Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 24.04.2024 - Bühne

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Die in Russland geborene Schauspielerin Valery Tscheplanowa hat im letzten Jahr einen von der Kritik gelobten biografischen Roman veröffentlicht, nun ist sie in Ulrich Rasches "Nathan"-Inszenierung zu sehen, die das Berliner Theatertreffen eröffnet. Im Gespräch mit der Berliner Zeitung erklärt sie, weshalb sie als Tartarin nicht mehr als "russisch" bezeichnet werden will und warum es ihrer Meinung nach keine russische Nation, sondern nur eine "Ansammlung von zig Kulturen unter einem imperialen Dach" gibt: "Es gab diesen Landstrich der Wolgabulgaren um Kasan herum zum Beispiel, da herrschte Religionsfreiheit, auch da ging die Goldene Horde auf Streifzug und eroberte Riesengebiete. So entstand dieses unendlich weite Land. Die ganzen Nationen wurden einfach überdeckt, es gibt da viele Volksgruppen, die asiatisch geprägt sind, die viel enger mit Türken oder Mongolen verwandt sind als mit Slawen. Das Russische, das man mit Dostojewski, Tschaikowski, Moskau und St. Petersburg verbindet, betrifft nur den kleinsten Teil dieses zusammengeraubten Reichs." Putin nutze die Naivität vieler Russen aus, ergänzt sie: "Diese Naivität speist sich aus der zaristischen und kommunistischen Geschichte und aus der Religiosität. Der Weg daraus könnte über die Emanzipation der Menschen führen, dabei könnte das Bewusstsein einer eigenen Nationalität und Sprache vielleicht helfen."

Szene aus "ROM". Bild: Marcel Urlaub

Shakespeares Römertragödien "Titus Andronicus", "Coriolanus", "Julius Caesar" und "Antonius und Kleopatra" hat die Autorin Julia Jost zu einem Stück mit dem Titel "ROM" modernisiert zusammengefügt, Luk Perceval hat es nun auf die (Dreh-)Bühne des Wiener Volkstheaters gebracht und nicht nur FAZ-Kritiker Martin Lhotzky ist enttäuscht: "Natürlich hat es durchaus etwas mit unserer Gegenwart zu tun, wenn man dabei zuschauen und zuhören darf, wie Macht zu Korruptheit führt, wie sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Kinder grausam ausgelebt wird, welche furchtbaren Folgen Kriege haben. Allerdings wären solche Erkenntnisse auch schon beim Poeten aus Stratford-upon-Avon selbst zu erspähen. Dafür braucht es keine Überschreibung. Am Ende wirkt ROM eher wie eine szenische Lesung als ein Drama." Ähnlich urteilt Jakob Hayner in der Welt, der in diesem düsteren "Bilderreigen" immerhin ein paar Höhepunkte ausmacht, etwa den Wasserringkampf zwischen Kleopatra und Antonius: Wie sie "wortlos miteinander ringen, sich an die Wand und ins Wasser werfen, Arme und Beine umeinanderschlingen, drücken und ziehen, ist ein ergreifendes Bild von zärtlicher Brutalität. Ist das noch Kampf oder schon Sex?"

Weitere Artikel: Am Sonntag feiert der "Tannhäuser" unter dem Dirigat von Thomas Guggeis an der Oper Frankfurt Premiere. Im FR-Interview spricht Guggeis über die Tücken der Aufführungspraxis des 19. Jahrhunderts, die Bedeutung des Musiktheaters und die "Wunderwelten" des Tannhäuser. In der NZZ rauft sich Paul Jandl die Haare über Dieter Hallervorden, der unter anderem Hamas-Propagandavideos postet. Im Standard wirft Margarete Affenzeller einen Blick auf das neue Programm des Wiener Burgtheaters unter dem designierten Direktor Stefan Bachmann. Nachtkritiker Martin Thomas Pesl kommentiert dazu: "Alle atmen erleichtert auf, weil Kušej weg ist und sie noch da sind, also empfangen sie die Neuen mit offenen Armen. Wie interessant oder gar innovativ das Theater wird, das aus diesem Burgfrieden hervorgeht, scheint dabei zunächst zweitrangig."

