Essay

Falsche Alternativen

Von Floris Biskamp
25.01.2011. Es ist ebenso falsch, das Ressentiment gegen den Islam zu verleugnen, wie es falsch ist, jede Kritik an islamischen Autoritarismen als islamfeindlich zu delegitimieren.
Kaum etwas spaltet die öffentliche Debatte dieser Tage gründlicher als das Reden über das Reden über den Islam, insbesondere dann, wenn jemand etwas Negatives zu sagen hat. Für die einen scheint jede negative Aussage über den Islam ein Anzeichen von "Islamophobie" oder "antimuslimischem Rassismus" zu sein, ganz unabhängig davon, ob sie wahr oder unwahr ist. Den anderen ist schon die bloße Benennung eines solchen Ressentiments gegen den Islam ein rotes Tuch. Dahinter vermuten sie den Versuch, den Islam gegen jede Kritik zu immunisieren, was willentlich oder unwillentlich dem Islamismus in die Hände spiele. Den einen ist das Feindbild Islam der Antisemitismus von heute, den anderen schon die Erwähnung im gleichen Kontext unerträglich.

Diese falschen Alternativen prägen auch die jüngste Debatte auf dieser Website. So ist "Islamophobie" für Pascal Bruckner (hier) nicht etwa ein ungeschickt gewählter Begriff zur Bezeichnung eines wirklichen Problems, sondern schlicht eine "Erfindung" derer, die das "Ziel" verfolgen, "den Islam zu etwas Unantastbarem zu erklären." Das dieser Tage in Europa tatsächlich existierende tiefsitzende Ressentiment gegen den Islam als Islam wird vor dieser Grundannahme unthematisierbar. Ebenso einseitig blind wie Bruckners Eröffnung der Debatte ist Farid Hafez' Erwiderung, ignoriert dieser doch alle von Bruckner und anderen gemachten Einwände systematisch oder behauptet - leider unrichtigerweise -, die Forschung habe sie schon zur Genüge reflektiert. Entsprechend werden weniger Argumente ausgetauscht als unversöhnliche Positionen gegeneinander abgesteckt.

Zudem fällt ein eigentümlicher Fokus auf das Wort "Islamophobie" auf. Statt die Probleme mit dem Islam oder mit ressentimentgeladenen Islamdarstellungen zu benennen und zu diskutieren, wird über den Gebrauch des einen Wortes gestritten, als ginge von diesem eine Zauberkraft aus. Im Grunde ist es aber egal, ob die Sache als "Islamophobie", "Islamfeindlichkeit", "antimuslimischer Rassismus", "Feindbild Islam" oder "Muselgrusel" bezeichnet wird. All diese Begriffe können sinnvoll oder abwegig definiert werden, alle sind instrumentalisierbar. Wichtiger als der Streit um Worte sind die Arbeit am Begriff und die systematische Reflexion über den Gegenstand.

Dabei ist zunächst festzuhalten, dass es seit einigen Jahren ein handfestes Ressentiment gegen den Islam gibt. Thomas von der Osten-Sacken und Oliver Piecha, die Bruckner gegen Hafez' Kritik zur Seite springen, erkennen die Existenz dieses Ressentiments zwar an, aber nur, um es gleich danach zu bagatellisieren. Dies tun sie zunächst, indem sie anzweifeln, dass es sich überhaupt um etwas anderes als den altbekannten Rassismus handelt, der sich nun auch gegen Muslime richtet. Dagegen sprechen jedoch mindestens zwei Argumente: Erstens machen die Islamfeinde von heute allzu deutlich, dass es ihnen um den Islam nicht nur als etwas hier Fremdes, sondern um den Islam als Islam geht, der ihnen der Weltfeind ist, gleich ob er in Asien, Afrika oder Europa auftritt. Wie sich bei der Ende 2010 verabschiedeten "Jerusalemer Erklärung" zeigte, ist hierfür sogar die FPÖ bereit, ihre notorische Feindschaft gegenüber Israel und den Juden hintanzustellen. Diese Auswahl des Islam als Hassobjekt, als das schlichtweg Andere wäre allein schon Grund genug, von einem eigenständigen Feindbild Islam zu sprechen und dieses nicht unterschiedslos im Rassismus aufgehen zu lassen.

Hinzu kommt jedoch noch zweitens, dass sich die Zuschreibungen der Islamfeinde deutlich von überkommenen rassistischen Bildern unterscheiden. So werden die Muslime als eine verschworene und verschwörerische Gemeinschaft imaginiert, die strategisch handelt, um die Welt dem eigenen Gesetz zu unterwerfen. Behaupten Muslime das Gegenteil und äußern sich liberal oder säkular, wird ihnen mitunter vorgeworfen, einem angeblichen islamischen Täuschungsgebot "Taqiyya" zu folgen und das Gegenüber hinters Licht zu führen. Die übliche rassistische Projektion dagegen imaginiert einen naturverfallenen und seinen Trieben ausgelieferten Anderen, der gerade nicht zu strategischem Handeln und dem Einhalten von Gesetzen fähig ist. Auch wenn Rassismus und antiislamisches Ressentiment einige strukturelle Merkmale teilen und der Fall Sarrazin weiterhin zeigt, dass die Abgrenzung nicht immer so eindeutig ausfällt, wie eben skizziert, gibt es doch gute Gründe zur analytischen, begrifflichen Trennung.

