Essay

Am Ende am Strand

Von Stefanie Diekmann
11.01.2021.  "Rocky Beach  von Christopher Tauber und Hanna Wenzel und "Ausnahmezustand"  von James Sturm begleiten ihre Protagonisten beim Transit ins Middle Age. Das Unglück entfaltet sich zwischen Telefonaten, Waschsalons, Autofahrten und geplatzten Schecks. Zwei Comics für Zwischenzeiten, eher grau und schwarzweiß, elliptisch und erratisch und doch auch hinreißend.
"Rocky Beach" und "Ausnahmezustand" sind zwei Graphic Novels, die zum Verschenken gut geeignet sind. Nicht zum Jahresende oder zum Jahresanfang (ausdrücklich anzumerken, weil "Ausnahmezustand" das Ende eines schwierigen Jahres zum Inhalt hat.) Sondern irgendwann, unterwegs und vorzugsweise an Personen, die nicht mehr ganz jung und noch nicht ganz alt sind und gelegentlich mit der Frage beschäftigt, wie mit dieser Lebensphase umzugehen wäre.

"Rocky Beach" (Kosmos, 2020) ist ein Glücksfall. Ein unwahrscheinlicher, weil diesem Projekt all die Widrigkeiten entgegen stehen, die Erzählungen des Revivals und der Rückkehr zu sehr peinlichen Unternehmungen machen können. Ein überraschender, weil die Geschichte der drei, die sich nach mehr als zwanzig Jahren am Ort ihrer vergangenen Abenteuer wieder begegnen, keineswegs Abstand von den Motiven der Nostalgie, der Malaise, der Sinnkrise und der Desillusionierung nimmt, die zu den Standards der Narration des mittleren Alters gehören. Die Graphic Novel von Christopher Tauber (Skript) und Hanna Wenzel (Illustration) hat nichts gegen diese Topoi. Sie aktiviert sie vielmehr ebenso gekonnt wie die Versatzstücke der Erzählungen, die aus Justus Jonas, Peter Shaw und Bob Andrews, besser bekannt als "die drei ???", die langlebigsten Detektivfiguren der Jugendliteratur gemacht haben. (Sie sind es immer noch, irgendwo zwischen Band 212 und 213.)

Als serielle Figuren sind die drei ??? so gut wie nicht gealtert. (Darin sind sie anderen Superhelden ähnlich.) In "Rocky Beach" hingegen haben sie vierzig und fünfzig Jahre hinter sich und bilden seit langem kein Team mehr, nachdem sie, wie in einem Nebensatz angemerkt wird, schon vor Abschluss der Highschool getrennte Wege gegangen sind. Einer ist berühmt, einer kommt klar, einer ist in Rocky Beach geblieben. (Es muss immer einen geben, der bleibt.) Besonders glücklich mit seiner Existenz scheint niemand von ihnen zu sein, aber wenn ihre Begegnung daran nicht grundsätzlich etwas ändern kann, wird sie ihnen doch sehr viel zurückgeben: einige Schauplätze, einige alte Bekannte; einen Fall, den sie gerade so auf die Reihe kriegen; und mit dem Fall eine Verbindung, die verloren war und am Ende wieder hergestellt ist, für ein paar Dutzend Panels und vielleicht darüber hinaus.

Christopher Tauber, den drei ??? als Zeichner schon seit einer Weile verbunden ("Die drei ??? Das Dorf der Teufel" wurde 2018 auf dem Comicsalon mit dem Preis für den besten Kinder- und Jugendcomic ausgezeichnet), hat für "Rocky Beach" ein Skript gestaltet, das zugleich elliptisch und erratisch ist, mal an David Lynch, mal an Ross Thomas erinnert und über seine Protagonisten nicht allzu viel erzählt. Die große Zeit war damals, das Wiedersehen ist jetzt; was dazwischen geschah, muss mit ein paar Andeutungen auskommen, und wenn eine tot geschriebene Figur auf einmal hinter einem Schreibtisch sitzt, hält sich die Erzählung damit nicht allzu lange auf. Hanna Wenzel, die als Illustratorin unter anderem Kurzgeschichten, Zines, Postkarten und ein paar schöne Editionen gestaltet hat, zeichnet die Geschichte der Detektive auf Zeit in Schwarz und Weiß, verschattet, als einen kalifornischen Noir, dessen Bilder manchmal den Malet-Comics von Jacques Tardi ähnlich sind. Wenig ist geklärt am Ende von "Rocky Beach"; niemand weiß genau, wie es weiter gehen wird; also bleiben sie noch einen Moment am Strand sitzen und blicken weiter aufs Meer hinaus.

