Essay

Durban 2: Kompromiss mit dem Hass

Von Klaus Faber
26.03.2009. Was ist der deutschen Regierung wichtiger, ein ständiger Sitz im UN-Sicherheitsrat oder eine universale Geltung der Menschenrechte? Es ist zu fürchten, dass Deutschland an der Durban 2-Konferenz teilnimmt, um billige politische Vorteile zu erhalten.
Noch immer ist nicht klar, ob Deutschland die Durban-2-Konferenz der Vereinten Nationen verlässt oder weiter an ihrer Vorbereitung teilnimmt. Im nächsten Monat wird die "Durban Review Conference" ("Durban 2") in Genf stattfinden. Diese Veranstaltung knüpft an die Konferenz von 2001 in Durban an, die unter einem "Antirassismus"-Etikett zu Exzessen und antisemitischen Angriffen auf Israel, jüdische Organisationen und Juden geführt hat. Israel wurde ausgesondert, delegitimiert und dämonisiert. Dabei wurde eine Hasssprache verwandt, die nicht nur nach den Kriterien des Bundestagsbeschlusses zur Antisemitismusbekämpfung vom 4. November 2008 und der darin erwähnten EU-Arbeitsdefinition als antisemitisch zu qualifizieren ist.

Die ersten Entwürfe für eine Abschlussresolution zeigten, dass sich die Durban-2-Konferenz in Genf in eine ähnliche Richtung bewegt wie die Veranstaltung in Durban im Jahr 2001. Die Islamische Republik Iran gehört zum inneren Kreis derjenigen Staaten, die im Rahmen des UN-Menschenrechtsrats Durban 2 vorbereiten. Die Islamische Republik Iran verfolgt religiöse Minderheiten und unterdrückt Frauen. Sie richtet Menschen wegen angeblicher sexueller Verfehlungen oder wegen ihrer geschlechtlichen Orientierung hin. Nach dem Verfassungssystem der Islamischen Republik Iran kann nur ein Muslim einer bestimmten schiitischen Richtung ein vollwertiger Staatsbürger sein.

Zudem haben der Präsident der Islamischen Republik Iran, Mahmud Ahmadinedschad, und andere Angehörige der Staatsführung dieser Republik vielfach das Existenzrecht Israels in Frage gestellt. Verbunden mit der - schon seit langem nicht mehr ernsthaft zu bestreitenden - atomaren Aufrüstung der Islamischen Republik Iran zeigt diese Agitation nicht nur volksverhetzende Züge. Sie ist darüber hinaus als Völkermordanstachelung zu qualifizieren, die nach der UN-Konvention zur Bestrafung und Verhinderung von Völkermord unter Strafandrohung gestellt wird.

Es gibt also viele Gründe, dieser "Republik" selbst Rassismus vorzuhalten, wie das in einem Schreiben (hier als pdf) des Koordinierungsrats deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus, der Jüdischen Gemeinde zu Berlin und des Jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus an die Bundeskanzlerin und den Außenminister vom 16. März 2009 formuliert wurde. Wenn ein derartiger Staat maßgeblichen Einfluss auf die Ausrichtung einer UN-Antirassismuskonferenz hat, darf man sich über die Ergebnisse nicht wundern.

Nach Boykott-Erklärungen von Kanada, Israel, den USA und Italien sowie einer Boykott-Drohung der EU-Staaten wurde am 17. März 2009 ein neuer Entwurf (hier als pdf) aus Genf vorgelegt. Der neue Genfer Entwurf für eine Durban-2-Abschlusserklärung ist im Vergleich zu den früheren Elaboraten deutlich kürzer. Er verzichtet auf einige problematische, auch von den USA und der EU kritisierte Punkte, zum Beispiel auf offene Angriffe gegen Israel und auf den Vorschlag, die Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit zugunsten eines verstärkten Schutzes von Religionen, insbesondere des Islam, einzuschränken.

Andererseits bezieht sich der neue Entwurf nach wie vor an mehreren Stellen (beginnend mit dem Abschnitt Nr. 1) auf die Ergebnisse von Durban 1 und enthält damit doch Forderungen nach einer Aussonderung Israels. Allein schon dieser Punkt rechtfertigt einen deutschen, europäischen und US-Boykott, da er eine zentrale Position in den "roten Linien" der EU und der USA verletzt. Diese roten Linien für die Minimalanforderungen an Abschlussresolutionen waren schon im letzten Jahr von den Europäern formuliert worden.

