Efeu - Die Kulturrundschau

Mit lászló, oskar, mies und anni

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
19.12.2018. Auf Dlf Kultur fürchtet Virginie Despentes um Frankreichs Freizügigkeit. Hyperallergic berichtet, dass der Künstler Robert Cenedella die großen Museen New Yorks wegen Verschwörung mit den führenden Galerien auf hundert Millionen Dollar verklagt. Im Tagesspiegel offenbart Thomas Oberender, wie herrisch und autoritär ein Intendantentreffen abläuft. SZ und FAZ  treffen sich mit René Pollesch zu Manzini-Studien in Zürich, und Lacan mixt die Drinks.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 19.12.2018 finden Sie hier

Literatur

Was ist nur aus dem einst so freizügigen, offenen Frankreich geworden, fragt sich Schriftstellerin Virginie Despentes beim großen Gespräch im Dlf Kultur. Bis 2000 "war es ein aufklärerisches Anliegen, über Sexualität zu schreiben, freizügig und offen. ...Seit etwa 20 Jahren kann man da eine Gegenbewegung erkennen, ein Umdenken, und da sind die Buchverleger an vorderster Stelle, die das betreiben. Die Leute, die französischen Leser, sind da nicht abgeneigt. Die möchten schon über Sex lesen. Die Filmproduzenten geben sich da die Klinke mit den Verlegern, die sind auch viel sexophober geworden." Auch das Netz habe daran Anteil, es stelle "junge Frauen geradezu unter Beobachtung. Das ist eine neue Generation, die da herangewachsen ist, und dass man ganz ehrlich über Sex vor der Ehe nachdenkt und redet, das ist doch seltsam. Darüber hat zu meiner Zeit sich keiner einen Kopf gemacht. Ich hoffe, dass das alles mal rückläufig sein wird und dass sich das ändert."

Weiteres: Die Welt hat sich im Literaturbetrieb nach Buchtipps zum Fest umgehört. Weitere Empfehlungen finden Sie in unseren aktuellen Bücherbriefen. Besprochen werden unter anderem die Gesamtausgabe von André Franquins Comicklassiker "Spirou und Fantasiou" (Intellectures), Orhan Pamuks "Istanbul" und "Balkon" (NZZ), die Wiederveröffentlichung von Daniel Defoes "Der Consolidator oder Erinnerungen an allerlei Vorgänge aus der Welt des Mondes" (SZ), Ramón José Senders "Requiem für einen spanischen Landmann" (online nachgereicht von der Zeit) und Botho Strauß' "Reflexionen" (FAZ).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Archiv: Literatur

Bühne

Marie-Rosa Tietjen, Kathrin Angerer, Martin Wuttke in René Polleschs Manzini-Stduien. Foto: Lenore Blievernicht / Schauspielhaus Zürich

Das Zürcher Schauspielhaus hat René Polleschs neues Stück "Ich weiß nicht, was ein Ort ist, ich kenne nur seinen Preis" (Manzini-Studien) auf die Bühne gebracht. In der SZ versteht Egbert Tholl gar nicht, warum die Leute so gelacht haben, das Stück sei "nicht lustig, sondern weh": Es geht ums Scheitern, die alten Zeiten, das Ende, alles spielt im Berliner Bistro "Manzini": "Zu dieser ideellen Melancholie kann man sich dann die Menschen drumherum vorstellen, die Pollesch im aktuellen Text zitiert. Vom Nebentisch raunt F. Scott Fitzgerald, im Grunde sei alles Leben ein Prozess des Niedergangs (sic!), neben ihm sitzt Gilles Deleuze und findet einen Knacks in allen Dingen und allen Menschen, an der Bar sitzen Donna Haraway und Brigitta Kuster und machen sich über den Geniekult alter, weißer Männer lustig, Jacques Lacan mixt ihre Drinks." In der FAZ hält Simon Strauß das Pollesch-Stück für das beste seit langem: "Dieser Theaterabend glitzert und strahlt, ist intelligent und unterhaltsam. Absolut hinreißend ist der Waschanlagen-Monolog von Kathrin Angerer: Auf der Handfläche einer überdimensionierten King-Kong-Klaue liegend, erzählt sie von ihrem ersten Besuch in einer Autowaschanlage. Mit einem Jaguar ('nicht Februar')..."

