Essay

Gegen die Instrumentalisierung des Urheberrechts

Von Wolfgang Ullrich
17.09.2018. Eine kritische Auseinandersetzung mit klassisch moderner und zeitgenössischer Kunst hängt heute von der Willkür der Rechteinhaber ab, die über das Urheberrecht das Image der Künstler steuern wollen.  Das Zitatrecht für Bilder muss erweitert werden.  Und was ist, wenn Kunst eigentlich gar nicht mehr als Kunst, sondern als Luxusware verkauft wird? Zur Einführung in das Symposium "Wem gehören die Bilder? Wege aus dem Streit um das Urheberrecht" im Marta Museum Herford.
Am Wochenende fand im Marta Herford  das Kolloquium "Gebt die Bilder frei" statt, in dem Museen eine Liberalisierung des Urheberrechts forderten, um wenigsten alle ihre Bilder und Reproduktionen gemeinfreier Werke zeigen zu können. Im Eröffnungsvortrag legt Wolfgang Ullrich dar, wie Urheberrecht heute nicht mehr als Schutz-, sondern als Kontrollrecht missbraucht wird und kunstwissenschaftliche Forschung behindert. Wir danken Ullrich für die Veröffentlichungsgenehmigugn. D.Red.

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Über Bildwerke zu schreiben, gehört zu den ältesten und schönsten Disziplinen kunstwissenschaftlicher Arbeit. Doch wird sie zunehmend dadurch erschwert, dass man oft nicht weiß, ob man einen Text zusammen mit Abbildungen der Werke veröffentlichen kann, von denen er handelt - oder ob die Inhaber von Urheber- und Verwertungsrechten das verhindern. Gewiss gibt es ein Zitatrecht, das es erlaubt, Bilder in beschränktem Umfang und beschränkter Größe innerhalb eines wissenschaftlichen Texts zu publizieren, sofern sie ein Argument unmittelbar veranschaulichen. Das ist besser als nichts, es ist aber oft nicht genug. Wer monografisch arbeitet, braucht mehr Bilder eines Künstlers, als das Zitatrecht vorsieht, wer in die Details geht, braucht größere Abbildungsformate, als dass das noch als Zitat durchgeht, und wer auf anständige Reproduktionsqualität Wert legt, braucht gute Bildvorlagen, muss also spätestens dann an Rechteinhaber herantreten - und damit rechnen, dass nicht nur diese Vorlagen vorenthalten werden, sondern dass grundsätzlich keine Erlaubnis zu einer Abbildung erteilt wird. Sich dann dennoch auf das Zitatrecht zu berufen und mit einer schlechten Bildvorlage zu arbeiten, wäre nicht nur unbefriedigend, sondern hieße auch, einen Rechtsstreit zu riskieren, und dies umso mehr, als bei Kunstwerken nicht nur die Künstler, sondern oft auch die Fotografen von Werkreproduktionen noch eigens Rechte geltend machen. Dass viele Künstler und Fotografen von Verwertungsgesellschaften wie der VG BildKunst vertreten werden, erleichtert zwar manches Procedere, aber leider ist man auch dann vor unliebsamen Überraschungen nicht sicher.

Im Folgenden berichte ich von einem Vorfall, der mir selbst kürzlich widerfahren ist - und der exemplarisch eine Problematik deutlich werden lässt, durch die das Thema der Bildrechte in einen etwas größeren Zusammenhang rückt.

Im Frühjahr 2018 gab ich im Kerber Verlag einen Band über den Maler Anton Henning heraus: ein großformatiges und umfangreiches Buch mit rund 200 Farbabbildungen von Werken des Künstlers, eingeleitet von einem Text von mir, in dem ich Hennings Version einer "geläuterten Moderne" analysiere. Darin setze ich mich mit diversen Begriffen auseinander, mit denen die Phase nach der Moderne gefasst wird - mit Postmoderne, Metamoderne, aber auch mit dem Konzept der "Zweiten Moderne", das Heinrich Klotz in den frühen 1990er Jahren entwickelte. Die verschiedenen Begriffe besprach ich jeweils am Beispiel anderer Künstler und plante entsprechende Vergleichsabbildungen. So erläutert Klotz die Idee einer "Zweiten Moderne" etwa anhand von Werken Günther Förgs.

