Efeu - Die Kulturrundschau

Glück ohne Reue

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25.07.2018. Die FAZ bewundert die kraftvolle blackness der schwarzen Madonnen des amerikanischen Künstlers Theaster Gates. Die Welt erzählt, warum die Cinémathèque française eine Ausstellung von Chris Marker ausrichten darf, aber keinen Katalog drucken. Nicht viel zu lachen hatte der Tagesspiegel beim Theaterfestival in Avignon. In der FR stellt die Übersetzerin Claudia Sinnig neue interessante Literatur aus Litauen vor. Die taz unterhält sich mit dem Kulturanthropologe Yektan Türkyilmaz über seine Plattensammlung mit armenischer Musik.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 25.07.2018 finden Sie hier

Kunst

Theaster Gates. Courtesy of Theaster Gates. From the archives of the Johnson Publishing Company

Mit seinem derzeit im Kunstmuseum Basel gezeigten "Black Madonna"-Projekt öffnet der afroamerikanische Künstler Theaster Gates schwarzen Frauen den "Königinnenweg zur Adoration", schreibt Rose-Maria Gropp in der FAZ, besonders fasziniert von den etwa 3000 gezeigten Fotografien der "Johnson Publishing Company", die in den Fünfzigern und Sechzigern Journale wie "Ebony" oder "Jet" herausgab: "Diese Zeitschriften wollten das Selbstbewusstsein afroamerikanischer Frauen in den Vereinigten Staaten zeigen und befördern. Gates hat die Rechte dafür gekauft und daraus eine großartige Edition hergestellt, in der diese schwarzen Madonnen des Alltags ihre Auftritte haben. Die Fotos aus dem Johnson-Archiv machen zweierlei sichtbar: Nicht selten wirken die meist jungen Frauen wie eine Mimikry der dominierenden hellhäutigen Mannequins jener Jahre. Aber es erscheint auch eine kraftvolle blackness, im Wissen um die eigene Attraktivität, jenseits gängiger Klischees."

Donata Wenders: In the Snow II, Allgäu 2010. © Donata Wenders
Ganz beschwingt berichtet Ingeborg Ruthe von der Ausstellung "Das Ephemere in der Fotografie" in der Alfred-Ehrhardt-Stiftung: "Fotografische Unschärfe, das gekonnt Verwackelte, das Unter- oder Überbelichtete prägt diese atmosphärisch dichte Ausstellung über das Verschwinden und Erscheinen. Und seien es nun kahle Äste und Zweige im winterlichen Nebeldunst wie die Bilder von Sandra Kantanen. Oder Eisblumen, die Vogelzügen gleichen. Donata Wenders, die Ehefrau des Filmemachers und Fotografen Wim Wenders, zeigt ihre Serie 'In the Snow, Allgäu', 2010. Da läuft eine Frauengestalt im Schneegestöber. Sie taucht auf und verschwindet, taucht wieder auf, die Umrisse verformen sich. Schneeflocken malen Wachteleier-Sprenkel auf Mantel und Mütze."

Besprochen wird außerdem die Ausstellung "Entfesselte Natur" in der Hamburger Kunsthalle (SZ).
Archiv: Kunst

Film

Die Pariser Cinémathèque française konnte sich von "sieben Erben, hochbetagten Cousins sechsten Grades", die nicht kommerziellen Rechte am Nachlass des Filmemachers Chris Marker sichern und - zum 68er Jubiläum - Teile davon für eine erste Ausstellung, "Les 7 vies d'un cinéaste" aufbereiten, berichtet ein beglückter Gerd Midding in der Welt. Beim Katalog (kommerzielle Nutzung!) gibt es wegen des französischen Urheberrechts allerdings Probleme: "Ein Erbe verhinderte bereits die Neuauflage einiger der wichtigsten Bücher Markers bei Actes Sud, seine zweibändige Essaysammlung 'Commentaires' sowie den Fotoband 'Coréennes', der aus einer Reise nach Nordkorea hervorging, die Marker 1958 mit Claude Lanzmann unternahm. Auch Kulturministerin Françoise Nyssen, die zuvor den Verlag geleitet hatte, konnte ihn nicht zum Einlenken bewegen. 'Wenige Tage vor Drucklegung entschieden Costa-Gavras, Frédéric Bonnaud und ich', berichtet Joël Daire, Leiter der Sammlungen der Cinémathèque, 'die Veröffentlichung des Katalogs nicht von einem Mann blockieren zu lassen, der nicht den geringsten Bezug zum Kino hat und offensichtlich versucht, den Autor Chris Marker endgültig zu begraben.' Damit hat sich die Cinémathèque auf heikles juristisches Terrain vorgewagt, aber das Ergebnis gibt ihr künstlerisch recht."

