Efeu - Die Kulturrundschau

Auf's Timing einhacken

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
12.02.2019. In der Welt erinnert sich Max Dax, wie er das Geheimnis hinter Robert Rymans gleißend hellen Quadraten entschlüsselte. Die FAZ lernt in Robert Rodriguez' "Alita", wie man Hegel mit Actionkino versöhnt. Das Theater kommt aus postkolonialen Machtstrukturen einfach nicht heraus, lernt die Nachtkritik. Die taz findet ihre Nische im schluffigen Beat von Ednan Portnoy und Homeboy Sandman. Der Standard lauscht lieber dem existentiellen Schrei von Thomas Bernhard.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 12.02.2019 finden Sie hier

Film

Gute, alte Zeiten: Filmkritik im Fernsehen.
Der fünfte Tag der Berlinale in unserem Pressespiegel: Carlo Chatrian zieht mit seinem Locarno-Team nach Berlin um, meldet Variety. Zhang Yimous Wettbewerbsfilm "One Second" wurde überraschend aus dem Programm genommen - chinesische Zensur, fragt sich der Tagesspiegel. Ästhetisch reizvoll, aber doch begähnenswert: Denis Côtés "Ghost Town Anthology" im Wettbewerb. Und beim Porträtfilm "What She Said" über die Filmkritikerin Pauline Kael trauert die Filmkritik den alten Zeiten nach.

Abseits der Berlinale: Robert Rodriguez hat mit seinem neuen, auf einer japanischen Manga-Vorlage basierenden Blockbuster "Alita" Hegel und das Actionkino versöhnt, meint Dietmar Dath, gewohnt theorie- und emphasefreudig in der FAZ und versichert: "Leute, die bloß unterhalten werden wollen, dürfen Hegel und Jeremia überspringen, um sich an der besten Heldin-verhaut-Ganoven-Quasiwestern-Barprügelei seit 'Serenity' (2005) zu erfreuen. ... Noch bei irrsten Geschwindigkeiten, wenn Schleifschneider und Damaszenerklingen blitzend aus den Bildern aufs Timing einhacken, lässt Rodriguez den Grundkonflikt des Films nicht los, an den ihn das Drehbuch bindet."
Archiv: Film

Kunst

Zum Tod des amerikanischen Minimal-Art-Malers Robert Ryman erinnert sich Max Dax in der Welt daran, wie er von dem Schweizer Sammler Urs Raussmüller dazu verdonnert wurde, eine Stunde lang vor Rymans aus fünf Einzelgemälden bestehendem Bild AVON zu verbringen und plötzlich das Geheimnis hinter Rymans Werk erkannte: "AVON gehört zu den Schlüsselwerken Rymans, und sein Claim to Fame kann in dieser monumentalen, aus fünf weißen Gemälden bestehenden Arbeit im wahrsten Sinne des Wortes minutiös abgelesen werden. Denn in einer Stunde verändert sich das Tageslicht langsam, aber beständig. Mein Blick auf die fünf Farben Weiß ähnelte einer Meditation: In demselben Maße, wie sich das Licht änderte, veränderte sich die Malerei. Deren gleißend helle Quadrate durchliefen gewissermaßen einen auratischen Materialisierungsakt, der den von Laien gerne geäußerten Einwand, 'jeder könne schließlich weiße Bilder malen', von der Wand wischte." Im Guardian schreibt Adrian Searle: "Ryman nahm die Malerei auseinander, um zu sehen, wie sie funktionierte, und baute sie dann von Null auf wieder zusammen."

Weitere Artikel: Recht knapp handeln Boris Abel und Sophie Eliot in der taz ihren Besuch auf drei Kunstmessen in Mexiko-Stadt, der "Zonamaco México Arte Contemporanéo", der "Modern Love vol. 3" und der "Material Art Fair" ab, auf denen sie immerhin erkennen, wie die mexikanische Kunststzene "gesellschaftlichen Konflikten" trotzt und an internationaler Bedeutung gewinnt. Im Standard geht Anne Katrin Fessler der Frage nach, ob von Algorithmen entworfene Bilder Kunst sind. In der FR bewundert Sylvia Staude die in der Frankfurter Galerie Peter Sillem ausgestellten Tierporträts von Walter Schels.

Besprochen wird die Ausstellung "Der junge Picasso - Blaue und Rosa Periode" in der Basler Fondation Beyeler ("ein exquisites ästhetisches Erlebnis" von "fast unerwarteter Klarheit", meint Rose-Maria Gropp in der FAZ)
Archiv: Kunst

Literatur

Witzig: Zum 30. Todestag von Thomas Bernhard hat die Presse Bernhards Städtebeschimpfungen zumindest für Österreich auf einer interaktiven Karte zusammengefasst. Ganz gut findet es Ronald Pohl im Standard derweil, dass die alten Konflikte um Bernhard sich zusehends legen: "Mit der sozialen Wirklichkeit in diesem Land haben Bernhards Bücher immer weniger zu schaffen. Doch vielleicht verhilft ihnen gerade dieser Umstand zu neuer Anteilnahme: Indem die Tagespolemik verstummt, verschafft sie dem existenziellen Schrei Gehör."

