Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Film

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 06.04.2024 - Film

Wehe, wenn er losgelassen: Lars Eidinger ist "der Panther" in "Zeit Verbrechen" (Paramount)

Auf der Berlinale wurden die von Paramount produzierten vier Folgen "Zeit Verbrechen" (nach Episoden des gleichnamigen Podcasts) noch stolz präsentiert, aber schon während des Festivals kündigte der Streamingdienst an, die Serie nicht online zu stellen, weil man sich generell aus dem deutschen Produktionsmarkt zurückziehen will. Lizenziert nun die ARD die Produktion? Daran hat Dietrich Leder im Filmdienst erhebliche Zweifel, denn alleine Jan Bonnys Beitrag "Der Panther" entwickelt eine "Radikalität, wie sie im Krimi-Angebot der öffentlich-rechtlichen Sender selten zu erleben ist." Lars Eidinger spielt darin einen Ganoven, der von der Polizei als Informant angeheuert wird, und dies "mit einer unbändigen Energie und einer enormen physischen Präsenz. Man hat fast den Eindruck, dass ihm die höchst bewegliche Kamera von Jakob Berger kaum folgen kann, wenn er durch die Spielsalons, Kneipen und Bordelle läuft und mit dem Motorrad über die Autobahn rast. ... Ein Trost, der sich im traditionellen Fernsehkrimi aus der Aufklärung krimineller Handlungen ergibt, wird hier radikal verweigert. Selbst der Verrat des Polizeiapparats an dem, der die Verbrechen als eingeschmuggelter Krimineller aufklären soll, liefert für die Zuschauer keinen moralischen Mehrwert."

Weitere Artikel: Wolfgang Lasinger resümiert für Artechock das Filmfestival Cinélatino in Toulouse. Dessen Schwerpunkt zum mexikanischen Horrorfilm der Fünfzigerjahre widmet sich Lasingers Artechock-Kollegin Dunja Bialas. Hanns-Georg Rodek streift für die WamS mit der Filmemacherin Soleen Yusef durch den Berliner Wedding. Für die WamS plaudert Jakob Hayner mit Josef Hader, dessen neuer Film "Andrea lässt sich scheiden" (unsere Kritik) aktuell im Kino läuft. Standard-Kritikerin Valerie Dirk stellt hier der Avantgardefilmerin Lisl Ponger und dort dem Filmemacher Christoph Hochhäusler je drei Fragen. Stefan Weiss schlendert für den Standard durch das Arnold-Schwarzenegger-Museum im österreichischen Thal. Leo Geisler widmet sich in seiner Filmdienst-Serie zum Heist-Movie John Hustons Klassiker "Asphaltdschungel". In der Literarischen Welt erinnert sich Georg Stefan Troller an seine Begegnung mit Alain Delon. Im Tagesspiegel gratuliert Nadine Lange der Filmemacherin Monika Treut zum 70. Geburtstag. Ebenfalls 70 Jahre alt wird Jackie Chan, dem Maria Wiesner in der FAZ gratuliert.

Besprochen werden Paola Cortellesis "Morgen ist auch noch ein Tag" (taz, unsere Kritik), Balojis "Omen" (Tsp), Adam Wingards Monster-Sause "Godzilla x Kong: New Empire" (taz, FAZ, Standard) und Steven Zaillians Netflix-Neuverfilmung von Patricia Highsmiths "Der talentierte Mr. Ripley" (Presse).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 05.04.2024 - Film

