch lesen und diskutierten sollen. Fünf Titel stehen zur Auswahl, über die die New Yorker diesen Monat online oder an digitalen Säulen
auf den U-Bahnhöfen abstimmen können. Vom März an sollen die Menschen das Buch innerhalb von drei Monaten lesen. In der Stadt und bei öffentlichen Veranstaltungen können sich Interessierte dann darüber austauschen."
Von aktuell wieder hoch kochenden
Literaturdebatten - Felix Philipp Ingold beklagte in der
NZZ den Sprachverfall der Literatur (
mehr hier), Martin Doerry im
Spiegel den Sprachdurchfall der Literaturwissenschaft (
mehr hier und
hier) -
bittet Klaus Kastberger auf
ZeitOnline doch bitte Abstand zu nehmen: "Hören wir doch endlich mit dem
apokalyptischen Totentanz um die Literatur auf. Eine so lebendige und heterogene Szene des Schreibens wie heute hat es in der Geschichte der deutschsprachigen Literatur niemals zuvor gegeben." Auch die Literaturwissenschaftlerin Frauke Berndt
weist in der
NZZ Doerrys Polemik gegen ihr Fach weit von sich.
Weiteres: Zum Valentinstag plaudert Sandra Kegel in der
FAZ mit dem Germanisten Peter von Matt über den
Kuss in der Literatur. Paul Laity
unterhält sich im
Guardian mit
Jonathan Lethem über Trump, kulturelle Aneignung und seinen neuen, im Horror-Genre angesiedelten Roman "The Blot". Martina Knoben schreibt in der
SZ zum Tod des
Manga-Meisters Jiro Taniguchi. In der
FAZ gratuliert Paul Ingendaay dem großen Lektor
Hansjörg Graf zum 95. Geburtstag.
Besprochen werden
Jerome Charyns "Winterwarnung" (
Welt),
Chris Kraus' "I Love Dick" (
SZ) und
Paul Murrays "Der gute Banker" (
FAZ).
Bühne, 14.02.2017
Joyce DiDonato als Semirade. Foto: Münchner Staatsoper.
Das Aufregende an David Aldens Inszenierung von Rossinis "Semiramide" ist die fantastische
Joyce DiDonato, meint Reinhard Brembeck in der
SZ: "Semiramide, hierzulande besser bekannt als Semiramis, die legendäre Gründerin Babylons, ist
ein grandioser Prachtcharakter. Kein Wunder, dass Gioachino Rossini ihr seine längsten und abgründigsten Tongirlanden gewidmet hat. Schon deshalb kommt die 1823 uraufgeführte Oper 'Semiramide' nur selten auf die Bühne. Denn dafür braucht es eine überirdisch gute Sängerin, die aus
Rossinis Tonlametta diesen Prachtcharakter hervorzaubern kann. Joyce DiDonato, 48, ist eine der wenigen Ausnahmesängerinnen, die das kann... Jede ihrer Melodien und Koloraturen ist verschattet und vielfach gebrochen. Semiramides Albträume und Ängste irrlichtern beständig durch DiDonatos Gesang. Jeder Ton ist anders gefärbt, die Phrasen schwellen an ins Nichts, sie brechen unvermittelt ein, sie sind so
gezackt und zerschlissen wie die gebeutelte Psyche dieser Frau."
Weiteres: Bernhard Jarosch berichtet in der
FAZ von den Thementagen "Erfindung Europa" im Schauspiel Frankfurt. Christine Wahl
verabschiedet in der
NZZ Claus Peymann, der am Wochenende am Berliner Ensemble seinen letzten großen Auftritt hatte (siehe unser
Efeu von gestern). Im
Standard schreibt dazu Joachim Lange.
Musik, 14.02.2017
Im
Tagesspiegel resümiert Gerrit Bartels die
Grammy-
Verleihung, bei der die Stars sich in kleineren Gesten und Posen gegen Trump übten.
Welt-Kritiker Hannes Stein
verzweifelte allerdings an der schieren Bravheiten der kleinen Spitzen: Das war "
dermaßen zahm, dass der Berichterstatter sich auf schreckliche Weise an das DDR-Kabarett 'Distel' erinnert fühlte, in dem es unter der Diktatur erlaubt war, manchmal ganz sanft wider den Stachel zu löcken, solange sich kein Parteifunktionär dabei auf den
roten Schlips getreten fühlte."
Weiteres: Auf
Pitchfork stellt die Folklegende
Shirley Collins die prägendste Musik ihres Lebens vor. Julian Weber
schreibt in der taz zum Tod von
Al Jarreau. Besprochen wird eine Compilation mit
afrikanischer Psych-
Musik der 70er Jahre (
Pitchfork).
Kunst, 14.02.2017

Nun hat
Wolfgang Tillmans seine Einzelschau in der
Tate Modern bekommen. Im
Guardian porträtiert Sean O-Hagan Tillmans als politischen Künstler: "Tillmans speaks fondly of the halcyon days of acid house culture and what he calls the '
pan-European language of techno', two connected youth cultural moments that, in their
ecstasy-fuelled utopianism, convinced him that 'my generation had overcome the cold war and were coming together in a new spirit of inclusion'. Since then, as that optimism has abated, his photography has been marked by its
shifts in style and by his determination to
avoid the traditional. His exhibitions can appear wilfully haphazard both in terms of their seemingly unrelated subject matter - portrait next to still life next to abstraction next to landscape - and his eschewal of the accepted norms of the gallery show."
(Bild: Wolfgnag Tillmans, Astro crusto, 2012)