Der Fall schien unkompliziert, werden die Reproduktions-, Online- und Folgerechte Förgs, der 2013 starb, doch von der VG BildKunst vertreten. Meinem Antrag auf Reproduktionsgenehmigung für ein Gemälde Förgs wurde auch zügig und ohne weitere Auflagen stattgegeben. Das von mir zur Abbildung vorgesehene Werk befand sich im Besitz der Galerie Bärbel Grässlin, die ich daraufhin kontaktierte, um ein Digitalisat zu erbitten. Schon die erste Antwort, die ich daraufhin erhielt, verwunderte mich, hieß es doch, ich müsse mich an den Nachlassverwalter Förgs, Michael Neff, wenden. Ich machte es und erhielt sogleich den nächsten abschlägigen Bescheid: Er habe keine Datei mit ausreichender Auflösung zur Verfügung. Also wandte ich mich erneut an die Galerie, konnte ich mir doch nicht vorstellen, dass es dort keine reproduktionsfähige Abbildung geben sollte. Tatsächlich schickte man mir nun die gewünschte Abbildung, allerdings in einer Dateigröße von gerade einmal 45 KB. Damit lässt sich nicht viel - genauer: überhaupt nichts! - anfangen, und so enthielt die Mail auch gleich die Information, ich müsse mich für eine bessere Auflösung an den Fotografen des Förg-Gemäldes wenden, er habe zudem die Abdruckrechte für sein Foto. Als ich daraufhin den Fotografen, Wolfgang Günzel, anschrieb, dauerte es nicht lange, bis die Ein-Satz-Antwort kam: Er könne mir das gewünschte Förg-Foto "zum Abdruck leider nicht freigeben". Warum nicht? Ich fragte in zwei Mails nach, erhielt aber keine Antwort. War es seine willkürliche Entscheidung? Konnte er etwas gegen mich haben? Ist das "leider" ein Hinweis darauf, dass andere - die Galerie?, der Nachlassverwalter? - ihm eine Freigabe der Abbildung untersagten? Ich war irritiert, und ich war verärgert, dies nicht zuletzt, weil so oft Ähnliches passiert und man auf dem Weg zu einer Reproduktion in einen Spießrutenlauf aus Absagen, Ausreden und Antwortverweigerungen gerät. (Ich habe das transparent gemacht am Beispiel meines Buchs "Siegerkunst - Neuer Adel, teure Lust, Berlin 2016, für das mir fast die Hälfte der gewünschten Abbildungen nicht genehmigt wurde. Mehr dazu hier.)

Aber ich wollte auch nicht schon aufgeben. Also schrieb ich wieder an die Galerie. Ich fragte an, ob es vielleicht ein vergleichbares Gemälde von Förg gebe, von dem ich eine druckfähige Abbildung erhalten könnte. Immerhin hat Förg oft in Serien gearbeitet, da wäre also Spielraum zum Ausweichen gewesen. Auf diese Anfrage erhielt ich gar keine Antwort, auf zwei weitere Mails, in denen ich wegen des nahenden Drucktermins dringlicher wurde, ebenfalls nicht. Schließlich gab es doch noch eine Antwort - und man bekräftigte, dass es keine Bilddaten gebe, solange der Fotograf keine Zustimmung dazu erteile. Ich konnte mir nicht verkneifen, darauf nochmal zu antworten und meiner Verwunderung Ausdruck zu geben, dass die international bekannte Galerie Bärbel Grässlin suggeriere, sie mache den Umgang mit ihren ihrerseits international bekannten Künstlern vom Urteil - der Willkür - eines nicht weiter bekannten Reproduktionsfotografen abhängig. Dass man entweder meinte, mich mit einem solchen Unsinn abspeisen zu können, oder mir sogar ausdrücklich zu verstehen geben wollte, mein Anliegen sei einfach nur doof und lästig, empfand ich umso respektloser, als ich ein paar Jahre zuvor einmal einen Text für eine Publikation der Galerie - über Werner Büttner - geschrieben hatte, dort also nicht unbekannt war. Es war damals auch nichts vorgefallen und ebenso später nie zu einem Ereignis gekommen, das eine so explizit unfreundliche Behandlung erklären könnte.

Daher entschloss ich mich, das Verhalten der Galerie auch nicht als gegen mich persönlich gerichtet zu bewerten, sondern als Exempel dafür zu nehmen, wie wenig offenbar ein Teil des Kunstbetriebs - der Markt - an einem anderen Teil - der Wissenschaft und Kritik - interessiert ist und wie wenig gerade große Galerien für ihren Erfolg Diskurse und Urteile der Fachwelt brauchen. Dieser Hypothese wollte ich noch genauer nachgehen.

