12.08.2017. Bei Dezeen staunt die Kostümbildnerin Ane Crabtree, dass ihre Kostüme für "The Handmaid's Tale" selbst in Polen von der Frauenbewegung aufgegriffen werden. In der Welt erzählt der Schriftsteller Viet Thanh Nguyen, wie er Amerikaner wurde, um die amerikanische Erzählung zu verändern. Art Magazin porträtiert den niederländischen Künstler und Werber Erik Kessels. In der NZZ erklärt der Intendant des Lucerne Festivals Michael Haefliger das Motto dieses Sommers: Identität. In Locarno ducken sich die Filmkritiker vor den heute kommenden Leoparden.
Im Art Magazin porträtiert Sabina Paries den niederländischen Künstler und Werber Erik Kessels anlässlich einer Retrospektive im NRW-Forum in Düsseldorf. Kessels entpuppt sich dabei als eine Art fröhlicher Autodidakt, der keinerlei Berührungsängste hat und viel mit Found Footage Fotos arbeitet oder mit "Gebrauchsfotografie aus Flyern und Sachbüchern, die - aus dem ursprünglichen Zusammenhang gerissen - zu Kunst wird", so Paries. "'Anfangs fürchtete ich, dass die Kunstpresse nur darüber schreiben würde, wie exotisch es sei, dass ein Werber auf Künstler mache.' Tatsächlich hatten und haben die Kollegen aus der Werbung ein Problem mit Kessels Ausflügen ins vorgeblich Abseitige. Erik Kessels sagt, er könne und wolle nicht anders. 'Ich bin physisch und in meinem Kopf ständig von Bildern umgeben. Wir leben in einer Art Renaissance. Künstler machen ihr eigenes Grafikdesign, ihre eigenen Bücher.'"
Édouard Vuillard, L'Avenue (Blatt 2), 1899, Lithografie in sechs Farben, Städel MuseumWeiteres: Im Städel-Blog erzählt Martin Sonnabend - anlässlich der Ausstellung "Géricault bis Toulose-Lautrec. Französische Lithografien des 19. Jahrhunderts" in der Graphischen Sammlung des Städel - von den Anfängen der Farblithografie. Im Guardianporträtiert Stuart Jeffries den 80-jährigen Künstler, Filmemacher und Musiker Tom Phillips.
Besprochen werden eine Ausstellung mit Fotografien des von den Nazis nach Amerika geflohenen Architekten Alfred Ehrhardt in der Berliner Alfred Ehrhardt Stiftung (Tagesspiegel) und die Ausstellung "Norbert Schwontkowski. Dem Tod ins Gesicht gelacht" im Museum Goch bei Köln (FAZ).
Design, 12.08.2017
Szene aus "The Handmaid's Tale" mit den Kostümen von Ane Crabtree
Im Gespräch mit Alice Morby von Dezeen kann es die Kostümbildnerin Ane Crabtree immer noch nicht ganz fassen, welchen Einfluss ihre Kostüme für die amerikanische Serie "The Handmaid's Tale" (Die Geschichte der Dienerin) auf die Frauenbewegung haben. Die Frauen im Film, die nach einer Nuklearkatastrophe als eine Art Gebärmaschinen gehalten werden, müssten hochgeschlossene Kleider tragen, bodenlange Capes und Hauben, wenn sie ausgehen. "Since the show premiered in May, activists in Ohio have worn the costumes while staging a protest against a bill placing more restrictions on abortion, and Polish women have donned the attire to show their contempt for President Trump's visit to their country. 'My jaw dropped open - it's jarring and emotional to see them use these costumes,' Crabtree told Dezeen. 'The thing that's so intensely poetic for me is that women are coming together and they're finding power in a uniform that was meant to hinder them and imprison them - that to me is the perfect outcome.'"
