Fallende Blätter

Wie öffentlich ist das Feuilleton?

Von Alexander Friedrich, Jan Friedrich, Nils Kasper, Karen Werner
21.09.2003. Ein waffenstarrendes "Vielleicht"? Vier Studenten der Uni Chemnitz versuchten die deutschen Feuilletons zu verstehen und sorgten für einen Moment der Wahrheit.
Anlässlich negativer Rezensionen zu seinem Buch lässt Michael Bulgakow den gekränkten Autor in "Der Meister und Margaritha" sagen: "[...] etwas durch und durch falsches und unsicheres war buchstäblich aus jeder Zeile dieser Artikel zu spüren, trotz ihres überzeugenden und drohenden Tons. Ich hatte ständig das Gefühl [...], dass die Verfasser nicht sagten, was sie wollten und dass gerade dies sie in Wut versetzte [...]"

Drohend ist der Ton in dem heutigen Feuilleton sicher nicht mehr. Eher ließe sich sagen, dass die Wut, nicht zu sagen, was man sagen will, sich zynisch Bahn bricht. Woher dies Unvermögen, zu sagen, was man will, kommt, darüber lässt sich nur spekulieren: Sei es die Angst vorm konkurrierenden Feuilleton oder die Angst, sich zu entblößen. Festzustellen ist in jedem Fall, dass im Feuilleton ein Zynismus Platz greift, der aus der jeweils verhandelten Sache nur schwer zu erklären ist.

Ein Zynismus, der den Leser im Unklaren verharren lässt, wie es uns bei der Lektüre des Artikels "Der Bock als Gärtner - zur obskuren Diskussion um eine Quote für deutschsprachige Popmusik im Radio" vom Montag, dem 11.08.03 in der Süddeutschen Zeitung widerfuhr. Der Autor, Karl Bruckmaier, beginnt den Text mit einem historischen Rückblick auf die Entwicklung der deutschen Medienlandschaft: wie, um in den Worten des Autors zu sprechen, der Herrenmenschen liebstes Spielzeug - der deutsche Rundfunk - nach dem Krieg von klugen Köpfen in ein "verschnarchtes, aber effizientes", plurales Medienparadies umgewandelt worden ist. Ist die Metapher "Paradies" ernst gemeint oder nicht, fragt man sich und denkt: wohl eher ironisch! Doch bereits im nächsten Satz wird man eines Besseren belehrt. Dort nämlich taucht die Parteienschlange auf, die in Aufsichtsgremien an den Wurzeln des Baumes der Erkenntnis nagt und der es missfällt, dass in den Medien politische und ästhetische Bildung betrieben wird. Die Frage, inwieweit das Bild einer am Baum der Erkenntnis nagenden Schlange stimmig ist, einmal beiseite gelassen: Ist die Rundfunklandschaft nun doch ein Aufklärungsparadies, wenn nur die Schlange nicht wäre? Auch falsch! Denn wenig später ist von der Gängelung der Zuschauer durch die selbstzufriedenen ARD- und ZDF-Schranzen die Rede. Das ganze lässt sich wohl nur durch mehrmalige Perspektivwechsel erklären, nur leider sind diese nicht angezeigt und vor allem: wo steht Bruckmaier selbst?

Bruckmaier sitzt, und zwar zwischen den Stühlen, wettert gegen alle und amüsiert sich über die wohlplatzierten Pappkameraden: Die Zuschauer gehen den Weg des geringsten intellektuellen Widerstandes, die ohnehin verdorbenen Politiker stopfen das Sommerloch mit Sonntagsreden zur Quotenregelung und in den Intendantenbüros der Öffentlich-Rechtlichen werden vorauseilend die Quotenhacken zusammengeschlagen. Bleiben hinter der mythologisch aufgeladenen und ironisch gebrochenen Entlarvungsrhetorik Bruckmaiers, hinter postmodernisierten Bibelanleihen und ihrer Verschraubung mit der Genese des öffentlichen Rundfunks doch nur Plattitüden und die dunkle Ahnung, dass Bruckmaier hinter der Diskussion um die Quotenregelung eine Affirmation des "braunen Baatzes" vermutet? Nebenbei gefragt: Was ist eigentlich "Baatz"?