Besprochen werden Ricard Soler Mallols Oper "Ali" am Brüsseler Opernhaus La Monnaie/De Munt (SZ), Ewald Palmetshofers Inszenierung von Gerhart Hauptmanns "Vor Sonnenaufgang" am Theater Bremen (taz), eine Aufführung der Oper Poznan von Stanislaw Moniuszkos Oper "Das Gespensterschloss" an der Berliner Philharmonie (Tsp) und die Ausstellung "Opera Meets New Media - Puccini, Ricordi und der Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie" im Bertelsmann-Sitz Unter den Linden (Welt).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.04.2024 - Bühne

Szene aus "Zentralfriedhof" am Volkstheater Wien. Foto: Matthias Horn.

"Es lebe der Zentralfriedhof!", singt FAZ-Kritiker Simon Strauß in Einstimmung auf Herbert Fritschs neues Stück am Burgtheater in Wien. Während Wolfgang Ambros damals noch "die Melancholie eines nächtlichen Grabstättenbesuchs auf sympathisch-mitreißende Weise mit der engagierten Utopie von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit" verband, zieht Fritsch angesichts politischer Desillusionierung "keine moralischen Schlüsse" mehr, erklärt Strauß: "Deshalb, als letzte Hoffnung: das freie, stumme Spiel. Fritsch hat sich bei seinem Friedhofsbesuch vor allem in die Totengräber verliebt, jene sagenumwobene Berufsgruppe, für die das letzte Geleit zu geben tägliche Verpflichtung ist. Bei Fritsch treten die Bestattungshelfer als komödiantische Combo auf, als elfköpfiges Ensemble, das sich dem Tod so widmet, als wäre er nur eine Seite der Medaille. Und auf der anderen stünden: ausgelassenes Leben, verrückte Zufälle und überbordende Spiellust."

Weitere Artikel: nachtkritikerin Laura Strack berichtet vom lautstarken Protest der Italiener gegen die undemokratisch entschiedene Einsetzung des umstrittenen Kandidaten Luca De Fusco als Intendant der Stiftung "Teatro di Roma". Tom Mustroph war für die taz beim Theaterfestival "FIND" an der Schaubühne in Berlin, für die nachtkritik berichtet Esther Slevogt. Ebendort denkt Wolfgang Behrens darüber nach, was es bedeutet, wenn schon produzierte Theaterstücke nicht auf die Bühne kommen.

Besprochen werden eine Kombiinszenierung der Opern "Ohne Blut" von Péter Eötvös und "Herzog Blaubarts Burg" von Béla Bartók am Theater Osnabrück, inszeniert von Ulrich Mockrusch (FAZ), Luk Percevals Shakespeare-Projekt "Rom" am Volkstheater Wien (SZ), Tiago Rodrigues Stück "Catarina und von der Schönheit Faschisten zu töten" am Schauspiel Frankfurt (Welt), Reinhard Hinzpeters Inszenierung von Ingeborg Bachmanns "Das dreißigste Jahr" am Freie Schauspiel Ensemble Frankfurt (FR) und Adel Abdessemeds Inszenierung von Olivier Messiaens Oper "Saint François d'Assise" am Grand Théâtre de Genève (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.04.2024 - Bühne

Szene aus "Die Ehe der Maria Braun" am Schauspiel Frankfurt. Foto: Birgit Hupfeld.

Einen Fassbinder-Film auf die Bühne bringen? Judith von Sternburg hat in der FR einige Bedenken. Und so ganz kann Lilja Rupprechts Adaption von "Die Ehe der Maria Braun" am Schauspiel Frankfurt diese auch nicht zerstreuen. Dazu hat Sternburg doch viel zu sehr die grandiose Vorlage im Kopf, die das Schicksal von Maria und gleichzeitig deutsche Geschichte vom Ende des Krieges bis Mitte der Fünfziger Jahre erzählt. Aber, es gibt dann noch ein "kleines Wunder" für die Kritikerin und das Theater kann sich mit seinen eigenen Mitteln behaupten: "So. Und dann kommt die Szene, in der Maria für ihren neuen Arbeitgeber mit einem Ami verhandelt. Rupprecht blendet nicht weg (aber Text gibt es auch nicht), sondern sie lässt Manja Kuhl tanzen und der Ami, Michael Schütz, tanzt gleich mit, und der Unternehmer und Geliebte in spe, Sebastian Reiß, tanzt dann auch mit, und schließlich tanzen alle nach Marias ziviler Pfeife. Und da ist auf einmal eine Leichtigkeit, die nicht läppisch ist, sondern bezaubernd."