Dass von der Osten-Sacken und Piecha dies nicht sehen wollen, dürfte an ihrem Willen liegen, das antiislamische Ressentiment zu bagatellisieren. Dabei gehen sie so weit, den Hass auf den Islam als eine Schrulle einiger weniger Internetaktivisten, die "sich gegenseitig ihre Blogs voll schreiben", abzutun. Doch verkennen die beiden damit die Realität. Denn obschon es richtig ist, dass die politischen und medialen Eliten die Verbreitung des Ressentiments gegen den Islam eher verhindern als fördern und dieses deshalb weniger durch die Meinungsseiten von Zeit, FAZ und Süddeutscher Zeitung als durch Homepages wie Politically Incorrect verbreitet wird, vergessen von der Osten-Sacken und Piecha zu erwähnen, dass dieses antiislamische Einthemenportal mit 50.000 Aufrufen pro Tag einer der meistgelesenen politischen Blogs in Deutschland ist. Hinzu kommt, dass die entsprechende Propaganda bisweilen auch auf weniger abseitigen Homepages wie Die Achse des Guten verbreitet wird. Auch hat das Ressentiment gegen den Islam so viel integrierende Kraft, dass mit Pax Europa, den PRO-Parteien oder der Partei Die Freiheit politische Organisationen ins Leben gerufen werden und - bislang glücklicherweise begrenzten - Erfolg haben, für die es im Grunde keine anderen Themen gibt.

Schließlich brachte das Ressentiment zuletzt - von Piecha und von der Osten-Sacken unbemerkt - eine ganze Reihe von Gewalttaten hervor. Zwar richteten sich diese vor allem gegen Moscheen und Friedhöfe, doch ist klar, dass Muslime gemeint sind, wenn Symbole ihrer Religion in Brand gesteckt werden. Zusammengenommen handelt es sich hierbei um keine Lappalie, sondern um eine besorgniserregende Entwicklung, die sich nicht als Schrulle einiger weniger abtun lässt.

Genauso real wie der autoritäre Hass gegen den Islam sind aber die autoritären Strömungen im Islam. Dadurch, dass vom Ressentiment getriebene Islamfeinde einen Brandanschlag auf die Al-Nur-Moschee in Neukölln verüben, wie es im letzten Herbst geschah, wird das, was die Prediger darin zum Besten geben, nicht weniger reaktionär und ablehnenswert. Am Islam ist Kritik zu üben und damit meine ich nicht, dass "in einem akademischen Kreis islamische Glaubensgrundsätze debattiert und hinterfragt werden", wogegen Hafez immerhin "nichts [?] einzuwenden" hat. Derlei beredte Reflexion erinnert allzu sehr an die diskursiven Übungen des Softcore-Islamisten Tariq Ramadan. Vielmehr geht es darum, die verschiedenen Formen autoritärer Religiosität zu benennen und zu kritisieren, die im Islam sowohl hierzulande als auch global weiter verbreitet sind als in anderen Glaubensrichtungen.

Dabei geht es nicht nur um den offen gewalttätigen und totalitären Djihadismus eines Osama bin-Laden, sondern auch um den Salafismus, der will, dass die Gläubigen genau so leben, wie es Mohammeds Gefährten vor 1400 Jahren in der arabischen Wüste taten. Es geht um die islamische Orthodoxie, die sich weigert, den Koran als historisches Dokument zu lesen, und die das irdische Leben von religiösen Gesetzen beherrscht wissen will, sowie um alle politischen Bewegungen, die im Islam "die Lösung" erblicken und diese dann parlamentarisch oder außerparlamentarisch herbeiführen wollen. Es geht um alle Literalisten und Fundamentalisten, die den Verstand nur zur Textinterpretation nutzen, aber das Denken verabscheuen, und es geht um den traditionsorientierten Volksislam, mit seiner Männerherrschaft und seinen nicht im Koran verankerten, aber von den Gläubigen doch als islamische Praktiken verstandenen und vollzogenen Ehrenmorden und Zwangsheiraten.

So falsch und fatal es ist, den Islam als einheitlichen Block zu zeichnen und allen Muslimen zu unterstellen, sie seien fanatische und hasserfüllte Patriarchen und Antiwestler, so wenig darf die Kritik des antiislamischen Ressentiments dazu führen, dass Muslime der Kritik entgehen, wenn sie wirklich fanatisch oder hasserfüllt, patriarchal oder antiwestlich agieren.

