Efeu - Die Kulturrundschau

Das Prekäre des balkanischen Daseins

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20.05.2023. Fast einhelliges Lob für die Architekturbiennale von Venedig, die Lesley Lokko mit Schwerpunkt Afrika kuratierte. Der Standard hätte sich nur einen noch radikaleren Umbau gewünscht. Salman Rushdie dankt in einem ersten Auftritt seinen Rettern - der Guardian dokumentiert. Im Van Magazin spricht der Dirigenten David Chin über seine Liebe zu Bach und die Lage der Klassik in seiner Heimat Malaysia. Die FAZ stellt Chaza Charafeddines libanesisches Fotoarchiv, das den krassen Bruch  jungen Libanesinnen in den Sechzigern und heute zeigt. Die Literaturkritiker trauern um Dževad Karahasan. In Cannes lief der neue Indiana Jones.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 20.05.2023 finden Sie hier

Architektur

Die Zeiten, als die Architekturbiennale von Venedig ein Schaulaufen internationaler Architekturstars der westlichen Welt und Japans war, ist längst vorbei, notiert Hubertus Adam in der NZZ. Das zeigt auch die diesjährige Biennale, für die Kuratorin Lesley Lokko den Schwerpunkt auf Afrika gelegt hat. "Bewusstseinserweiternd", lobt Adam. Um Ressourcen zu sparen, hat sie außerdem die Ausstellungsinstallation der letztjährigen Kunstbiennale wiederverwendet. Das führt für den Kritiker jedoch "zu einem seltsamen Widerspruch: Wird europäischen Künstlern des frühen 20. Jahrhunderts im Zuge des postkolonialen Diskurses vorgeworfen, Gegenstände anderer Kulturen ohne Interesse an ihrem ursprünglichen Kontext als rein ästhetische Gegenstände appropriiert zu haben, so gerät die auf dekolonialisierten Narrativen aufbauende Architekturbiennale in Gefahr, letztlich einem neuerlichen folkloristischen und exotischen Ästhetizismus Vorschub zu leisten. Diese esoterische Komponente zeigt sich insbesondere an den Themen, über die man nichts erfährt, etwa dem Einfluss von China, das mehr und mehr die Infrastruktur in Afrika bereitstellt. Die aktuellen politischen Themen drängen sich nicht in den Vordergrund, treten - wenn überhaupt - rezessiv, nicht aber dominant in Erscheinung."

Shop Architekturideen now im lettischen Pavillon


Im Standard geht Wojciech Czaja das alles nicht weit genug, er wünscht sich eine umfassende Umstrukturierung der Biennale, denn vieles gab es schon, es wurde nur immer wieder vergessen: Lettland beispielsweise "macht die Archivboxen wieder auf, reibt uns (und dem Präsidium der Biennale) unter die Nase, was eh schon alles erdacht und erfunden wurde, und lädt uns dazu ein, die am dringendsten benötigten Produkte in den Korb zu legen, sie miteinander zu kombinieren und das ganze Wissen endlich zu konsumieren. ... Lettland ist nicht der einzige Beitrag, der die Architekturbiennale in ihrer heutigen Form auf den Prüfstand stellt. Auch Österreich, Deutschland, die Schweiz und die Niederlande stellen infrage, ob die Biennale tatsächlich so sinnvoll und kulturell nachhaltig ist, wie sie es für sich selbst beansprucht, ob das Modell der Länderkonkurrenz überhaupt noch zeitgemäß ist und ob die monofunktionale Nutzung der Pavillons nicht ein bisschen eindimensional ist. Und all diese Länder mussten sich an den Behörden und Biennale-Verantwortlichen zum Teil die Zähne ausbeißen." In der Welt meint Alexander Gutzmer: "Es könnte irgendwann konsequent erscheinen, Kunst und Architekturbiennale zu verschmelzen. Die klassische Architekturschau mit Bauten, Modellen oder städtebaulichen Entwürfen scheint in Venedig jedenfalls ausgedient zu haben",

Weiteres: Lokkos Biennale leistet "großartige Pionierarbeit" für das Wissen über afrikanische Architektur, begeistert sich FAZ-Kritiker Niklas Maak. Tobias Timm besucht für die Zeit den deutschen Pavillon. In der taz berichtet Sophie Jung. Peter Richter macht einen Rundgang für die SZ.