Auch Sandra Kegel ist in der FAZ zufrieden mit diesem Theaterabend: "Die Inszenierung ist ideenreich, es wird gesungen und getanzt, mit in den Fünfzigerjahren aus Amerika importierten Hula-Hoop-Reifen hantiert und mit Sitzbällen, die zur Weltmetapher werden im beginnenden Kalten Krieg. Trotz aller Showeinlagen aber steht im Vordergrund der Text."

Weitere Artikel: Zum hundertsten Todestag von Giacomo Puccini zeigt Bertelsmann in Berlin die Multimedia-Ausstellung "Opera Meets New Media - Puccini, Ricordi und der Aufstieg der modernen Unterhaltungsindustrie"(gelungen", in "ihrer virtuellen Fülle allerdings überbordend" findet Manuel Brug in der Welt - Clemens Haustein bemängelt in der FAZ hingegen, dass hier der erfolgreiche Geschäftsmann zu sehr in den Vordergrund rückt und der Künstler ins Hintertreffen gerät.)

Besprochen werden Luk Percevals Inszenierung von "Rom" nach Shakespeare in einer Fassung von Julia Jost am Volkstheater Wien (nachtkritik), Toshiki Okadas Inszenierung seines Stücks "Home Office" am Düsseldorfer Schauspielhaus (nachtkritik), Jan Friedrichs Inszenierung von "Romeo und Julia … oder Szenen der modernen Liebe" nach Shakespeare am Staatstheater Mainz (nachtkritik, FR), Christian Breys Inszenierung der musikalischen Komödie "Zusammenstoss" nach Kurt Schwitters und Ludger Vollmer am Theater Heidelberg (nachtkritik), das musikalische Stück "Signal To Noise" der Theatergruppe Forced Entertainment im Frankfurter Mousonturm (FR), Alexander Giesches Adaption von Tennessee Williams Roman "Moise und die Welt der Vernunft" am Zürcher Schauspielhaus (NZZ) und Stefan Puchers Inszenierung von Hermann Melvilles Roman "Moby Dick" am Münchner Residenztheater (SZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.04.2024 - Bühne

Szene aus "Moise" am Schauspielhaus Zürich © Eike Walkenhorst

"Seltener war Depression schöner anzuschauen" als bei Alexander Giesches Abschieds-Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus, findet Valeria Heintges auf Nachtkritik. Mit einer Adaption von Tennessee Williams' Roman "Moise und die Welt der Vernunft" bringt der Regisseur einen letzten seiner "Visual Poems" auf die Bühne. Schöne Dekors darf man hier nicht erwarten, so Heintges, aber das war bei Giesche ja schon immer so: "Giesche nutzt Bausteine, Motive aus Williams' Roman, um sie in Bilder, Töne, Atmosphäre zu übersetzen. Immer wieder etwa taucht Moises Philosophie der Farbe auf: viel Grau, viel Schwarz, die sie auf ihren Bildern 'mit kaum wahrnehmbaren Punkten in Blau hier und dort' begleitet. Auch Giesche malt in Schwarz und Grau, mit wenig Licht, dunklen Stimmungen, einer Schwarz-Weiß-Animation und viel Nebel, in der der Satz 'Theatre kills' kurz aufscheint."

Weiteres: Fortunato Ortombina wird der neue Intendant der Mailänder Scala, meldet Karen Krüger in der FAZ. Der Tagesspiegel meldet mit dpa, dass der frühere Balletdirektor Marco Goecke, der nach der "Hundekot"-Attacke auf eine Kritikerin gehen musste, nun als Choreograf wieder an seine alte Wirkungsstätte zurückkehrt.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.04.2024 - Bühne

Besprochen werden die Uraufführung von Branko Šimićs "Traum(a): Synchronisierung der Kriege" beim Hamburger "Krass"-Festival (nachtkritik), Ersan Mondtags Inszenierung von Kurt Weills "Silbersee" im französischen Nancy (nmz) und Tatjana Gürbacas Inszenierung von Leoš Janáčeks "Jenůfa" am Theater Duisburg (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.04.2024 - Bühne