Jörg Tazsman analysiert für den Filmdienst den aktuellen italienischen Kinoboom. Dieser zeigt sich etwa darin, dass Paola Cortellesis am italienischen Neorealismus angelehntes Drama "Morgen ist auch noch ein Tag" (unsere Kritik) in Italien selbst Blockbuster wie "Oppenheimer" und "Barbie" an den Kinokassen überholte und dass Eigenproduktionen im letzten Jahr einen Marktanteil von 26 Prozent hatten. Interessanterweise trägt dies insbesondere auch der Autorenfilm. Dieser "wiedergefundene Erfolg ... ist dabei Teil eines in Europa derzeit einmaligen Booms des gehobenen Arthouse-Kinos. Viele Filme gestandener Regisseure laufen deutlich besser als in Deutschland. Dafür gibt es Gründe. Zuallererst wird viel mehr Plakatwerbung gemacht. Ganz Rom war Anfang Januar mit Werbung für den neuen Hayao-Miyazaki-Film 'Der Junge und der Reiher' (unsere Kritik) übersät, der dann auch prompt zwei Wochen lang auf Platz eins der Kinocharts stand. Bevor Wim Wenders' 'Perfect Days' (unsere Kritik) startete, zeigten einige Kinos in Rom wochenlang fast alle früheren Filme von Wenders. Generell wird in Italien - wie auch in Frankreich - viel auf Previews gesetzt, so dass sich Filme schon vor dem Kinostart besser herumsprechen."

Außerdem: Jakob Thaller wirft für den Standard einen Blick auf die jungen Stimmen im Programm der Wiener Diagonale, auf die sich Rüdiger Suchsland von Artechock schon ziemlich freut. Nachrufe auf die Schauspielerin Vera Tschechowa schreiben Daniel Kothenschulte (FR), Andreas Kilb (FAZ) und Fritz Göttler (SZ).

Besprochen werden Josef Haders Tragikomödie "Andrea lässt sich scheiden" (SZ, Artechock, unsere Kritik), Paola Cortellesis "Morgen ist auch noch ein Tag" (Welt, Artechock, unsere Kritik), Matteo Garrones "Ich Capitano" (Artechock, mehr dazu hier), Dev Patels "Monkey Man" (Standard), das ARD-Porträt "Außer Dienst? Die Gerhard Schröder Story" (taz, NZZ), Marvin Krens für Netflix gedrehte, deutsche Gangster-Serie "Crooks" (Presse, FAZ) und die Apple-Serie "John Sugar" mit Colin Farrell (FAZ, TA).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 04.04.2024 - Film

Häusliche Gewalt als Alltag: "Morgen ist auch noch ein Tag"

Das italienische Gegenwartskino macht in dieser Woche mit gleich zwei deutschen Kinostarts auf sich aufmerksam. Deutlich besser besprochen wird "Morgen ist auch noch ein Tag" der Schauspielerin Paola Cortellesi, die damit auch ihr Regiedebüt gibt (unser erstes Resümee). Der beim italienischen Publikum beeindruckend erfolgreiche, in Schwarzweiß gehaltene Film erzählt vom von Gewalt geprägten Alltag der italienischen Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Wer da erstmal an den italienischen Neorealismus denkt, befindet sich nicht per se auf der falschen Spur, meint Perlentaucher Jochen Werner. Doch wirken die farbentsättigten Bilder "fast ein wenig wie ein höhnischer Kommentar auf jedwede Form von Klassizismus oder Kintopp-Nostalgie, denn so wirklich retro sieht das harte, kontrastreiche Digitalschwarzweiß nicht aus. Eher sieht es nach dem aus, was es am Ende auch ist: ein sehr kontemporärer Film, der sich die Vergangenheit wie eine Camouflage überzieht, ohne jede Verklärung und ohne in dieser Historisierung ganz aufzugehen. So wie er sich in der einen Gewaltszene, die wir in brutaler Deutlichkeit vor Augen geführt bekommen - die meisten der alltäglichen Übergriffe finden im Off statt, wir verlassen den Tatort ebenso wie die Kinder, die angesichts von Ivanos unbarmherzig drohendem Blick genau wissen, was ihrer Mutter bevorsteht - des Tanzes als Stilmittel bedient."

