Efeu - Die Kulturrundschau

Fein, fließend und im Detail aufwendig

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16.08.2017. Die Longlist für den Buchpreis kann die Kritiker nicht gerade zu Begeisterungsstürmen hinreißen. Die NZZ ruft das Ende der Fotografie aus. Außerdem erzählt die senegalesische Autorin Ken Bugul in der NZZ von der Subversion der Schreibens. In der SZ spricht Wang Bing über seine Arbeit als Underground-Filmemacher in China. In der FAZ ruft Matthias Sauerbruch den Freunden von Schinkels Bauakademie zu: "Die Kunst ist überhaupt nichts, wenn sie nicht neu ist."
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.08.2017 finden Sie hier

Literatur

Die Longlist für den Deutschen Buchpreis ist da. Deren Zusammensetzung mit vielen "Stammgästen" findet Jens Uthoff in der taz zwar weitgehend überraschungsarm, doch dass "endlich, endlich auch Sven Regener auf der Liste vertreten ist", freut ihn schon sichtlich. Auch Gerrit Bartels vom Tagesspiegel sieht in dieser Auflistung von Familien- und Liebesromanen "keine übermäßig großen Überraschungen", vermisst aber die neuen Bücher von Michael Köhlmeier, Nicol Ljubic, Sabrina Janesch und Marianna Leky. Sven Regeners Nominierung ist für ihn kein Anlass zum Jubel: Regeners Rückkehr ins Herr-Lehmann-Universum und damit ins Kreuzberg der 80er sei "das beste Beispiel dafür, wie klein die Welt sein kann, wie wenig darin passiert, wie wenig sich überhaupt das Kreuzberg der achtziger Jahre als Abbild von etwas viel Größerem eignet." FAZ-Redakteur Andreas Platthaus vermisst Barbara Zoekes "Die Stunde der Spezialisten". Christoph Schröder beteiligt sich auf ZeitOnline an der Buchpreis-Debatte, indem er verkündet, sich an der Buchpreis-Debatte nicht beteiligen zu wollen - als Grund nennt er seine Erfahrungen als Jurymitglied im Jahr 2016. Und verweist daher nochmals auf Dirk Knipphals tollen Text im Merkur über diese Erfahrungen.

Für die NZZ unterhält sich Angela Schader mit der senegalesischen Schriftstellerin Ken Bugul, die derzeit dank eines Stipendiums in Zürich ist. In ihrer Heimat sind ihre Bücher durchaus skandalträchtig, erfahren wir. Ihr Debüt musste daher unter Pseudonym veröffentlicht werden. "Natürlich war das Publikum perplex. Man hielt es nicht für möglich, dass eine Frau, eine Senegalesin, eine Muslimin, eine Afrikanerin vom Dorf, die einer sehr traditionellen Familie entstammte, es wagte, solche Dinge zu schreiben. ... In einer traditionellen Gesellschaft wie der unseren gibt es Rollen, die mit dem Wort einhergehen. 'Ja', 'Es geht gut', 'Danke', 'Kommt essen', 'Brauchst du etwas?': Das ist das Vokabular, das man der Frau üblicherweise zugesteht. So kann man als Frau schon Grenzen verletzen, indem man spricht; aber schreiben ist noch einmal etwas ganz anderes - das ist Subversion!"

Weiteres: In der Nachtkritik antwortet die Autorin Anna Rabe auf einen der Merkur-Text zu Sexismus an Schreibschulen und Universitäten und widerspricht erbost einer Darstellung von Darja Stocker über ihre gemeinsame Zeit an der Universität der Künste: "In diesem Text befinden sich nicht nur Verdrehungen und Verleumdungen, sondern auch ganz klare Lügen." Ralf Höller erzählt im Freitag von der Sexsucht und anderen Pathologien des Schriftstellers Géza Csáth, denen dieser mit Morphium und anderen Hilfsmitteln beikommen wollte. Die SZ blättert in Iwan Bunins Tagebucheinträgen vom August 1917. Die Welt bringt einen Auszug aus Hannes Steins Krimi "Nach uns die Pinguine".

Besprochen werden Theresia Enzensbergers "Blaupause" (Freitag), Patrick Flanerys "Ich bin niemand" (NZZ), die Wiederveröffentlichung von Andrei Bitows "Georgisches Album" (NZZ), Carmen Stephans "It's all true" (Tagesspiegel), Jörg-Uwe Albigs Novelle "Eine Liebe in der Steppe" (FR) und Colson Whiteheads Sklaverei-Roman "Underground Railroad", den FAZ-Kritikerin Sandra Kegel in höchsten Tönen lobt: Das Buch gehöre "in seiner Schonungslosigkeit zu den wichtigsten Büchern der vergangenen Jahre aus Amerika."
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Film

Für die SZ unterhält sich Catrin Lorch mit dem chinesischen Filmemacher Wang Bing, der gerade in Locarno für seinen Dokumentarfilm "Mrs Fang" mit dem Goldenen Leoparden ausgezeichnet wurde. Nicht nur erfahren wir, dass er seine konzentrierten Dokumentarfilme mit einer kleinen, handlichen Digital-Kamera dreht ("die Linse ist das wichtigste"), sondern auch, wie sein Status in China ist: Dort zirkulieren seine Filme "als Raubkopien. ... Die Raubkopierer sind der einzige Kanal für unabhängige und illegale Filmemacher. Ich bin ja immer noch ein Underground-Filmemacher - und das Web oder Streaming fallen als Möglichkeit in China aus." Und weiter: "Es gibt in China eine ganze Menge Künstler, die unbekannt sind - aber dennoch ein großes Publikum finden."

Weiteres: Im Freitag unterhält sich Matthias Dell mit dem Dokumentarfilmemacher Gerd Kroske, dessen filmische Aufarbeitungen der DDR derzeit auch in den USA auf Interesse stoßen. Anlässlich des Kinostarts von Terry Georges "The Promise", einer vor Hintergrund des Genozids an den Armeniern angesicedelte Liebesgeschichte (hier Susan Vahabzadehs Besprechung in der SZ), beschäftigt sich Amin Fasanefar in der SZ mit der Darstellung Armeniens in der Filmgeschichte.

Besprochen werden die Verfilmung von Stefanie de Velascos Roman "Tigermilch" (ZeitOnline) und eine Marlene-Dietrich-Ausstellung in der National Portrait Gallery in Washington, die sich mit der Dietrich vor allem als Gender-Rollen sprengende Ikone befasst (NZZ).


Und weil's so schön ist: Hier besingt sie in einer phantastisch sitzenden Marineuniform die Schultern von John Wayne:



Archiv: Film

Design

Für den Tagesspiegel besucht Christiane Meixner die dem britischen Möbeldesigner Jasper Morrison gewidmete Ausstellung im Bauhaus-Archiv in Berlin: Dessen gerundete Objekte sind von schlichter Eleganz. Doch "einfach heißt nicht automatisch schmucklos. Morrison gestaltet eher fein, fließend und im Detail aufwendig".

Im ZeitMagazin setzt Dirk Peitz nicht nur zur Ehrenrettung der männlichen Wade, sondern auch der Shorts für Männer an - sofern sie denn kleidsam sind: "Relativ schmal sollte eine Shorts geschnitten sein, einfarbig monochrom und ein paar Zentimeter überm Knie enden. Die sind auch nicht schwer zu finden, denn eigentlich alle halbwegs modischen kurzen Hosen erfüllen heute diese Kriterien."
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