Nach einer "Romeo und Julia" und einer "Hamlet"-Inszenierung an nicht näher benannten deutschen Schauspielhäusern, ist Feridun Zaimoglu so wütend, dass er am liebsten in den Fundus einbrechen und die Kostüme zerschlitzen würde, wie er in einer schäumenden Suada in der Zeit bekennt: "…das alte Theater ist alt, das neue Theater ist tot, wie wird es weitergehen, mich ekelt vor dem Immergleichen, vor den immergleichen Geschichten der jungen Bourgeoisen ohne Eigenschaften, kein Geist, keine Seele, nur ein blödes Zeugs, kleines Glück, blöde Grimassen, keine Gefühlsregung wirklich echt gespielt, …", ruft er und fordert: "Es braucht der Strenge. Es braucht des Erbarmens. Wir wollen die Avantgardekunst der Heutigen verabschieden, weil sie zum Hinterteil der Kultur geworden ist: Die Kultur sitzt gern auf diesem warmen Arsch. Die Geläufigkeit der Spieler beim Spielen und der Zuschauer beim Schauen muss abnehmen. Wir müssen auf unseren Sitzen abnehmen. Es muss möglich sein, die deutschen Geschichten unserer Zeit zu spielen, die Geschichte von Frauen und Männern mit guten Gesichtern."

Sowohl das Berliner Arbeits- als auch das Landesarbeitsgericht hatten die Kündigungen der beiden geschassten Leiter der Staatlichen Ballettschule Berlin Ralf Stabel und Gregor Seyffert für unwirksam erklärt. Beiden war von Eltern der Schüler unter anderem Gefährdung des Kindeswohls und Diskriminierung vorgeworfen worden (Unsere Resümees). Nach dem Scheitern der Senatsverwaltung vor Gericht sind auch die von zwei Expertengremien angefertigten Gutachten von der Webseite der Senatsverwaltung verschwunden, bemerkt Dorion Weickmann in der SZ und fragt, "wer die Missstände zu verantworten hat, die Expertenkommission und Clearingstelle 2020 dokumentiert haben. Festgehalten wurden in den Berichten Fälle von Bodyshaming, Mobbing, Gesundheitsschädigung, Verletzung der Fürsorge- und Aufsichtspflicht. Was bedeutet es, dass die Berichte aus dem Verkehr gezogen wurden? Soll die Frage der Verantwortung stillschweigend begraben werden? (…) Dafür kursiert in Berlin das Gerücht, eine West-Verschwörung wolle die traditionsreiche Ost-Ausbildungsstätte niedermachen. Was vollkommen irrwitzig ist und einzig dazu dient, die Zerrissenheit der Schule zwischen methodischer Vorwärtsbewegung und Stillstand zu übertünchen."

Besprochen werden die Performance "Titanic II" des Kollektivs Markus & Markus in der Bremer Schwankhalle (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 17.04.2024 - Bühne

ANTHROPOLIS I: Prolog/Dionysos © Monika Rittershaus, 2023

Das "bedeutendste Theaterereignis der Saison" will FAZ-Autor Simon Strauß am Hamburger Schauspielhaus erlebt haben. Zur Aufführung kam Karin Beiers Antiken-Penthalogie, ein Kraftakt des Erzähltheaters, gegen den, findet Strauß, die diskurs- und moralseelige Konkurrenz aus Zürich, München und Berlin alt ausschaut. Hier hingegen, wird wieder in die Hände gespuckt: "Die Aufführungen beginnen stets mit körperlicher Arbeit. Im Regen schaufeln die Bewohner Thebens Mulch auf einen Haufen. Verausgaben sich, um eine erste Ordnung zu schaffen. (...) Ein bisschen wirken diese schweißtreibenden Arbeitseinsätze zu Beginn jeder Aufführung aber auch wie autogene Trainingseinheiten, um die Gewichte der Gegenwart abzutragen. Sich durch die physische Anstrengung von allzu leichtfertigen Transformationsgedanken zu entledigen, es sich ein bisschen schwerer zu machen mit dem Verhältnis von Mythos und Moderne."

Warum hat es so lange gedauert, bis Leoš Janáceks Opern als die Meisterwerke anerkannt wurden, die sie sind? Judith von Sternburg kann sich das in der FR nicht erklären, schon gar nicht angesichts einer grandiosen, von Tatjana Gürbaca verantworteten Aufführung seiner "Jenufa" am Theater Duisburg. Ein Abend, an dem "die Emotionen so hochschwappen, dass Rosie Aldridge in einigen Momenten das Singen sein lässt und brüllt. Es ist ungeheuerlich. Aldridge kommt der übergroßen Partie der Küsterin mit ebensolcher Wucht bei wie die Titelheldin, Jacquelin Wagner, zwei Sängerinnen mit Kraftreserven und dem Mut, alles reinzuwerfen in eine solche Unternehmung. Die Küsterin muss und darf sich vielleicht immer noch etwas mehr die Seele aus dem Leib singen, und Aldridges Mezzo leistet das überbordend, ist Jenufas Stiefmutter doch das tragische Zentrum des Geschehens."