Aber auch zu anderen Fragen enthält der neue "Kompromissentwurf" fragwürdige Positionen. Israel wird, wie erwähnt, durch den Bezug auf Durban 1 kritisiert, aber kein anderes Land. Kein Wort verliert der Entwurf etwa über die Baha'i-Verfolgung oder die Hinrichtungen im Iran, über die Massenmorde im Süd- und Westsudan oder im Kongo, über die auch auf die Religion gestützte Frauendiskriminierung in vielen islamischen Ländern, über die Diskriminierung nicht-islamischer Religionen in Saudi-Arabien und in anderen islamischen Ländern, über den verbreiteten Antisemitismus in muslimischen Gesellschaften, der die Friedensbemühungen behindert, über die Unterdrückung von Minderheiten zum Beispiel in Algerien oder Syrien, über die zahlreichen Zivilopfer in Sri Lanka, über Tibet oder Sinkiang, um nur einige Beispiele aus einer langen Liste zu erwähnen, mit der sich der UN-Menschenrechtsrat beschäftigen müsste, wenn er seinen Namen verdienen würde.

Die in Teilen geradezu groteske Einseitigkeit auch des neuen "Kompromissentwurfs" zeigt sich ebenso in der Konzentration und Reduktion des historischen Unrechts des Sklavenhandels auf den "transatlantischen Sklavenhandel" (Abschnitte Nr. 60 und Nr. 62). Damit soll eine Debatte über den arabischen Sklavenhandel und über die Deportation vieler Millionen vor allem afrikanischer Sklaven in den islamischen Machtbereich mit Hilfe eines Definitionstricks ausgeschlossen oder zumindest eingeschränkt werden, der Orwells newspeak-Visionen Wirklichkeit werden lässt.

Einseitige Positionen vertritt der neue "Kompromissentwurf" auch in vielen anderen Punkten. Der Entwurf zitiert zum Beispiel immer wieder "Racism, Racial Discrimination, Xenophobia and Related Intolerance" als Diskriminierungskomplex (etwa im Abschnitt Nr. 1), dabei aber nicht den Antisemitismus. Dieser wird einmal erwähnt (Abschnitt Nr. 10), und zwar als Fall von "racial or religious intolerance" in der merkwürdigen Aufzählung "Islamophobia, anti-Semitism, Christianophobia and anti-Arabism". Antisemitismus ist aber weder ein Unterfall von Rassismus noch von Religionsfeindschaft, müsste also entweder als selbständiger Fall wie die Diskriminierung der Roma (Abschnitt Nr. 82) im Text aufgeführt oder etwa der erwähnten "Rassismus"-Gruppe als eigener Punkt zugeordnet werden. Der Holocaust wird einmal erwähnt (Abschnitt Nr. 64), dabei aber wiederum nicht der Antisemitismus. Der Entwurf nennt ausdrücklich die Agitation von "neo-Nazis" und "neo-Fascists" als zu bekämpfende Erscheinungen (Abschnitt Nr. 58), bezieht sich jedoch auch hier nicht auf den Antisemitismus.

Der "Kompromissentwurf" greift das Stichwort Völkermord ("genocide") auf (Abschnitt Nr. 63), verwendet dabei aber Formulierungen, die nur in einer sehr abstrakten Weise zum Beispiel mit der Völkermordanstachelung durch die Islamische Republik Iran in einen Zusammenhang gebracht werden können. Man hätte einen indirekten Bezug, wie das der Entwurf an vielen anderen Stellen zeigt, hier durchaus herstellen können, etwa durch die Formulierung: "Zu verurteilen ist ebenso die Drohung mit der Auslöschung eines Staates, eines Volkes oder einer ethnischen oder religiösen Gruppe ...". Dass die Vertreter der Islamischen Republik Iran in der Durban-2-Vorbereitungsgruppe einer derartigen Formulierung nicht zugestimmt hätten, ist allerdings wahrscheinlich - und zeigt die Grenzen für die politische Willensbildung im Durban-2-Prozess.