Eine der Befürchtungen von Bruckner, Piecha, von der Osten-Sacken und anderen Kritikern des Islamophobiebegriffes ist, dass eben dies geschieht - und leider hegen sie diese keineswegs zu unrecht. Denn nicht nur machen sich konservativ-islamische und islamistische Akteure die Debatten über antiislamisches Ressentiment zunutze, um Kritik abzuwehren, auch sind die meisten in der Akademie verbreiteten Begriffsdefinitionen so gefasst, dass sie nicht geeignet sind, eine Kritik autoritärer islamischer Religiositäten vom schieren Ressentiment zu scheiden. Beispielsweise verlangt die noch heute genutzte Definition des Runnymede Trust aus dem Jahr 1997 (hier als pdf-Dokument), den Islam insgesamt als "diverse and progressive" sowie als "actual or potential partner" zu betrachten. Aus der Kritik der "Islamophobie" resultieren so effektiv ein Kritikverbot und die Forderung nach "Islamophilie".

Auch Farid Hafez selbst verfällt in solchen Reduktionismus, gibt er sich doch nicht damit zufrieden, Bruckner nachzuweisen, dass er sich täuscht und es tatsächlich ein Ressentiment gegen den Islam gibt, das thematisiert werden muss. Nein, er meint Bruckner auch gleich selbst der "Islamophobie" bezichtigen zu müssen, obwohl dieser sich nicht mehr "zu Schulden" kommen ließ, als vor einer "islamistischen Offensive in Europa" zu warnen. Doch auch das ist Hafez schon zu viel.

Dabei geht er so weit zu schreiben, dieser Ausdruck erinnere ihn ebenso wie der Begriff der "Islamisierung" an "den antisemitischen Diskurs über "Verjudung"". So verwendet wird der Begriff "Islamophobie" wirklich zu dem "semantischen Hackebeil", das Bruckner insgesamt in ihm sieht, und erfüllt zudem auch die zweite große Befürchtung der Kritiker: die Gleichsetzung mit dem Antisemitismus. Wiederum steht Hafez keinesfalls alleine da. Salafitische Fundamentalisten wie Pierre Vogel warnen auf Youtube vor einem "Holocaust gegen Muslime", Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung, meint, die "Wut der neuen Muslimfeinde gleicht dem alten Zorn der Antisemiten gegen die Juden". Dabei verwischen sie die Unterschiede, deren wichtigster darin liegt, dass sich der Antisemitismus gegenüber anderen Vorurteilen und Ressentiments dadurch abhebt, dass er zugleich als Erklärung allen Ungemachs und aller Krisen der modernen Gesellschaft dient, die dann wiederum an den Juden gestraft werden sollen - in letzter Konsequenz durch Vernichtung.

Ähnliches wurde zwar jüngst auch vom antiislamischen Ressentiment behauptet, doch ist dies empirisch einfach nicht haltbar. Auch die phantasiereichsten und verbohrtesten Islamfeinde versuchten nicht, Muslimen die Schuld für die jüngste Wirtschaftskrise in die Schuhe zu schieben - Juden widerfuhr dies sehr wohl. Der alte Antisemitismus ist noch sehr lebendig und gerade unter Muslimen überdurchschnittlich verbreitet. Nicht Muslime sind die Juden von heute, Juden sind die Juden von heute.

Daher gehört das antiislamische Ressentiment in eine Kategorie nicht mit dem Antisemitismus, sondern mit anderen Ressentiments und Feindbildern, die im Laufe der Jahrzehnte kamen und teils wieder verschwanden. Dazu zählt - diese Analogie schlug Hannes Stein vor - das antikatholische des 19. Jahrhunderts, aber auch das antifranzösische, das in Deutschland bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts virulent war, und das antiamerikanische, das heute noch allzu verbreitet ist. Eine Parallele lässt sich ebenfalls zum Antikommunismus des kalten Krieges erkennen. Auch damals war das Gesellschaftssystem der Sowjetunion eines, das in der Tat zu kritisieren war und dessen Verbreitung eine mindestens so reale Gefahr für die Freiheit westlicher Gesellschaften darstellte, wie es der politische Islam heute tut. Die antikommunistische Propaganda jener Tage jedoch, die noch in Sozialdemokratie und Bürgerrechtsbewegung Agenten dieser Bedrohung entdeckte, war schieres Ressentiment und selbst wieder eine Gefahr für Demokratie und Freiheit.

Es ist also ebenso falsch, das Ressentiment gegen den Islam zu verleugnen, wie es falsch ist, jede Kritik an islamischen Autoritarismen als islamfeindlich zu delegitimieren. Wünschenswert wäre eine breite Anstrengung, einen Begriff antiislamischer Ressentiments herauszuarbeiten, der weder die Kritik autoritärer islamischer Religiositäten unterminiert noch in einer falschen Gleichsetzung mit dem Antisemitismus endet. Eine Debatte, die in falschen Alternativen feststeckt, ist jedoch das beste Mittel, diese Arbeit am Begriff zu verhindern.

Floris Biskamp