Besprochen werden das Solo-Stück "The Importance of Being Erna" am Staatstheater Darmstadt (FR), Raphael Bardutzkys "Das Licht der Welt" am Wiender Burgtheater (Standard), Pedro Calderón de la Barcas "Das Leben ein Traum" am Hamburger Thalia-Theater (taz Nord) und eine Doppelaufführung von Arnold Schönbergs "Erwartung" und Ethel Smyth' "Der Wald" an der Oper Wuppertal (van).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.04.2024 - Bühne

Szene aus "Çirkin" © Salih Üstündağ

In "theatrale Parallel- und Gegenwelten" wurde Nachtkritikerin Esther Slevogt beim großen Theaterfestival in Istanbul hinein gezogen, das während der heißen Phase des Kommunalwahlkampfs stattfand. Hier zeigt eine junge, freie Theaterszene, was sie alles zu bieten hat. Entführt wird Slevogt bei Güray Dinçols Inszenierung von Firuze Engin Stück "Çirkin" ("Freak")  beispielsweise: "In die Welt von Şiva und dem Huhn, das seit Jahrtausenden an Şivas Seite in einer mythischen Zwischenwelt lebt: Wie die hexenhafte Şiva selbst ist das Huhn zur Unsterblichkeit verdammt - also auch zu ewigem quälenden Stillstand. Schon gleich nachdem dieses menschengroße und absonderliche Wesen sich aus seinem Felsennest erhoben hat, beklagt das Huhn diverse fehlgeschlagene Versuche, sich umzubringen, um endlich sterben zu können. Und wendet es sich in dieser Sache hilfesuchend auch gleich ans Publikum. 'Ach, Sie sehen wie ein netter Mensch aus. Könnten Sie mich vielleicht erwürgen!?'"

Weiteres: Die Theater des Londoner West Ends holen sich bekannte Fernsehstars auf die Bühne, berichtet Eva Lapido in der FAZ. Besprochen werden Dagmar Schlingmanns Inszenierung von Georg Friedrich Haas' Oper "Koma" am Staatstheater Braunschweig (taz), Joanna Pramls Bearbeitung von Shakespears "Romeo und Julia" am Staatstheater Nürnberg (nachtkritik), Rahel Thiels Inszenierung der Lortzing-Oper "Hans Sachs" an der Komischen Oper Leipzig (FAZ) und Eike Weinreichs Inszenierung von Viktor Jerofejews "Der große Gopnik" am Theater Freiburg (Welt).
Stichwörter: Istanbul, Theaterfestival

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.04.2024 - Bühne

"Der große Gopnik" am Theater Freiburg. Foto: Laura Nickel.

Begeistert schildert Kerstin Holm in der FAZ Eike Weinreichs Inszenierung von Viktor Jerofejews "Der große Gopnik" am Theater Freiburg. Jerofejew selbst hat seinen russlandkritischen Roman in ein Bühnenstück umgewandelt, weiß Holm. Weinreich erzählt die Geschichte vom Aufstieg eines Hinterhof-Schlägers zum Chef der Republik hier als eine "Revue der Grenzüberschreitungen in den erogenen Zonen von Kultur und Macht", so die Kritikerin. Ein Glücksgriff ist Martin Hohner als großer Gopnik, schwärmt sie, der ihr denkwürdige Szenen beschert: "Während auf mit Theatertoten übersäten und durch blutrote Videos erleuchtete Treppenstufen eine Ärztin ihm von Schwangeren berichtet, die durch den Beschuss verstümmelt wurden oder ihr Kind verloren, wehrt sich Hohner, indem er ihr entgegnet, die ukrainischen Nazis hätten sich selber beschossen, und die Feindpropaganda würde Russland neuerdings mit toten Kindern bekriegen, wobei er in putinesker Kleinganovenmanier den Hals reckt und die Lippen vorschiebt. Das leblos daliegende Ensemble, das der Gopnik später aufschichtet und umformt, das durch Gesichtsstrümpfe zur anonymen Masse verschmilzt oder hinter ihm herkriecht, ist der Refrain des Krieges."

