Efeu - Die Kulturrundschau

Sex ist langweilig, außer man hat ihn

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16.05.2017. Aufatmen, ruft Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui in der taz Europa zu: Es ist alles voller Möglichkeiten! Von einem schwachen Stückemarkt in Berlin berichtet die Nachtkritik. Ridley Scott dreht Sexszenen nur, wenn sie unheimlich sind, verrät er der SZ. Und beim Konzert des Entertainers Bruno Mars begibt sich die SZ frohlockend ins musikalische Kraftwerk.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.05.2017 finden Sie hier

Bühne

Im Interview mit der taz gibt Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui brave Antworten zu diesem und jenem und offeriert dann doch noch eine hübsche Erkenntnis: "Ich bin in einem Vorort von Antwerpen aufgewachsen, habe Tanz durch den Fernseher entdeckt, und jetzt arbeite ich mit den besten Kompagnien. Es ist alles voller Möglichkeiten - das ist für mich die europäische Erfahrung. Heute gibt es anstelle des American Dream den European Dream!"

"Es war ein verhältnismäßig schwacher Jahrgang", notiert Eva Biringer in der nachtkritik nach vier Tagen Stückemarkt beim Berliner Theatertreffen (hier der Liveblog): Die sechs präsentierten Stücke umkreisten die Themen Mutterschaft, Feminismus, Osteuropa und soziale Utopie, erfahren wir. Doch man bleibe dabei sehr unter sich: "Es reicht eben nicht, Personen des öffentlichen Interesses in einen dem digitalen Zufallsprinzip verhafteten Kontext zu setzen, vor allem, wenn man sich über das Klum-Trump-Jong-un-Feindbild so einig ist wie die Angehörigen der Theatertreffen-Bubble."

Weiteres: Nikolaus Merck berichtet in der nachtkritik von der "2. Bundesweiten Ensemble-Versammlung" des Ensemble-Netzwerks in Potsdam zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen der Schauspieler.

Besprochen werden Claudia Bauers Adaption von Peter Richters Roman "89/90" beim Berliner Theatertreffen ("Nirgends ist Ruhe an diesem Abend, alles in Aufregung. Es ist viel Hysterie, viel Groteskes, Überzeichnetes, nirgends ohrensesselhafte Erinnerungsgemütlichkeit", lobt Dirk Pilz in der Berliner Zeitung), Dominik Flaschkas Muscial "The Show Must Go Wrong" im Zürcher Theater am Hechtplatz (NZZ), die Uraufführung von Jez Butterworths "Der Fährmann" am Londoner Royal Court Theatre in der Inszenierung von Sam Mendes (FAZ), Chen Tianzhuos Musiktheater "Ishvara" bei den Wiener Festwochen (FAZ), Stefan Puchers Inszenierung von "Kasimir und Karoline" in Stuttgart (FR) und Stephan Kimmigs Inszenierung der "Phädra" am Deutschen Theater (SZ).
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Kunst

Colette M. Schmidt besucht für den Standard in Venedig die Pavillons von Syrien, dem Irak und Iran. Im Guardian setzt Adrian Searle seine Streifzüge über die Biennale in Venedig fort. Und Helena Smith berichtet von der Kritik in Athen an der Documenta. In der FAZ freut sich Kolja Reichert, dass der 1939 geborene Künstler und "Goldener Löwe"-Gewinner von Venedig, Franz Erhard Walther, endlich Anerkennung findet.

Besprochen werden zwei Picasso-Ausstellungen in Paris: "Olga Picasso" im Musée Picasso und "Picasso Primitif" im Musée du Quai Branly (NZZ), eine Edition von Sigmar Polke im me Collectors Room in Berlin (taz), eine Ausstellung des Malers Adolf Erbslöh im Von der Heydt-Museum in Wuppertal (FAZ) und Lena Henkes Installation "Schrei mich nicht an, Krieger" in der Rotunde der Frankfurter Schirn (FR).
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Film


Zum Glück keine Sexszene: Dankbarer Schauspieler in "Alien: Covenant" (Bild: Fox)

Ridley Scott
hat diese Woche mit "Alien: Covenant" (mehr) nicht nur einen neuen Film im Kino, sondern auch zur Audienz der brav antanzenden Presse geladen. Herausgekommen sind dabei recht kurzweilige Gespräche. David Steinitz von der SZ hat ihn vor allem zu seiner Arbeitsweise befragt - was der befragte Regisseur gleich zum Anlass nimmt, dem Kritiker mit diversen Smartphones zu demonstrieren, wie man eine Szene gleichzeitig aus vielen Perspektiven filmt, ohne am Ende lauter Kameramänner im Bild zu haben. Auch erfahren wir, warum es bis "Alien: Covenant" dauern musste, bis der 80-jährige Filmemacher seine erste, richtige Sexszene drehte: "Sex ist im Grunde langweilig, außer man hat ihn. Auch Schauspieler haben in der Regel keine Lust auf solche Szenen und sind froh, wenn ich ihnen das erspare. Aber wenn es doch mal in die Geschichte passt, wie hier, habe ich nichts dagegen. Ich finde, die Szene ist schön unheimlich geworden, es geht auch mehr um den Schockeffekt als um Nacktheit."