Gerhard Matzig hat sich für die SZ den Rohbau von Stuttgart 21 angeguckt und staunt Bauklötze: Die "größte Wutbaustelle der Welt" weist den Weg in eine neue Welt! Oder vielmehr: Der Bahnhof des Architekten Christoph Ingenhoven ist "ein Transitbereich für Futurismus. Ein Teilchenbeschleuniger. Ein Katalysator für gesellschaftliche Wirkkräfte. Wenn man also dort nicht abseits am Gleis steht, sondern zum Zentrum einer Erzählung wird. Bahnfahren ist schön. Ökonomisch. Ökologisch. Also - im Prinzip. Die Bahnhöfe und Kaufhäuser früher waren nicht nur Produkte ihrer Zeit. Sie waren auch die Produzenten dieser Zeit. Das ist Architektur: eine Blaupause, ein Plan, ein Entwurf. Im Bahnhof nicht unter der Erde, sondern seltsam über den Wolken stehend, denkt man sich: Wer so etwas baut, muss verrückt sein. Und wer es nicht baut, ist ebenfalls verrückt."
Archiv: Architektur

Film

Jung geblieben dank Digital-Botox: Harrison Ford (80) in "Indiana Jones und das Rad des Schicksals"

Die Filmkritiker in Cannes haben alle nur Augen für den neuen Indiana-Jones-Film, der in wenigen Wochen sowieso regulär in allen Kinos läuft und von Festivalleiter Thierry Frémaux sehr öffentlichkeitswirksam platziert wurde. Erstmals führt nicht Steven Spielberg Regie bei der Archäologen-Sause. Stattdessen sitzt Hollywood-Routinier James Mangold auf dem Regiestuhl. Hauptdarsteller Harrison Ford, mittlerweile achtzig Jahre alt, spielt den Archäologen mit Hut und Peitsche in vielen Szenen dank digitalem Verjüngungsfilter beeindruckend geliftet. Andreas Busche vom Tagesspiegel ist skeptisch , wie Hollywood und Cannes hier im Kino der Vergangenheit das Kino der Zukunft errichten wollen: "Dass selbst Cannes den Retrowahn der US-Studios inzwischen bereitwillig in das Weltkino, das an der Croisette eigentlich gefeiert wird, eingemeindet, verrät etwas über die Situation des Festivals - und des Kinos. Im vergangenen Jahr schaute bereits Tom Cruise mit 'Top Gun: Maverick' vorbei, der Film brach danach alle postpendemischen Einspielrekorde. ... 'Indiana Jones und das Rad des Schicksals' dreht das Rad der Zeit so weit zurück, wie kein Hollywood-Blockbuster zuvor - in die Epoche von, so viel sei verraten, Archimedes. Von hier aus kann das Kino tatsächlich nur eine Richtung einschlagen: die Zukunft." Weitere Kritiken in Presse, ZeitOnline, FAZ, Welt, Tages-Anzeiger und Standard.

Außerdem von der Croisette: Tim Caspar Boehme von der taz erfährt in Wang Bings dreieinhalbstündigem Dokumentarfilm "Youth (Spring)" viel über die teils tristen Arbeitsbedingungen in chinesischen Textilfabriken. Andreas Scheiner wirft für die NZZ einen Blick auf die Skandale und Skandälchen, die das Festival in Cannes begleiten.

Besprochen werden Ulrich Seidls "Sparta" (online nachgereicht von der FAZ, unsere Kritik hier), die Netflix-Serie "Das Gesetz nach Lidia Poët" über die erste Rechtsanwältin Italiens (Jungle World), Oliver Hermanus' Kurosawa-Remake "Living" nach einem Drehbuch des Literaturnobelpreisträgers Kazuo Ishiguro (SZ), der Vierteiler "Juan Carlos - Geld, Liebe, Verrat" (Freitag) und der zehnte "Fast & Furious"-Blockbuster (Standard).
Archiv: Film

Literatur

Dževad Karahasan bei einer Diskussion im MELEZ-Zug, Essen 2010. Foto: Stefan Flöper unter cc-Lizenz
Der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan ist im Alter von siebzig Jahren gestorben. "Mit ihm verliert Europa einen großen Erzähler und luziden Denker", schreibt Andreas Breitenstein in der NZZ. "Sein Werk macht unmissverständlich klar: In der Tiefe des balkanischen Abseits wird auch unsere Sache verhandelt." Er "wusste um das Prekäre des balkanischen Daseins. Am Beispiel seiner Heimat zeigte er auf, dass die Dinge an den geografischen Rändern fliessend, vielgestaltig und inspirierend sind und das kleine Bosnien ein Spiegel des Großen und Ganzen menschlicher Irrungen und Wirrungen darstellt. Die 'dunkle Welt' Bosniens, wie er sie nannte, besitzt eine ganz eigene Intensität, die geeignet ist, zum Fanal der Weltgeschichte zu werden - im Bösen wie im Guten."

