Efeu - Die Kulturrundschau

Von neuen Bildern nichts gehört

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
28.08.2019. Die Kritiker blicken nach Venedig, wo heute Abend die Filmfestpiele beginnen und sich vor keinem heißen Eisen drücken. Die NZZ fürchtet, dass der VW-Konzern das Kunstmuseum Wolfsburg ganz auf Linie bringen will. Die FR bewundert Kasper Königs Charisma, das noch immer jeden kommerziellen Ort überstrahlt. Die SZ dokumentiert, mit welcher Gehässigkeit die AfD KünstlerInnen unter Druck setzt. In der Zeit freut sich Gisele Sapiro, dass jetzt auch die USA mehr Literatur aus anderen Sprachen übersetzen.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 28.08.2019 finden Sie hier

Film



Heute beginnen die Filmfestspiele in Venedig - die Kritiker freuen sich auf einen bunten Strauß internationaler Filme. Tazler Tim Caspar Boehme ist beim Blick ins Programm besonders aufgefallen, dass sich "eine beachtliche Liste an Filmen der jüngeren bis jüngsten Zeitgeschichte widmet" - und "Spionage" bilde gar einen heimlichen, kleinen Schwerpunkt. Dominik Kamalzadeh berichtet im Standard, dass das Festival derzeit allerdings auch heftiger Kritik ausgesetzt ist: Zu wenig Frauen im Wettbewerb und außerdem umstrittene Regisseure wie Roman Polanski und Nate Parker, der sich vor einigen Jahren vor Gericht wegen eines Vergewaltigungsvorwurfs verteidigen musste. Aber "brisante Themen finden sich im Wettbewerb allerdings auch abseits solcher heikler Zusammenhänge von Werk und Autor. US-Regisseur Steven Soderbergh beleuchtet in seiner Netflix-Produktion 'The Laundromat' die Hintergründe der Panama-Papers. ... 'Wasp Network', der neue Film des alerten französischen Regisseurs Olivier Assayas, erzählt die wahre Geschichte der "Cuban Five", fünf kubanischer Agenten, die in den USA wegen Spionage verurteilt wurden."

Weiteres: Der Filmproduzent Felix von Boehm gibt im Gespräch auf Blickpunkt Film Auskunft über die Dreharbeiten zu Dominik Grafs Kästner-Verfilmung "Fabian" und verspricht damit "kein behäbiges, betonschweres Historienkino" abliefern zu wollen.

Besprochen werden der von Michelle und Barack Obama produzierte Netflix-Dokumentarfilm "American Factory" über den Culture Clash, der sich ergibt, wenn in einem Autowerk in Ohio chinesische Vorarbeiter auf amerikanische Arbeiter treffen (ZeitOnline), Nisha Ganatras Komödie "Late Night" (SZ, Berliner Zeitung), Anatol Schusters "Frau Stern" (critic.de) und der Thriller "Die Agentin" mit Diane Kruger (Standard).
Archiv: Film

Kunst

Ansicht von Kasper Königs Ausstellung in der Galerie König. An der Wand Susi Pops "Floß der Medusa". Foto: Roman März

In der FR freut sich Ingeborg Ruthe über die gelungene Ausstellung, mit der Kasper König in der Galerie König seines Sohne Johann in der Berliner Agnes-Kirche gastiert, mit Arbeiten von Susi Pop bis Heidi Specker, Fischli & Weiss bis Emeka Oghbo, Rosemarie Trockel und Allisa Yoffe: "Die Ausstellung ist wahrlich ein Coup. Für Wochen wird sie die Bestimmung der Galerie als kommerzieller Ort mit charismatischer Wucht überlagern, indem sie Kunst nur Kunst sein lässt - ein künstlerisches und politisches Statement, wie man es von König Senior gewohnt ist."

Zu seinem 25-jähriges Jubiläum steht das Kunstmuseum Wolfsburg vor einem Scherbenhaufen, stellt Bettina Maria Brosowsky in der NZZ fest, vor einem halben Jahr wurde der dritte Direktor Ralf Beil spektakulär rausgeworfen. Seine Themenausstellungen passten dem VW-Konzern nicht: "Seine für Herbst 2019 konzipierte, kulturhistorisch grundierte Schau 'Oil. Schönheit und Schrecken des Erdölzeitalters' ist offiziell bis auf weiteres verschoben, der österreichische Partner, das Wiener Belvedere, ist mittlerweile jedoch abgesprungen. So steht das 25-Jahr-Jubiläum des Wolfsburger Kunstmuseums gleichzeitig im Zeichen von dessen größter Krise. Denn es geht um nicht weniger als die Glaubwürdigkeit einer dem öffentlichen Wohl verpflichteten Kulturinstitution, ihre geistige Autonomie, ihre kuratorische Freiheit sowie ihre nicht zu zensurierenden Themensetzungen. Ein braves Konzernmuseum braucht nämlich niemand."

