Efeu - Die Kulturrundschau

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16.11.2020. Auf ZeitOnline gerät Werner Herzog über einen Meteoriteneinschlag vor 65 Millionen Jahren in die Ekstase des Entdeckens. Die FAS blickt mit Monika Marons Literaturagenten in die Verlagsbüchse der Pandora. Die FAZ bewundert die neue Große Moschee von Algier. Die Nachtkritik erkundet im Theater-Game "Golem 24143" das Kieler Ostufer. Die Berliner Zeitung stellt den Modemacher Amesh Wijesekera vor, der die binäre Kleidung ebenso wie den Ethno-Look hinter sich lässt. Und die Jungle World huldigt mit Jessie Wares Disco-Album dem eleganten Glitzer.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.11.2020 finden Sie hier

Film

Ekstase beim Filmemachen: Clive Oppenheimer und Werner Herzog (Bild: Apple TV+)

Dirk Peitz spricht für ZeitOnline mit dem Vulkanologen Clive Oppenheimer und Werner Herzog, die man bereits von ihrem Vulkanfilm "Into the Inferno" her als Team kennt und die nun mit "Fireball: Visitors from Darker Worlds" der Faszination von Meteoriten nachgehen. Herzog ist da voll in seinem Element, spricht von einer "Ekstase des Entdeckens". Schließlich "gebietet uns der Gedanke Ehrfurcht, was es bedeutet haben mag, dass vor 65 Millionen Jahren ein Asteroid die Erde getroffen hat, dessen Einschlag eine Energie von unzähligen Atombomben freigesetzt hat. Oder dass das Innere unseres Planeten aus glühend heißem Magma besteht, das durch Vulkane an die Erdoberfläche geschleudert werden kann. Das löst nicht nur Ehrfurcht aus, sondern auch eine Art Erregung. Die Schönheit des Filmemachens beginnt damit, diese Gefühle bei Menschen einzufangen."

In der FAZ legt uns Bert Rebhandl wärmstens das bis ins Jahr 1978 zurückreichende Online-Archiv mit den Diskussionen und Debatten der Duisburger Filmwoche ans Herz. Bekanntlich finden bei dem Festival nach jeder Vorführung ausführliche Gespräche statt: Von Interesse sind diese Debatten "als differenzierte Chronik des Dokumentarfilmschaffens im deutschsprachigen Raum, als mentalitätsgeschichtlich spannende Reflexionsspur, als Kommunikationsforum für Erwartungshaltungen an den Medienalltag. ... Die Gespräche führen mitten hinein in eines der großen Rätsel auch noch einer durch Quotenmessung und inzwischen viele weitere Rezeptionsdaten vollkommen durchleuchteten Medienlandschaft: Was möchten die Menschen (von sich) sehen und wissen?"

Weitere Artikel: In der Berliner Zeitung empfiehlt Claus Löser Filme aus dem Programm des Onlinefestivals Afrikamera, in der taz stellt Eva Königshofen das Programm vor. Fritz Göttler weist in der SZ auf die Werner-Schroeter-Retrospektive im Vimeokanal des Münchner Filmmuseums hin.

Besprochen werden die HBO-Serie "Lovecraft Country" (Welt), die vierte Staffel der Netflix-Serie "The Crown" (FAZ, Freitag, ZeitOnline) und die deutsche Netflix-Serie "Die Barbaren" (Freitag).
Archiv: Film

Literatur

In einer Notiz am Rande berichtet FAS-Feuilletonchefin Julia Encke davon, dass ihr ein Brief von Christian Schertz, dem Anwalt des S.Fischer Verlags vorliege, aus dem hervorgehe, dass Monika Marons Literaturagent Matthias Landwehr dem Verlag schon Monate vor der zuletzt vieldiskutierten Verlagstrennung gedroht habe: "Sollte S. Fischer sich von seiner Autorin abwenden, werde es ein großes Thema in der Öffentlichkeit und dass der Verlag abwägen müsse, ob er wolle, dass die 'Büchse der Pandora' geöffnet werde. Die Verlegerin von S. Fischer, Siv Bublitz, hielt an ihrer Entscheidung fest, die Debatte nahm schnell Fahrt auf. Und Landwehr konnte die Bücher der nun vieldiskutierten Autorin anderen Verlagen anbieten." So sieht auch Gerrit Bartels im Tagesspiegel "in Sachen Aufmerksamkeitsökonomie" einen "Volltreffer" für die Autorin, deren Agenten und ihren neuen Verlag. Und "schon die Veröffentlichung von Marons Roman 'Artur Lanz' stand auf der Kippe - nicht weil S. Fischer den nicht herausbringen wollte, sondern weil Monika Maron und ihr Agent zögerten, ihn wegen des Streits womöglich woanders veröffentlichten wollten".