Björn Hayer ist in der taz ebenfalls rundum überzeugt: "Fulminant und bildstark erfüllt diese stringente Komposition, was Kunst seit jeher antreibt: falschen Autoritäten, in diesem Fall einer der schlimmsten, mit Widerstand zu begegnen." Nachtkritikerin Valeria Heintges kann die Begeisterung nicht teilen: dieser "komplizierte Umtopfungsversuch" ist leider zu statisch geraten, findet sie, und auf die Frage, warum der Diktator Gopnik immer noch vom Volk geliebt wird, erhält sie nicht die Spur einer Antwort.

Axel Brüggemann bringt das neue Magazin backstage classical heraus: Im Interview mit Brüggemann schildert Peter Gelb, Intendant der Metropolitan Opera, die Krise der Opern- und Konzerthäuser in den USA, die auch bald nach Europa kommen könnte und erklärt, wie man wieder mehr Verbindung zum Publikum schaffen kann: "Die Leute, die heute leben, müssen die Bedeutung der Oper für ihr Leben wieder entdecken.  Sie müssen merken, dass die Oper sich einmischt. Wir haben gesehen, dass ein Stück wie "Dead Man Walking" durchaus viele Leute angesprochen hat. Die Oper handelt von der Todesstrafe - das bewegt die Leute in den USA. Die Wirkung auf das Publikum war mit Händen zu greifen. Und wir haben bewusst den Bogen in die Wirklichkeit geschlagen, indem das gesamte Ensemble zwei Tage nach der Aufführung in ein Hochsicherheitsgefängnis bei New York gegangen ist."

Weiteres: Im Tagesspiegel fordert Nikolaus Bernau ein Theatermuseum für Berlin und erinnert an die Theaterhistorikerin Ruth Freydank.

Besprochen werden Lisbeth Colthofs Inszenierung von Akın Emanuel Şipals Stück "Das Pommes-Paradies" am Düsseldorfer Schauspielhaus (nachtkritik), Johanna Schalls Adaption von Ágota Kristofs Buch "Das große Heft" am Theater der Altmark Stendal (nachtkritik), Christoph Roos Inszenierung von "Eine Volksfeindin" nach Henrik Ibsen am Theater Mönchengladbach (nachtkritik), Hendrik Müllers Inszenierung der Puccini-Oper "Madama Butterfly" am Staatstheater Meiningen (nmz), Adel Abdessemeds Inszenierung und Gestaltung von Messiaens "Saint François d'Assise" im Grand-Théatre de Genève (nmz), die Choreografie "Bird Dances" von Kareth Schaffer in den Sophiensælen in Berlin (taz), Francesco Lanzillottas Inszenierung von Bellinis "La somnambula" an der Oper Rom (SZ) und Choreografien von Saburo Teshigawara am Theater Basel (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 13.04.2024 - Bühne

In der SZ fragt sich Egbert Tholl, wann Bayerns Kunstminister Markus Blume endlich entscheiden will, ob die Verträge von Staatsintendant Serge Dorny und Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski (beide an der Bayerischen Staatsoper) verlängert werden. Tholl wünschte sich, beide würden bleiben, damit die Zukunft der Staatsoper "nicht die eines Mausoleum" wird. Iris Laufenberg, Intendantin des Deutschen Theaters in Berlin, kann sich laut Ulrich Seidler (BlZ) das Defizit des DT von 2,5 Millionen Euro nur durch die allgemeinen Preissteigerungen und Verträge mit den Freien erklären.

Besprochen werden Claudia Bauers Inszenierung von Selina Fillingers feministischer Farce "Die Schattenpräsidentinnen" am Deutschen Schauspielhaus Hamburg (nachtkritik, SZ), Joana Tischkaus "Last Night a Dj Took My Life" am Schauspielhaus Zürich (nachtkritik), Olivier Messiaens Mysterienspiel "Saint François d'Assise" mit einem phänomenalen Bühnenbild des auch inszenierenden Künstlers Adel Abdessemed an der Oper Genf (nmz), Puccinis "La Rondine" an der Volksoper Wien (Standard), "Ex und Hopp(s)", ein Theaterstück von Hospizarbeitern in Berlin (BlZ).
Stichwörter: Schauspielhaus Hamburg