Efeu - Die Kulturrundschau - Archiv

Musik

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Efeu - Die Kulturrundschau vom 25.03.2024 - Musik

Die Feuilletons müssen den Tod gleich zweier Protagonisten des klassischen Musikbetriebs verkraften, Peter Eötvös und Maurizio Pollini. Zu Pollini, der im Alter von 82 Jahren starb, schreibt Wolfgang Schreiber in der SZ: "Er war der aufgeklärte, der 'fortschrittliche' Pianist seiner Zeit, vielleicht der sprödeste, empfindlichste, grüblerischste unter den großen Virtuosen. Für Chopin setzte Pollini auf kristallklare Energie, für Bachs Wohltemperiertes Klavier oder Beethovens 32 Sonaten auf eine eiserne Formlogik, für Schubert, Schumann oder Brahms, für Debussy oder Schönberg auf Poesie, Prägnanz, Geradlinigkeit." Auch der Moderne des 20. Jahrhunderts öffnete er sich, doch wollte er "bei aller Kampfansage an die Hörgewohnheiten des Publikums nie ein Avantgarde-Guru sein". In seinen Aufnahmen "wird man nicht mit letztgültigen Interpretationen für die Ewigkeit konfrontiert", schreibt Wolfgang Stähr in der NZZ. "Man folgt einer Suchbewegung und begreift, welcher Reichtum an Möglichkeiten sich hinter jeder Note auftut: Es könnte alles auch ganz anders sein. Unruhe, Begeisterung, Anspannung, Unberechenbarkeit zeichneten Pollinis Klavierspiel aus - keine Chance, sich bequem zurückzulehnen."

"Pollini explodierte sehr jung als pianistisches Genie, als er 1960, mit nur achtzehn Jahren, den Chopin-Wettbewerb in Warschau gewann", erinnert Jan Brachmann in der FAZ. "Seine sagenhafte Technik, die scharfgeschnittene Artikulation, unbeirrbare Phrasierung, lebhaft, doch weitgehend im Verzicht auf Temposchwankungen (das berühmte Rubato) und die perfekt ausbalancierte Statik der Mehrstimmigkeit verblüfften die Welt. Auf dem Debüt-Album, das kurz danach bei der EMI erschien, kann man es bis heute nachhören: Wie unausweichlich steuert er den Höhepunkt in der Coda von Chopins fis-Moll-Polonaise op. 44 an, wenn die heroische Anstrengung in tragische Kapitulation umschlägt!" Weitere Nachrufe schreiben Manuel Brug (Welt) und Judith Sternburg (FR).



Die Feuilletons trauern auch um den Komponisten und Dirigenten Peter Eötvös, der achtzig Jahre alt wurde: "Eötvös war nie ein Komponist des schönen Scheins, immer begriff er das Komponieren wie das Leben", würdigt ihn Reinhard J. Brembeck in der SZ: "dramatisch, aufgewühlt, packend. Als Musiker war er wie als Komponist ein Mittler zwischen Ost und West, der Avantgarde und einem ihr skeptisch gegenüberstehenden Publikum. Wenn er die legendären 'Gruppen' seines Lehrers Karlheinz Stockhausen dirigierte, dann geschah das Wunder. Die Sperrigkeit wurde zu sinnlich einleuchtender Musik." Manuel Brug erinnert sich auf Welt Online: "Er war offen, kein Dogmatiker, man wusste nie, was man von ihm als nächstes Klanggericht vorgesetzt bekam. Ohne jedes Dogma pflegte er einen legeren Polystilismus. Peter Eötvös war weltoffen, liebte aber auch, wie Fellini, die zirzensische, extraterrestrische Welt der Gaukler und Akrobaten." Hier spielt das hr-Sinfonieorchester seine Komposition "The Gliding of the Eagle in the Skies", dirigiert von ihm selbst:



