Efeu - Die Kulturrundschau

Die Zwänge des Ruhms

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03.03.2021. Die Kämpfe um feministische Kunst werden in Polen mit neuer Härte ausgetragen, beobachtet die taz, im Museum und auch auf der Straße. Die FAZ blickt ungläubig auf den winzigen Frauenanteil in gehobenen Orchesterpositionen. Der Freitag wiegt und biegt sich in Pauline Anna Stroms Retro-Yoga-Musik. In der SZ offenbart sich Christian Kracht als Spiegelbild seiner selbst. Und auf der Geister-Berlinale liefen Filme von Hong Sangsoo und Daniel Brühl, wie ZeitOnline, taz und Culturmag berichten
9punkt - Die Debattenrundschau vom 03.03.2021 finden Sie hier

Kunst

Für ihr Werk "Pasja" musste Dorota Nieznalska zahllose Blasphemie-Prozesse über sich ergehen lassen. Bild: Galeria Wyspa, Gdańsk

Seit den neunziger Jahren muss sich die Kunst in Polen gegen katholische und nationalkonservative Hardliner behaupten, schreibt Sabine Weier in der taz und erinnert an die Anfeindungen und Prozesse, die Katarzyna Kozyra, Zofia Kulik oder Dorota Nieznalska über sich ergehen lassen mussten. Doch seit feministische Künstlerinnen den Schulterschuss mit der pro-Choice-Bewegung geübt haben, werde der Kampf auf der Straße und im Museum härter: "Die Bewegung fordert längst mehr als das Recht auf Abtreibung: die klare Trennung von Staat und Kirche, mehr Gelder für das Gesundheitswesen, mehr LGBTQIA+-Rechte. Dafür setzen sich die Aktivist*innen auf den Straßen der Polizeigewalt und der Bedrohung durch militante Gruppen aus. Der Körper als Schlachtfeld ist unheimlich real geworden. Das zeigen auch Fotografien der Proteste, die das von Künstler*innen ins Leben gerufene Projekt 'Archive of Public Protests' (APP) auf einer eigenen Webseite versammelt. Für Natalia Sielewicz ist das eine der wichtigsten Initiativen: 'Diese Fotos zeigen reale Menschen in realen Situationen und bringen uns zurück zum Körper, der da draußen marschiert, weint, lacht, singt und schreit.'"

Weiteres: In Monopol blickt Victor Sattler eher unfroh auf die neue Bedeutung von Kunst, die im Gefängnis oder hinter Gittern entsteht, das Maxim Gorki Theater etwa zeigt Arbeiten der kurdischen Künstlerin Zehra Dogan, das New Yorer Moma PS1 die Schau "Marking Time". Andreas Förster berichtet in der FR, dass sich mehrere kleine Museen an der Nordsee zusammengetan haben, um die Provenienz von Objekten zu untersuchen, die bisher harmlos als "Seemannsmitbringsel" firmierten. Peter Kropmanns erinnert in der FAZ an den vor 150 geborenen Maler und Porträtisten Leo von König. Philipp Meiser besucht für die NZZ eine Ausstellung der Künstlerin Zilla Leutenegger in der neuen Galerie Peter Kilchmann in Zürich.
Archiv: Kunst

Bühne

Szene aus "Isola". Foto: Konrad Fersterer


Den Tod von Poeten und Barbieren erlebt SZ-Kritikerin Christine Dössel in Philipp Löhles "Isola" vom Staatstheater Nürnberg, dem Schauerstück zur Pandemie: "'Da draußen ist unser Feind', sagt der bleiche Friedrich Wilhelm. Drinnen nistet die Angst, auch nicht gerade eine Freundin. Sie gebiert Verdächtigungen, Selbstbezichtigungen, Wahnvorstellungen, Stillstand. Auch Langeweile bleibt nicht aus, das liegt in der Natur der Sache. 'Isola' ist keine schwarze, pointensprühende Komödie, eher eine creepy Groteske mit Anleihen beim Horrorfilm ebenso wie bei der schwarzen Romantik à la Edgar Allan Poe."