Weitere Artikel: Marcus Müntefering spricht für den Freitag mit der schottischen Krimiautorin Denise Mina. Der Standard spricht ausführlich mit der Schriftstellerin A.L. Kennedy. Für die FAZ porträtiert Lena Bopp Nadine Touma, die in Beirut Kinderbücher verlegt.

Besprochen werden unter anderem Helmut Lethens Autobiografie "Denn für dieses Leben ist der Mensch nicht schlau genug" (NZZ), Yoko Ogawas "Insel der verlorenen Erinnerungen" (SZ), die Anthologie "Frauen|Lyrik" (Berliner Zeitung), die Werkausgabe Thomas Kling (FR), Joachim Meyerhoffs "Hamster im hinteren Stromgebiet" (Freitag), Mercedes Spannagels Debütroman "Das Palais muss brennen" (Tagesspiegel), Augustus Rose' Krimi "Philadelphia Underground" (Freitag) und neue Hörbücher, darunter Alexander Kluges "Das neue Alphabet" (FAZ).

In der online nachgereichten Frankfurter Anthologie schreibt Norbert Hummelt über Henning Ziebritzkis "Die Wasseramsel":

"Als ich in der Dämmerung von der Arbeit komme
und sie im Stadtgraben unter mir entdecke,
..."
Archiv: Literatur

Design

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Anne Lena Mösken porträtiert in der Berliner Zeitung den Modedesigner Amesh Wijesekera aus Sri Lanka, der seit einiger Zeit in Berlin lebt, wo er ein Modelabel gegründet hat. Seine Entwürfe verbinden Traditionen seiner Heimat mit Konzepten der Gegenwart, erfahren wir: Er "kombiniert die alten Techniken mit modernen Silhouetten und zeitgenössischem Design und dekonstruiert die traditionelle Schönheit Südasiens immer genau dann, wenn sie droht, zu Ethnokitsch zu werden: hier Fell-Applikationen an einem Kimono, dort lose Fäden, die aus einem Strickstück hängen. Oder eine Kombination von Handgewebtem mit Acid Wash. Seine Stücke sind mehrdeutig, sind weder feminin noch maskulin: Hosen mit glockenförmigen Beinen, klassische Hemden mit opulenten Raffungen, grober Strick, der sich eng an den Körper schmiegt. Wijesekera bricht lustvoll die Gendernormen, in die er selbst nie passen wollte."
Archiv: Design

Architektur

Große Moschee von Algier. Foto: KSP Jürgen Engel


In der FAZ stellt Rainer Schulze die Große Moschee von Algier vor, die vom Architekturbüro KSP Jürgen Engel aus Frankfurt entworfen wurde. Unter anderem der Gebetssaal mit einer 45 Meter hohen Kuppel macht sie zur drittgrößten Moschee der Welt: "Der Raum ist größer als der Petersdom. Im Süden, angrenzend an einen Park, stehen ein Kongresszentrum, eine theologische Hochschule und ein Studentenwohnheim, die aus der Moschee auch einen sozialen Treffpunkt machen sollen. Das Gesamtbild wirkt wohlgeordnet und bei aller Monumentalität auch dank des hellen Kalksteins elegant. Die Moschee wäre auch ein Zielort für Architekturtouristen aus aller Welt - wenn nur die Anreise nicht so kompliziert wäre, dass sogar der Architekt bei der Eröffnung nicht dabei sein konnte. Algerien lebt vom Export seiner Rohstoffe Öl und Gas und hat sich gegenüber dem Massentourismus abgeschottet."
Archiv: Architektur

Bühne

Sebastian Kreuzer im "Golem 24143". Foto: Theater Kiel

Nachtkritiker
Jan-Paul Koopmann hat sich für Tabea Wieses Digitaltheater-Experiment Golem 24143" zur Verfügung gestellt, einer Produktion des Jungen Theaters im Kieler Werftpark, die Koopmann als "Zuhause-Theater-Game" zwischen phantastischer Literatur und Escape-Room beschreibt: "Das Kieler Theatergame weckt statt antibürgerlicher Sinnkrisen dagegen eher Sportsgeist: man tüftelt hektisch an Zahlenrätseln und Anagrammen, während Sebastian Kreuzer einen Lautsprecher und zwei bis drei Browser-Tabs entfernt Döner mampft und mit der Folie knistert. Immer wieder klickt man zurück, hektisch, um im Nachbarfenster auch ja keinen Hinweis zu verpassen - und vielleicht auch wegen der grundsätzlich ungewohnten Situation, einen Theaterabend auch verlieren zu können."