Alex Rühle ärgert sich in der SZ darüber, dass sich auf den popularen Gebrauchsmusik-Playlists auf Spotify (von Relaxen bis Yoga) nur ein paar Komponisten hinter einer Myriade von Pseudonymen verstecken - und dass Spotify hier wohl ausgefuchste Deals ausgeheckt hat: niedrige Tantiemen gegen prominente Platzierung. Der erfolgreichste Komponist ist ein gewisser Johan Röhr. "Spotify sitzt in Stockholm. Röhrs Musik wird von den Overtone Studios veröffentlicht, einem Stockholmer Label, das zu der ebenfalls in Stockholm ansässigen Firma Epidemic Sound gehört. Die konnte ihren Umsatz 2022 um fast 50 Prozent steigern. Bei Firefly Entertainment, einer Firma, die im schwedischen Stockholm beheimatet ist, vervierfachte sich das Geschäftsvolumen im selben Zeitraum sogar auf 360 Millionen schwedische Kronen. So, wie es aussieht, sind all die Playlists also genau das Gegenteil von Weltmusik, sie werden von einem kleinen Stockholmer Klüngel komponiert und vertrieben, Monokultur zu Dumpingpreisen."

Weiteres: In russischen Gefängnissen werden Dissidenten zum Teil auch mit musikalischer Dauerbeschallung gefoltert, schreibt Ueli Bernays in der NZZ, wobei dafür auf auffallend viel westliche Rockmusik zurückgegriffen wird. Besprochen werden die Berliner Ausstellung "Heavy Metal in der DDR" (taz), Adrianne Lenkers Folkalbum "Bright Future" (Zeit Online), das neue Album von Meute (FAS), ein Konzert von New Model Army (FR) und die Wiederveröffentlichung von Alice Coltranes "The Carnegie Hall Concert" aus dem Jahr 1971 (Pitchfork). Wir hören rein:

Efeu - Die Kulturrundschau vom 23.03.2024 - Musik

Die Berliner Clubszene "hat ein massives Antisemitismusproblem", bekräftigt Nicholas Potter im taz-Gespräch, was sich nicht zuletzt in der Polarisierung der letzten Monate offen zeigt. Weite Teile der Szene äußern sich "antiisraelisch. Ich sage bewusst nicht propalästinensisch. Aber das ist eine Form von Delegitimierung des jüdischen Staats, die man als antisemitisch bezeichnen muss." Schon vor dem 7. Oktober "hat man hat ein gewisses Feindbild kultiviert und dieses war am 7. Oktober plötzlich zerbrochen." Hier herrschte "zunächst Schweigen, da hat niemand was gesagt. Bis Israel mit Luftanschlägen reagierte. Dann war das alte Feindbild wiederhergestellt. Man konnte sehr bequem alles andere ignorieren, was auf dem Supernova passierte oder in den Kinderzimmern der Kibbuzim im Süden des Landes. Man fokussierte sich allein auf die Dämonisierung Israels."

Weitere Artikel: Der Schweizer Kulturwissenschaftler Andi Schoon berichtet in der taz von seinen Archivforschungen in Südafrika zu den Komponisten Arnold van Wyk und Hubert du Plessisn, die sich einst einen unbehelligten homosexuellen Lebensstil mit der Komposition nationalistischer Musik erdealt hatten. Für die WamS plaudert Martin Scholz mit Iron-Maiden-Sänger Bruce Dickinson, der aktuell ein Soloalbum zu promoten hat.

Besprochen werden ein neues Album von Yard Act (FR), ein von Marin Alsop dirigiertes Konzert des Radio Symphonie Orchesters des ORF (Standard), ein Auftritt von Kinga Glyk bei der hr-Bigband (FR), "Bright Future" von Adrianne Lenker (SZ), Henryk Gerickes Buch "Tanz den Kommunismus - Punkrock DDR 1980 bis 1989" (FAS) und das neue Album von Beth Dittos Band Gossip (" alles ein bisschen zu brav und glatt", seufzt Karl Fluch im Standard, "das Widerspenstige, das Ditto ins Wesen geschrieben ist, dominiert nicht mehr wie früher").