Weiteres: Im Tagesspiegel setzt die Potsdamer Intendantin Bettina Jahnke für den Sommer auf Open-Air-Theater, betont aber, dass alles davon abhängt, ob die Bühnen auch proben können. In Österreich sind sie weiter: Für den Standard besucht Ronald Pohl die letzten Proben für Michael Gruners Inszenierung "Herbst der Untertanen" im Wiener Hamakom. In der FAZ gratuliert Maria Wiesner der Schauspielerin Jutta Hoffmann zum Achtzigsten.
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Film

Das ist eine "Geisterfilm"-Berlinale, ärgert sich Hanns-Georg Rodek in der Welt darüber, dass dieses Festival zwar einige filmische Schwergewichte im Programm hat, diese aber - mangels Zustimmung der Rechteinhaber - überhaupt nicht gesichtet werden können (außer von, wie im Fall von Dominik Grafs "Fabian", ein paar lucky chosen few) und auch dem Sommerpublikum nur dann gezeigt werden können, wenn die Pandemie bis dahin im Griff ist. Zum Glück gibt es nach all den Netflix-Monaten wieder einmal ein nach künstlerischen Kriterien kuratiertes Programm, seufzt Anke Leweke auf ZeitOnline, auch wenn sie sich fragt, was diese sonderbare "Industry Event"-Berlinale eigentlich soll: "Ein wenig fühlt man sich bei diesem Onlinefestival wie eine Kuh, die mit Bildern gemästet wird, und fragt sich, ob eine Lobeshymne einen Film tatsächlich für ein paar Euro mehr über die Ladentheke gehen lässt."

Wünsche, Lebenswege - und alles zweigeteilt: Hong Sangsoos "Introduction"

Immerhin gezeigt wurde "Introduction" der neue Film von Hong Sangsoo. Der koreanische Autorenfilmer ist längst kein Festivalgeheimtipp mehr, sondern hochdekorierter Dauergast der A-Festival. Sein neuer Film passt ja bestens zu diesem zweigeteilten Festival, meint Katrin Doerksen im Berlinale-Tagebuch von CulturMag, denn auch Hong ist "ein Meister der zweigeteilten Narrative" und auch dieser Film "spielt zur Hälfte in Südkorea, zur Hälfte in Berlin; gedreht vermutlich während der letzten Berlinale." Auch sonst gibt es vieles, was man aus dem Werk des Minimalisten kennt: Beziehungsprobleme, Gespräche, die sich vor lauter Höflichkeit im Kreis drehen, leere Floskeln. "Es ist ein ziemlich trauriger Film, wenn er auch die Suche nach ein bisschen Wärme nie aufgibt, und gelegentlich findet er sie in kleinen Gesten: ein Kräutertee um die Wartezeit zu verkürzen, eine Daunenjacke, dem Frierenden um die Schultern gelegt." Beileibe kein schlechter Film, urteilt FR-Kritiker Daniel Kothenschulte, "doch die drei Episoden um nicht erfüllte Wunschvorstellungen und naturgemäß vorhersagbare Lebenswege wirken wie ein Nachtrag zu besseren Hong-Sang-Soo-Filmen." Immerhin finde der Film auf spielerische Weise einen Umgang mit der Krise des Kinos, meint Tim Caspar Boehme in der taz.

Gezeigt wird auch Daniel Brühls Regiedebüt "Nebenan", in dem Brühl einen Schauspieler namens Daniel spielt, der, wie er selbst, in Berlin Prenzlauer Berg lebt, wo es Reibereien mit der alteingesessenen Bevölkerung gibt. Das Drehbuch stammt von Daniel Kehlmann. Natürlich habe das alles mit ihm selbst zu tun, erklärt Brühl im SZ-Gespräch: "Aber natürlich ist alles auch stark verzerrt." Was den Prenzlauer Berg betrifft, hat er sich selbst "als Gentrifizierer gefühlt. Ich wusste immer, dass ich nicht direkt schuld daran bin, aber indirekt natürlich schon. Diese Ambivalenz empfinde ich als ganz normal." Der Film selbst läuft etwas zu routiniert ab, um tatsächlich ein "Schlüsselwerk über die Zwänge des Ruhms" darzustellen, urteilt Dominik Kamalzadeh im Standard. Der Film hält einen eine ganze Weile bei der Stange - nicht zuletzt wegen Peter Kurth als ostdeutschem Brummbär -, schreibt Andreas Busche im Tagesspiegel. Allerdings werde die Sache dann doch "irgendwann unangenehm eitel und am Schluss auch unnötig rührselig".

Weitere Artikel: Im Streit um das geschlossene Stuttgarter Kino Metropol zeigt sich für Sebastian Milpetz vom Freitag die "Ideologie des zeitgenössischen Kapitalismus im Allgemeinen". Maria Wiesner gratuliert in der FAZ der Schauspielerin Jutta Hoffmann zum 80. Geburtstag. Besprochen werden Ben Nicholas' und David Tryhorns auf Netflix gezeigte Doku über Pelé (taz) und das auf Disney+ gezeigte Remake von "Black Narcissus" (FAZ).
Archiv: Film