Schriftsteller Alain Claude Sulzer plädiert in der NZZ für den engagierten Erwerb vieler Kochbücher und geht selbst mit leuchtendem Beispiel voran: "In meinem Besitz befinden sich rund zweihundert Kochbücher." Aber: "Die meisten habe ich nach dem ersten Durchblättern nicht mehr oder nur ganz selten in die Hand genommen."

Besprochen werden unter anderem Barbara Honigmanns "Georg" (Berliner Zeitung, SZ, FAZ), Theresa Prammers "Auf dem Wasser treiben" (Presse), Clemens J. Setz' Erzählungsband "Der Trost runder Dinge" (NZZ), Jesse Jacobs' Comic "Crawl Space" (Tagesspiegel), John Lanchesters "Die Mauer" (Presse) und Artur Beckers "Der unsterbliche Mr. Lindley" (FAZ).

Mehr auf unserem literarischen Meta-Blog Lit21 und ab 14 Uhr in unserer aktuellen Bücherschau.
Archiv: Literatur

Bühne

In der Nachtkritik berichtet Dorothea Marcus vom zweiten Flausen-Kongress, bei dem ein Netzwerk aus inzwischen 24 kleineren bis mittleren Theatern aus 13 Bundesländern über Möglichkeiten der Freien Szene, Angriffe von Rechts und Diversität diskutierten. Die Gießener Politologin Nikita Dhawan etwa gab zu bedenken: "So politisch und weltverbesserisch man als Theater auch immer agieren wolle, aus den eigenen postkolonialen Machtstrukturen und kapitalistischen Machtverhältnissen komme man kaum heraus. Auch wenn Jurys divers oder paritätisch weiblich besetzt würden, auch wenn Migrant*innen auf der Bühne scheinbar noch so wohlmeinend repräsentiert würden: eurozentrischer imperialistischer Feminismus verwandle sich leicht in Gift, migrantische Positionen würden schnell missbraucht. Denn meist dürften diese ohnehin nur verkünden, was die Mehrheitsgesellschaft als Rahmen setze. Und wie lange soll eine migrantische Position oder eine 'person of colour' überhaupt noch als 'besonders' markiert werden?"

Überwältigt und "beglückt" berichtet Reinhard J. Brembeck im Feuilleton-Aufmacher der SZ von Carlus Padrissas Inszenierung von Ernst Kreneks selten gespielter, politischer Oper "Karl V." an der Bayerischen Staatsoper, die den Habsburgerkaiser mit Iro aus dem Europa eines katholischen Fundamentalismus in eine zerfallende Europäische Union, in der der Nationalismus erstarkt, versetzt: "Die katalanische Künstlerin Lita Cabellut, die Bühne und Kostüme gestaltete, hat ihn vorwiegend in weiß verpackt: Leggins, geschminktes Gesicht, vier mit gelben Bändern hahnenkammartig hochgebundene Haarbüschel und ein Leichenhemd, auf dem ein Zifferblatt im Strudel der Zeit versinkt und Karl unerbittlich mit sich reißt." In der FAZ meint Stephan Mösch hingegen: "Vieles bleibt Augenfutter, manche Botschaft kommt hemdsärmelig daher."

Weitere Artikel: Interimsintendant Klaus Dörr soll die Berliner Volksbühne nun bis zum Ende der Spielzeit 2020/21 leiten, meldet der Tagesspiegel mit dpa.

Besprochen wird Oliver Frljics "Bericht für eine Akademie" am Berliner Gorki Theater (SZ).
Archiv: Bühne

Musik

2005 hat der Rapper Edan Portnoy mit "Beauty and the Beat" das "Sgt. Pepper's für die Generation Sampling" vorgelegt, schreibt Christian Werthschulte in der taz, und sein neues, mit Homeboy Sandman aufgenommenes Album "Humble Pi" schließt daran gut an: "Gesamplete Synthesizer blubbern über einer alten Soundtrack-Aufnahme, die irgendwann in einen schluffigen Beat münden. Aber immer wenn sich Edan in den verrauschten Klangschnipseln seiner Samplebibliothek zu verlieren droht, holt ihn die kräftige Stimme von Homeboy Sandman wieder zurück." Beide bauen sich ihre "Nische für die Lo-Fi-Influencer und Slacker, die eigentlich auf nichts so richtig Lust haben, außer Musik aus ihren Plattensammlungen zusammenzubauen." Auf YoutubeMusic steht das Album online:



Weitere Artikel: Jürgen Schmieder (SZ) und Gerrit Bartels (Tagesspiegel) berichten von der Grammy-Verleihung. Wer ist eigentlich Kacey Musgraves, die den Grammy für das "beste Album des Jahres" eingeheimst hat, fragt sich Karl Fluch im Standard. Amira Ben Saoud spricht für den Standard mit Maurice Ernst von der Austro-Pop-Band Bilderbuch. Im ZeitMagazin träumt Dendemann.

Besprochen werden Jungstötters neues Album "Love Is" (Standard), das neue Album von Ariana Grande (ZeitOnline), ein Auftritt der Türen (Tagesspiegel), Avi Avitals Konzert in Berlin (Tagesspiegel) und neue Wiederveröffentlichungen, darunter Mimi Fariñas "Solo" (SZ).
Archiv: Musik