Ich wartete ein paar Monate und startete dann eine neue Runde mit einem leicht geänderten und erweiterten Setting. Zuerst gab ich mich gegenüber der Galerie als spanischer Sammler aus, der an einem bestimmten Gemälde Günther Förgs Interesse habe und daher - zur besseren Einschätzung der Faktur - ein Digitalisat davon erbitte. Nur wenige Stunden später hatte ich eine Bilddatei von über 107 MB auf meinem Rechner, die mir ohne weitere Nachfragen oder Vorgaben  - also etwa ein Weitergabe- oder Veröffentlichungsverbot - zugeschickt worden war. Zugleich wurde mir der Kaufpreis für das Gemälde unterbreitet - 180.000 Euro -, nicht ohne den Hinweis, dass der Preis vermutlich bald erhöht werde. Doch bemerkenswerter als dieser etwas plumpe Versuch, einen möglichen Kunden zu einem Schnellkauf zu verleiten, war etwas anderes. So trägt das mir zugeschickte Foto des Förg-Gemäldes keinerlei Copyright-Vermerk, und auch in der begleitenden Mail fehlt jeder Hinweis auf den Urheber des Fotos. Wird das Votum des Reproduktionsfotografen also im einen Fall zur Bedingung dafür erklärt, über einen Künstler wissenschaftlich publizieren zu dürfen, spielt sein Name, spielen seine Rechte im anderen Fall - wenn es um die Geschäfte der Galerie geht - nicht die geringste Rolle. Die Galerie vertritt nicht wirklich einen starken Begriff von Urheber, sondern setzt das Urheberrecht nur strategisch ein.

Natürlich machte ich die Gegenprobe. Von der VG BildKunst ließ ich mir die Genehmigung erteilen, dasselbe Gemälde Förgs sowie noch ein weiteres zu reproduzieren, wobei ich diesmal eine Publikation speziell über Heinrich Klotz und die "Zweite Moderne" ankündigte. Dann schrieb ich der Galerie und bat, unter Hinweis auf die vorliegende Genehmigung, um Digitalisate der beiden Gemälde. Wieder verwies man mich sofort an den Nachlassverwalter Michael Neff, diesmal mit der Bemerkung, die Galerie verfüge nicht über die Bildrechte. Wieder stellte man sich also dumm und ignorierte die VG BildKunst als die Institution, die die Rechte des Künstlers vertritt. Die Antwort aus dem Büro von Michael Neff fiel diesmal aber anders aus als beim ersten Mal. Man wollte mehr wissen über die geplante Publikation und erbat eine Begründung dafür, warum ich gerade diese beiden Bilder ausgewählt hätte. Ich schickte darauf ein passendes Zitat von Klotz und eine Erläuterung dazu, worauf ich eine freundliche Antwort erhielt. Ein Digitalisat des einen Bildes könne man mir schicken, aber anstelle des zweiten - für das ich mich schonals spanischer Sammler interessiert hatte - schlage man ein anderes Bild vor, das ähnlich sei. (Die Begründung dafür war merkwürdig - doch das wäre eine eigene Geschichte.)

Nachdem ich aus dem Büro von Michael Neff die Daten zu den beiden Bildern erhalten hatte, teilte ich das der Galerie mit - und bat nochmals um ein Digitalisat des Bildes, das ich ursprünglich haben wollte. Die prompte Antwort der Galerie mit der eindeutigen Lüge: Man habe keine Aufnahmen. Ich ersparte mir eine weitere Mail, in der ich gefragt hätte, ob eine Galerie denn nicht für ihre Kunden Daten der Bilder zur Verfügung habe, die sie verkaufen wolle. Ich wusste ja schon, dass in einem solchen Fall die bestmöglichen Daten bereitstehen und umstandslos verschickt werden.

