31.10.2018. Die taz erlebt auf der Athen-Biennale das posthumane Desaster ohne jeden Ausweg. Der Guardian spürt in der Nottingham Contemporary die ganze Wucht feministischer Kunst. Die FAZ verteidigt die freimütige Oberflächlichkeit des Queen-Films "Bohemian Rhapsody". Im Tagesspiegel erklärt Annemarie Jaeggi, die Direktorin des Berliner Bauhaus-Archivs, was jede große Utopie braucht: konkretes Können.
Kunst, 31.10.2018
Aliza Shvarts. Athens Biennale Zu Lachen hatte taz-Kritiker Ingo Arend nichts bei seinem Besuch der Athen-Biennale, die griechische Hauptstadt sei noch immer das Waste Lande, in das Finanzkrise und Spardiktat das Land verwandelt haben. Und die Kunst der "Anti-Biennale" trage durchweg apokalyptische Züge, berichtet Arend: "Das Biennale-'Anti' blendet ein bisschen aus, dass es durchaus Formen davon gibt, die noch nicht neoliberal gewendet und korrumpiert wurden: Gewerkschaftskämpfe, Umweltaktivismus. Kaum verwunderlich insofern, dass man in Athen Auswege aus diesem posthumanen Desaster vergebens sucht. Auf die Frage nach dem eigenen 'Anti' zuckt Kurator Poka-Yio mit den Schultern. 'Goya hat ja auch seine schwarzen Bilder gemalt', verteidigt er die Haltung der Kuratoren, dass die Kunst nicht zwingend zu einer Alternative verpflichtet ist. So apokalyptisch die Aussichten, so gelassen gibt sich die Szene, die produziert. Von einer Post-Documenta-Depression, wie sie viele im letzten Jahr für den Zeitpunkt befürchtet hatten, dass die Weltkunstschau aus Athen abzieht, ist nichts zu spüren."
Als bahnbrechend feiert Hannah Clugston die Schau zu "Feminisms, Gender, Resistance" in der Nottingham Contemporary, die das kämpferische Maya-Angelou-Motto "Still I Rise" trägt und feministische Kunst neu präsentiert, thematisch organisiert und dabei KünstlerInnen verschiedener Generationen, feministischer Wellen, und Praktiken zusammenbringt: "The desire for change is all over 'Still I Rise'. In gallery one, Ramaya Tegegne sticks up pages from Women and their Bodies, a book published by feminists in 1970 featuring detailed images of childbirth, vulvas and sex. Later titled Our Bodies, Ourselves, it was intended to educate women on topics that were rarely discussed, but nearly 50 years later, Tegegne's display comments on the fact this information is still not routinely taught in schools."
Besprochen werden eine Ausstellung mit Fotografien von André Kirchner "Die West-Berliner Jahre" im Haus am Kleistpark in Berlin (taz), die Ausstellung "London 1938", mit der die Liebermann Villa am Wannsee an die Schau deutscher Kunst der Moderne in London vor achtzig Jahren erinnert (Tagesspiegel), die Zeichnungen von "Klimt /Schiele" in der Albertina in Wien (Guardian).
Bühne, 31.10.2018
Besprochen werden Lydia Steiers Doppelwurf mit Strawinskys "Oedipus Rex" und Tschaikowskys "Iolanta" an der Oper Frankfurt ("eine große Premiere", meint Hans-Klaus Jungheinrich in der FR, NMZ, SZ) und Achim Freyers Inszenierung von Schumanns "Faust-Szenen" an der Hamburgs Staatsoper (FAZ).
Literatur, 31.10.2018
In der FAZ gratuliert Jochen Hieber dem äthiopischen AutorAsfa-WossenAsserate zum 70. Geburtstag. Schriftstellerin und Fußpflegerin Katja Oskamp bringt in der Freitext-Kolumne von ZeitOnline neue Anekdoten aus Marzahn.
Besprochen werden unter anderem SusanFaludis "Die Perlenohrringe meines Vaters" (SZ), Meg Wolitzers "Das weibliche Prinzip" (Standard), Lukas Rietzschels "Mit der Faust in die Welt schlagen" (NZZ), Heinz Strunks Erzählungsband "Das Teemännchen" (SZ), Matias Faldbakkens "The Hills" (Tagesspiegel), Fred Vargas' Thriller "Der Zorn der Einsiedlerin" (Standard), Volker Kutschers Krimi "Marlow" (Welt) und Joyce Carol Oates' "Der Mann ohne Schatten" (FAZ).