Stichwörter: 7. Oktober

Efeu - Die Kulturrundschau vom 22.03.2024 - Musik

"Das Countryalbum des Jahres erscheint eine Woche früher als gedacht", freut sich Daniel Gerhardt auf Zeit Online. Gemeint ist nicht das neue Beyoncé-Album, das diesen Titel bereits sicher glaubte, sondern "Tigers Blood" der Gruppe Waxahatchee rund um die Sängerin Katie Crutchfield und diese Platte "gehört zu jenen Platten, nach denen eigentlich nichts mehr kommen kann: kein besserer Song, keine schönere Geschichte, keine komplettere Heilung. Wer schon mal aus dem Fenster in ein Wespennest gefallen ist, sich dabei was gebrochen hat und dann vom Krankenwagen überfahren wurde, der weiß, worum es bei Countrymusik geht. Wer sich außerdem daran erinnern kann, wie langsam der Schmerz nachließ und die Hoffnung zurückkehrte, für einen flüchtigen, idiotischen Moment, der weiß auch, wie sich die neuen Songs von Waxahatchee anfühlen. Denn das ist der Clou: Tigers Blood ist keiner jener Countrywitze, die mit einsamen Säufern im Straßengraben enden, verlassen von Freundinnen und Hunden. Es ist ein Daumen hoch fürs Leben." Für Pitchfork bespricht Jaysone Greene das Album ähnlich euphorisch. Wir hören rein:



Außerdem: In der Welt plaudert Oliver Polak über seinen neuen Schlager-Podcast bei Dlf Kultur. Gregor Kessler spricht in der taz mit den Musikern von The Jesus and Mary Chain, die heute ein neues (im Standard besprochenes) Album veröffentlichen.



Besprochen werden ein Auftritt von Lakecia Benjamins (Standard), Bushidos Comeback-Konzert in Berlin (BLZ), eine Berliner Aufführung von Karlheinz Stockhausens Schlagzeugstück "Musik im Bauch" durch das Ensemble Les Percussions de Strasbourg (SZ) sowie neue Alben von Kle.ze (taz) und Adrianne Lenker (Pitchfork).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 21.03.2024 - Musik

Ziemlich unbehaglich fühlte sich SZ-Kritiker Joachim Hentschel beim Berliner Auftritt der britischen Postpunk-Band Idles, die die Stimmung im Saal mit Palästina-Slogans immer weiter aufpeitschten, bis die Band ihr Publikum in der mit 8.000 Menschen ansehnlich gefüllten Max-Schmeling-Halle schließlich zu kollektiven "Ceasefire Now"-Chören aufriefen. "Spätestens da kippte das leichte Unbehagen bei vielen im Saal in profunde Verärgerung. Nicht, weil ein Ruf nach Waffenruhe in Gaza, wie ihn auch Präsidenten und Minister weltweit äußern, verwerflich oder emotional unverständlich wäre. Sondern weil an dieser Stelle des Abends völlig klar war, dass keiner der Musiker sich im Lärmtaumel noch die Mühe machen würde, die Standpunkte weiter auszudifferenzieren - oder, auch das würde ja in Konzerthallen-taugliche Slogans passen, gar etwas über die menschenfeindliche Aggression der Hamas oder das Schicksal der Geiseln zu sagen."

Weitere Artikel: Jean-Martin Büttner staunt im Tagesanzeiger über die Geschichte des Komponisten Johan Röhr, der sich auf Spotify hinter 650 Namen versteckt und über 2700 Lieder (oder besser gesagt: "mood pieces") auf dem Angebot des Streamingdienstes hat - und damit in Summe häufiger gestreamt wird als Michael Jackson. Heide Rampetzreiter erinnert in der Presse an das Popjahr 1994, das diverse Platten für die Ewigkeit abgeliefert hat. Arno Lücker empfiehlt in VAN diverse Aufnahmen von Georg Philipp Telemanns "Passionen".

Besprochen werden die Bruckner-Ausstellung in der Nationalbibliothek in Wien (Standard), ein Rameau- und Mahler-Konzert des von François-Xavier Roth dirigiertenn Ensembles Les Siècles in Zürich (NZZ), ein von John Storgards dirigiertes Konzert der Jungen Deutschen Philharmonie mit der Geigerin Leila Josefowicz (Tsp), das neue Album des Hiphopers Manillio (TA), das neue Album von Justin Timberlake (Standard) und Adrianne Lenkers Country-Album "Bright Future" (Standard).