FR-Kritiker Daniel Kothenschulte staunt darüber, wie "leichthändig Cortellesi das Dramatische und Komödiantische ineinandergreifen lässt", ohne sich zu scheuen, "dem Realismus mit Irrealem zu begegnen". Einen Gang ins Filmmuseum stellt dieser Film, anders als andere nostalgische Anverwandlungen filmhistorischer Stilistiken, allerdings nicht dar, beteuert er: "Eher schon lässt sich diese überzeugende Zeitreise mit dem Experiment von Todd Haynes' unechtem Douglas-Sirk-Film 'Dem Himmel so fern' vergleichen. So wie dieser im Stil des alten Hollywoods eine queere Subgeschichte an die Oberfläche spiegelte, verhilft Paola Cortellesi dem unterschwelligen Feminismus der Zeit zu einer Stimme. Sie verstärkt gewissermaßen, was Silvana Mangano, Anna Magnani, Sophia Loren oder Giulietta Masina, die Diven der großen Zeit des italienischen Kinos, nur andeuten konnten."

Eine Flucht als Abenteuerspektakel? "Ich Capitano"

Bei Matteo Garrones in Venedig mit dem Silbernen Löwen ausgezeichnetem "Ich Capitano" über eine Flucht aus Dakar über Nordafrika und das Mittelmeer bis nach Italien bekommt tazler Fabian Tietke spätestens am Ende, wenn Italien als Retter in der Not erscheint, Bauchschmerzen - allen peniblen Recherchen über Fluchtbedingungen, die dem Film zugrunde liegen, zum Trotz. "Angesichts der Realität, in der die aktuelle italienische Regierung Seenotrettung im Mittelmeer immer schwieriger macht und noch mehr Tote in Kauf nimmt, ist dieses Ende entweder Fiktion, die künstlich ein Happy End herbeiführt, oder stammt aus einer anderen Zeit, aus einer Zeit vor Meloni." So hat "Garrone leider nur einen durchaus guten Film gedreht, der deskriptiv und moralisch empört, den Mechanismus innerafrikanischer Ausbeutung von Migrant_innen zeigt, aber zum europäischen Friedhof im Mittelmeer schweigt."

Jens Balkenborg erinnert in der FAZ an die Diskussionen, die um den Film nach dem Festival in Venedig geführt wurden: "Ist es angemessen, ein Geflüchtetendrama mit spektakulären Bildern als Abenteuerfilm zu erzählen? Einige Kritiker warfen Garrone vor, sein Thema durch eine an Werbeclips erinnernde Ästhetik ad absurdum zu führen." Zu Recht erhielt aber Seydou Sarr den Marcello-Mastroianni-Preis als bester Nachwuchsdarsteller: "Den Körpern und Gesichtern von Sarr und Mustapha Fall schreiben sich die inhumanen Verhältnisse auf ihrem Trip ein, mit dem ein von Schrecken getriebenes Coming of Age einhergeht."

Weitere Artikel: Für die SZ plaudert David Steinitz mit Josef Hader, der diese Woche seine neue, in der FR, im Filmdienst und bei uns besprochene Tragikomödie "Andrea lässt sich scheiden" in die Kinos bringt. Im Standard sprechen Claudia Slanar und Dominik Kamalzadeh als neues Leitungsduo der Wiener Diagonale über den ersten von ihnen verantworteten Jahrgang. Das Diagonale-Programm "Die erste Schicht" über die erste Gastarbeiter-Generation in Deutschland und Österreich trifft derweil das rege Interesse von Standard-Kritiker Bert Rebhandl. Lukas Foerster legt in der Presse dem Wiener Kinopublikum derweil eine Reihe des Österreichischen Filmmuseums mit dokumentarischen Langzeitbeobachtungen ans Herz. Für das ZEITmagazin hat Oliver Polak Woody Allen in New York besucht.  Außerdem wie jedes Jahr heillos verspätet, aber umso lesens- und durchstöbernswerter: der Jahresrückblick 2023 des Filmblogs Eskalierende Träume, darunter auch Notizen einiger Perlentaucher-Kritiker.

