Efeu - Die Kulturrundschau

Heilige, Helden und Narren

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13.07.2017. Die taz feiert die erotischen Momente in João Pedro Rodrigues' Film "Der Ornithologe". Die NZZ staunt über die schöne Leich Literatur, die Franzobel in Klagenfurt beerdigte. Die Welt bewundert Kampf und Krampf des abstrakten Ideals in der Haager Mondrian-Ausstellung. 
9punkt - Die Debattenrundschau vom 13.07.2017 finden Sie hier

Film


Szene aus João Pedro Rodrigues' "Der Ornithologe"

Ein Mann zieht sich zu Vogelbeobachtungen in einen Wald zurück, kentert dort mit seinem Boot in den Stromschnellen und stößt im tiefen Inneren des Waldes auf eine sonderbare Welt, die auch ihn selbst mehr und verzaubert - mit "Der Ornithologe" fügt der portugiesische Regisseur João Pedro Rodrigues seiner queeren Filmwelt ein weiteres Fragment hinzu, schreibt Toby Ashraf in der taz und genießt "die schöne Irritation über den surrealen und oft absurd-komischen Kosmos" dieses Films. Der auch in den Tiefen der Kunstgeschichte lustvoll wühlende Film biete eine Vielzahl "erotischer Momente, die sich nicht mehr mit identitären Begriffen wie 'schwul' begreifen lassen. Und genau in diesen betörenden und verstörenden, merkwürdigen und wundersamen Momenten der Inszenierung liegt das Aufregende und das Schöne dieses Films." Cosima Lutz konstatiert in der Welt: "Der Ornithologe" erzählt "vom Begehren, der Furcht und der schieren Möglichkeit, (auch) ein anderer zu sein. Und er erzählt es in Bildern, die so gelassen und lustvoll Schabernack treiben mit heidnischen und christlichen Motiven, dass beides ununterscheidbar wird." Weitere Besprechungen auf critic.de, kino-zeit.de und ZeitOnline.

Weiteres: Die FAZ hat Rainer Rothers Beitrag zum Debatte ums Filmerbe (hier unser Resümee) online nachgereicht. Für die SZ spricht David Steinitz mit Eleanor Coppola, Ehefrau von Francis Ford und Mutter von Sofia, die mit 81 Jahren ihr (von Rainer Ganera besprochenes) Spielfilmdebüt "Paris kann warten" gedreht hat (ein weiteres Gespräch bringt Deutschlandfunk Kultur). Susanne Ostwald wirft für die NZZ einen ersten Blick ins gerade bekannt gegebene Programm des Filmfestivals von Locarno. Fabian Tietke empfiehlt in der taz eine Berliner Filmreihe zum Hongkong-Kino der letzten 20 Jahre. Bei der Münchner Bavaria Film blickt man wieder zuversichtlich in die Zukunft, meldet Thomas Magenheim in der FR. Männer sind laut einem neuen Studienergebnis in Film und Fernsehen doppelt so oft zu sehen wie Frauen, meldet Carolin Ströbele auf ZeitOnline.

Besprochen werden Philippe Van Leeuws "Innen Leben" (NZZ), der neue Netflix-Film "To the Bone" (Die Presse), Milagros Mumenthalers "The Idea of a Lake" (NZZ), Jan Krügers auf DVD veröffentlichter "Die Geschwister" (taz), Tristan Ferland Milewskis Dokumentarfilm "Dream Boat" über schwule Kreuzfahrten (SZ), die Doku-Serie "Writers' Room", die davon handelt, wie Qualitätsserien entstehen (Die Presse) und der neue "Spiderman"-Film (taz, FR, Berliner Zeitung, FAZ, Tagesspiegel).
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Literatur

Eine Zeit, in der die Literatur laut Mahnungen dazu Berufener nicht in ihren letzten Zügen lag, hat es bekanntlich nie gegeben, unkt Roman Bucheli in der NZZ. Aktuell hat diese Mahnung der Schriftsteller Franzobel bei seiner Auftaktrede zum Lesewettbewerb in Klagenfurt übernommen. "Da liegt die schöne Leich", schreibt Bucheli. Doch "ob nun scheintot oder auferstanden von den Toten, ob röchelnd, kämpfend oder jubilierend: Für eine immer wieder lustvoll Totgesagte lebt die Literatur doch eigentlich ganz munter weiter, als wäre ein solcher Meuchelmord der reine Jungbrunnen. Sie lebt sogar so sehr, dass die Schreibschulen von Biel bis Leipzig kräftig Zulauf haben." Und auch Bertelsmann habe gerade immerhin eine große Investition ins Buchgeschäft angeschoben.