Weiteres: Auf Hyperallergic stellt Hakim Bishara den algerisch-französischen Künstler Rachid Koraichi vor, der in Tunesien einen Friedhof für die im Mittelmeer ertrunkenen Migranten errichtet, den Jardin d'Afrique in der Stadt Zarzis: "'Ich baute diesen afrikanischen Garten auch, weil wir Nordafrikaner oft dem subsaharischen Afrika unseren Rücken zukehren', sagt Koraichi." Im Standard rekapituliert Olga Kronsteiner den nun beigelegten Streit um die Entlassung von Museumschefin Agnes Husslein-Arco, die das Wiener Bellevue offenbar recht selbstherrlich, wenn nicht gar despotisch geführt hatte. Jügen Kaube fürchtet in der FAZ, dass die Bundeskanzlerin aus Sorge, politisch oder moralisch anstößige Künstler zu wählen, bald gar keine Kunst mehr aufhängen könnte: "Zurzeit hängt nichts in ihrem Arbeitszimmer. Wir haben jedenfalls von neuen Bildern nichts gehört."

Besprochen werden eine Schau mit Zeichnungen von Cézanne in der Whitworth Art Gallery in Manchester (Guardian),die Ausstellung "Verfemt - gehandelt", mit der das Sprengel Museum in Hannover seine Sammlung Doebbeke untersucht (FAZ), Arbeiten von Reinhard Stangl und Michael Jastram in der Galerie Sandau & Leo (Tsp) und eine Ausstellung des Malers Lars Theuerkauff in der Galerie Tammen (taz)
Archiv: Kunst

Bühne

Peter Laudenbach und John Goetz dokumentieren auf zwei Seiten in der SZ, wie AfD & Co Künstler und Künstlerinnen unter Druck setzt oder Einrichtungen attackiert, die ihr nicht in den politischen Kram passen. Es ist eine Aneinanderreihung von Gehässigkeiten und Aggressivität. Zum beispiel in Altenburg: "Das Theater Altenburg macht die nationalsozialistische Vergangenheit der Stadt zum Thema, ein Schauspieler aus Burkina Faso spielt die Titelrolle in der Inszenierung 'Der Hauptmann von Köpenick'. Auf einer Kundgebung des örtlichen Pegida-Ablegers Bürgerforum fordert ein Redner den Boykott des Theaters: 'Ich rufe alle, die gegen diese Politik sind, dazu auf, das Theater in Altenburg und das Lindenau-Museum zu boykottieren! Grenzt sie auf dieselbe Weise aus, wie sie es mit Euch tun! Und zeigt ihnen, woher das Geld kommt, mit dem sie ihre Miete bezahlen!'"

Besprochen werden Heiner Goebbels' Produktion "Everything that Happened and Would Happen" bei den Ruhrfestspielen (in der NZZ-Kritiker Bernd Noack den Versuch sieht, "dem Schrecklichen mit einer Ästhetik der Verwirrung zu begegnen") und die Ausstellung "Das Jahrhundert des Tanzes" in der Akademie der Künste in Berlin (taz).
Archiv: Bühne

Literatur

Die Zeit hat ein Gespräch mit der französischen Kultursoziologin Gisèle Sapiro online nachgereicht, in dem es um Übersetzungen geht. Nach wie vor werden viel mehr Bücher (rund 60 Prozent) aus dem Englischen übersetzt als aus anderen Sprachen, so Sapiro. Aber langsam ändere sich etwas: "In den USA gibt es inzwischen eine Bewegung für mehr Übersetzungen. Übersetzer, kleine Verlage und andere haben sich zusammengeschlossen - sie verleihen Preise, veranstalten Festivals, und sie haben sich einen neuen Namen ausgedacht: Statt der unbeliebten 'translations' sprechen sie jetzt von 'international literature'. Außerdem gibt es einen neuen Player, der viel ins Englische übersetzt: Amazon. Unter dem Titel AmazonCrossing hat es sich die Firma zur Aufgabe gemacht, mehr Übersetzungen zu veröffentlichen. Das Unternehmen hat die Möglichkeit, datengestützt zu untersuchen, welche Bücher sich in den USA gut verkaufen könnten. Außerdem hilft natürlich staatliche Förderung von Übersetzungen. Um dem Markt etwas entgegenzusetzen, ist sie sogar notwendig."