Besprochen werden die HBO-Miniserie "Sharp Objects" über Mädchenmorde in einer amerikanischen Kleinstadt, mit Amy Adams (Presse), Michael Noers Neuverfilmung des Filmklassikers "Papillon" (Standard) und Peyton Reeds Marvelverfilmung "Ant-Man and the Wasp" (Tagesspiegel, taz, FAZ, SZ).
Archiv: Film

Bühne

Mord, Terror, Katastrophen, Diskriminierung - zu lachen gab es beim diesjährigen Theaterfestival in Avignon nicht viel, bilanziert Eberhard Spreng im Tagesspiegel - was für ihn allerdings nichts Schlechtes bedeutet, wie er etwa mit Blick auf Ahmad Al-Attars Stück "Mama" schreibt: "El-Attar erzählt in 'Mama' vom Alltag einer wohlhabenden Kairoer Familie. Ihn interessiert, welche Rolle die Mütter bei der Erziehung der kleinen Machos spielen, auf denen das Patriarchat in der arabischen Welt fußt. Er gehörte zu den Künstlern, die in Avignon Einblicke in die vom Islam geprägten Gesellschaften Nordafrikas und des Nahen Ostens ermöglichten. Zu dem Programm-Fokus gehörte auch das Thema der Diskriminierung von queeren Communities in der islamischen Welt - und eine intolerante Körperpolitik, die sich zunehmend auch im Okzident findet."

Heute starten die Bayreuther Festspiele mit "Lohengrin" unter der Regie von Yuval Sharon und dem Dirigat von Christoph Thielemann. Neo Rauch und Rosa Loy haben das Bühnenbild gestaltet. In der SZ erklärt Reinhard J. Brembeck, was die Oper heute noch von gängigen Konzerten unterscheidet: "Die Oper hat sich immer schamlos aller verfügbaren Künste und Mittel bedient, um den zuhörschauenden Menschen vorzumachen, was sie sind, was sie im tiefsten bewegt. Sie gleicht einem Fleckerlteppich, sie läuft wie ein gescheckter Narr herum, sie nascht von allem, sie ist sich für nichts zu schade. Das Bild ist in der Oper die entscheidende Kategorie neben der Musik, um die Intention und Deutung des Librettos zu übersetzen. Der Text verschwindet ja immer hinter diesen beiden so viel unmittelbarer wirkenden Künsten. So wird verständlich, dass Intendanten immer wieder auf die Idee kommen, das Bühnenbild einem berühmten Künstler anzuvertrauen."

Und in der Welt schreibt Manuel Brug einen flammendes Plädoyer für die Oper: "Es ist, ohne zu wissen, was da aktuell konkret passieren und gedeutet wird, frappant, wie viele Anknüpfungen an ein vielleicht zu komplexes Heute dieses aus dem Geist einer romantischen Mittelalterbegeisterung geborene Kunstmärchen Richard Wagners zu bieten hat - neben dem reinen, ebenfalls als Glück ohne Reue erlaubten Musikgenuss."

Besprochen werden Axel Ranischs Inszenierung von Joseph Haydns Oper "Orlando Paladino" am Münchner Prinzregententheater (FAZ) und die Ausstellung "The Hat Makes the Man" im Max Ernst Museum Brühl, mit Kuriositäten aus der Sammlung von Robert Wilson (FAZ).
Archiv: Bühne