Stichwörter: Idles, Country, Spotify, Hamas, Postpunk

Efeu - Die Kulturrundschau vom 20.03.2024 - Musik

Die DDR-Punkband Schleimkeim mit ihrem Sänger Otze, vorne. (Bild: Arsenal Filmverleih)

Die Jugend-Subkulturen der DDR rücken gerade wieder etwas mehr in die Aufmerksamkeit. Wie war Punk in der DDR? Wie Metal? Antworten auf die erste Frage liefert Jan Hecks Kino-Dokumentarfilm "Schleimkeim - Otze und die DDR von unten" über die wichtigste und räudigste Punkband und deren erratischen Sänger und Texter. "Obwohl die damalige Punkszene im engeren Sinne nicht politisch war, galt sie der DDR als Bedrohung", schreibt Pascal Beck in der Jungle World. "'Negativ-dekadent', 'politisch labil' und 'fehlentwickelt' waren nur einige der Attribute, mit denen die Stasi die Punks belegte, weil sie dem Bild des sozialistischen Idealmenschen nicht entsprachen. Punk war das nihilistische Gegenprojekt, das dem tristen Alltag der DDR mit Spott und Verachtung begegnete. Schleimkeims Lieder zeugen davon, ihr Verfasser erst recht. ... Mit so jemandem war kein sozialistischer Staat zu machen. Der Einfallsreichtum der Obrigkeit war dementsprechend grenzenlos, um Punks wie Otze zu gängeln."

Auch beim Metal war die DDR-Obrigkeit irritiert, wenngleich weniger drakonisch, wie Andreas Hartmann im Tagesspiegel nach dem Besuch der Berliner Ausstellung "Heavy Metal in der DDR" erzählt: "So wurde er im DDR-Rock-Lexikon von 1983 noch als 'faschistoid' bezeichnet, zwei Jahre später in der FDJ-Jugendzeitschrift Neues Leben dagegen regelrecht abgefeiert. Konzerte der Band Macbeth wurden Mitte der Achtziger verboten, weil es bei diesen zu Ausschreitungen gekommen war, gleichzeitig hatte der Jugendsender DT 64 eine eigene Heavy-Metal-Sendung, die auch eingesandte Tapes von Nachwuchsbands spielte." Die ziemlich amtliche DDR-Metalband Formel 1 brachte es immerhin sogar bis zu einer Veröffentlichung auf dem Staatslabel Amiga:



Andrian Kreye spricht für die SZ mit Don Was, dem Chef von Blue Note Records, über Gegenwart und Vergangenheit des einst stilbildenden Jazz-Labels. Wie kommt es eigentlich, dass Blue Note in den Sechzigern ein völlig unverwechselbares ästhetisches Gepräge hatte und heute nicht mehr, will Kreye wissen. "Damals gab es einen Tontechniker, der alle großen Blue-Note-Platten aufgenommen hat, Rudy Van Gelder. Es gab einen Grafiker, Miles, einen Produzenten, Alfred Lion. In den vergangenen 60 Jahren hat sich das Plattenmachen sehr verändert. Früher haben die Musiker die Platte aufgenommen, die Designabteilung hat das Cover gemacht, die Produzenten die Musik abgemischt. Heute ist das anders. Die Beatles sind dafür verantwortlich, weil mit 'Sergeant Pepper' nicht nur die Musik, sondern alles drum herum zu einem Ausdruck wurde. Manfred Eicher von ECM ist einer der wenigen, die das noch machen. Wenn man bei ihm unterschreibt, dann mit dem Verständnis, dass der künstlerische Ausdruck ein kooperatives Abenteuer mit Manfred ist. Ich bewundere das sehr, wie lange er da einen Vibe aufrechterhalten hat. Als Einzelner."

Außerdem: Die Sängerin Olivia Rodrigo verteilte nach einem Konzert in Missouri als Protest gegen das dort herrschende Abtreibungsverbot kostenlos Pillen-Danach, meldet Marie-Luise Goldmann in der Welt. Rainer Moritz schreibt in der NZZ einen Nachruf auf den Schlagersänger Henry Valentino. Christian Wildhagen porträtiert für die NZZ den Dirigenten Pablo Heras-Casado, dem im vergangenen Jahr in Bayreuth quasi aus dem Nicht "ein Wagner-Wunder" gelungen war. Wir hören ins Vorspiel:

Efeu - Die Kulturrundschau vom 19.03.2024 - Musik

FAZ-Kritiker Clemens Haustein ist sehr dankbar dafür, dass die Berliner Maerzmusik unter der neuen Leitung von Kamila Metwaly (seit 2022) wieder vermehrt Anlässe zum Hören und weniger zum Seminargrübeln bietet - und dann sind auch Künstler wie Publikum internationaler denn je aufgestellt. Das b-l duo aus Singapur etwa hat ihm schon rein athletisch ziemlich imponiert: "Wie Mäuse auf Ecstasy krabbeln die Hände der beiden Spieler die Tastatur auf und ab, heftige Beats krachen dazu. Ein Metrum erschließt sich dem Hörer kaum einmal, aber Wee und Yeo nicken gemeinsam mit den Köpfen und wenden gleichzeitig die Noten. ... Die Grenzen des Verrückten werden bei diesem Konzert ebenso ausgelotet wie die Möglichkeit von charmantem Humor. Bei Enno Poppes Stück 'Rad' mutieren die beiden Keyboards zu verstimmten Klavieren, die Musik, die nun zu hören ist, lässt an zwei Barpianisten denken, auf die der Geist der Atonalität niederkam. In pianistischer Zungenrede ergießen sie sich nun, zunehmend enthusiasmiert bis zum wilden Tastengalopp: herauf, herunter, herauf, herunter. Aus Mäusen auf Ecstasy wurden Pferde aus Ecstasy."

Weitere Artikel: Ralf Ruckus stellt in der taz die Punkband Southern Riot vor, die aus indonesischen Wanderarbeitern besteht, welche mit ihrer Musik gegen die bedrückenden Arbeitsverhältnisse in Taiwan protestieren. Viele Musiker wehren sich dagegen, dass Donald Trump deren Musik auf Wahlkampfveranstaltungen nutzt, berichtet Stephanie Caminada in der NZZ. Nachrufe auf Steve Harley schreiben Harry Nutt (FR) und Edo Reents (FAZ). Und frisch in der Podcastwelt: "Schlagertalk" mit Oliver Polak, der bei Dlf Kultur "Gespräche über eine der meistunterschätzten Musikrichtungen Deutschlands" verspricht.

Besprochen werden eine Neuausgabe von Joe Hendersons Jazz-Album von "Power to the People" aus dem Jahr 1969 (Pitchfork), Samuel Mumenthalers Buch "Hot! Jazz als frühe Popkultur" (NZZ), die Neuausgabe von John Zorns "Masada"-Projekt (Welt, mehr dazu bereits hier), ein von Thomas Guggeis dirgierter Schumann- und Rachmaninow-Abend in Frankfurt mit dem Geiger Renaud Capuçon (FR) und neue Popveröffentlichungen, darunter das neue Album vom Nino aus Wien (Standard).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 18.03.2024 - Musik

Bei der Berliner Maerzmusik wird heute Jessica Ekomanes computerbasierte Kirchenglockenkomposition "Bonds" uraufgeführt. Maxi Broecking hat sich für die taz mit Ekomane getroffen. "'Das gesamte Projekt untersucht Verbindungen im öffentlichen und damit mit der Gemeinschaft geteilten Raum. Gemeinschaft kann Stärke und Schutz bieten, aber auch Beschränkungen auferlegen.' In der Vergangenheit seien Glocken genutzt worden, um mit der Gemeinschaft zu kommunizieren, den Tag zu strukturieren, aber auch als Ausdruck der politischen Macht der Kirche. Die Stücke ... beziehen durch den Klang die Nachbarschaft und die Vorbeigehenden ein. In ihrer Idealvorstellung mische sich Kunst mit dem täglichen Leben. 'Ich experimentiere viel mit musikalischen Stimmungen, oft auch aus Westafrika. Dies ist für mich eine Art von Freiheit, die ich auch mit spezifischer Computermusiktechnik verbinde. Das ist das Herzstück meiner Arbeit im Allgemeinen, ich arbeite viel mit musikalischen Vokabeln. Auch liebe ich Grauzonen und Dinge zu definieren, die sich zwischen verschiedenen Kontexten bewegen. In Museen, Konzerträumen, Clubs oder, wie jetzt, in Glockentürmen.'"

Um deutliche Kommentare ist der Komponist und Pianist Moritz Eggert selten verlegen. "Viel zu lange habe sich die klassische Kunst 'in einer Nostalgie-Blase eingekuschelt'". sagt er gegenüber Dorothea Walchshäusl in der NZZ. "Dabei sei er absolut dafür, alte und ältere Musik aufzuführen. 'Aber wir brauchen gleichberechtigt auch die heutige Musik, denn nur diese kann einordnen, was heute passiert. Sie kann Visionen für die Zukunft entwickeln, Vergangenheitsbewältigung sein und Kommentar zur Gegenwart.'"