Musik

"Je höher die Dienstposition, je besser bezahlt die Stelle, desto geringer fällt der Frauenanteil aus", bringt Jan Brachmann in der FAZ eine neue (hier einsehbare) Studie zum Frauenanteil in deutschen Orchestern auf den Punkt. Zwar ist dieser Anteil seit 1970 ums etwa Zehnfache gestiegen - aber es ist noch mehr als deutlich Luft nach oben: "Die Gründe für diese Zahlen sind vielfältig. Zum einen verfolgen Männer nach wie vor eine stärker wirtschaftlich orientierte Karriereplanung als Frauen, für die das städtische Umfeld und dessen Familientauglichkeit oft eine größere Rolle spielt. Kinderbetreuungsangebote sind immer noch unzureichend auf die Arbeitszeiten am Abend und am Wochenende abgestimmt. ... Da Frauen sich immer noch stärker als Männer für Kinder und Familie verantwortlich fühlten, kollidiere diese Beanspruchung häufig mit der starken Reisetätigkeit von Spitzenorchestern." Im Tagesspiegel fasst Frederik Hanssen die Studie zusammen.

Sehr schön findet es Jürgen Ziemer im Freitag, dass die New-Age-Pionierin Pauline Anna Strom im Zuge des Wiederentdeckungshypes um Retro-Yoga-Musik mit "Angel Tears in Sunlight" nun doch noch ein neues Album aufgenommen hat, auch wenn die im Dezember verstorbene Komponistin dessen Veröffentlichung nicht mehr miterleben konnte: Zu hören gibt es "eine wunderbar ozeanische Musik, schillernd in ihrer Fantasie und Neugier, ein raffiniertes Update der Exotika von Martin Denny und des Krautrocks von Cluster." Ein schön mysteriöses Video gibt es obendrein:



Weitere Artikel: Bei der Onlinediskussion "Jazz & Race" war eine Angela Davis "in Höchstform" zu erleben, berichtet Andrian Kreye in der SZ. CDs machen im Zeitalter von Streaming die Umsätze zwar auch nicht mehr dick, dienen aber weiterhin als Marketinginstrument, berichtet Georg Rudiger im Tagesspiegel.

Besprochen werden eine Zusammenarbeit von Archie Shepp und Jason Moran ("sicher ein mögliches Album des Jahres", meint Ljubiša Tošic im Standard), das neue Album von Slowthai (NZZ) und neue Popveröffentlichungen, darunter eine neue EP von Billy Nomates (SZ). Daraus ein Video:

Archiv: Musik

Literatur

Zum Erscheinen seines neuen Romans "Eurotrash" gibt Christian Kracht der SZ ein Interview, das diesmal sogar erstaunlich redefreudig ausfällt. Die Quasi-Fortsetzung von "Faserland" handelt von einem Ich-Erzähler, der den Roman "Faserland" geschrieben hat, was naturgemäß zu Fragen nach dem autofiktionalen Charakter des Buches führt und ob Kracht wohl selbst diese Figur sei, was den Interview-Kracht sofort überfordert: "Oh Gott. Sie fangen ja gleich mit der schwierigsten Frage an", stöhnt er. "Sagen wir also lieber, der Erzähler meines Romans spielt mit seiner eigenen Identität. ... In all meinen Romanen gibt es eine bestimmte Stelle, in der sich der Erzähler vor einem Spiegel wiederfindet, oft ist es auch ein Doppelspiegel, in dem sich dann das gespiegelte Bild in der Unendlichkeit verliert. Und in meinem neuen Roman sieht sich eben nicht nur der Erzähler in einem solchen Doppelspiegel, sondern auch all meine anderen Romane werden formell zwischen den Buchdeckeln von 'Eurotrash' imitiert."

Weitere Artikel: Der Verein der Freunde der Staatsbibliothek zu Berlin kämpft um den Erhalt der jüdischen "Displaced Persons"-Literatur, berichtet Patrick Wildermann im Tagesspiegel. Die Familie von Amos Oz distanziert sich von dessen Tochter Galia Oz, die ihrem Vater Missbrauch vorgeworfen hat, berichtet Jochen Stahnke in der FAZ. Außerdem gibt es eine neue Ausgabe des CrimeMags - hier das Editorial mit allen Hinweisen zu Essays, Rezensionen und Empfehlungen.

Besprochen werden unter anderem Jia Tolentinos Essayband "Trick Mirror" (Tagesspiegel), Saša Stanišics Kinderbuch "Hey, hey, hey, Taxi!" (FR, Tagesspiegel), Roland Schimmelpfennigs "Die Linie zwischen Tag und Nacht" (Standard), Patrick Modianos "Unsichtbare Tinte" (Tagesspiegel), T.C. Boyles "Spricht mit mir" (online nachgereicht von der FAZ), Nicolas Mahlers Comicbiografie über Thomas Bernhard (Tagesspiegel), Alem Grabovacs "Das achte Kind" (SZ), Comics über Musiker (Jungle World) und Benedict Wells' "Hard Land" (FAZ).
Archiv: Literatur