Literatur, 12.08.2017
Mit EgonAmmann ist ein echtes Originalgenie der Verlagsbranche gestorben, würdigt Roman Bucheli in seinem Nachruf in der NZZ den Schweizer Verleger: Unter den zahlreichen großen Verlegerfiguren "war Ammann mit Sicherheit der verrückteste und der leidenschaftlichste. ... Keiner tanzte verwegener auf dem Hochseil der Verlegerei als Egon Ammann; kein Abgrund schreckte ihn, je gähnender, desto willkommener. Er stürzte sich in jedes Abenteuer, manchmal fiel er, und es kümmerte ihn nicht; manchmal aber zauberte er, und es sah ganz einfach aus."
Wieland Freund erzählt in der LiterarischenWelt von seiner Begegnung mit dem amerikanischen SchriftstellerVietThanhNguyen, dessen mit dem Pulitzerpreis ausgezeichneter Roman "Der Sympathisant" zu Teilen von der eigenen Lebens- und Migrationsgeschichte handelt. Im Zuge des Gesprächs erweist sich der Autor als buchstäblich subversiv: Um seine Perspektive auf die gemeinsame Geschichte von Vietnam und den USA in die Öffentlichkeit bugsieren zu können, habe er sich selbst den USA anverwandelt, sagt der als Vierjähriger mit seinen Eltern nach dem Fall von Saigon in die USA geflohene Autor: "Ein Weg, Amerikaner zu werden, war, perfektesEnglisch zu sprechen. Ein Weg, die Wahrnehmung von Vietnamesen und Asiaten durch die Amerikaner zu verändern, war, ein Geschichtenerzähler zu werden, um die amerikanische Erzählung verändern zu können. Ich musste beweisen, dass ich so gut schreiben kann wie jeder andere amerikanische Schriftsteller. ... Und jetzt, wo ein Teil von mir einer ist und ich den Pulitzerpreis gewonnen habe, bin auch ich Teil des Imperiums."
Franz Kafkas "Prozess"-Manuskript (Bild: Berliner Festspiele/DLA-Marbach)
Fasziniert berichtet die SchriftstellerinKatjaPetrowskaja in einem online nachgereichtenFAS-Artikel von ihrem Besuch in der Kafka-Ausstellung im Berliner Gropiusbau, in der das Manuskript zu "Der Prozess" zu sehen ist: "Die Seite mit dem berühmten Anfang (...) ist dicht beschrieben (wie auch die anderen Seiten in dem Manuskript). Es gibt zwar Abstände zwischen den Zeilen, aber keine freien Ränder, als wollten diese Schrift und dieser Text nicht nur die Seite erobern, sondern die ganze Welt. Sehe ich hier das Verhängnis eines Schreibenden? Josef K. ist verhaftet, und alles gehört zu seiner Verurteilung. Ich schaue dieses Blatt lange an, im Versuch zu verstehen, wie die Totalität des Textes entsteht, was für eine optische Verwirrung aus den linearen Zeilen den Trichter des Leseprozesses erschafft."
Weiteres: In der LiterarischenWeltentwirft der SchriftstellerFrancisSpufford ausgehend von seinen Roman-Recherchen in New York eine PoetikdeshistorischenRomans, den er im Zuge vor Vorwürfen, bloß kommode Lektüre zu bieten, verteidigt: "In meinen Augen ist historische Fiktion eine der zentralen Möglichkeiten im Repertoire realistischer Fiktion überhaupt." Für die FAZ porträtiert Hannes Hintermeier den bosnisch-muslimischen SchriftstellerDževadKarahasan, der sich leidenschaftlich zu Europa bekennt: "Ich bin jederzeit bereit, das christliche Abendland zu verteidigen." Die Zeit hat ihr Gespräch mit VirginieDespentes (unser Resümee) online nachgereicht. Anlässlich neuer Veröffentlichungen von und über AndreiPlatonow, schreibt Ulrich M. Schmid in der NZZ über Leben und Werk des von Stalin persönlich verfemten sowjet-russischen Schriftstellers. Die Literarische Weltbringt außerdem zwei Briefe von CharlesBukowski an HenryMiller. Deutschlandfunk Kulturbringt Carsten Huecks Feature über den litauischen LyrikerTomasVenclova. In der NZZdenkt Paul Jandl mit Hegel, Kraus und Doderer über Lärm und Stille nach.