Karahasans Werk ist geprägt von der im April 1992 einsetzenden, jahrelangen Belagerung Sarajevos durch bosnische Serben, erinnert Gregor Dotzauer im Tagesspiegel. Karahasan konnte 1993 fliehen, die Belagerung "wurde ihm zum persönlichen Trauma, zum historischen Paradigma und zum Inbegriff von Möglichkeit und Unmöglichkeit eines ethnisch-religiösen Pluralismus zugleich. Das 'Tagebuch der Übersiedlung', das 2021 in der Neuübersetzung von Katharina Wolf-Grießhaber nach fast 20 Jahren noch einmal revidiert erschien, gehört zu den großen literarischen Dokumenten des jugoslawischen Zerfalls - und weit darüber hinaus." Karahasans "Trauer über den Verlust einer Welt, in der die von ihm wach wahrgenommenen Spannungen zwischen einzelnen Menschen noch nicht auf ganze Ethnien hochgerechnet wurden, ist in seinen Romanen und Essays jederzeit zu spüren", schreibt Tilman Spreckelsen in der FAZ.

Bei der Gala des PEN America hat Salman Rushdie überraschend seinen ersten öffentlichen Auftritt nach dem Anschlag auf sein Leben absolviert und dankte seinen Rettern. Der Guardian hat ein Video:



In "Bilder und Zeiten" der FAZ erzählt Katharina Teutsch von ihrer Begegnung mit der Schriftstellerin Anna Rabe im Norden Berlins. Rabe will "reden über das Schweigen, das teilweise bis heute das hohe Gewaltpotenzial im Osten des Landes als schiefe Wahrnehmung aus dem Westen abtut." Für ihren Roman "Die Möglichkeit von Glück" forschte sie viele Jahre in Archiven. "Die Gewalt im Sozialismus hatte viele Gesichter. Sie zeigte sich an den ausführenden Kräften des Schießbefehls. Sie zeigte sich der Normalbevölkerung aber vor allem in einem autoritären Erziehungsstil, der nicht nur an staatlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen und Jugendwerkhöfen praktiziert wurde, was zum Teil bekannt und gut beschrieben ist. Was weniger offen diskutiert wird: Auch in den Familien wurde Widerspruch eher sanktioniert als dialektisch verwertet. Teilweise aus Tradition. Teilweise aus den politischen Umständen heraus: 'In einer Diktatur ist es von Vorteil, deine Kinder zu Gehorsam zu erziehen', sagt Anne Rabe." Mehr Diskussionen über das Erbe der DDR heute in 9punkt.

Weitere Artikel: Sergei Gerasimow schreibt in der NZZ weiter Kriegstagebuch aus Charkiw. In der NZZ erzählt Emmanuelle Fournier-Lorentz, wie Patrick Modianos Literaturnobelpreis-Rede sie davon überzeugte, selber Schriftstellerin zu werden. Mara Delius besucht für die WamS die Schriftstellerin Helga Schubert in Mecklenburg-Vorpommern. Nane Pleger erzählt auf ZeitOnline, wie sie ihren Frieden mit Leipzig machte, nachdem sie in den Stadtarchiven auf die feministische Literaturgeschichte der Stadt gestoßen ist: "Seitdem mir klar ist, dass Leipzig eine Stadt der Frauen ist, kann es auch für mich als Frau meine Stadt sein." Stefan Brändle liest für die FR Michel Houellebecqs Aufarbeitung des Skandals um den Pornofilm, in dem der Schriftsteller offenbar arglos gelandet ist. Marie-Luise Bott liest für die FAZ in Christoph Meckels Tagebücher nach, wie dieser auf einen sehr wohlwollenden Brief von Ingeborg Bachmann reagierte, den der Dichter als Reaktion auf seine im Merkur veröffentlichten Gedichte 1959 erhalten hatte. In "Bilder und Zeiten" dokumentiert die FAZ Madame Nielsens in Potsdam in Anlehnung an David Foster Wallace gehaltene Rede an die Jugend. Und Achim Hölter erinnert an den vor 250 Jahren geborenen Schriftsteller Ludwig Tieck.