Weiteres: Für Tagesspiegel-Kritikerin Christine Wahl blieb die Bilanz recht vage, die der Verein "Pro Quote Bühne" zu seinem einjährigen Bestehen in den Berliner Sophiensälen zog. Immerhin aufschlussreich: "Er habe 'selten etwas Schrecklicheres erlebt als ein Intendantentreffen', bekennt der Chef der Berliner Festspiele, Thomas Oberender. Die Atmosphäre sei 'herrisch, autoritär und dem eigenen Verständnis nach trotzdem liberal'." Im taz-Interview mit Barbara Behrendt spricht der Dramatiker Moritz Rinke über sein neues Stück "Westend", das am Freitag am Deutschen Theater in Berlin uraufgeführt wird und nach "künslerischen Differenzen" nicht am Berliner Ensemble: "Ich verstehe total, dass Regie, besonders an großen Häusern, auch formal und ästhetisch forciert sein muss, ja dass nach lustvoller, manchmal sogar kämpferischer Reibung mit Texten gesucht wird. Was aber eine Uraufführung ganz leise einklagt, ist genau das Gegenteil."

Besprochen wird Samantha Ellis' "How to Date a Feminist" am Badischen Staatstheater in Karlsruhe, wo Intendantin Anna Bergmann erstmal nur noch mit Frauen zusammen arbeiten will (Welt).
Archiv: Bühne

Film

In der taz spricht Ben Stiller über seine Arbeit als Produzent und Regisseur der bei Sky gezeigten Serie "Escape at Dannemora", die die wahre Geschichte erzählt, wie zwei Gefängnisinsassen mit Hilfe einer Aufseherin die Flucht gelingt. Lutz Göllner rollt im CulturMag die Geschichte der "Stirb Langsam"-Filme mit Bruce Willis auf. David Segler (FR) und Matthias Hannemann (FAZ) verabschieden sich vom "Tatortreiniger", der nach sieben erfolgreichen Staffeln eingestellt wird.

Besprochen werden "Mary Poppins' Rückkehr" mit Emily Blunt (Standard, SZ) und Travis Knights "Bumblebee" (FAZ).
Archiv: Film
Stichwörter: Willis, Bruce

Kunst

Man kann es ja mal versuchen: Der Künstler Robert Cenedella fordert das New Yorker Kunst-Establishment heraus, berichtet Zachary Small auf Hyperallergic, er hat die führenden Museen der Stadt, denen er vorwirft, sich mit den Top-Galerien der Stadt verschworen zu haben, auf 100 Millionen Dollar verklagt. "Cenedella beschuldigt das Metropolitan Museum, das Whitney Museum, das Guggenheim, das New Museum und das Museum of Modern Art, Künszler zu ignorieren, ihn eingeschlossen, die nicht von einer ausgewählten Gruppe kommerzieller Galerien repräsentiert werden. In seiner Klage wirft er den Museen vor, Antitrust-Gesetze zu verletzen, indem sie mit Galerien wie Gagosian, Pace, David Zwirner, Marian Goodman und Hauser & Wirth konspirieren, um die Preise bestimmter Künstler hochzutreiben. Tatsächlich gibt es Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen der Repräsentation in prestigeträchtigen Galerien und den Ankäufen der Museen als Maß für den Erfolg eines Künstlers. 2015 fand eine Studie des Art Newspapers über einen Zeitraum von siebzehn Jahren heraus, dass Künstler, die von fünf der größten Galerien repräsentiert wurden, ein Drittel aller Einzelaustellungen in den amerikanischen Museen bekamen. Eine neue Studie von November 2018 analysierte die Karrieren von einer halben Million Künstler zwischen 1980 und 2016 und fand heraus, dass künstlerischer Erfolg von einem kleinen Netzwerk Museen und Galerien abhängt, das alle zehn beschuldigten Mitverschwörer aus Cenedellas Klage umfasst."

Weiteres: Im Guardian kündigt Marc Brown an, dass die Tate Modern zeitweilig nur noch die Künstlerinnen aus ihren Beständen zeigen wird. Adrian Searle kürt ebenda seine Lieblingsausstellungen des Jahrs 2018. In der taz berichtet Julia Schneider von der Biennale de l'Image en Mouvement (BIM) in Genf.