Besprochen werden unter anderem EmmanuelCarrères "Russischer Roman" (FR), ZadieSmiths "Swing Time" (LiterarischeWelt), SimonStrauß' Sieben Nächte" (taz), ZiaHaiderRahmans "Soweit wir wissen" (NZZ), DirkKurbjuweits "Die Freiheit der Emma Herwegh" (NZZ) und JavierDeIsusis Comic "Ich habe Wale gesehen" (Tagesspiegel).
Bühne, 12.08.2017
Sandra Luzina trifft sich für den Tagesspiegel mit der spanischen Choreografin La Ribot, der das Berliner Festival "Tanz im August" eine Retrospektive gewidmet hat. In der tazplaudert die Schauspielerin Erika Pluhar im Interview über ihr Leben, Kollegen und Liebe im Alter.
Besprochen werden Claudio Monteverdis Oper "Ulisse" bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik (Standard), die Uraufführung von Mario Wurmitzers Stück "Werbung Liebe Zuckerwatte" beim Thalhof-Festival in Reichenau/Rax (Standard, nachtkritik) und Tania Brugueras Inszenierung von Samuel Becketts "Endspiel" beim Internationalen Sommerfestival auf Kampnagel Hamburg (nachtkritik, dazu gibt's ein Interview mit der Regisseurin bei Art).
Film, 12.08.2017
Zarte Bildsprache: Astrid Johanna Ofners "Abschied von den Eltern".
Endspurt in Locarno, heute werden die Leoparden vergeben. Susanne Ostwald spekuliert in der NZZ über die Jury-Entscheidungen. Die Nebensektion "Cineasti del Presente" schien "dem Hauptwettbewerb dieses Jahr überlegen", resümiert Dominik Kamalzadeh im Standard. Hier stach AstridJohannaOfnersVerfilmung von PeterWeiss' autobiografischer Erzählung "Abschied von den Eltern" heraus, sagt er: Die Regisseurin habe die Geschichte "auf so behutsame Weise auf die Leinwand gepinselt, dass man ihr mit gespannten Sinnen folgt. ... Ofners zarte, assoziativeBildsprache lässt den von Zweifeln erfüllten Worten den Raum, den sie zum Atmen brauchen. Zugleich fügt sie ihnen eine Welt hinzu, in der sie Nachhall finden. Das Überdeutliche ist Ofner dankenswerterweise zuwider."
Visuelle Miniaturen: Wang Bings "Mrs Fang".
WangBing erschafft in seinem Dokumentarfilm "Mrs Fang", der das Sterben einer Frau begleitet, Miniaturen, die "mit zum visuell Schönsten zählen", was man auf diesem Festival sehen konnte, schwärmt Lukas Foerster im Cargo-Blog. Auf kino-zeit.de berichtet Patrick Holzapfel unter anderem von seinem Problemen, den Wünschen seiner Redaktion nach Aktualität nachzukommen, wo er doch viel lieber über die Tourneur-Retrospektive schreiben möchte: "Es ist Tourneur, der sich in meinen Gedanken und Gefühlen festhält, wogegen viele aktuelle Filme in mir verschwinden, nachdem ich sie gesehen habe." Im Deutschlandfunk Kultur unterhält sich Patrick Wellinski mit ToddHaynes, der in Locarno mit dem Ehren-Leoparden ausgezeichnet wird. Urs Bühler widmet sich in der NZZ den kulinarischenGenüssen, die mit einem Festivalbesuch einher gehen. Außerdem tadelt er das Ticketsystem.
Weiteres: Der Netflix-Serie "Atypical" über einern Schüler mit Asperger mangelt es an Feingefühl, schreibt Lina Muzur im "10 nach 8"-Blog auf ZeitOnline. In Russland läuft die orthodoxe Kirche Sturm gegen AlexejUtschitels historischen Film "Matilda", meldet Barbara Oertel in der taz. In der Weltbefasst sich Hanns-Georg Rodek mit der neuerdings wieder in den Nachrichten auftauchenden pazifischen Insel Guam als Filmschauplatz.