Ulrich Lössl von der FR hat unterdessen nachgefragt, ob Scott an Außerirdische glaubt, ob es Gott gibt, wie er es mit Technologie im Alltag hält und ob er seinen Laptop auch mal offen rumstehen lässt: "Ich habe überhaupt keinen Laptop! Ich mache alles mit dem Smartphone. Und wenn ich meinen Laptop offen stehen lassen würde, was könnte man dann schon sehen? Wie ich Sex mit meiner Frau habe? Oder dass ich fluche? Ich könnte also sagen: Was soll's? Aber so einfach ist das eben nicht. Das hat Oliver Stones Film 'Snowden' sehr gut gezeigt. Wir werden mittlerweile ja fast immer und überall ausspioniert. Und das ist nichts anderes als Hausfriedensbruch."

Weiteres: Matthias Dell sichtet für den Freitag Versuche, sich dem NSU-Skandal filmisch zu nähern, darunter Sobo Swobodniks "6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage - Die Morde des NSU", der diese Woche startet. Cosima Lutz berichtet in der Welt von den Internationalen Kurzfilmtagen in Oberhausen.

Besprochen werden Guillaume Senez' Teenieschwangerschaftsdrama "Keeper" (SZ) und Mike Mills' "20th Century Women" (ZeitOnline).
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Musik

Bruno Mars will, Bruno Mars kann: Aus dem Staunen über die Livequalitäten des hawaiianischen Popsängers und Superstars kommt SZ-Kritiker Andrian Kreye beim Münchner Konzert nicht mehr heraus. Geradezu größenwahnsinnig sei die pophistorisch im übrigen sehr souveräne und bestens informierte Performance, sagt Kreye: Dieser "Größenwahn ist eine realistische Selbsteinschätzung. ... Die Qualität der Vorbilder war es, die Aggressivität und Erotik des Funk elektrisch zu einem breiten Klangbild aufzupumpen, das wie eine Woge die Hörer erfassen und vor sich hertreiben konnte. Bruno Mars nimmt diesen Effekt und legt in der zweiten musikalischen Ebene noch einen anderen darunter. Der stammt aus der Musik seiner Kindheit (er wurde 1985 geboren), dem New Jack Swing, einem Versuch, Soul mit den Elektrobeats des frühen Hip-Hop zu modernisieren. Weil die Technologie aber inzwischen sehr viel weiter ist als die spitzen Elektroklänge aus den ersten Schlagzeugcomputern und Synthesizern, wird die Vergangenheit live zum musikalischen Kraftwerk." Die Lichtshow ist jedenfalls schon ziemlich wuchtig, wie diesem Video zu entnehmen ist.

Weiteres: Stefan Strauß porträtiert für die Berliner Zeitung den Alphaville-Sänger Marian Gold.

Besprochen werden ein in China spontan gegebenes Klavierkonzert von Wladimir Putin (ZeitOnline), das Wiener Konzert der Fehlfarben (Skug), ein Konzert der Philharmonia Zürich mit Anne-Sophie Mutter (NZZ), ein Konzert von Diamanda Galás (Tagesspiegel), das neue Album von Helene Fischer (Tagesspiegel) und Arto Lindsays Album "Cuidado Madame" (taz),

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Literatur

Der unter dem Pseudonym Bandi veröffentlichte Geschichtenband "Denunziation" sorgt derzeit für einiges Aufsehen: Angeblich sollen die Geschichten von einem nordkoreanischen Dissidenten stammen und außer Landes geschmuggelt worden sein. Erstmals erschienen sind sie 2014 in Südkorea - in einem Verlag mit rechter Schlagseite, erklärt Mark Siemons in der FAZ. Die Debatte in Südkorea befasste sich denn auch in erster Linie mit der Authentizität der Erzählungen (worauf die deutsche Ausgabe in einem Vorwort ebenfalls aufmerksam macht). Eigentlich unerheblich, meint Siemons dazu. Denn: Ein neuer Solschenizyn tauche hier nun wirklich nicht am literarischen Horizont auf. Die tristen Erzählungen "wirken dermaßen konstruiert, auf eine abstrakte Lehre hin getrimmt, dass sie kaum einen eigenen, literarischen Zugang zur Lebenswirklichkeit des Landes bieten. ... Man hat den Eindruck, der sozialistische Realismus nordkoreanischer Spielart habe da einfach nur sein ideologisches Vorzeichen ausgetauscht, seine Rezeptur keimfreier Didaktik ansonsten aber getreulich beibehalten: anti-sozialistischer Realismus."

Besprochen werden Gerald Murnanes "Die Ebenen" (Tagesspiegel), Daniel Clowes' Comic "Patience" (Tagesspiegel), der neue "Lucky Luke"-Comic (taz), die vom Goethe-Institut herausgegebene Ebook-Anthologie "Hausbesuch" (taz), Urs Faes' "Fahrtenbuch" (FAZ), Bücher von Niroz Malek und Hamed Abboud (NZZ) sowie Primo Levis "So war Auschwitz. Zeugnisse 1945-1986" und "Ich, der ich zu Euch spreche. Ein Gespräch mit Giovanni Tesio" (SZ).
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