Fallende Blätter

Il giornalista scrive su acqua

Von Carl Wilhelm Macke
16.09.2003. Ist das deutsche Feuilleton in der Krise? Liegt's am Crash der New Economy, oder nicht doch auch an ihm selbst? Carl Wilhelm Macke vergleicht das deutsche mit dem italienischen Feuilleton, das sich nicht als "Festung des Wissens" geriert.
Ab Donnerstag findet in Halle eine von Thomas Steinfeld angeregte Tagung zur Zeitungskrise, zum Rollenverständnis und zur Zukunft des Feuilletons statt. Wir haben unsere Leser zur Stellungnahme aufgefordert. Den ersten Brief schickt uns Carl Wilhelm Macke aus München. (Thomas Steinfelds Eröffnungstext finden Sie hier. Und nebenbei verlinken wir auf eine interessante Feuilletondebatte aus Boomzeiten mit Beiträgen von Claudius Seidl, Jens Jessen, Heribert Prantl und anderen.)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

die anstehende und von Thomas Steinfeld (SZ) eingeleitete Debatte um den "Strukturwandel der Öffentlichkeit" und des Zeitungs-Feuilletons möchte ich nur um einige Marginalien ergänzen. Wenn sie dazu beitragen, der Diskussion etwas "geistigen Brennstoff" hinzuzufügen, umso besser. Seit Jahren verfolge ich das deutsche Zeitungs-Feuilleton mit einem Auge und mit dem anderen Auge die Kulturseiten italienischer Tages- und Wochenzeitungen. Vornehmlich aus diesem Vergleich sind auch meine Anmerkungen 'gefüttert'.

1. & ganz aktuell: in den letzten Tagen sind in Italien hanebüchene Äußerungen von Silvio Berlusconi über den italienischen Faschismus zum Gegenstand einer recht lebendigen Diskussion in den Tageszeitungen geworden. Über das Skandalöse dieser Äußerungen, die zum Beispiel die Behandlung von politischen Gegnern Mussolinis als eine Art "Ferienverschickung" interpretieren, muss man an dieser Stelle keine weiteren Anmerkungen machen. Statt sich aber in immer neuen Angriffen & Polemiken gegen Berlusconi und die mit ihm sympathisierenden Neo-Revisionisten unter den Historikern zu erschöpfen, hat die Kulturredaktion von La Repubblica ein ganz ausgezeichnetes, fast didaktisch angelegtes Dossier über die Erfahrungen von anti-faschistischen Intellektuellen mit dem Mussolini-System veröffentlicht. Adressat dieser Aufklärung sind besonders die (jüngeren) Leser, denen diese historischen Zusammenhänge vielleicht überhaupt nicht mehr geläufig sind. Die Kolleginnen und Kollegen italienischer Kulturseiten scheinen nach meinem Eindruck, viel weniger "selbstreferentiell" zu arbeiten & zu schreiben als es in vielen deutschsprachigen Feuilletons der Fall zu sein scheint. Die deutschsprachigen Feuilletons haben, so scheint es mir, sich in den letzten Jahren immer mehr in "Festungen der Wissenden" zurückgezogen, in denen die Zeitungsleser als Adressaten überhaupt nicht mehr erscheinen und zu denen sie auch keinen Zugang haben. Auch die regelmäßigen Leser deutschsprachiger Feuilletons - zu denen ich mich zähle - wissen oft nicht mehr die Codes zu entziffern, mit denen man sich zwischen und in den einzelnen "Feuilleton-Festungen" verständigt bzw. bekämpft. Moral: vielleicht banal, aber trotzdem zeitlos gültig: Vergesst die Leser nicht!