Besprochen werden NicoSommers Komödie "Lucky Loser" (Tagesspiegel) und der neue "Planet der Affen"-Film (Freitag).
Architektur, 12.08.2017
FlowerHouse vom Berliner Architektur- büro Gorenflos. Foto: Philipp ObkircherLaura Weißmüller (SZ) lernt von experimentellen Architekten in München, Wien und Berlin, wie man sehr kleine Wohnungen gut gestalten kann. Zum Beispiel das "Flower House, eine Art Riesenblüte aus weißen Luftkissen. Der Berliner Architekt Matthias Gorenflos hat die pneumatische Konstruktion auf einem elliptischen Stahlunterbau entworfen. Im drei Quadratmeter großen Inneren - Raum möchte man es eher nicht nennen - hat bereits der erste Bewohner seine sonnenblumengelbe Luftmatratze ausgerollt, Joachim Klöckner. Der asketische Mann im weißen, kurzbeinigen Overall ist eine Art Minimalismus-Guru, vor Jahren hat er sich eine Entschlackungskur verordnet. Seitdem besitzt er nur 50 Dinge, die alle in seinen gelben Rucksack passen. Klöckner ist begeistert von der Konstruktion, die sich wie ein Einkaufswagen überall hinschieben lässt. 'Das ist wie für mich gemacht. Wenn man nachts hier schläft, kann man die Sterne sehen', schwärmt der 68-Jährige, der alle drei Monate umzieht."
Bei Domusstellt Giaime Meloni Künstler-Architektur-Duo Mauricio Pezo und Sofia von Ellrichshausen vor, dem gerade eine Ausstellung in der Pariser Galerie Solo gewidmet ist. Hingewiesen wird bei Domus außerdem auf eine Ausstellung zum norwegischen Architekturbüro Snøhetta im aut. architektur und tirol Zentrum in Innsbruck.
Musik, 12.08.2017
Gestern abend wurde das Lucerne Festival 2017 eröffnet. Im Interview mit der NZZ erläutert Intendant Michael Haefliger das Motto dieses Sommers: Identität. Mit Abgrenzung hat das für ihn nichts zu tun, eher mit einer permanenten Suche: "Für mich ist es eine Illusion, zu glauben, es gebe so eine geschlossene, unwandelbare kulturelle Identität. Der Reichtum, der unsere Kultur heute auszeichnet, ist doch gerade dadurch entstanden, dass wir immer schon Einflüsse aus anderen Kulturkreisen aufgenommen und für uns nutzbar gemacht haben. Nehmen wir in der Musik etwas so Einfaches wie die Pentatonik: Sie stammt aus dem asiatischen Raum, aber durch die Übertragung in unsere Ganztonleitern werden die impressionistischen Klangwunder Debussys möglich, und der Exotismus zieht ein in die Musik. Die ethnologische Forschung hat ja aufgezeigt, welche Vielfalt es etwa auch in den archaischen Musikkulturen in Afrika gibt, manchmal unterscheidet sich das von Dorf zu Dorf."
Außerdem dokumentiert die NZZIso Camartins Rede zur Eröffnung des Festivals, die sich ebenfalls mit dem Motto "Identität" auseinandersetzt. Und Christian Wildhagen stellt das Programm vor.
Weiteres: Ole Schulz porträtiert in der taz den brasilianischen Musiker und Sänger MorenoVeloso. Marlene Gürgen plaudert für die taz mit dem Berliner Rapper PTK, der der Ansicht ist, dass am besten gar niemand mehr nach Kreuzberg ziehen oder dort Geschäfte eröffnen sollte.
Besprochen werden das neue Album "Lust for Live" von LanaDelRey (FR) und ein Arte-Dokumentarfilm über "Sgt. Pepper" vom den Beatles (FR).
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