Mir scheinen die Unterschiede zwischen dem Verhalten des Nachlassverwalters und dem der Galerie aufschlussreich zu sein. Dass ersterer sich im einen Fall unkooperativ zeigte und mich letztlich dem Verwirrspiel mit dem Reproduktionsfotografen auslieferte, im anderen Fall aber auf mein Anliegen einging, ist Folge seines Selbstverständnisses als Nachlassverwalter. Er entscheidet danach, ob eine Abbildung dem Image Förgs dienlich ist, ob sie also dessen Bedeutung zu fördern vermag und damit eine Form von Wertschöpfung darstellt. Im Fall meiner Anfrage wegen des Buchs über Anton Henning schien dieses Kriterium nicht erfüllt. Zum einen ist Förg in ihm nur eine Figur unter anderen, zum anderen ist er berühmter als Henning, profitiert somit nicht von dessen Image. Eher muss der Nachlassverwalter sogar argwöhnen, Förg werde hier eingesetzt, um umgekehrt das Image von Henning zu verbessern. Und warum sollte man das zulassen? Dagegen hat er kein Problem mit Förg-Abbildungen in einer Publikation über Heinrich Klotz. Zwar würde Förg auch darin nur neben anderen auftauchen, aber Klotz war für seine Karriere einst sehr wichtig, verhalf ihm nicht nur zu wichtigen Sammlern, sondern ebenso zu seiner ersten Professur, an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe. Als große Gründerfigur besitzt Heinrich Klotz zudem ein so starkes, gutes Image, dass es auch das Ansehen Förgs stabilisiert, in Verbindung mit ihm gewürdigt zu werden. (Mehr zur Praxis und Problematik der Wertschöpfung durch Kontextualisierung in meinem Buch "Des Geistes Gegenwart - Eine Wissenschaftspoetik, Berlin 2014, S. 98-101).

Dass Michael Neff als Nachlassverwalter nur dann Reproduktionen erlaubt, wenn er glaubt, dass Förgs Nachruhm - und Marktwert - damit gemehrt wird, sonst aber sehr restriktiv verfährt, wird immer wieder deutlich. Dafür nur zwei Beispiele: Vor zwei Jahren verweigerte er einer Doktorandin von mir, die in ihrer Dissertation eine Reihe von Künstlern untersucht hat, welche mit Spielarten von Kritzelei arbeiten, und die dabei zu kritischen Thesen gelangt war, Abbildungen von Förg. Und die Kunsthalle Memmingen musste 2016 die Erfahrung machen, dass sie bei einer Förg-Retrospektive mit Werken aus einer umfangreichen Privatsammlung nirgendwo Abbildungen der Exponate publizieren durfte; man habe "vom Nachlass Günther Förgs keine Abdruckgenehmigung" erhalten, heißt es auf der Website. Offenbar ist Memmingen als Ausstellungsort für Günther Förg so unbedeutend, dass eine größere Öffentlichkeit davon besser gar nichts erfährt. Sonst bestünde die Gefahr, dass er mit einem Provinzkünstler verwechselt werden könnte.

Gewiss gehört es zu den Aufgaben von Nachlassverwaltern, sich um Quantität und Qualität des Andenkens zu kümmern, doch stellt sich die Frage, wie legitim es ist, deshalb die Arbeit anderer zu behindern. Was bedeutet es, wenn ein Ausstellungshaus keinen Katalog und keine Kunstvermittlungsprogramme anbieten kann, weil ein Nachlassverwalter Reproduktionsgenehmigungen verweigert? Und was bedeutet es, wenn ein Wissenschaftler Texte umschreiben oder in ihrer Nachvollziehbarkeit mindern muss, weil die nötigen Abbildungen nicht genehmigt werden? Provinzmuseen dürfen dann eben nur noch Provinzkünstler zeigen, Wissenschaftler müssen sich auf Texte beschränken, in denen sie Künstler höchstens mit noch berühmteren Künstlern vergleichen und statt als Kritiker als Imagepolierer auftreten, müssen also einen Teil ihres wissenschaftlichen Ethos - ihrer Aufgaben als Wissenschaftler - verleugnen. Auch die Instanzen, die dem Anspruch nach Kunst unabhängig von ökonomischen Interessen betrachten sollen, geraten so in den Strudel des Marktes; ihre Arbeit wird nur toleriert, solange sie keinen kommerziellen Wertschöpfungsambitionen zuwiderläuft.