Besprochen werden Annekatrin Hendels Dokumentarfilm "Union - die besten aller Tage" über Berliner Fußballfans (Freitag, Welt, FD), die DVD-Neuausgabe von Julián Hernández' "Ich bin das Glück dieser Erde" (taz), Marvin Krens deutsche Netflix-Gangster-Serie "Crooks" mit Frederik Lau (FAZ) und die auf Disney gezeigte Animationsserie "X-Men '97" (FAZ). Außerdem informiert das SZ-Filmteam, welche Kinostarts in dieser Woche von Interesse sind und welche nicht. Hier außerdem der Überblick mit allen Filmdienst-Kritiken zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 03.04.2024 - Film

Christopher Nolans "Oppenheimer" ist nach langem Hin und Her auch in Japan angelaufen, wenn auch mit moderatem Ausspiel. Das Publikum reagiert eher verhalten bis skeptisch, berichtet Thomas Hahn in der SZ, was bei einem Film über die amerikanische Perspektive auf die Entwicklung der Atombombe auch nicht erstaunt: "Wenn Japan sich an die Atombomben erinnert, geht es in erster Linie um das Leid und den Tod unschuldiger Landsleute, um Japan als Opfer. Es geht kaum um die komplexe Vorgeschichte der Abwürfe im Zweiten Weltkrieg, schon gar nicht um Japans Kriegsschuld und die hartnäckige Weigerung des damaligen Kaiserreichs, nach schweren Verlusten vor der amerikanischen Übermacht zu kapitulieren. Das liegt einerseits sicher daran, dass die Atombomben-Angriffe der USA die wohl grausamsten Attacken der gesamten Kriegsgeschichte sind. Andererseits liegt es am Einfluss der nationalistischen Kräfte, die traditionell stark sind in Japans Regierung und das alte Kaiserreich trotz seiner Kriegsverbrechen bis heute verklären. ... Ein Lob der Atombombe ist 'Oppenheimer' nicht. Aber man kann nachvollziehen, dass manche Momente im Film für Japaner belastend sind."

Weitere Artikel: Völlig unverständlich findet es Thomas Schuler in der taz nach einer Kino-Aufführung von Nina Gladitz' Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit", den Leni Riefenstahl einst erfolgreich in dem Giftschrank geklagt hatte (hier dazu mehr), dass der WDR als damals produzierender Sender den Film nicht wenigstens in seiner Mediathek ausspielen will. Nane Pleger erzählt auf Zeit Online, wie sie gemeinsam mit ihrer Großmutter Carl Balhaus' 1958 von der DEFA produzierten "Nur eine Frau" wieder auf die Kino-Leinwand bringt und damit vor allem älteren Frauen eine große Freude bereitete. Valerie Dirk blickt für den Standard aufs Programm der diesjährigen Diagonale. Marion Löhndorf (NZZ), Jakob Thaller (Standard) und Marc Hairapetian (FR) würdigen Marlon Brando, der heute 100 Jahre alt geworden wäre.

Besprochen werden Matteo Garrones Fluchtdrama "Ich Capitano" (Tsp, Welt, FAShier unser Resümee vom Filmfestival Venedig), Balojis "Omen" (taz), Michael Mohans den italienischen Nunsploitatation-Filmen der Siebziger nachempfundene Kloster-Horrorfilm "Immaculate" (Standard) und Neo Soras Konzertfilm "Opus", mit dem sich der 2023 verstorbene Komponist und Musiker Ryuichi Sakamoto von seinem Publikum verabschiedet (Welt, mehr dazu bereits hier).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 02.04.2024 - Film

Die Schauspielerin und Regisseurin Paola Cortellesi in ihrem Film "Morgen ist auch noch ein Tag"