In der SZ sammelt Dorion Weickmann zu der einstigen spanischen Tänzerin Marta Cinta, die durch ein Video der Alzheimer-Stiftung "Música para Despertar" späte Bekanntheit errang. Das Video findet Weickmann durchaus fragwürdig, die Geschichte der Frau, von deren tänzerischer Karriere so wenig bekannt ist, aber doch sehr faszinierend: "Sicher ist, dass Marta Cinta das Meer geliebt und Strandbesuche genossen hat - stets angetan mit Strohhut auf dem schmalen Kopf und XL-Sonnenbrille auf der Nase. Jeder um sie herum wusste von ihrer Leidenschaft fürs Ballett und ihrer Vergangenheit als 'professionelle Tänzerin'."



Weiteres: SZ-Kritiker Egbert Tholl blickt sehnsüchtig in die Schweiz, wo die Theater weiter spielen dürfen, unter anderem Ovids "Metamorphosen" und Ottessa Moshfeghs Roman "Mein Jahr der Ruhe und Entspannung". Am Zürcher Schauspielhaus musste wegen der Corona-Erkrankung des Intendanten Nicolas Stemann dennoch die Premiere des Weihnachtsstücks "König der Frösche" abgesagt und durch das Provisorium "Versammlung für einen Frosch" ersetzt werden, berichtet Tobias Sedlmaier in der NZZ. In der Nachtkritik erklärt Michael Wolf, warum sich mit dem Verband der Theaterautor*innen (VTheA) und dem Theaterautor*innen-Netzwerk gleich zwei Autoren-Organisationen gegründet haben.
Archiv: Bühne

Kunst

In der FAZ erinnert sich Georg Imdahl in der Corona-bedingten Reihe "Meine liebste Ausstellung" an die Schau "Fragen an vier Bilder" im Westfälischen Kunstverein Münster von 1993, mit der sich Kurator Heinz Liesbrock gegen die Kommerzialisierung der Kunst stellen wollte und dafür als Anhänger von Aura und Autonomie anfangs belächelt wurde. In der FR blickt Ingeborg Ruthe auf die Situation der amerikanischen Museen, die nur zu einem geringen Teil auf staatliche Unterstützung bauen können. Dass sie mitunter über einen erklecklichen Kapitalstock verfügen, verschweigt Ruthe nicht. Im Standard spricht Klaus Albrecht Schröder, Direktor der Wiener Albertina, über die Schließung des Hauses, die Fehler der Corona-Politik und die Zukunft der Blockbuster-Ausstellungen.
Archiv: Kunst

Musik

In der Jungle World schwärmt Jan-Niklas Jäger vom neuen Album von Jessie Ware, die darauf auf Donna Summers Disco-Spuren wandelt: "Die Vergangenheit, die aufblitzt, ist gleichzeitig die Zukunft des Genres, dessen Erbe sie fortführt. ... Schon zu Zeiten Donna Summers war der Eskapismus von Disco als oberflächlich verschrien. Das menschliche Verlangen nach Selbstverwirklichung wirkt unter dem Schutz dieser Oberfläche. Und es ist lange her, dass sie dabei so elegant geglitzert hat." Wir hören rein:



Im FAZ-Gespräch spricht die Mezzosopranistin Elina Garanča über ihre Entscheidung, auf ihrer ersten Lied-CD auch Robert Schumanns Zyklus "Frauenliebe und -leben" untergebracht hat, der, diplomatisch gesagt, etwas antiquierte Vorstellungen vom Zusammenleben der Geschlechter preist: Singen wollte sie ihn "als emanzipierte Frau, als Karrierefrau, wenn man so will, als Ehefrau und Mutter zweier Kinder. Ich finde die Texte von Adelbert von Chamisso unglaublich schön. Man kann das gar nicht oft genug sagen: Sie werden durch eine übertriebene Emanzipationsdebatte heute meistens falsch verstanden und um ihren tieferen Sinn gebracht." Es gehe "nicht darum, zu dienen, dem Mann die Socken zu waschen und regelmäßig etwas vorzukochen. Es geht vielmehr darum, sein Ego einem anderen freiwillig zu ergeben und sich mit ihm zu einer Einheit zu verbinden." Wir hören rein:



Außerdem: Ronald Pohl plaudert im Standard mit Campino. Besprochen werden Thelonious Monks erstmals veröffentlichtes Konzert in Palo Alto 1968 (Standard) sowie die neuen Alben von Weekend (taz), AC/DC (ZeitOnline) und Shirley Bassey (Welt), die auch heute noch so jung klingt wie damals, als sie "Goldfinger" sang:

Archiv: Musik