Außerdem: Für die Presse spricht Wilhelm Sinkovicz hier mit Simon Rattle über sein Ankommen in Bayern ("ein völlig anderes Deutschland") und dort mit ihm über Gustav Mahler. Dagmar Leischow spricht für die taz mit Don Was, der seit 2011 Labelchef von Blue Note Records ist. Karl Fluch plaudert für den Standard mit der Popsängerin Christina Stürmer. In der SZ gratuliert Peter Richter Dieter "Maschine" Birr von den Puhdys zum 80. Geburtstag. Philipp Krohn gratuliert auf FAZ.net John Sebastian zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden die Auftaktveranstaltung von André Hellers "Reflektor"-Festival in der Hamburger Elbphilharmonie mit Peter Sloterdijk, der über Franz Schuberts "Winterreise" philosophierte ("Es war mehr ein unterhaltsames Verirren in hochkulturelle Anekdotenschnipsel und lustige Formulierungen", hält Till Briegleb ind er SZ fest), ein Konzert des RIAS Kammerchors und der Kammerakademie Potsdam in der Berliner Philharmonie (VAN), ein Auftritt der Postpunk-Band The Idles in Berlin (Tsp), ein Konzert des ukrainisch-deutschen Orchesters Memento Odesa (Tsp) und die Wiederveröffentlichung von Martin Carthys Debütalbum von 1965 (NZZ).

Efeu - Die Kulturrundschau vom 16.03.2024 - Musik

Der Berliner Techno ist Teil des immateriellen Kulturerbes. "Wenn also irgendwo 'Nzz, nzz, nzz' aus Lautsprechern oder Kopfhörern böllert, gilt es nun, nicht mehr gleich ein Schnoferl zu ziehen, es ist ab sofort amtlicherweise Kulturverständnis gefordert", flachst Karl Fluch im Standard, der diese Entscheidung aber dennoch "völlig gerechtfertigt" findet: Techno ist eine, wie es so schön heißt, gelebte Kulturtechnik" und "im Vergleich zu den nun ebenfalls als Kulturerbe ausgerufenen Errungenschaften wie 'Bergsteigen in Sachsen', der 'Finsterwalder Sangestradition in Brandenburg', dem 'Kirchseeoner Perchtenlauf' in Bayern, der 'Schwälmer Weißstickerei' aus Hessen oder der 'Weinbereitung aus Äpfeln, Birnen oder Quitten' im moselfränkischen Raum ist Berliner Techno schon um einiges geiler."

Diese Entscheidung dient vor allem den Geschäften von Loveparade-Mitbegründer und -Betreiber Dr. Motte, auf dessen Lobbyarbeit sie auch zurückgeht, stöhnt hingegen Julian Weber in der taz. Doch "schlimmer ist die gesellschaftspolitische Botschaft der Unesco-Entscheidung. Ohne die afroamerikanische Techno- und Housekultur in den Metropolen Chicago und Detroit, die den elektronischen Dancefloor-Sound begründet hatte, ohne die queere Clubszene im New York der 1970er und 1980er, die Ausgehkultur in der Discoepoche eingeleitet hatte, wäre all das undenkbar, was als 'Techno in Berlin' läuft. Leider hat der Vatikan ja nicht zeitgleich Disco-DJ Larry Levan heiliggesprochen, Detroit und Chicago wurde auch nicht das 'Weltkulturerbe House und Techno' zuerkannt: So bleibt 'Techno in Berlin' ein provinzieller Rollback in die 1990er."

Weitere Artikel: Marin Bail spricht für VAN mit dem Dirigenten und Cembalisten Trevor Pinnock unter anderem über die Geschichte und die Folgen der historischen Aufführungspraxis. Für die Berliner Zeitung führt Michael Maier ein großes Gespräch mit dem Pianisten Lang Lang. Christian Schachinger erklärt im Standard, wie alte Songs via TikTok wieder in die Charts kommen: "Den Alten kann es recht sein. Sie müssen sich nicht mit Neuem beschäftigen und können sich ganz auf den geistigen Verfall in der Nostalgie konzentrieren." In der FAZ gratuliert Jan Brachmann dem Dirigenten Roger Norrington zum 90. Geburtstag.

Besprochen werden das neue Album des Jazzbassisten Henning Sieverts (Tsp), Justin Timberlakes neues Album "Everything I Thought I Was" (Welt), das Comeback-Album von The Gossip (WamS) und Brennan Wedls EP "Kudzu" (taz).

