Efeu - Die Kulturrundschau

Die Sprache der Versöhnung

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
05.12.2017. Die NZZ hält den Atem an, wenn Medea in Peter Konwitschnys Inszenierung an der Stuttgarter Oper auf die Knie gehen muss. Die SZ erlebt in Paris mit Wajdi Mouawad Romeo und Julia in der Nahost-Version. Der Freitag berichtet von einer Diskussion zur Zukunft der Berlinale und lernt von Christian Hochhäusler: Beißhemmung ist kein Frieden. Beim Festival in Baden-Baden blickte die FAZ in den Abgrund des deutschen Fersehfilms.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 05.12.2017 finden Sie hier

Film

In Berlin hat am gestrigen Abend Kulturstaatsministerin Monika Grütters mit Christiane Peitz vom Tagesspiegel, Bettina Reitz von der HFF München sowie den Regisseuren Volker Schlöndorff und Christoph Hochhäusler über die Zukunft der Berlinale diskutiert. Anlass dafür, die ursprünglich nicht-öffentlich konzipierte Veranstaltung öffentlich zu machen, ist die seit einigen Tagen geführte Debatte um die Nachfolge von Intendant Dieter Kosslick. Noch in der Nacht hat Matthias Dell vom Freitag ein Resümee der Veranstaltung verfasst und bezeugt darin viel diplomatische Rhetorik, ein "stumpf geführtes Gespräch" und den Unwillen, auf Kritik tatsächlich einzugehen. "Mit dem fundamentalen Zweifel aus dem Heise-Hochhäusler-Referat (...) konnte eine Podiumsroutine, die ihr eigenes Reden eh als wirkungslos begreift, weil es danach noch Häppchen gibt, überhaupt nichts anfangen. Der Hinweis auf die Unterrepräsentation von ostdeutschen Filmemacherinnen wurde weder von Moderator Weinges noch von anderen Teilnehmern der westdeutsch sozialisierten Runde aufgegriffen. Das ist der Stand der Dinge. Und dass er sichtbar wurde, ein Erfolg. 'Beißhemmung ist kein Frieden', sagte Hochhäusler, um die Möglichkeit der Auseinandersetzung zu betonen."

Beim Fernsehfilmfestival in Baden-Baden kam es zum Eklat: Die studentische Wettbewerbsjury weigerte sich, am Ende des Festivals einen Preis zu verleihen - weil schlicht kein "einziger Film auch nur ein einziges Jurymitglied wirklich zu begeistern vermochte", wie es in der verlesenen Erklärung heißt. Auch die Hauptjury, erklärt Axel Weidemann in der FAZ, hatte ihre liebe Not bei der Entscheidungsfindung. Der deutsche Fernsehfilm stehe "in ein paar Jahren am Abgrund", soll in einer internen Sitzung gesagt worden sein. "Dem deut­schen Fern­seh­film fehlt es an ech­ter Zeit­ge­nos­sen­schaft", schreibt Weidemann. "Er nimmt vi­ru­len­te The­men zwar auf - wie et­wa zu­letzt den re­li­gi­ös mo­ti­vier­ten Ter­ror oder die Ge­fah­ren der di­gi­ta­len Welt -, aber dies eher nach dem ober­fläch­li­chen Er­re­gungs- und Ver­fah­rens­mus­ter der Talk­shows. Die The­men kom­men und ge­hen. Die zwölf Fil­me des Fes­ti­vals wid­men sich so­gar gänz­lich zeit­lo­sen To­poi: Fa­mi­lie, Ver­trau­en, Krank­heit, Tod und Glau­ben. Da­mit macht man nichts falsch. Doch 'es ist noch kein Schiff ge­ret­tet wor­den, in­dem al­le zum Mit­tel­deck ren­nen', mein­te Jury-Mitglied Thea Dorn."

