Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
09.07.2001.

TAZ, 09.07.2001

Jürgen Busche schreibt über den Briefwechsel zwischen Paul Celan und seiner Frau und kommt auch auf das politische Klima der frühen Sechziger zu sprechen: "Celan hatte erwartet, in der Linken eine politische Heimat zu finden. Genau diese Erwartung erfüllte sich nicht. Für das, was ihm politisch wichtig war, die Erinnerung an die Verbrechen der Nationalsozialisten, das Unfassliche des Judenmords, hatte die Linke, so konnte es scheinen, nur insoweit Interesse, als der Terror der Nazis gegen die Arbeiterbewegung, die Sozialisten, die Kommunisten gemeint war. Bei denen aber sah Celan jetzt mehr und mehr nationalistische Bestrebungen."

Besprochen werden außerdem eine Dramatisierung von Ray Bradburys Science-Fiction-Klassiker "Fahrenheit 451" in Stuttgart und ein Auftritt Goran Bregovics und seiner Blaskapelle in Berlin.

Schließlich Tom.

FR, 09.07.2001

Wenig ist über die FR zu sagen: Heute morgen stand noch die Ausgabe vom Samstag im Netz. Vielleicht später noch einmal nachsehen.

NZZ, 09.07.2001

Absurden Forderungen seitens der Blair-Regierung sieht sich laut Georges Waser Mark Jones, der neue Direktor des Victoria & Albert-Museums gegenüber. Sie "erwartet vom V&A, dass 12 Prozent seiner Besucher ethnischen Minderheiten und 16 Prozent den sozialen Gruppen C2, D und E angehören, also der unteren Mittelschicht und der Arbeiterklasse - überdies muss das Museum dieses Jahr 1,5 Millionen Klicks auf seine Website nachweisen können. Solche Forderungen sind ein typisches Produkt des sogenannten 'Blatcherismus' - einer ungesunden Heirat zwischen Margaret Thatchers Besessenheit mit Management und Tony Blairs 'Qualität für jeden'-Sprüchen." Wir finden, es klingt eher nach sozialistischer Planerfüllung.

Russische Diskussionen über Selbstmord und einige russische Bücher zum Thema resümiert Maja Turowskaja: "Dass in den vergangenen Jahren mehrere russische Bücher über den Selbstmord erschienen sind, ist ein augenfälliges Zeichen für die neue postsowjetische Zeit. In diesen Jahren schoss in Russland auch die Selbstmordrate in die Höhe, aber das ist eher eine parallele Erscheinung, als dass es einen ursächlichen Zusammenhang gäbe."

Weitere Artikel: Roman Hollenstein schreibt über den Stand der Wiederaufbauarbeiten der kroatischen Stadt Dubrovnik, deren historisches Zentrum von den Serben seinerzeit arg zerstört wurde. Eine wichtige Rolle spielt dabei ünbrigens die Erzherzogin Francesca von Habsburg mit ihrer Arch Foundation. Eines der "wenigen avantgardistischen und garantiert mehrheits-unfähigen Sommerfestivals der Westschweiz" bespricht Christophe Büchi. Es handelt sich um das Belluard-Festival, das ausgerechnet in der als konservativ geltenden Stadt Freiburg stattfindet. Besprochen wird außerdem Verdis "Macbeth" im Zürcher Opernhaus.

FAZ, 09.07.2001

Daniel Barenboim hat Wagner in Jerusalem gespielt. Eigentlich durfte er ja nicht, weil Wagner wegen seines Antisemitismus in Israel geächtet ist, aber nach einem Tschaikowsky-Konzert ließ er das Publikum abstimmen und spielte dann mit seinern Staatskapelle die Tristan-Ouvertüre. Es kam zu turbulenten Szenen im Konzertsaal, berichtet Joseph Croitoru. "Ob Hitler so in Jerusalem symbolisch besiegt wurde, bleibt dahingestellt. Jedenfalls war es ein in jeder Hinsicht aufregender Abend." Wir widmen der Affäre einen Link des Tages.

Eine besorgniserregende Krise im amerikanischen Buchmarkt meldet Verena Lueken: "Um elf Prozent bei den gebundenen, um dreizehn Prozent bei den Taschenbüchern sind in den ersten vier Monaten dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr die Rückläufe nach Angaben der Association of American Publishers gestiegen. Diese Zahl wirkt um so beeindruckender, wenn man bedenkt, dass Bücher, die im letzten Jahr ausgeliefert wurden, noch in diesem zurückgegeben und neue Bestellungen reduziert werden, so dass die Verlage etwa ein Buch zurückbekommen, während sie zwei liefern. Möglich ist das, weil amerikanische Verlage den Buchhändlern die Rücknahme nicht verkaufter gegen neue Ware garantieren."