Stichwörter: Techno, Clubkultur, Berlin, Kulturerbe

Efeu - Die Kulturrundschau vom 15.03.2024 - Musik

Ziemlich enttäuscht ist tazler Dirk Schneider davon, "wie dünn die Gedanken sind", die US-Noiserockerin Kim Gordon beim Webcam-Gespräch anlässlich ihres neuen Solo-Albums "zu ihrer Kunst entwickelt. Dieser Kunst, die ästhetisch so ansprechend ist. Vielleicht etwas zu ansprechend. Es erhärtet sich der Verdacht, dass es sich bei Kim Gordons neuem Soloalbum um wasserdichte, längst etablierte Ästhetik handelt, die zwar Spaß macht, aber eines nicht hat: Sprengkraft. Kim Gordon ist selbst zur Marke geworden."



Außerdem: Tresor-Gründer Dimitri Hegemann freut sich im Gespräch mit der Berliner Zeitung, dass die Berliner Technokultur nun Teil des immateriellen Kulturerbes ist. In der Schweiz hegt und pflegt man die eigene Technokultur schon seit 2017, informiert Philipp Gollmer in der NZZ. Deutlich weniger unter Schutz stehen die der Reihe nach schließenden Musikinstrumente-Fachgeschäfte, um die Tobi Müller auf Zeit Online trauert. Das Rap-Trio Kneecap verklagt die britische Staatssekretärin Kemi Badenoch, weil diese zugesagte Exportfördermittel zurückhält, berichtet Ralf Sotschek in der taz. Im großen SZ-Magazin-Gespräch befragen Thomas Bärnthaler und Jo Metson Scott Nick Cave ausführlich zu dessen im Zuge der Pandemie neu entfachten Liebe zur Keramikkunst. In der FAZ gratuliert Wolfgang Sandner dem Freejazzer Joachim Kühn zum 80. Geburtstag.

Besprochen werden Jan Hecks Kino-Doku "Otze und die DDR von unten" über die DDR-Kultpunkband Schleimkeim (ND) sowie neue Alben von Justin Timberlake (Presse, SZ) und dem Nino aus Wien (Zeit Online).

In der Frankfurter Pop-Anthologie schreibt Stephan Sura über Paco de Lucías wirklich wunderbare Flamenco-Künste:

Stichwörter: Gordon, Kim, Kulturerbe

Efeu - Die Kulturrundschau vom 14.03.2024 - Musik

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Großtreffen der Poptheoretiker in der Zeit: Jens Balzer interviewt Diedrich Diederichsen. Anlass: Letzterer hat seine gesammelten Texte aus dem 21. Jahrhundert als 1100 Seiten starken Wälzer veröffentlicht. Der Titel: "Das 21. Jahrhundert". Das lässt Fragen aufkommen, wie sich die Popmusik des 20. Jahrhunderts, in der sich Diederichsen einen Namen als Popkritiker machte, von der des 21. unterscheidet. Vielleicht ja im Begriff der Utopie: "Die Utopien der Popmusik wollten selten tragfähige Modelle sein. Meistens ging es erst mal nur um das Abhauen, um das Flüchten, also darum, sich einem unmittelbaren Zwang zu entziehen. Das ist, wenn nicht zeitlos, so doch heute immer noch ein wichtiger Motor von Popmusik", meint Diederichsen. "Anders als früher gibt es aber keine Perspektive für eine positive Entwicklung. Sondern es geht nur noch um die Frage: Soll man die Apokalypse abzuwehren versuchen, oder soll man es lassen? Es ist auffällig, dass die Bewegungen, die sich noch an der Verhinderung der Apokalypse versuchen, der Klimaaktivismus zum Beispiel, keine Hymnen besitzen, keinen Soundtrack. Der Widerstand gegen den Untergang läuft, anders als zu Zeiten von Joy Division und Einstürzende Neubauten, weitgehend ohne Popmusik."

Weiteres: Im Standard gratuliert Christian Schachinger H. P. Baxxter von Scooter zum 60. Geburtstag. Besprochen werden Jan Hecks Kino-Dokumentarfilm "Otze und die DDR von unten" über die DDR-Punkband Schleimkeim (FD) sowie Konzerte von Lucinda Williams (Presse, Standard) und The 1975 (Tsp).