Bert Rebhandl spricht für den Standard mit der Schauspielerin Paola Cortellesi, die nun mit "Morgen ist auch noch ein Tag" ihr Regiedebüt vorgelegt hat. Der Film erzählt von Frauen in der unmittelbaren Nachkriegszeit in Italien und war dort im letzten Jahr ein absoluter Publikumserfolg. "Man versteht auch sofort, warum: Politik aus der Perspektive von Frauen, das ist immer noch eine Marktlücke, und selten sieht man das Patriarchat und erste Schritte zur Befreiung daraus so prägnant in eine Erzählung übersetzt wie hier. ... 'Ich wollte einen Film über Frauenrechte erzählen', legt Paola Cortellesi ihre Motivation dar, 'und gehe dabei von toxischen Dynamiken in einer Paarbeziehung aus. Im Jahr 1946 durften Frauen in Italien zum ersten Mal wählen, das wird für Delia zu einem wichtigen Anstoß.' Das Jahr 1946 war auch für das italienische Kino entscheidend. Damals begann die Bewegung des Neorealismus: Den Klassiker 'Paisà' von Roberto Rossellini zitiert Cortellesi ausdrücklich, und auch die Figur von Delia hat viel mit Frauengestalten zu tun, wie sie von Anna Magnani während des Aufbruchs nach Krieg und Faschismus verkörpert wurden." Am kommenden Donnerstag läuft der Film auch bei uns im Kino an.

Ziemlich begeistert ist NZZ-Kritiker Daniel Haas von David Schalkos und Daniel Kehlmanns "Kafka"-Miniserie in der ARD-Mediathek: Den beiden "ist nicht weniger als eine Gegentheologie zu den bewährten Dogmen der Kafka-Verklärung gelungen. ... Das empiristische Bedürfnis, Kafka darzustellen, wird demontiert durch die Weigerung, diesen Autor und sein Werk festzulegen und zu beherrschen. So halten sich Rekonstruktion und Dekonstruktion in virtuoser Weise die Waage. Als Ganzes betrachtet, eröffnet diese Serie einen Raum, in dem sich das dichterische Subjekt zwischen Verschwinden und Selbstsetzung bewegt. Die pathetische Inszenierung künstlerischen Schöpfertums bleibt aus. Es geht hier nicht um die romantische Wiedergabe eines Dichterlebens, sondern um die Suggestion von Kreativität. Kehlmann, Schalko und ihr Berater, der Kafka-Biograf Reiner Stach, sind selber Collagierer des Textmaterials, das ihnen die literarische Tradition zugespielt hat."

Weitere Artikel: In der NZZ empfiehlt Patrick Holzapfel eine Reihe mit den Filmen von Ousmane Sembène im Filmpodium Zürich. Im Standard legt Patricia Kornfeld dem Wiener Publikum die Aufführung von Maria Lassnigs experimentellen Animationsfilmen im Künstlerhaus ans Herz. Kira Kramer erinnert in der FAZ an René Lalouxs und Moebius' psychedelischen SF-Animationsfilm "Herrscher der Zeit" von 1982. Maria Wiesner schreibt in der FAZ zum Tod des Schauspielers Louis Gossett Jr.

Besprochen werden Bora Dagtekins "Chantal im Märchenland" (SZ, unsere Kritik), Julia Gutwenigers und Florian Koflers Dokumentarfilm "Vista Mare" (Standard) und die auf Netflix gezeigte Science-Fiction-Serie "3 Body Problem" nach dem gleichnamigen chinesischen SF-Epos von Cixin Liu (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 30.03.2024 - Film

Auf der Medienseite der SZ ärgert sich Aurelie von Blazekovic, dass der WDR Nina Gladitz' in den frühen Achtzigern von Leni Riefenstahl erfolgreich in den Giftschrank geklagten Dokumentarfilm "Zeit des Schweigens und der Dunkelheit" (mehr dazu hier) allenfalls für Festivals freigibt, aber nicht im linearen Programm oder wenigstens in der Mediathek zeigen will. Dabei ist der Film einerseits inhaltlich historisch längst bestätigt und das vom Riefenstahl erlassene Unterlassungsurteil seit 2017 verjährt. Der Sender macht Einwände bezüglich der Standards für diese Entscheidung geltend: "Der Sender bemängelt, dass keine Historiker zu Wort kommen, außerdem den technischen Standard mit wackelnden Texttafeln, das zeittypische Bildformat 4:3. Ohne Gerhard Beckmanns offenen Brief wäre der Film noch heute unter Verschluss. Man habe das Schreiben zum Anlass genommen, erklärt eine WDR-Sprecherin, den Film und die archivierten Akten erneut zu sichten. 'Nach Abschluss der Prüfung sehen wir die Bedeutung des Films für die wissenschaftliche und gesellschaftliche Aufarbeitung der Ausgrenzung und Ermordung von Sinti und Roma während des Nationalsozialismus.' Ein Fachpublikum könne man dem Film mit Einordnung aussetzen. Den Fernsehzuschauer? Nein. 'Einige Redakteure in den öffentlich-rechtlichen Anstalten meinen sehr genau zu wissen, was das Publikum will und was nicht und was sie ihnen zumuten können', sagt Sabine Rollberg, die heute als Professorin für Film und Fernsehen in Freiburg lehrt und beim WDR in Rente ist. Nun ja, auf Youtube kursiert immerhin das Digitalisat einer VHS-Aufnahme der Erstausstrahlung:



Weiteres: Für einen Filmdienst-Longread durchstreift Patrick Holzapfel die Filmografie von Marlon Brando, der am kommenden 3. April 100 Jahre alt geworden wäre. Thomas Klein denkt im Filmdienst anhand von Martin Scorseses "Die letzte Versuchung Christi" über das Heroische im Kino nach. Besprochen werden Jessica Hausners "Club Zero" (Welt, unsere Kritik), ein auf AppleTV+ gezeigter Porträtfilm über Steve Martin (Zeit Online) und die RTL-Serie "Disko 76" (FAZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 28.03.2024 - Film

Forcierte Künstlichkeit: "Club Zero" von Jessica Hausner

Perlentaucher Benjamin Moldenhauer hat sichtlich Freude an der "in dieser Form und Temperatur recht einzigartigen Inszenierung zwischenmenschlicher Verstopftheit", wie sie die Filme von Jessica Hausner bieten. Ihr neuer Film "Club Zero" handelt von jungen Leuten, die sich sektenartig einer kollektiv organisierten Bulimie hingeben. Doch ein Drama über Essstörungen ist dieser Film nicht, er "handelt von etwas anderem: Die Kinder allzu satter Eltern verweigern die Nahrungsaufnahme und wollen die Welt, die sie vorfinden, nicht mehr (in dem Wissen, dass diese Welt keinen Bestand haben, sondern bald brennen wird). Ein denkbar einfaches Bild für den Generationenbruch: Man nimmt nicht mehr in sich auf, was die Alten einem geben wollen. Und radikalisiert sich. Diese Radikalisierung aber ironisiert der Film, als Ergebnis der Sektenbildung durch die nächste Autoritätsperson, gleich mit. In den Filmen Jessica Hausners bleibt nichts Positives, und die Radikalisierung ist kein Ausweg. ... Zu einer, wenn man so will, Message oder gar einer Lösung kommt der Film damit zum Glück nicht."

FAS-Kritiker Peter Körte hingegen steht unproduktiv verrätselt vor diesem Film, der auf ihn "wie ein Laborversuch" wirkt: "Es fehlt ein Bewusstsein, wie wirken, wie missverstanden werden kann, was sie zeigt. Wem danach ist, der kann nach dem Film bewusste Ernährung und Opposition gegen die Auswüchse industrieller Lebensmittelproduktion für eine gefährliche Ideologie halten und die jungen Menschen, bei denen einem schon auch die einschlägigen Klimaschutzgruppen einfallen, für Opfer, dämlich und leicht verführbar. Von grassierender Adipositas und den 735 Millionen Unterernährten dieser Welt reden wir lieber gar nicht erst. Dieser Eindruck hat damit zu tun, dass der Film eine Versuchsanordnung an die Stelle von Menschen setzt. ... Aus Charakteren werden dann Schemen und Behauptungen - und der Film wird ein Opfer seiner forcierten Künstlichkeit." Für Artechock besprechen Axel Timo Purr und Rüdiger Suchsland den Film. Tobias Kniebe unterhält sich für die SZ mit der Hauptdarstellerin Mia Wasikowska.