Besprochen werden Nell Zinks "Avalon" (taz), Tillie Waldens Comic "Clementine" (taz), der Band "Im Fuhrpark der Literatur. Kulturelle Imaginationen des Autos" (online nachgereicht von der FAZ), Johann von Bülows "Roxy" (online nachgereicht von der FAZ), Giacomo Leopardis "Tagebuch der ersten Liebe" (SZ) und T. C. Boyles "Blue Skies" (FAZ).
Archiv: Literatur

Musik

Christina Rietz unterhält sich im VAN-Magazin mit dem Dirigenten David Chin über dessen (mühsam erworbene, dann aber umso freudiger gepflegte) Bach-Leidenschaft und die Lage der Klassik in seinem Heimatland Malaysia: "Vor 20 Jahren gab es noch kaum Konzerte. Jetzt gibt es junge Musiker, die, wie ich, anderswo studiert haben und hochqualifiziert sind. Aber: Selbst ich, mit meinen ganzen Abschlüssen, habe hier keinen festen Job. Vollzeitdirigenten gibt es quasi nicht. Wir haben einige wenige Sinfonieorchester." Die Suche nach geeigneten Auftrittsorten ist beschwerlich, die Konzerte richten sich zumeist an ein Laienpublikum, das aber oft umso enthusiastischer reagiert: Nach einem Konzert "schickt mir ein Kollege einen Facebook-Post eines Besuchers. Der Mann  - ein Buddhist, der sicher nie zuvor klassische Musik gehört hatte - schrieb: 'Habe die Matthäuspassion zum ersten Mal gehört. Ich habe mein ganzes Leben lang das Leiden Christi unterschätzt. Wie Christus betrogen wurde, das geht mir so nahe, das erinnert mich an mein eigenes Leben.' Und das von einem Buddhisten! 300 Jahre nach Bach! In einer Kleinstadt in Malaysia!" Auf Youtube gibt es eine 130-minütige Doku über Chin und Bach:



Weitere Artikel: Im Interview mit dem VAN-Magazin spricht die in Köln lebende türkische Pianistin Gülru Ensari über die Enttäuschungen der türkischen Musikszene, dass Erdogan im ersten Wahlgang nicht abgewählt wurde: "Ich nehme seit acht Jahren nicht die deutsche Staatsbürgerschaft an, um weiter in der Türkei wählen und Erdoğan abwählen zu können." Matthias Roeckl plaudert für die taz mit der Produzentenlegende Rick Rubin, die zuletzt etwas sehr in Richtung Luftschlösser abgedriftet ist ("Wir kollaborieren immer mit dem Universum"). Andrian Kreye spricht in der SZ mit Graham Nash, der mit "Now" ein neues Album veröffentlicht. In der taz spricht Kirsten Achtelik mit dem Elektro-Punk Torsun Burkhardt über dessen nur noch palliativ behandelbare Krebserkrankung. Carolin Gasteiger gratuliert in der SZ Al Bano zum 80. Geburtstag. Nachrufe auf den Smiths-Bassisten Andy Rourke schreiben Joachim Hentschel (SZ) und Christian Schröder (Tsp). Die NZZ gratuliert Grace Jones mit einer Bilderstrecke zum 75. Geburtstag.

Besprochen werden Peter Trawnys Gesprächsband "Frei" mit dem Komponisten Wolfgang Rihm (Tsp), ein von Mikko Franck dirigiertes Konzert der Berliner Philharmoniker (Tsp), ein Konzert von Sam Smith in Wien (Standard), Mavi Phoenix' Album "Biggest Asshole in the Room" (Standard), ein Konzert von Tokio Hotel in Berlin (BLZ) und Lael Neales Album "Star Eaters Delight" (FR).
Archiv: Musik

Bühne

Wenig Freude hatte Doris Meierhenrich (Berliner Zeitung) bisher beim Begleitprogramm des Berliner Theatertreffens. Kunst findet man hier nicht, erklärt sie, im Gegenteil: Sie kann "in dem nun '10 Treffen' betitelten Beiprogramm kaum etwas anderes erkennen als dezidiert antiästhetische Gegenentwürfe zu der ambitionierten Zehner-Auswahl der Kritikerjury. Dabei war eine Frontstellung dieser Art nie Absicht der drei neuen Leiterinnen, denen es gerade im Gegenteil um den Ausbau des 'Sich Treffens', der Begegnungen ging, wie Co-Leiterin Joanna Nuckowska betont." In der nachtkritik berichtet Christine Wahl vom Theatertreffen.