Literatur

Die interessanteste Prosa in Litauen wird derzeit von Männern zwischen 25 und 40 geschrieben, meint die Übersetzerin Claudia Sinnig im Gespräch mit der FR, und stellt einige Beispiele vor. Aber es gibt nicht nur Romane: "Was ein bisschen anders ist und aktuell als Unterhaltungsliteratur sehr populär, sind Werke von zwei, drei jetzt sehr erfolgreichen Autorinnen, die Comics machen. Zum Beispiel über die Erlebnisse eines litauischen Jungen in der Sibirien-Deportation oder über den Lebens- und Erkenntnisweg eines litauischen Intellektuellen par excellence - den bei uns wohl eher als Franzosen wahrgenommenen Semiotiker Algirdas Julius Greimas. Das Grundgerüst der Semiotik von Greimas in einem Comic, das ist witzig, ziemlich geistreich und vielleicht sogar eine willkommene Hilfestellung für überforderte Studenten."

Weitere Artikel: Im Logbuch Suhrkamp sucht Deniz Utlu eine Annäherung an Aglaja Veteranyi. In der NZZ stellt Rainer Moritz den argentinischen Schriftsteller und Büchersammler Alberto Manguel vor. In der taz gratuliert Eva Berger der Lettre International zum 30. Geburtstag. Autor Lutz Seiler erinnert sich für die Zeit-Serie "Ferienflimmern" an die wichtigsten sechs Wochen seiner Jugend.

Besprochen werden die kommentierte Frankfurter Ausgabe von Thomas Manns "Joseph und seine Brüder" (Berliner Zeitung), Stefan Agopians "Handbuch der Zeiten" (NZZ), Pippa Goldschmidts Erzählband "Von der Notwendigkeit, den Weltraum zu ordnen" (NZZ),
Archiv: Literatur

Musik

In all den Jahren, die der Kulturanthropologe Yektan Türkyilmaz Platten sammelt, um dem armenischen Trauma des Genozids nachzuspüren, hat er gerade mal drei Platten entdeckt, die einen direkten Hinweis auf den Genozig enthalten, erzählt Hülya Gürler, die den Forscher in der taz vorstellt. Zu groß das Grauen, da hörte man lieber Liebeslieder. "Türkyilmaz ist in der Türkei in Ungnade gefallen, weil er gemeinsam mit Hunderten Akademikern einen an Präsident Erdoğan adressierten Appell unterzeichnet hatte, der zum Frieden mit den Kurden aufrief. Außerdem ist Türkyilmaz bekannt für seine Forschung zum Genozid an den Armeniern im Osmanischen Reich. Seine Plattensammlung hat ihn durch die Geschichte geführt: Türkyilmaz arbeitete sich durch die reiche Bandbreite armenischer, kurdischer oder griechischer Musik im Osmanischen Reich und der armenischen, griechischen oder jüdischen Diaspora der Frühzeit. Und er hat Einblick gewonnen in den frühen globalen Musikmarkt und seine Geschichte. 'Tontechniker nahmen Musikstücke irgendwo im Osmanischen Reich, in China oder Russland auf, pressten die Platten in England oder Deutschland und schickten sie zurück zu den Aufnahmeorten', stellt Türkyilmaz fest."

Weitere Artikel: In der NZZ porträtiert Adrian Schräder den Saxofonisten und Leiter des New Yorker Labels Daptone Records Neal Sugarman. In der SZ stellt Jens Christian Rabe den Rapper Eko Fresh vor. In der taz stellt Jens Uthoff den Posthardcore-Künstler Daniel Higgs vor. Susanna Petrin besucht für die NZZ in Kairo das Ensemble Al-Nour Wal Amal, in dem ausschließlich sehbehinderte und blinde Frauen spielen. Hier kann man ihnen beim Üben zuhören:



Besprochen werden Astor Piazzollas Tango-Operita "Maria de Buenos Aires" auf der Bregenzer Werkstattbühne (nmz), Aufführungen bei den Salzburger Festspielen (Presse, FAZ), das Konzert von Depeche Mode in der Berliner Waldbühne (Tagesspiegel), ein Konzert des Pianisten Grigory Sokolov mit Haydn und Schubert im Kurhaus Wiesbaden (FR), ein Abend über Clara Schumann mit der Pianistin Ragna Schirmer und dem Sprecher Christian Brückner beim Rheingau Musik Festival (FR), Sophies Album "Oil of Every Pearl's Un-Insides" (Zeit)
Archiv: Musik