Beim morgen in Berlin eröffnenden Jazzfest sollte man insbesondere MakayaMcCraven ganz besonders im Auge behalten, rät Steffen Greiner in der taz. McCraven begreift seine Arbeit als Beat-Wissenschaft, erfahren wir. Entsprechend eklektizistisch fällt sein Album "Universal Beings" aus, das seine Wurzeln zwar in der Chicagoer Szene hat, aber in London unter anderem mit dem Saxofonisten ShabakaHutchings und dem Pianisten AshleyHenry eingespielt wurde, während in L.A.die Bassistin AnnaButters hinzustoß und aus New York die Harfenistin BrandeeYounger. "Es ist ein musikalisches Statement aus vier verschiedenen Szenen, die McCraven in vier Settings begegneten, die aber doch eine universale Sprache finden - im Grunde steht das Werk in der Spannung zwischen globalem Denken und lokaler Verwurzelung, die sich hier allerdings, natürlich, in harmonischer Seligkeit auflöst: Der Jazz ist dann doch unkomplizierter als die wahre Welt, und natürlich ist der Titel hier ganz transzendent zu lesen - und auch politisch." Auf Bandcamp kann man das Album hören, Boiler Room spendiert uns ein Konzert vom November 2016:
Besprochen werden ein Konzert von Gangof Four (taz), Laibachs "The Sound of Music" (Spex), die Abschlusskonzerte des FrankfurterJazzfestivals (FR) ein gemeinsamer Auftritt des SplitterOrchesters mit dem EnsembleMosaik (taz), ein Auftritt von StephenMalkmus & TheJicks (Tagesspiegel), JuliaHolters Album "Aviary" (FAZ) und neue Popveröffentlichungen, darunter JensFriebes "Fuck Penetration" (SZ). Daraus ein Video:
Film, 31.10.2018
Prävention gegen das Religiös-Werden: der Queen-Film "Bohemian Rhapsody"
In der FAZ rächt Dietmar Dath Queen und den Film "Bohemian Rhapsody", der im ersten Schwung Kritiken gestern arg getreten wurde: Alles Papperlapp, meint Dath. "Wie lange ist es her, dass so verklemmt an der Inszeniertheit und freimütigen Plattheit eines Films herumgebeckmessert wurde, der nichts weiter zu sein und zu können behauptet als die offiziell abgesegnete Selbstbeweihräucherung samt Erinnerungsarbeit einer Rockgruppe?" Zugegeben, sagt Dath: Der Film "ist nicht analytisch, politisch, kritisch, wahr oder tiefer als eine Schicht Rouge auf den Wangen. Gott sei Dank: Man wünscht den Nachgeborenen, die mit Reality-Shows und Echtzeit-Promiklatsch im Netz aufgewachsen sind, mehr solche Filme, damit sie beim Planschen in der Infokloake, zu der die Popkultur gerade verkommt, nicht vergessen, was Fiktion ist und wozu man das braucht (damit man nicht religiöswird nämlich, weil das Diesseits uns Menschen nun mal nicht genügt, da wir uns unser Leben selbst erfinden müssen, wenn auch nie aus freien Stücken)." Für die SZ hat Annett Scheffel mit Hauptdarsteller RamiMalekgeplaudert. #MeToo ist in Indien angekommen: "In den letzten vier Wochen hat hier etwas begonnen, auf das wir alle gewartet haben", zitiert Thomas Winkler im TagesspiegelAnupamaChopra, die Leiterin des MumbaiFilm Festivals. "Auch das Festival selbst ist betroffen. Mehrere Filme wurden aus dem Programm genommen, weil Anschuldigungen gegen Beteiligte erhoben worden waren. Einer davon ist Anurag Kashyap, ein Mitglied des Festivalbeirats", schreibt Winkler. "Das Festival reagierte, indem es kurzfristig vier MeToo-Panels ins Programm hob. Die Debatte beschränkt sich nicht auf die Filmwirtschaft. ... Auf dem Filmfestival als Leistungsschau des indischen Arthouse-Kinos wird auch deutlich, dass das Problem der so genannten 'toxischen Männlichkeit' nicht nur im Mainstream existiert. So löste der Film 'Jaoon Kahan Bata Ae Dil' über eine manipulative Beziehung einschließlich der expliziten Darstellung einer brutalen Vergewaltigung eine Kontroverse aus."
Besprochen werden Adina Pintilies Filmessay "Touch Me Not" (SpOn, SZ, unsere Kritik hier), die Serie "Chilling Adventures of Sabrina" (FAZ) sowie die Arztserien "The Alienist" und "The Good Doctor" (NZZ).
Architektur, 31.10.2018
Im Tagesspiegel-Interview mit Elke Linda Buchholz räumtAnnemarie Jaeggi, Direktorin des Berliner Bauhaus-Archivs, mit einigen Missverständnissen auf: Bauhaus ist nicht schicke Architektur, sondern Schule, Idee und natürlich die Einheit von Kunst und Technik: "Expertise! Bauhaus ist nicht 'Do it yourself'. Ich werde oft gefragt: Ist denn Ikea nicht die Vollendung des Bauhauses? Das finde ich schwierig. Ein weltumspannender Konzern und eine Schule, die sich so gesellschaftsverändernde Fragen vorgenommen hat, sind zwei völlig auseinanderklaffende Welten. Am Bauhaus wurde Expertise gelehrt! Handwerk. Man musste drei Jahre lang das Material kennenlernen. Da brauchten Sie Durchhaltewillen und Souveränität. Sie mussten Prüfungen und Abschlüsse machen. Das ist nicht einfach irgendwas, was man lustig drei Jahre macht, um dann die Welt zu ändern. Das ist ernsthaft. Zur großen Utopie gehörte das konkrete Können."
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https://www.perlentaucher.de/efeu/2018-10-31.html