Werden Institutionen oder Personen aber derart an einer freien Entfaltung ihrer Arbeit gehindert, gerät das Urheberrecht als das Steuerungsinstrument von Nachlassverwaltern (und Urhebern) in Konflikt mit anderen Rechten, allen voran vermutlich sogar - juristische Laien neigen ja dazu, immer gleich möglichst hoch zu greifen - mit Artikel 2 des Grundgesetzes. Darin wird jedem "das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit" garantiert - das allerdings nur, "soweit er nicht die Rechte anderer verletzt". Zwar mag es "de iure" eine Rechtsverletzung sein, wenn ich als Wissenschaftler eine Abbildung eines Werks etwa von Günther Förg publiziere, obwohl mir dafür keine Genehmigung des Nachlassverwalters vorliegt, doch ob ich nicht mindestens genauso gute Gründe dafür angeben könnte, dass dieser mit seinem Verhalten die freie Entfaltung meiner Persönlichkeit als Wissenschaftler verletzt, verdiente zumindest eine juristische Würdigung. Aus meiner Sicht bräuchte es nicht einmal große Gesetzesänderungen, um den Rechtskonflikt weitgehend zu entschärfen. Sehr viel wäre bereits mit einer Stärkung des Zitatrechts gewonnen. Wenn ich wüsste, dass ich in meiner wissenschaftlichen Arbeit grundsätzlich alles so ausführlich und detailgenau zitieren darf, wie es für meine Argumentation notwendig ist, käme ich mir nicht länger behindert vor. Analog müssten öffentliche Museum und Ausstellungshäuser die Garantie bekommen, dass sie über Werke, die in ihrem Eigentum oder ihrem - vielleicht nur temporären - Besitz sind, auch verfügen können, sofern es um deren Abbildung geht. Denn wie soll eine Kunstinstitution ihrem öffentlichen Auftrag angemessen nachkommen, wenn sie nur mit Originalen, nicht aber genauso mit Reproduktionen operieren kann?

Ließe sich meiner Meinung nach zwischen den Rechten und Aufgaben der Inhaber von Urheber- und Verwertungsrechten einerseits und den Rechten und Aufgaben von Wissenschaftlern und Museen andererseits vermitteln, so sehe ich die Situation anders, wenn es um das Verhalten geht, das die Galerie Bärbel Grässlin praktiziert. Obwohl sie selbst gar keine Rechteinhaberin ist, nutzt sie das Urheberrecht, um sich von Aufgaben zu entlasten, die von einer Galerie traditionell erfüllt wurden. Auch das verrät viel über ein Selbstverständnis: darüber, wie dieses sich, zumindest bei einigen Galerien, verändert hat. (Ich will hier keinesfalls pauschal urteilen, habe vielmehr gerade hinsichtlich der Bereitstellung von Reproduktionsvorlagen auch schon sehr hilfsbereite Galerien erlebt).

Gerade international agierende Galerien haben mittlerweile so stark an einem globalen Business teil, dass die Mehrzahl ihrer Kunden nicht mit dem genuin westlichen Kunstbegriff sozialisiert wurde. Entsprechend kaufen sie Werke wie die Förgs nicht, weil sie von Kunst eine im weitesten Sinn therapeutisch-sinnstiftende Wirkung erwarten, ja weil sie der Kunst einzigartige Fähigkeiten zutrauen, sondern weil sie ihr Geld mit spekulativer Lust anlegen oder Teil einer Community sein wollen, in der man Arbeiten berühmter Künstler als Statussymbole ansieht. Für sie stellt es keinen nennenswerten Unterschied dar, ob sie zeitgenössische Kunst, Oldtimer, Wein oder etwas anderes Teures aus der Welt der Luxus-Labels kaufen. Das alles verspricht, eine solide und renditeträchtige Geldanlage zu sein und den gesellschaftlichen Status des Käufers imagefördernd zu repräsentieren.

Galerien wie die von Bärbel Grässlin handeln also, genau genommen, oft gar nicht mehr mit Kunst, sondern mit Luxusmarken. Ihre Kunden interessieren sich nicht dafür, ob ein bestimmter Künstler modern, postmodern oder Teil einer 'Zweiten Moderne' ist oder wie sich seine Werke unter kunstwissenschaftlichen Kriterien und in kunsthistorischen Zusammenhängen darstellen. Sie kaufen die Werke vielmehr wie Handtaschen einer globalen Marke: nach dem Muster und nach dem Preis. Gab eine Galerie einem interessierten Sammler früher die neuesten Texte über den jeweiligen Künstler mit, um zu signalisieren, dass er in der Diskussion ist und dass kluge Menschen über ihn nachdenken, teilt sie ihm heute also nur mit, dass die Preise vermutlich bald steigen.