Wenn man, wie der "Kompromissentwurf", die Roma-Diskriminierung zu Recht in einem besonderen Punkt erwähnt (Abschnitt Nr. 82), hätte zumindest auch die brutale Verfolgung der Baha'i im Iran, aber darüber hinaus ebenso die Diskriminierung und Unterdrückung vieler anderer Gruppen (Aleviten, Assyrer, andere orientalische Christengruppen, Juden, Südsudan, Darfur et cetera, et cetera) angesprochen werden müssen. Aber auch jede Baha'i-Erwähnung wäre auf den Widerstand der Islamischen Republik Iran gestoßen.

Unter diesen Umständen ist ebenso wenig an eine Ergänzung des Entwurfs zu denken, die auf die zentrale Bedeutung der Meinungsäußerungs- und Pressefreiheit sowie der Glaubensfreiheit positiv hinweist, wie dies etwa (partiell) ein niederländischer Entwurf vorgesehen hatte (Mehr hier). Für eine ausgewogene und nicht einseitige Fassung eines Abschlussentwurfs ist im Rahmen der Durban-2-Willensbildung wahrscheinlich keine Mehrheit zu finden.

Zum zweiten Mal ist jetzt ein UN-Menschenrechtsgremium gescheitert, nachdem bereits die Vorläufereinrichtung (UN-Menschenrechtskommission) aus den gleichen Gründen aufgelöst worden war. Es ging und geht dabei nicht allein um Israel, sondern um einen Grundsatzdissens zu Demokratie- und Menschenrechtsfragen vor allem zwischen islamischen, in der OIC (Organisation der Islamischen Konferenz) organisierten Staaten und den westlichen Demokratien.

Die EU, so eine Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 20. Februar 2009, will weiterverhandeln, trotz aller auf einen unmittelbar bevorstehenden Boykott ausgerichteten Andeutungen der Bundeskanzlerin und des deutschen Außenministers in der gleichen Woche. Die EU will zusätzliche "Verbesserungen" in einer neuen Durban-2-Erklärung erreichen. Macht das vor dem Hintergrund der geschilderten Machtverhältnisse im UN-Menschenrechtsrat überhaupt Sinn?

Hätte die EU, vor allem Deutschland, nicht sehr viel früher ihre eigenen roten Linien ernst nehmen sollen? Was ist für Deutschland wichtiger: die Zustimmung möglichst vieler islamischer Staaten zu einem ständigen Sitz Deutschlands im UN-Sicherheitsrat oder die Entwicklung eines glaubwürdigen Demokratie- und Menschenrechtsprofils? Zu einer erfolgreichen "realpolitischen" Konzeption gehören in unserer Zeit, anders als dies manche Ratgeber annehmen, nicht nur Wirtschafts- und Militärmacht-Aspekte.

Es wäre zu erwarten gewesen, dass Deutschland zu den ersten europäischen Staaten gehört, die Durban 2 boykottieren. Das Versäumnis kann immer noch ausgeglichen werden, allerdings nicht, wenn man die politische Absicht verfolgt, um nahezu jeden Preis, auch um den eines faulen Kompromisses zu Lasten der Menschenrechte, an Durban 2 teilzunehmen.

Klaus Faber

Am 30. März findet im Berliner Centrum Judaicum (Oranienburger Straße 28-30, 10117 Berlin) ein öffentliche Diskussion zum Thema "Durban 2, Iran, UN-Debatte und die Folgen" statt. Beginn ist um 18 Uhr. Veranstalter ist das Jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus. Anmeldung unter levi.salomon@jg-berlin.org oder telefonisch: 030/88 02 83 57.

(Weitere aktuelle Informationen und viele Links zu Durban 2 finden Sie hier.)

Klaus Faber, Staatssekretär a. D., Rechtsanwalt und Publizist in Potsdam, Vorstandsmitglied im Koordinierungsrat deutscher Nicht-Regierungsorganisationen gegen Antisemitismus; Mitherausgeber (zusammen mit Julius H. Schoeps und Sacha Stawski) sowie Mitautor des Sammelbandes "Neu-alter Judenhass - Antisemitismus, arabisch-israelischer Konflikt und europäische Politik" (Berlin, 2. Aufl. 2007).