Offenbart sich Bruckmaiers Standpunkt nur vermöge eines siebten Sinnes, erschließt er sich nur Eingeweihten oder erschöpft er sich in der schieren Ablehnung einer Quotenregelung? Fragen, die sich unserer Meinung nach bei einem Artikel nicht stellen sollten, der mit großem Tamtam verspricht, einen Beitrag zur "obskuren Diskussion" der Quotenregelung zu leisten. Angemessener wäre es unserer Meinung nach gewesen, wenn der Autor die Polemik auf eine sachliche Grundlage gestellt und seine Bezugspunkte - unter anderem den Artikel Nida-Rümelins - argumentativ aufgegriffen hätte, anstatt sie mit zynischen Seitenhieben abzuspeisen.

Es liegt nicht in unserer Absicht, Bruckmaiers Text oder die noch folgenden Beispiele zur Zielscheibe einer nur individuellen Kritik zu machen. Die Probleme, auf die wir aufmerksam gemacht haben, ließen sich als etwas Typisches ebenso gut an anderen Artikeln aufzeigen.

Denn: Ein solcher Tanz ums Fragezeichen begleitet die Feuilletonlektüre aus unserer Sicht häufig. Inwieweit dies an einer wirklichen Standpunktlosigkeit des jeweiligen Autors liegen mag, ist für uns unentscheidbar. Oft indessen überwiegt der Eindruck, an den wesentlichen Argumenten vorbei geblickt zu haben. Doch solange man auch danach sucht, man findet sie nicht. Man steht in einem wahren Wörterwunderwald, den eine veritable Sucht nach der geglückten Phrase gezimmert zu haben scheint. In diesem verquicken sich in unterschiedlicher Gewichtung mindestens drei Momente, die die Zugänglichkeit des Feuilletons beeinträchtigen:

Die bereits angesprochene Positionslosigkeit, ein Lavieren um den Gegenstand, das ihn in der Vielfalt der eingenommen Perspektiven eher verdunkelt als erhellt. Ihr gesellt sich beinahe widersprüchlich ein Gestus des Bescheidwissens zu, der einem elitären und zynischen Stil ebenso zu entspringen scheint, wie er in ihn mündet.

Unter Position verstehen wir dabei weniger das Woher des Autors als das Wohin des Textes, seinen Fluchtpunkt. Bleibt dieser verborgen, gleicht die Kritik einem Brummkreisel, der sich erst eifrig um sich selbst dreht, um dann benommen auszutaumeln und schließlich wie zufällig liegen zu bleiben. So banal diese Einsicht auch sein mag, so gründlich scheint sie bisweilen unterm Glanz der Phrasen verschüttet.

Sicher ist eine klare Positionierung nicht von jedem Feuilleton-Artikel zu fordern. Zumindest bei solchen jedoch, die zu politischen, kulturellen und soziologischen Debatten Stellung zu nehmen versprechen, sollte vor allem Klarheit das Anliegen des Autors sein - im Sinne des Lesers, dem er dadurch die Möglichkeit gibt, an der Diskussion teilzuhaben.

Das nicht minder häufige Pendant jenes ortlosen Kreiselns um die Sache ist eine gebildet auftrumpfende Redelust, der der Gegenstand nur Sprungbrett für ein Brillieren mit Aperçus und Glossen zu sein scheint.

So wächst sich beispielsweise Niklas Maaks Filmkritik zu Francois Ozons neuem Film "Swimming Pool" am 10. August in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu einer bisweilen unterhaltsamen, aber insgesamt recht uferlosen Ausschweifung über den Pool als einer sehr fragwürdigen Errungenschaft der Menschheit aus. Ein ganzseitiges Bild von einer Frau, die sich lasziv in einem Pool sonnt, lenkt die Aufmerksamkeit der Feuilletonleser zunächst auf Ozons Film. Sechs lange Spalten Text versprechen viel zu sagen über die "Pool-Position", den besten Ort des Sommers, vermeintlich, denn - in Zukunft würden wir woanders baden gehen, verkündet die Überschrift. Aha, ein Film übers Baden ? nein, ein Krimi ? doch wie es scheint, kein guter. Denn schon in den ersten Zeilen, in denen der Plot als Klischee und die Nebensächlichkeit der beiden weiblichen Protagonisten beklagt werden, fällt der Rezensent das lakonische Urteil, es gehe in Swimming Pool lediglich um Fleischbeschau, und dampft schließlich das Werk auf die zentrale Frage ein, ob denn das Meer nun oder der Swimmingpool der bessere Ort zum Baden sei. Pointe: weder-noch - im Flussbad nämlich liege die Zukunft, wie als ob sich damit die sogar doppelte Überflüssigkeit des Films vollends offenbarte.