Weiteres: Im ZeitMagazin spricht Evelyn Finger mit Andreas Altmann über dessen Buch "Das Scheißleben meines Vaters, das Scheißleben meiner Mutter und meine eigene Scheißjugend". Die FAZ hat Kurt Drawerts Bericht seiner ersten Kertesz-Lesung online nachgereicht. Für die FAZ hat Andreas Rossmann Jürgen Beckers Kölner Lesung aus seinem neuen Buch "Graugänse über Toronto" besucht. Franziska Meier erinnert in der NZZ an die vor 200 Jahren verstorbene Schriftstellerin Madame de Staël. Zum 200. Geburtstag von Henry David Thoreau (und die aus diesem Anlass entstandenen Bücher) schreiben Wieland Freund (Welt), Cosima Lutz (ebenfalls Welt), Otto Böhmer (FR), Sylvia Prahl (taz) und Christian Schröder (Tagesspiegel).

Besprochen werden Helmuth Kiesels "Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1918 - 1933" (Tagesspiegel), Jakob Noltes "Schreckliche Gewalten" (taz), Andrej Kurkows "Die Welt des Herrn Bickford" (FAZ) und Simon Strauß' "Sieben Nächte" (SZ).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
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Kunst


Piet Mondrian, Flowering apple tree, 1912, Gemeentemuseum Den Haag

Hans-Joachim Müller verneigt sich in der Welt vor Piet Mondrian und blickt fast ein bisschen gerührt auf dessen Werk, dem das Gemeentemuseum in Den Haag gerade eine große Retrospektive widmet: "Heute sieht man deutlicher, wie viel Kampf und Krampf das abstrakte Ideal bedingt. Und es ist eine wunderbare Tragik, dass sich das ersehnte Absolute eben doch nicht im Bild einlösen lässt, dass es das Ungegenständliche bleibt, das sich auch im ungegenständlichen Bild nicht vergegenständlichen lässt. Léger hat es auf den Punkt gebracht: 'Vielleicht wird sie von der Zukunft als ein 'künstliches Paradies' betrachtet werden, aber ich glaube das nicht. Denn diese Kunstrichtung ist beherrscht von dem Streben nach Perfektion und völligem Freisein - ein Verlangen, das Heilige, Helden und Narren hervorbringt.'"

Besprochen werden weiter eine von Beral Madra ursprünglich für die Biennale von Çanakkale kuratierte Ausstellung in der Kunsthalle Osnabrück (taz), eine Schau mit "Instructions for Happiness" im 21er-Haus in Wien (Standard), eine Ausstellung von Rollbildern zum Vessantara-Epos in Thailand im Völkerkundemuseum Zürich (NZZ) und eine Schau mit Druckgrafiken des Renaissancekünstlers Lucas van Leyden in der Münchner Pinakothek der Moderne (FAZ).
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Bühne

In der Berliner Zeitung verabschiedet Birgit Walter den Direktor der Hochschule für Schauspielkunst, Wolfgang Engler, in den Ruhestand. In der NZZ porträtiert Daniele Muscionico Sandro Lunin, bisheriger Co-Direktor des Zürcher Theaterspektakels und künftiger künstlerischer Direktor der Kaserne Basel. In der SZ berichtet Joseph Hanimann vom Theaterfestival in Avignon, dem trotz des Schwerpunkts Afrika das Afrikanische fehlt.

Besprochen werden die Choreografie "Los hijos del director" (Die Kinder des Direktors) des kubanischen Choreografen George Céspedes beim Stuttgarter Tanzfestival Colours (Stuttgarter Nachrichten, FR), Patrick Kinmonths Inszenierung von Mozarts "La Clemenza di Tito" am Staatstheater Karlsruhe (Badische Zeitung, FR) und Tanja Krones "The European House Of Gambling" im Stuttgarter Theater Rampe (nachtkritik).
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Musik

Woody Allens Konzert in der Elbphilharmonie wurde von Femen-Aktivistinnen gestört, meldet Stefan Krulle in der Welt. Im Publikum saß auch der Komiker Oliver Polak, dessen Bericht von dem Abend die Welt ins Bezahlarchiv gesteckt hat. Hintergrund der Aktion, meldet Spon, soll der jahrelange Streit um die Frage sein, ob Allen seinen damals siebenjährigen Adoptivtochter Dylan sexuell missbraucht hat, wie es ihm seine Exfrau Mia Farrow vorwarf. Er hatte das stets bestritten und wurde auch nie verurteilt. "Die Femen-Frauen erklärten: 'Keine Verurteilung ist hier kein Beweis der Unschuld.'" Allen nahm es aber offenbar recht gelassen hin:



Christoph Fellmann resümiert im Tagesanzeiger das Jazzfestival von Montreux. Für Die Presse porträtiert Teresa Schaur-Wünsch den Popsänger Philipp Poisel. Christopher Warmuth berichtet in der FAZ von den Rencontres Musicales in Evian.

Besprochen werden ein Konzert von Jean-Michel Jarre (Tagesspiegel), Nick Broomfields und Rudi Dolezals Dokumentarfilm über Whitney Houston (Standard), das Debütalbum von Mura Masa (Welt), ein Auftritt von Arcade Fire (Standard, Die Presse), ein Konzert von Frank Braley und den Brüdern Capuçon (FR), ein Konzert des Rappers Talib Kweli (FR) und das Berliner Konzert von U2 (Tagesspiegel, Berliner Zeitung, SZ).
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