Christopher Tauber, Hanna Wenzel: "Rocky Beach. Eine Interpretation." Graphic Novel.
Gebundene Ausgabe, ISBN 9783440165621, 25 Euro. (Bestellen bei eichendorff21)



Am Strand steht auch der Protagonist von "Ausnahmezustand" (Originaltitel: "Off Season"); allerdings ohne alte Freunde und mit zwei Kids, denen langweilig und kalt ist. Er steht da, zwischenzeitlich, weil sie den Strand gut kennen und häufiger dort gewesen sind; allerdings war das an Sommertagen, in besseren Zeiten, als sie noch eine Familie waren und das gemacht haben, was Familien in den Ferien eben machen. Jetzt, im November eines Trennungsjahres, scheint das sehr lange her. Zugleich ist noch nichts vorbei, nichts abgeschlossen oder ausgemacht. Stattdessen setzen sich die Aushandlungen in unregelmäßigen Abständen fort; und der Alltag funktioniert nur, wenn alle einigermaßen bei Laune sind.

Die Einsamkeit des Protagonisten, der Mark genannt wird und das Gesicht eines großen, etwas verschlossenen Hundes trägt, wird in "Ausnahmezustand" (Reprodukt, 2020) nie explizit gemacht. Sie vermittelt sich vielmehr im Verlauf, zwischen den Panels, die in weichen Grautönen gehalten und von klaren Linien eingefasst sind, immer zwei pro Seite und ordentlich in Kapitel aufgeteilt: eine stabile Fassung für die Erzählung einer Zeit, in der alle stets kurz davor stehen, außer Fassung zu geraten. Die kleine Baufirma ist aufgelöst. Die Jobs, die noch zur Verfügung stehen, sind demütigend und schlecht bezahlt. Das Geld wird knapp, der Alltag nicht leichter; die Momente der Ruhe hören nicht auf, kontingent zu sein; und auch hier gibt es keine Figur, die zu sagen vermag, wie der nächste Schritt aussehen wird.

James Sturm, der 2010 mit "Market Day" (dt. "Markttag", Reprodukt 2011) einen der allerschönsten Comics über den Transit ins Middle Age veröffentlich hat, erzählt die Geschichte vom familialen Ausnahmezustand vor dem Hintergrund der Präsidentschaftswahl 2016. Oktober, Fernsehdebatte, November, Wahltag, Thanksgiving, Dezember, Weihnachten; die letzten Monate eines Jahres, die ersten eines Trennungsversuchs, die letzten Wochen vor Trump, gegen dessen Wahl Lisa gekämpft hat, während Mark meistens zu müde ist, um sich für oder gegen irgendetwas zu positionieren. Das Unglück entfaltet sich zwischen Telefonaten, Waschsalons, Autofahrten und geplatzten Schecks; in den Wortwechseln wird nie ausgesprochen, worum es eigentlich geht; und der Vorschlaghammer, der eines Abends zum Einsatz kommt, ist kein Katalysator, sondern wird eine Episode bleiben, nach der es weitergeht, weil es ja ohnehin weitergehen muss.

Hinter die Kapitel, die auf sehr verhaltene Weise von Wut, Frustration, Verzweiflung, von Erschöpfung oder von Liebe erzählen, setzt Sturm eine Panelfolge, die weder Finale noch Fazit genannt werden kann. Ein Epilog, vielleicht, aber einer, der so hinreißend ist und dabei so weit out of place und out of context situiert, dass der Status dessen, was er berichtet, ungewiss bleiben muss, ohne feste Verankerung in der Erzählung und ohne Versprechen für die Zukunft, die jenseits der letzten Seiten liegt. In diesem Punkt: kein Versprechen zu geben, aber etwas wie Hoffnung, sind sich das Noir-Pastiche in "Rocky Beach" und das stille, graue Drama in "Ausnahmezustand" erstaunlich nahe; zwei Comics für Zwischenzeiten, die manchmal ein paar Monate dauern und manchmal eine Weile länger.

James Sturm: "Ausnahmezustand". Aus dem Englischen von Sven Scheer. Lettering von Alexandra Rügler. ISBN 9783956402319. 216 Seiten, schwarzweiß, 20 × 15 cm, Hardcover 24,00 Euro (Bestellen bei eichendorff21).