Weiteres: Rüdiger Schaper (Tagesspiegel) und Dominik Kamalzadeh (Standard) schreiben zum Tod von Ulli Lommel. Besprochen werden der neue Pixar-Animationsfilm "Coco" (Welt), der Dokumentarfilm "Weapon of Choice" über die durchs Kino popularisierte Glock-Pistole (Zeit) und die bei Jugendlichen beliebte Mystery-Serie "Riverdale" (ZeitOnline).
Archiv: Film

Bühne


Die Frau in ihrem angestammten Reich: Peter Konwitschnys "Medea" an der Stuttgarter Oper. Foto: Thomas Aurin

Auch Peter Konwitschny entkommt in seiner Stuttgarter "Medea"-Inszenierung dem Mythos nicht, meint Marco Frei in der NZZ, doch mit welch bösem Sarkasmus er eine Gesellschaft zeigt, die für eine unangepasste Frau keinen Platz lässt, das hat Frei beeindruckt: "Dabei entwickelt die Produktion vor allem dort eine starke Sogwirkung, wo Humor sekundenschnell in blanken Horror umschlägt: besonders krass in der dritten Szene des zweiten Aktes. Neris, die Dienerin von Medea, reisst wiederholt eine Tür auf, um ihre Herrin vor dem König Kreon zu warnen. 'Suchen Sie keinen Streit', fleht sie unaufhörlich. Noch schmunzelt man über diesen Regieeinfall, bis zusehends klar wird, was hinter der Tür mit der Dienerin geschieht. Sie wird vergewaltigt von einem Mob, dargestellt von dem - einmal mehr großartigen - Stuttgarter Staatsopernchor. Währenddessen bittet Medea den König um Gnade, damit sie vor ihrer Verbannung noch einmal ihre Kinder sehen kann. 'Sie sehen mich auf Knien, o Herr, vor Ihnen liegen', so ihre Worte - und prompt wird sie von Kreon zum Oralverkehr gezwungen."


Wajdi Mouawads "Tous des oiseaux" am Thấtre Natinal Populaire in Villeurbanne © Simon Gosselin

Als Tirumph feiert feiert Joseph Hanimann in der SZ Wajdi Mouawads Pariser Stück "Tous des oiseaux", eine Art Romeo und Julia im Nahen Osten, bei dem allerdings die Abwehrflugzeuge der israelischen Armee über die Köpfe hinwegkreisen: "Diese Stofffülle hat Mouawad frei von Tabus und Verbrüderungsromantik auf der Bühne unter Hochspannung gesetzt. Inmitten von vor und zurück fahrenden Wänden oszillieren die Szenen zwischen Schauer und Humor. Die Bühne arbeitet mit der Filmtechnik der weichen Blende. Der Bibliothekstisch wird Esstisch, Operationstisch, Krankenbett. Verletzte und Tote stehen wieder auf und bleiben in der Folgeszene als Zeugen präsent." In Libération erklärt Mouawad dazu: "Die Sprache der Versöhnung ist im Stück das Deutsche."

Weiteres: In der Nachtkritik berichtet Elena Philipp von einer Diskussionsrunde mit Berlins Intendanten über Gegenwart  und Zukunft des Ensembletheaters. In der taz Berlin berichtet Daphne Weber, dass die früheren Volksbühnenbesetzer draußen auf dem Rosa-Luxemburg-Platz Brechts "Maßnahme" als Statement gegen die Gentrifizierung aufführten.

Besprochen werden Willy Deckers aktualisierte Fassung von Alban Bergs "Lulu" an der Wiener Staatsoper (Standard), Árpád Schillings Stück "Erleichterung" am Landestheater Niederösterreich (Standard) Viktor Bodós "Das Ministerium der verlorenen Züge" in Frankfurt (FR), Jürgen Kruses Inszenierung von Albert Camus' "Missverständnis" am Deutschen Theater in berlin (Nachtkritik), Sa­mu­el Fin­zi und Wolf­ram Koch in Jean Ge­nets "Zo­fen" am Deut­schen Thea­ter Ber­lin (FAZ) und Barrie Koskys Inszenierung des Shtetls-Musicals "Anatevka" an der Komischen Oper Berlin (bei dem es Kosky laut Clemens Haustein in der FAZ etwas zu gut mit Stück und Publikum meint).
Archiv: Bühne