Im großen Rundumschlag seiner aktuellen "Cinema Moralia"-Glosse auf Artechock ärgert sich Rüdiger Suchsland unter anderem darüber, dass hiesige Filmstudenten kaum mit den Dokumentar- und Essayfilmen von Lutz Dammbeck in Berührung kommen, aber stattdessen "zugekübelt werden mit illustrativem 08/15-Kram, mit inhaltistischen Dokumentationen. ... Natürlich liegt dieser missliche Zustand letztendlich an den Studenten selbst", welche zwar "hochempfindlich sind gegenüber allen möglichen eher dem Ästhetischen fernen Fragen. Aber da, wo es um ihr ureigenes Thema, nämlich um ästhetische Bildung geht, sind sie oft genug stumpf wie Holzklötze. Ich werde die Studenten erst dann Studierende nennen, wenn sie wirklich studieren, also von ihren Filmhochschulen nicht 'Repräsentation' von wasauchimmer einfordern, sondern dass ihnen endlich gute und wichtige und auch im internationalen Zusammenhang bedeutsame Filme und Filmemacher vorgeführt werden."

Besprochen werden Bora Dagtekins "Chantal im Märchenland" (Perlentaucher, FR), Neo Soras "Opus" mit Ryuichi Sakamotos letzter Performance vor seinem Tod (FR, mehr dazu hier), James Hawes' "One Life" mit Anthony Hopkins (Artechock), Gil Kenans "Ghostbusters: Frozen Empire" (Filmfilter), Thea Sharrocks "Kleine schmutzige Briefe" (Tsp, Artechock), die auf Paramount+ gezeigte Serie "A Bloody Lucky Day" (FAZ) und die auf Sky gezeigte Serie "Helgoland 513" (taz). Außerdem informiert das SZ-Filmteam, welche Filme sich in dieser Woche lohnen und welche nicht. Und hier der Überblick mit allen Filmdienst-Kritiken zur aktuellen Kinowoche.

Efeu - Die Kulturrundschau vom 27.03.2024 - Film

Eine letzte Spur im Raum, ein bevorstehendes Verschwinden: "Opus" mit Ryuichi Sakamoto

Mit Neo Soras "Opus" kommt diese Woche das filmische Vermächtnis des vor einem Jahr gestorbenen japanischen Komponisten und Musikers Ryuichi Sakamoto in die Kinos. Es ist eine minimalistische Studie über das Sterben, schreibt Philip Stadelmaier in der SZ: Der schwarzweiße Film zeigt Sakamoto in schwarzer Kleidung an einem Piano, an dem er ohne ein Wort zu verlieren zwanzig Stücke spielt. "Im Zentrum steht die melancholische, sich in überraschenden Harmonien entwickelnde Musik, die durch den hochkonzentrierten Vortragsstil des sterbenskranken Mannes ihrer endgültigen Interpretation zugeführt wird." Der "Film ist auch eine Studie über einen abgemagerten, todkranken, dennoch schönen Körper. Die Kamera stößt immer wieder auf leere Momente: Eine abgelegte Brille, ein verwaister Sessel, eine unberührte Klaviatur nehmen ein bevorstehendes Verschwinden vorweg, das nicht mehr abzuwenden ist. Die Aufnahmegeräte können nur die Musik zurückhalten, nicht den Mann selbst. ... Es ist ein Film über das Sterben Sakamotos, der eine letzte Spur im Raum hinterlässt."

Besprochen werden Jessica Hausners Essstörungs-Komödie "Club Zero" (taz), James Hawes' "One Life" mit Anthony Hopkins in der Rolle des britischen Börsenmakler Nicholas Winton, der 669 jüdische Kinder aus Prag vor den Nazis rettete (Tsp, FAZ, FD), Thea Sharrocks Komödie "Kleine schmutzige Briefe" (Standard, FD), David Schalkos und Daniel Kehlmanns ARD-Miniserie "Kafka" (FR), Patric Chihas experimenteller Dokumentarfilm "If It Were Love" über eine Tanzgruppe (FAZ), die Arte-Doku "Yakuza - Japans Mafia" (FAZ) und die ARD-Animationsserie "Friedefeld" (taz).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 26.03.2024 - Film