Marcel Beyer schreibt in der Rubrik "Deutsches Wörterbuch" über das "Hausbuch": Das wurde in der DDR geführt und verzeichnete Besuche und Abgänge in Mietshäusern. Beyer wohnt in Dresden, ohne dort gemeldet zu sein. Sein Hausmeister führt das Hausbuch zwar nicht mehr, aber er wandte sich doch ans Kölner Einwohnermeldeamt, um die verdächtige Präsenz zu melden. Und dies forderten ihn in einem ultimativen Brief auf, sich über seinen Verbleib zu rechtfertigen. Deutschland!

Weitere Artikel: Susanne Klingenstein macht auf den amerikanischen Maler Andrew Wyeth aufmerksam, der schwarze Farmer aus seiner Umbgebung porträtiert, dafür aber kein Lob der progressiven Kritiker erntet, weil er sich weigert, Sozialkritik zu üben. (Er wird gerade in Greenville, South Carolina ausgestellt.). Dieter Batetzko erinnert zum 150. Geburtstag an Sir Arthur Evans, der Knossos ausgrub. Jordan Mejias resümiert die amerikanische Diskussion über die Stammzellenforschung. Der Hirnforscher Wolf Singer mischt sich in die bioethische Debatte ein, konstatiert einen verstärkten Vermittlungsbedarf und macht laut FAZ-Vorspann auch die Philosophen auf die "gestiegenen Anforderungen an metaphysischen Bezugssystemen" aufmerksam (vielleicht werden so ja neue Arbeitsplätze geschaffen!) In einem von der FAZ dokumentierten Festvortrag fragt sich außerdem der Hirnforscher Hans-Jochen Heinze, wie der Geist ins Gehirn kommt. Und Alexandra Frank meldet die Wiedereröffnung des Kraszewski-Museums in Dresden.
Besprochen werden zwei neue Produktionen der Merce Cunningham Company, die in Amsterdam gastierte, die Tagung über den "(im)perfekten Menschen", die die Behinderung als kulturelles Konstrukt untersuchte, eine Daniel-Spoerri-Ausstellung im Basler Tinguely-Museum, eine Ausstellung über die "Erfindung der Weltzeit" im Deutschen Uhrenmuseum, das Würzburger Mozartfest, eine Ausstellung über die "Wirklichkeit in der zeitgenössischen Malerei" in der Städtischen Galerie Delmenhorst und Produktionen des Royal Swedish Ballet beim Tanzfestival von Montpellier.

SZ, 09.07.2001

Den Plan, ein Luxushotel an der Stelle von Hitlers ehemaliger Residenz am Obersalzberg zu bauen, kommentiert Gerhard Matzig so: "Wenn auf dem 'Eckerbichl', wie geplant und am vergangenen Freitag blasmusikhaft stolz verkündet, wenn hier in unmittelbarer Nähe zur ehemaligen 'Alpenfestung' der Nationalsozialisten bis zum Jahr 2005 das feine 'Inter Continental Resort hotel Berchtesgaden' entsteht ? dann dürfte Gerhard Schröder zumindest das bekommen, was er sich schon während der zehnjährigen Debatte um das Berliner Holocaust-Mahnmal ersehnt hatte: ein Mahnmal nämlich, 'das die Menschen gerne besuchen'."

Niklas Maak beschreibt Jean Nouvels neuen Justizpalast in Nantes. Scheint kein besonders fröhliches Anwesen zu sein: "Keine Farbe lockert den Rechtsriegel auf: Schwarz ist der polierte Granitfußboden, schwarz sind die schlanken Stahlstützen, schwarz das Raster der abgehängten Decke, nur das Innere der Verhandlungssäle ist rot."

Weitere Artikel: C. Bernd Sucher hatte das Privileg, der "Schule der Frauen" zur Eröffnung des Theaterfestivals von Avignon beizuwohnen. Karl Bruckmaier vermeldet in seiner Popkolumne eine Wiederkehr der achtziger Jahre und verweist auf mehrere CDs mit musikalischen Kompilationen aus jener Zeit.

Besprochen werden Armin Holz' Inszenierung von Jane Bowles' Stück "Im Gartenhaus" in Berlin, die Tagung "Der (im)perfekte Mensch" in Dresden, das Musikfestival "Jazz Baltica" in Salzau und Sandra Wernecks Film "Das kleine Buch der Liebe". Ferner kommentiert Tobias Kniebe die Preise des Münchner Filmfests.