Weitere Artikel: Es gibt eigentlich keine andere moderne Haltung als die postmoderne, meint der britische Schriftsteller Tom McCarthy im Interview mit der NZZ. Harry Nutt (Berliner Zeitung) und Sandra Kegel (FAZ) statten Suhrkamps neuem Verlagshaus in Berlin einen Besuch ab. Für Nutt stellt sich das "nun stolz in der Mitte Berlins positionierende Haus an der Torstraße" als "das Symbol einer neuen Sesshaftigkeit nach einer endlos erscheinenden Abfolge von Ungewissheiten und Turbulenzen" dar. Auf einer Sonderseite beschäftigt sich die SZ mit 200 Jahren "West-Östlicher Divan" von Goethe: Für Heinrich Detering etwa ist die Feststellung, "dass der Islam schon seit dem 17. Jahrhundert zur deutschen Literatur gehört, ein Satz von erhabener Trivialität." John Quinn begibt sich für den Tagesspiegel auf den Spuren W.G. Sebalds nach Ost-England. Lutz Herden liest für den Freitag Theodor Fontanes Kriegstagebücher. Für die NZZ stöbert Paul Jandl die Schubladen in den Schreibtischen von Schiller, Goete und Roland Barthes - aber auch seinen eigenen, sehr imposanten, in dem "sich Kleinodien eines Menschenlebens erhalten haben."

Besprochen werden Louise Erdrichs "Der Gott am Ende der Straße" (NZZ), eine Comicbiografie über George Orwell (Dlf Kultur), Dror Mishanis Krimi "Drei" (FR), Claudio Magris' "Schnappschüsse" (online nachgereicht von der FAZ) und Jan Wilms "Winterjahrbuch" (FAZ).
Archiv: Literatur

Design

Bélya, Adama Paris & Nio Far by Milcos, © Aldi Diasse

In der Berliner Zeitung berichtet Petra Kohse von ihrem sehr anregenden Besuch in der Berliner Ausstellung "Connecting Afro Futures. Fashion x Hair x Design", auf die wir auch gestern schon hingewiesen hatten: "Kleidung aus Baumrinde, Autoreifen oder synthetischem Haar, Perücken in der Form von Häusern oder ein Totentuch mit traditionellen Mustern, gewebt aus Kunstfasern, Leder und Metallfäden - die Objekte von Designern und Designerinnen, Künstlern und Künstlerinnen aus Uganda, Senegal und Benin weisen in die Zukunft, indem sie Geschichten aus der Vergangenheit erzählen.
Archiv: Design

Musik

Philipp Rhensius porträtiert für die taz den amerikanischen Ambientmusiker Huerco S., dessen Musik keineswegs zur einlullenden Klangtapete gerinnt, sondern "in den Bann zwingt, aufrüttelt, zum Hinhören zwingt. Ein Sound, der dazu auffordert, Zusammenhänge zu suchen, wo noch keine sind, und Kontexte aufzulösen, wo welche waren." Das Debütalbum des Künstlers, der am Wochenende beim Atonal Festival in Berlin zu erleben ist, versucht daher auch, ein Bewusstsein für die im Alltag völlig verschüttete indigene Geschichte der USA zu schaffen. "Die Musik auf dem Album sei der Darstellungsversuch, wie die Welt dort ausgesehen haben könnte, wenn die Kolonisierung Nordamerikas nicht passiert wäre." Für The Quietus wirft derweil Christian Eede einen mit vielen Klangbeispielen bestückten Blick voraus auf das Atonal Festival.



Weiteres: Winrich Hopp, Leiter des Musikfests Berlin, spricht im Tagesspiegel unter anderem über die Relevanz der Klassik. Alexandra Ketterer porträtiert im Tagesspiegel die Musikerin Ilgen-Nur. Im Tagesspiegel resümiert Barbara Munker die MTV Music Video Awards.

Besprochen werden Taylor Swifts neues Album "Lover" ("vor allem gut, weil es nicht schlecht ist", meint Amira Ben Saoud im Standard, Welt), ein Salzburger Konzert der Berliner Philharmoniker unter deren neuem Chef Kirill Petrenko (Standard), zwei Konzerte des Gewandhausorchesters Leipzig unter Andris Nelsons beim Lucerne Festival (NZZ), neue Popveröffentlichungen, darunter das Debütalbum "Prang" von Gender Roles (SZ), und neue Veröffentlichungen aus dem Punk- und Hardcore-Underground (The Quietus).
Archiv: Musik