Die Feuilletons trauern um Fritz Wepper. Er "gehörte zum bundesrepublikanischen Inventar", schreibt André Boße auf Zeit Online. Vom legendären "Kommissar" (ein paar Folgen in der ZDF-Mediathek) über den insbesondere in den ersten Staffeln schmerzhaft unterschätzten "Derrick" (vom ZDF entgegen anderslautenden "Gitschrank"-Gerüchten offiziell auf Youtube ausgewertet) bis hin zu eher biederen Formaten der Gegenwart war er "eine darstellende Macht im Fernsehen", schreibt Jan Feddersen in der taz. Seine Kino-Karriere (die auch hier von eher bahnhofskino-artigen Filmen bis zu Hollywood reichte) wurde da manchmal übersehen: "Wepper zählte zur Riege - wie Mario Adorf, Horst Buchholz, Karin Dor und Karin Baal - der deutschen Nachkriegsschauspieler, die prinzipiell auch international vorzeigefähig waren: weil sie keinen Naziappeal verströmten. Diese, so ließe sich sagen, münchnerische Freundlichkeit, die er so undeutsch, so unwehrmachtshaft in jungen Jahren sanft fast verkörperte war einer der Gründe, warum ihn der US-amerikanische Regisseur Bob Fosse 1971 verplichtete, für die Rolle eines nicht ganz für voll zu nehmenden Hallodri in der Christopher-Isherwood-Geschichte 'Cabaret'."



Als Assistent Harry Klein, den er annähernd 30 Jahre lang und in zwei Serien spielte, wird er wohl langfristig im Gedächntis bleiben, schreibt Harry Nutt in der FR: "Gegen die auffällige Langsamkeit des von Erik Ode dargestellten Titelhelden ('Der Kommissar') verkörperte Harry Klein jugendlichen Elan. Und nicht selten war es dem gut aussehenden Ermittler vorbehalten, Verständnis für eine revoltierende Münchner Jugend aufzubringen, in deren Schwabinger Milieu es manch kniffliges Mordgeschehen aufzuklären galt. Harry Klein war der Langhaarigenversteher der Nation."

"Das deutsche Fernsehen, das waren die Weppers", schreibt Cosima Lutz in der Welt und holt dazu noch Elmar Wepper mit ins Boot, der vor bereits einem halben Jahr gestorben ist. Das Publikum liebte Fritz Wepper, "weil es vieles von sich selbst in ihm erkannte: etwas Durchschnittliches, Unaufgeregtes, sich Begnügendes und trotzdem bei Bedarf Renitentes. Trotz dieser bewährten Art schaffte er es, seinen Serienfiguren immer wieder neue komödiantische Facetten zu geben, schwang sogar als Elvis-Imitator die Hüften." Wepper war "ein Garant dafür, dass sympathisch-menschliche Schlitzohrigkeit zum Ziel führen kann, rein professionelle dagegen in den Knast", ergänzt Paul Jandl in der NZZ. Weitere Nachrufe schreiben Kurt Sagatz (Tsp) und Axel Weidemann (FAZ).

Besprochen werden James Hames' "One Life" (taz), Christopher Zallas "Radical" (Welt), die Doku "Quiet on Set" über mutmaßlichen Missbrauch beim Kindersender Nickelodeon (FAZ) und die ARD-Serie "Kafka" von David Schalko und Daniel Kehlmann (TA, Welt)

Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.03.2024 - Film

Der Schweizer Filmpreis geht an den Film "Blackbird Blackbird Blackberry", den in seinem Heimatland gerade einmal 2000 Leute gesehen haben, seufzt Andreas Scheiner in der NZZ. Besprochen werden Hirokazu Kore-Edas "Die Unschuld" (Jungle World, unsere Kritik), Kristoffer Borglis "Dream Scenario" mit Nicolas Cage (Standard), Nicol Paones "The Kill Room" mit Uma Thurman und Samuel Jackson (Standard) sowie die Netflix-Serie "3 Body Problem" nach dem chinesischen Science-Fiction-Epos "Die Drei Sonnen" Cixin Liu (taz).
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