"Nur konsequent" und "beschämend" findet es Andreas Platthaus im
FAZ-Kommentar, dass mit
Serhij Zhadan, der sich freiwillig zu einem Kampfbatallion gemeldet hat, nun "ein Friedenspreisträger in den Krieg zieht: "Der
Schriftsteller hat zuletzt keinen Hehl aus seiner
Enttäuschung über das Desinteresse des Westens am Existenzkampf der Ukraine gemacht. Mehr als zwei Jahre nach Kriegsbeginn und angesichts von geschätzt Hunderttausenden Toten auf beiden Seiten ist Zhadans Schritt kein Zeichen blinder Kriegsbegeisterung, wie sie Schriftsteller im August 1914 gezeigt haben, sondern
Ausweis von Verzweiflung. Zhadan setzt sein Leben ein, wo die westliche Politik nicht einmal Material liefern will. Im Juli 2022 hatte er gedichtet: 'Wie kannst du jetzt fluchen auf die Last / des Zufalls, der dich in den / kalten Wind der Geschichte stellt?' Der Wind ist noch kälter geworden, der Krieg heißer, wer von Einfrieren fantasiert, heizt ihn an. Und Serhij Zhadan geht ins
Feuer."
Wo hat das in der kleinen Einsiedelei in Bargfeld nur alles hingepasst? "
Mehr als tausend Teile" umfasst der "textile Nachlass von
Alice und Arno Schmidt", der aktuell unter dem Titel "Kleider.Geschichten"
im Augsburger Textilmuseum ausgestellt ist,
schreibt Hannes Hintermeier in der
FAZ: "Für heutige Anhänger der Vintage-Religion ein Traum, für Kulturhistoriker eine Fundgrube, für Literaturwissenschaftler ein
philologisches Puzzle. ... Viele Stücke verweisen auf Zeiten des Mangels, etwa der Wolldeckenmantel, der als Morgenmantel ebenso zum Einsatz kommt wie als Überwurf in der Nacht; der eingefärbte - Uniformteile zu tragen war nach dem Krieg verboten - Militärmantel Schmidts, den er aus Norwegen mitbrachte. Die Bretter-Sandalen, die Schmidt mehr schlecht als recht zurechtschnitzte. ... Wie in der Nachkriegszeit üblich wurde gerettet, was noch zu verwenden war. Der Lambswool-Pullover des Autors wurde
so oft gestopft wie möglich. Bei Aufnahmen für ein
Spiegel-Interview vergisst Schmidt offenbar, dass er das zerschlissene Stück trägt. Es kümmert ihn nicht, was die Welt über Äußerlichkeiten denkt: 'Vielleicht hielt man meine zerklüftete Kleidung auch für
Originalstreiche eines Genies.'"
In der
Zeit meditiert
Clemens J.
Setz staunend über ein aktuelles
TikTok-Phänomen, bei dem junge TikToker sich
drastischen Gewaltvideos im Netz aussetzen, um ihrem ebenfalls sehr jungen und überwältigend großem Publikum davon zu erzählen, allerdings ohne die Gewalt zu zeigen. "In Kommentaren kann man von Albträumen lesen, die die Worte des Nacherzählers hervorgerufen haben. Manche zweifeln auch daran, dass dieses oder jenes nacherzählte Video tatsächlich existiert, und nennen einige unglaubwürdige Formulierungen. Ich glaube, all diese gewaltfaszinierten Jugendlichen entdecken dasselbe wie ich vor einem Vierteljahrhundert, nämlich dass die richtig gewählten Worte
eine reale Form von Telepathie darstellen. Die Nacherzähler-Szene auf
TikTok und
YouTube erlebt gerade so etwas wie eine unabhängig von der bisherigen Kulturgeschichte stattfindende
Zweitentdeckung der Literatur, ihrer Wirkmächte und Schwerfälligkeiten, ihrer Gesetze und Mysterien. Andauernd wird gejammert, dass Jugendliche nichts mehr lesen. Und nun bauen sie auf einmal
mit Holzstecken und krummen Nägeln eigenhändig das große Haus der Literatur nach - oder zumindest dessen Fundament."
Außerdem: In der
FAZ gratuliert Jonas Grethlein dem Gräzisten
Joachim Latacz zum 90. Geburtstag. Besprochen werden unter anderem
Nicole Seiferts "'Einige Herren sagten etwas dazu'" über die Autorinnen der
Gruppe 47 (
TA),
Maria Lazars "Zwei Soldaten" (
Standard),
Shila Behjats Essay "Söhne großziehen als Feministin" (
NZZ),
Vladimir Vertlibs "Die Heimreise" (
FAZ)
und
Maren Kames' "Hasenprosa" (
Zeit). Mehr ab 14 Uhr in unserer
aktuellen Bücherschau.