Weitere Artikel: Antonio Fian hat sich für den Standard ein kleines Dramolett über künstliche Intelligenz ausgedacht. In der FR trauert Judith von Sternburg um das Fritz Rémond Theater, das schließt, weil Claus Helmer offenbar keinen Nachfolger gefunden hat. Obwohl eine Mehrheit der Studenten im Fach Musiktheaterregie weiblich ist, werden immer noch kaum Stücke von Frauen inszeniert. Intendantinnen gibt es noch weniger, berichtet Anna Schors im van Magazin.

Besprochen werden Alban Bergs Oper "Lulu" als kapverdisches Tanztheater, choreografiert von Marlene Monteiro Freitas, bei den Wiener Festwochen (Standard), Keyvan Sarreshtehs Performances "Timescape" bei den Wiener Festwochen (nachtkritik), Robert Gerloffs Inszenierung von Svenja Viola Bungartens Eastern "Garland" am Oldenburgischen Staatstheater (nachtkritik), De Warme Winkels Inszenierung von "Der Bus nach Dachau" beim Berliner Theatertreffen (nachtkritik), drei große Premieren an der Bayerischen Staatsoper (die NZZ-Kritiker Marco Frei zeigen, dass die "führende Bühne in der Opernwelt endlich wieder ein starkes und klares Profil" hat), Florian Zellers "Die Kehrseite der Medaille" in der Frankfurter Komödie (FR) und Felix Kriegers Inszenierung der "Dalinda" von Donizetti im Berliner Konzerthaus mit einer hinreißenden Lidia Fridmann in der Titelrolle ("Die Stimme der erst 27-jährigen Sopranistin aus Samara mit dem betörend gutturalen Tiefenregister hat ein Aroma von Harz und karfunkelt in faszinierenden Rubinfarben). Fridman erinnert ein bisschen an die junge Iano Tamar, hat vibrierende Nervenspannung wie früher Leontyne Price und kommt in edler Schönheit einem vokalen Urerlebnis ziemlich nahe", schwärmt Roland H. Dippel in der nmz).
Archiv: Bühne

Kunst

Lange her: eine Gruppe junger Frauen stehen auf einem Balkon. Athar for the Jaafaria College archive, accessed May 20, 2023


Lena Bopp besucht für die FAZ die Autorin Chaza Charafeddine, die im südlibanesischen Tyros ein Fotoarchiv eröffnet hat. Einfach war das nicht: "Chaza Charafeddine hat es in ihrem Buch, dem 2021 in deutscher Übersetzung erschienenen 'Beirut für wilde Mädchen', beschrieben. Und man sieht es nun an den Fotos, die sie von Familienangehörigen und anderen Mitgliedern der schiitischen Gemeinschaft rund um Tyros erhalten hat. Ein besonders schönes Bild zeigt eine hübsche Frau in einem kurzen Hochzeitskleid und mit unverhülltem Haar... Doch zwischen den historischen Fotos und der Gegenwart liegen Welten. Seit Jahrzehnten hat sich keine dieser Frauen ohne Verschleierung in der Öffentlichkeit gezeigt. Sie alle haben einen krassen Bruch vollzogen, weg von der westlich inspirierten Freimütigkeit hin zu einer konservativen Religiosität, die sie heute zögern lässt, ob man die alten Bilder überhaupt noch zeigen darf" - zumal viele der Frauen heute die Hisbollah verehren, so Charafeddine, die von einer "Schizophrenie in der schiitischen Community" spricht.

Vincent van Gogh, Atelierfenster, 1889, Van Gogh Museum. 


Das Met Museum in New York wollte gern mal wieder eine van-Gogh-Ausstellung machen, um so richtig Besucher anzuziehen. Aber eine neue Idee dazu brauchte es schon. Die Antwort: "Van Goghs Zypressen". Mit dabei sind die Großwerke "Sternennacht und "Ein Weizenfeld mit Zypressen", das van Gogh nach der Sache mit dem Ohr malte. In der SZ ist Christian Zaschke trotz des Kalküls beeindruckt: "Es ist beides möglich: Man kann Kunst-Blockbustern, wie diese Schau einer ist, aus guten Gründen skeptisch begegnen. Man kann aber zugleich vor diesen beiden wieder vereinten Gemälden stehen, den Blick aufs eine und aufs andere richten, minutenlang, ihre innige Verwandtschaft fühlen, und zumindest im Ansatz die weltenbewegende kreative Kraft spüren, die Vincent van Gogh im Juni des Jahres 1889 innewohnte."
Archiv: Kunst