Besprochen wird die Schau "Rendezvous" mit französischen Meisterzeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett (Tagesspiegel).
Archiv: Kunst

Architektur

Nicht mal lachen kann Andreas Rossmann in der FAZ über die Instinktlosigkeit, mit der sich Nordrhein-Westfalen ans Bauhaus-Jubiläum ranschmeißt. Eigentlich gibt es nur die Seidenfabrik in Krefeld von Ludwig Mies von der Rohe, die als orginiräre Bauhaus-Architektur durchgehen kann. Aber dieser kleine Schönheitsfehler am Projekt "100 jahre bauhaus im westen" ist für Rossmann nicht mal das Schlimmste, sondern die Ansprache: Das Projekt twittere "unter dem anbiedernden Hashtag #bauhauswow und spricht die Protagonisten mit den Vornamen an: 'geburtstag feiern mit lászló, oskar, mies und anni'." Als ginge es um einen Kindergeburtstag und nicht um Künstler, die allesamt aus Deutschland vertrieben wurden!
Archiv: Architektur

Musik

Im Standard fragt sich Ljubiša Tošić, wie es bei den Salzburger Osterfestspielen in Zukunft weitergehen könnte, nachdem klar geworden ist, dass die dort installierte Doppelspitze mit Klaus Bachler und Christian Thielemann bei letzterem alles andere als Freude auslöst. "Existiert ein Geheimplan, Thielemann wegzuekeln, damit Bachler, der sich offiziell nicht äußert, seinen Vertrauten Kirill Petrenko installieren kann? Er ist Chefdirigent der Berliner Philharmoniker und könnte die nach Baden-Baden Abgewanderten somit wieder nach Salzburg zurückholen. Klingt genauso kühn wie andere Thesen: Will man nur Thielemann loswerden und das Dresdner Orchester halten? Raufen sich Bachler und Thielemann zu einer Kooperation zusammen, obwohl Thielemann bereits mit Weggang drohte?"

FAZ-Kritiker Peter Kemper staunt über das sensationelle Comeback-Album "Hidden Details" von Soft Machine: Die Band zeigt sich absolut heutig, erfahren wir. "Bisweilen hat es den Anschein, als wolle John Etheridge sich auf dem Griffbrett seiner Gitarre selbst überholen, doch plötzlich lösen sich all die wahnwitzigen Legato-Linien in wohlige Notenschauer auf. Seiner perfekten 'Sweeping'-Technik, bei der der Spieler das Plektrum mit der Anschlaghand in eine Richtung über zwei, drei Saiten 'fegt', ist es zu verdanken, dass die Stücke bei allen betörenden Lyrizismen bald lichterloh brennen." Wir hören rein:



Das Popjahr 2018 war ein Jahr der Frauen, stellt Jens-Christian Rabe in der SZ fest, nachdem er beim Aggregator Album of the Year auf die statistische Auswertung alles Jahresbestenlisten englischsprachiger Musikmagazine gestoßen ist: "Ergebnis: Unter den zehn Alben, die 2018 am besten bewertet wurden, sind sieben Alben von weiblichen Künstlern. Unter den ersten Fünf sind es sogar vier, und zwar die vier ersten." Auf Platz 1: Janelle Monáes Funk Album "Dirty Computer":



Weitere Artikel: In der NZZ porträtiert Markus Ganz das Schweizer Neo-Krautrock-Duo Klaus Johann Grobe. Max Nyffeler freut sich in der FAZ über den Schwerpunkt zu Bernd Alois Zimmermann der diesjährigen musica viva. Jan Kawelke schreibt auf ZeitOnline über Teenie-Star Billie Eilish. Für die FAZ spricht Tobias Rüther mit Thom Zimny, der Bruce Springsteens Broadway-Show als Netflix-Film umgesetzt hat. Karl Fluch erinnert im "Unknown Pleasures"-Blog des Standard an Schmalzgott Willy DeVille. Im Standard gratuliert Roman Gerold dem Klangkünstler Bernhard Leitner zum 80. Geburtstag. Außerdem geben die Welt-Redakteure Musiktipps für den Gabentisch.

Besprochen werden Chers Abba-Cover-Album "Dancing Queen" (taz), ein Buch der Beastie Boys über die Beastie Boys (Tagesspiegel), ein Auftritt der Gaddafi Gals (Tagesspiegel), und die Wiederveröffentlichung von Stanos Post-Punk-Album "Content to Write in I Dine Weathercraft" (The Quietus). Zudem küren die Kritiker von The Quietus ihre 50 Lieblingsstücke 2018. Die Nummer 1:

Archiv: Musik