Handelt es sich nun um eine Kritik des Pools als Luxusinstitution oder am Ende doch um eine Filmkritik, nur eben eine, die den Film bloß beiläufig zur Sprache bringt? Hat der Rezensent sich ihn überhaupt richtig angesehen, fragt man sich - zumindest spätestens nach der Lektüre der drei Tage darauf im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung erscheinenden Besprechung, die den Film als ein kleines Meisterwerk dastehen läßt. Also doch kein platter Badekrimi?

Wie kann es möglich sein, dass Niklas Maak den Regisseur Francois Ozon als "außerordentlichen Frauenverächter" schmäht, während Susan Vahabzadeh, die Feuilleton-Autorin der Süddeutschen Zeitung, ihn als "wahren Frauenregisseur" lobt? Ihm sei nicht nur eine berückende Inszenierung weiblicher Sinnlichkeit geglückt, sondern es auch noch gelungen, sein kinematisches Spiel mit Klischees und Rollen zu einer irritierenden Suche nach dem Ursprung des Thrillers zu entwickeln.

Indessen ist weniger der Dissens der beiden Autoren selbst verwunderlich, als die lapidare Art und Weise, mit der Maak den Film förmlich abkanzelt, ohne dass sich sein Urteil nachvollziehbar aus der Darstellung des Films ergäbe. Statt also den immerhin großzügig bemessen Platz für eine fundierte Kritik zu nutzen, füllt er ihn anderweitig. Bleibt die Frage: Ist es wirklich angemessen, den Stoff zugunsten des eigenen Schreibens zu disqualifizieren?

Zusammenfassend lassen sich vier Gestalten von Positionslosigkeit differenzieren, denen das Feuilleton maßgeblich aufgrund seiner stilistischen Eigenheiten disponiert bleibt.

1. Das waffenstarrende "Vielleicht"; eine Positionslosigkeit, deren geballte Rhetorik das Fragen zynisch als Naivität denunziert.

2. Die im Trüben verschanzte "Position"; d.i. ein Standpunkt, der sich selbst bedeckt hält, aber ironische Hinweise streut, dass es ihn gibt.

3. Die Tendenz der tausend Einwände, das Gehäkel von Einerseits-Andererseits mit großem "Aber" ohne Punkt, d.i. eine Positionslosigkeit, die sich durch impliziten Verweis auf den postmodernen Wertedschungel selbst legitimiert.

4. Die enthobene "Position", die sich zwar bekennt, aber kaum darum bemüht, ihre Gründe offenzulegen.

Durch diese Neigung des Feuilletons, sich im Nebulösen und Geheimnisvollen zu verlieren, wird es zuweilen zu einem abgeschotteten Raum, in dem sich die Autoren untereinander zwar verstehen mögen - die Öffentlichkeit indessen bleibt außen vor!

Dem wäre entgegenzusetzen ein gleichsam abgerüstetes "Vielleicht", das eher gewichtet und sondiert, als spöttisch die Schultern zu zucken, eine klare Position zum Preis ihrer Angreifbarkeit sowie ein stringenteres und vor allem transparenteres Textgefüge.

Sicher ist uns auch an stilistisch hochwertigen Feuilletons gelegen. Unsere Beobachtungen sollen keineswegs eine nachrichtenähnliche Sachlichkeit einfordern, die sich etwa zugunsten des Klaren und Deutlichen der Pointen entschlüge.

Doch: Wenn der Stil die Aussage frisst, wenn Zynismus derart universell wird, dass kein Standpunkt übrigbleibt, dann geht eben nicht nur der Gehalt verloren, sondern - zumindest uns - auch die Lust am Lesen.


Alexander Friedrich, seit 1998 Magisterstudium Philosophie (HF), Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (NF) und Soziologie (NF) an der TU Chemnitz.

Jan Friedrich, seit 1997 Magisterstudium Philosophie (HF), Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft (NF) und Pädagogik (NF) an der TU Chemnitz


Nils Kasper, seit 2001 Magisterstudium Germanistik (HF), Politikwissenschaften (NF) und Soziologie (NF) an der TU Chemnitz

Karen Werner, seit 2002 Magisterstudium Germanistik (1.HF) und Pädagogik (2.HF) an der TU Chemnitz