2. In den (mir bekannten) Kulturredaktionen italienischer Tageszeitungen scheint mir der Ausgleich von "älteren" und "jüngeren" Mitarbeitern wesentlich besser gelungen zu sein als im deutschsprachigen Raum. Mit dem Schielen auf "neue Leserschichten" (was mir oft nur ein Vorwand zu sein scheint ), haben sich die deutschsprachigen Feuilletons auch zu "Festungen eines modischen Jugendwahns" entwickelt. Damit ist man zwar "auf der Höhe des momentanen Zeitgeistes" und vielleicht auch der (potenziellen) neuen Leser, aber verzichtet immer mehr auf die Fundierung des Feuilletons durch "ältere Zeitschichten". Man hat so, wie Thomas Steinfeld richtig bemerkt, gute junge Autoren als neue Mitarbeiter hinzugewonnen, aber "die Alten" oft brachial ins Niemandsland des Vorruhestandes abgeschoben. Um ein Gegen-Beispiel wieder aus der italienischen Presse zu nennen: ein Nello Ajello, ist trotz seiner fast sieben Jahrzehnte auf dem Buckel, immer noch einer der journalistischen Pfeiler der Kulturseiten von La Repubblica. Nach einem wie ihn, der mit seinen Beiträgen eine Verbindung zwischen den kulturellen Diskussionen der Nachkriegsjahrzehnten und heute repräsentiert, sucht man in deutschsprachigen Feuilletons vergeblich. Oder Giorgio Bocca und Eco in La Repubblica, Magris und Debenedetti im Corriere della Sera, Vattimo in L'Unita, die Rossanda in il manifesto... Moral: deutschsprachige Feuilletons sind in einem schlechten Sinne oft nur noch ausschließlich a jour, journalistisch, d.h. dem jeweiligen Tag und den "Helden des Augenblicks" verhaftet. Aber, um noch einmal an Steinfeld anzuknüpfen, vielleicht ist dieser "Jugendwahn" ja auch mit dem Ende der "New Economy-Hype" an eine Grenze gestoßen.

3. Und damit belasse ich es mit den italo-teutonischen Vergleichen: warum gibt es in den deutschsprachigen Feuilletons, von wenigen glanzvollen Ausnahmen (Goettle) abgesehen, so wenig Reportagen, vor allem so wenig Serien? In diesem Sommer wurde in La Repubblica schon die dritte lange, fast dreißig Folgen umfassende Reportage von Paolo Rumiz über seine Fahrradfahrten durch Mitteleuropa veröffentlicht. Eine spannende Recherchereise in die Geheimnisse und vergessenen Winkel in der Nachbarschaft "um die Ecke". Das Aufspüren von Käuzen und Vergessenen am Rande der Geschichte in bester Joseph-Roth-Tradition. Kulturkritisches Räsonnement im Sattel, im Wirtshaus am Etappenziel, in der Begegnung mit irgendwelchen Streunern der Zeitgeschichte. Da habe ich jedenfalls mehr vom "System Berlusconi" oder den Grundlagen des Haider-Populismus gelernt als in vielen politikwissenschaftlichen Diskursen. Nichts dagegen, nur ihnen fehlt allzu oft die notwendige "Durchblutung' ihrer Thesen. Stattdessen (vielleicht verallgemeinere ich unstatthaft ) stößt man in deutschsprachigen Feuilletons oft auf ein langweiliges Aufkochen irgendwelcher privaten Details aus dem Leben der Schönen & Reichen, was Bunte und ähnliche Journaillen längst vorgekocht haben. Moral: raus aus den Feuilleton-Redaktionen, rein ins Leben, mehr "On-The- Road-Writing". Anknüpfen an die deutsche Reportagetradition, die große angloamerikanische Recherche oder, wie zitiert, die neue italienische Reisereportage durch das Hinterland europäischer Metropolen.

4. "Il giornalista scrive su acqua ed e fuggente come una farfalla" pflegte der alte Indro Montanelli immer zu sagen. In freier Übersetzung: der Journalist, auch der Feuilletonist, soll sich nicht so wichtig nehmen. Vielleicht wäre das schon das erste Gebot für einen erneuerten Kulturjournalismus jenseits von Old Europe und New Economy. Ich mache Schluss. Das Spaghetti-Wasser kocht. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral....

München, am Fest der heiligen Euphemia 2003


Carl Wilhelm Macke ist freier Journalist und Sekretär des Vereins Journalisten helfen Journalisten.