Um doch noch einmal in kunstwissenschaftlicher Manier zu formulieren, was hier stattfindet, ließe sich von einer Umkehrung des Prinzips 'Readymade' sprechen. So werden Objekte wie die Gemälde Förgs, die als Kunst entstanden sind, gerade nicht mehr als Kunst verkauft. Und so wie das Kunstpublikum sich einst daran gewöhnt hat, Gegenstände, die ursprünglich nicht Kunst waren, als Kunst wahrzunehmen, muss man sich nun eben darin üben, Kunst als Luxusware wahrzunehmen. Mit ihrem Verhalten hilft die Galerie nach Kräften bei der Umstellung. So wird man eher früher als später die Lust verlieren, noch kunstwissenschaftliche Texte über Künstler zu schreiben, deren Werke man nicht angemessen abbilden darf. Immerhin gibt es genügend andere Kunst, bei der das problemlos möglich ist. Kunstwissenschaftlern geht die Arbeit also nicht aus, nur weil sie über Günther Förg und einige andere nicht mehr schreiben. Und nachdem sie künftig vielleicht auf einer eigenen Internet-Plattform ihre Erfahrungen mit Rechteinhabern oder Galerien austauschen, können sie sich zudem viel Frust ersparen. Umso schneller und klarer wird sich abzeichnen, welche Künstler auch weiterhin in Kategorien der Kunst zu betrachten und zu bewerten sind, welche hingegen aus dem Kunstdiskurs herausfallen und fortan zu den Luxusmarken gerechnet werden.

Das aber bestätigt und rechtfertigt auch Diskussionen, die vor einigen Jahren - 2012/13 - intensiv geführt wurden, nämlich als die EU-Kommission darauf drang, das Privileg eines verminderten Mehrwertsteuersatzes für den Kunsthandel abzuschaffen. Galerien und ihre Verbände, aber auch etliche Kulturpolitiker wehrten sich damals heftig gegen die Forderung aus Brüssel. Ein wichtiges Argument dabei war, "dass die Galeristen [...] mit Ausstellungen, mit Publikationen, mit Künstlerförderung ja auch eine ganz große kulturpolitische Leistung vollbringen".

So formulierte es Monika Grütters, zu der Zeit noch Vorsitzende des Kulturausschusses des Bundestags, und sie hätte ihr Argument wohl nicht so überzeugt vorgetragen, wenn sie im Blick gehabt hätte, wie wenig sich einige Galerien noch um kulturpolitische Leistungen bemühen, wie sehr hingegen darum, ihre Geschäfte mit maximaler Effizienz zu tätigen. Dass sie dafür gerade auch das Urheberrecht instrumentalisieren, ist an Paradoxie kaum zu überbieten, denn während sie die Figur des Künstlers und Urhebers auf einen Produzenten von Markenartikeln reduzieren, profitieren sie von einem Recht, das es so nicht gäbe, hätten nicht Generationen von Künstlern und Urhebern darum gekämpft, dass ihre Werke als mehr denn beliebige Waren gelten.

Während ich diese letzten Sätze schrieb, wechselte ich parallel Mails, die nötig wurden, weil ich schon wieder einmal eine Abbildung nicht bekam. Für meine monatliche Kolumne bei 'Art' wollte ich über ein Multiple von Jean-Michel Basquiat schreiben, das auf der Website der Galerie Gagosian angeboten wurde. Doch dafür kam ich zu spät. Denn, so die Auskunft der Galerie an die Bildredaktion von 'Art', es sei nun ausverkauft - und daher dürfe es, so angeblich die Bestimmungen der Nachlassverwalter Basquiats, auch nicht mehr abgebildet werden. Könnte es eine Begründung geben, die besser bestätigt, wie weit entfernt der globale Kunsthandel bereits davon ist, noch Kunst zu verkaufen? Als Kunsthistoriker darf man sich offenbar gar nicht mehr für das interessieren, was irgendwann in der Geschichte der Kunst stattfand. Vielmehr gilt nur das, was aktuell im Handel ist. Kunst ist allein im Modus der Ware verfügbar.

Wolfgang Ullrich

Mehr zu Wolfgang Ullrich auf seinem Blog ideenfreiheit.de. Mehr zum Thema Kunst und Urheberrecht hier.