Literatur

Elmar Faber war "der bedeutendste Verleger der DDR", schreibt Marc Reichwein im Nachruf in der Welt. Es gab "Zeiten, in denen Faber auf Augenhöhe mit Siegfried Unseld verkehrte. Was Unseld und Suhrkamp für den Westen waren, wollte Faber (und konnte er in Teilen) für den Osten sein." Andreas Platthaus würdigt den früheren Aufbau-Leiter in der FAZ als "eine der prägendsten Verlegerpersönlichkeiten der deutschsprachigen Nachkriegsliteratur". Und Burkhard Müller erklärt in der SZ: "Ein Verleger in der DDR hatte es leichter und schwerer zugleich als seine Kollegen im Westen. Schwerer, weil er immer kämpfen musste, um Papier für seine Bücher und eine Druckerlaubnis von der Partei zu bekommen; aber leichter eben auch, weil er nicht gnadenlos die Rendite zu steigern hatte und weil in einem Land, in dem niemand der Zeitung und dem Fernsehen Glauben schenkte (...), unter allen Medien allein das Buch Vertrauen genoss."

Nicht ganz zufrieden ist Tagesspiegel-Kritiker Gregor Dotzauer mit dem E.T.A. Hoffmann Portal, das die Staatsbibliothek Berlin eingerichtet hat: "Seiner äußeren Aufgeräumtheit zum Trotz ist es ein Verhau, der weder den Ansprüchen von Wissenschaftlern noch denen von Lesern gerecht wird. Die einen müssen ohne Volltextsuche leben, die anderen mit Werkausgaben in Frakturschrift, die sich nicht einmal herunterladen lassen."

Weiteres: In Deutschland ist er so gut wie unbekannt, in Frankreich war er ein Fürst des Literaturbetriebs: Jean d'Ormesson ist im Alter von 92 Jahren gestorben, meldet Le Monde im Aufmacher seiner Website. Für den Tagesspiegel liest Gregor Dotzauer Veröffentlichungen zu Peter Handkes 75. Geburtstag. Klaus Bartels erklärt in der NZZ die Ursprünge des Worts "Debakel". Deutschlandfunk Kultur bringt eine Hörspielbearbeitung von Victor Klemperers "LTI - Notizbuch eines Philologen".

Besprochen werden Luca Berlins Erzählband "Was wirst du tun, wenn du gehst" (SZ), Tanguy Viels "Selbstjustiz" (SZ), Katharina Greves ursprünglich fürs Web konzipierter Comic "Das Hochhaus" (Tagesspiegel), Annette Mingels' "Was alles war" (Tagesspiegel), Marius Daniel Popescus "Die Farben der Schwalbe" (NZZ), Peter Mathews Biografie über Harro Harring (FR), Frans Eemil Sillanpääs "Jung entschlafen" (Welt), Ross Macdonalds Thriller "Unterwegs im Leichenwagen" (Welt) und Linda Nowaks "Zeitanhalter" (FAZ).
Archiv: Literatur

Kunst

Der Theologe Jan-Heiner Tück erinnert in der NZZ daran, dass Alexei von Jawlensky vor achtzig Jahren aufhörte, Ikonen zu malen. Gunda Bartels trifft im Tagesspiegel den auf das Berliner Leben der Weimarer Republik spezialisierten Illustrator Robert Nippoldt.

Besprochen werden die James-Rosenquist-Retrospektive im Kölner Museum Ludwig (SZ) und die Ausstellung über den Fotografen Werner Mantz ebenda (FAZ).
Archiv: Kunst

Musik

Andrea Hanna Hünniger plaudert in Welt mit ehemaligen Gangsta-Rapper Sido, der jetzt lieber in ARD-Schmonzetten macht. Besprochen wird das Tributalbum "Funkadelic - Reworked By Detroiters" (SZ).
Archiv: Musik
Stichwörter: Detroit, Funkadelic, ARD, Sido

Design

Das Modejahr 2018 "wird opulent", verspricht Tania Martini in der taz. Außerdem hat sie sich mit Norman Plattner unterhalten, der für die Gestaltung der weihnachtlichen Schaufenster des KaDeWe in Berlin zuständig ist: Die Warenauslage stehe dabei im Hintergrund, es gehe um "Storytelling. Es geht ums Geschichtenerzählen. ... Fenster sind eben nicht mehr ausschließlich Produktdarstellungsbühnen, sondern mehr."



Archiv: Design
Stichwörter: Mode, Kadewe, Schaufenster