Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
27.07.2001.

TAZ, 27.07.2001

Ein explosives Manifest wird in der taz dokumentiert: "Dissidente Donaldisten setzen sich gegen 'überintellektualisierte Usurpatoren' zur Wehr", heißt es in der Unterzeile. Damit sind FAZ-Redakteure wie Patrick Bahners gemeint, der der "Deutschen Organisation nichtkommerzieller Anhänger des lauteren Donaldismus" (D.O.N.A.L.D.) angehört. Die "Initiative freies Entenhausen" schreibt unter anderem: "Bahners versucht seit Jahren, die Sache des so genannten 'Donaldismus' mit seinem Namen zu identifizieren. Er und seine Helfershelfer in der Organisation 'D.O.N.A.L.D' haben um die Figur Donald Ducks und seines begabtesten Zeichners Carl Barks herum eine Art pseudointellektuellen Kultus etabliert, als dessen Hohepriester sie selbst auftreten. Der 'Donaldismus', der einst als fröhliches intellektuelles Spiel begann, ist längst zum Vehikel des Ehrgeizes einer kleinen Clique überheblicher Kulturjournalisten geworden. Deren verstiegene Pseudotheorien über das Entenhausener 'Paralleluniversum' drohen mittlerweile den authentischen, unbefangenen Genuss der Abenteuer aus Entenhausen zu verdüstern und den Blick dafür zu trüben, was sie in Wahrheit sind: lustige, unterhaltsame Bildergeschichten, die keinerlei 'tiefere' kulturtheoretische oder ideologische Botschaften enthalten." Immer diese These, dass Intelligenz authentischen Genuss unmöglich macht.

Weitere Artikel: Christian Rath stellt die Bollywood Brass Band vor ("die einzige Hochzeitskapelle für Londons indische Community, doch sie besteht ganz überwiegend aus gebürtigen Engländern"). Besprochen werden die CD "Aaliyah" von Aaliyah, ein "Lexikon lateinamerikanischer Musik" und das "Splash!"-Festival, das größte HipHop-Ereignis im Süden Sachsens.

Schließlich Tom.

FAZ, 27.07.2001

Das ist neu. Eine regelrechte Reportage in der FAZ, und sie entführt uns in eine reichlich bizarre Welt. Niklas Maak (ex-SZ), Jordan Mejias und Christian Schwägerl sind nach Kanada gefahren, um die Sekte der Raelianer zu besuchen. Beim Sekten-Führer Rael, der von schönen Frauen umgeben ist, sieht es so aus: "Frauen mit kurzen Röcken und tragbaren Funkanlagen laufen wie arbeitslose Hubschrauberpilotinnen über den Parkplatz. Was sich hinter der grauen Betonwand abspielt, klingt wie das Drehbuch für den nächsten James-Bond-Film: Ein wahnsinniger Sektenführer beschäftigt eine hochbegabte Wissenschaftlerin. Sie soll für ihn Menschen klonen und den Weg bereiten für die Herstellung willenloser biologischer Sexsklaven. Dazu benötigt der Sektenchef Eizellen und Gebärmütter - und bekommt sie von den attraktiven Anhängerinnen seiner Sekte." Die Raelianer, deren offizielles Symbol ein Davidsstern mit eingesenktem Hakenkreuz ist, wollen die ersten sein, die ein Kind klonen. Eine hübsche Leihmutter steht bereits zur Verfügung und wurde von den FAZlern befragt. Wir widmen der Bewegung einen Link des Tages.

Hubert Spiegel berichtet von einer Lesung Thomas Hürlimanns in Sankt Gallen. Seine Erzählung "Fräulein Stark" hat bekanntlich in der Schweiz Skandal gemacht. Sie spielt in der Sankt Gallener Klosterbibliothek, wo Hürlimanns wirklicher Onkel wirklich Bibliothekar ist, und handelt von Hürlimanns sexueller Frühzeit und des Onkels Haushälterin. Der Onkel protestierte in einem mehrseitigen offnen Brief, der in den Worten endet: "Deus sit propitius huic scriptori" - "Gott sei dem Schreiber gnädig."

Weitere Artikel: Christian Geyer berichtet, dass eine jüdisch-katholische Historikerkommission, die in den Verliesen des Vatikans über Pius XII. forschen sollte, aufgibt. Julia Spinola berichtet von der Eröffnung der Bayreuther Festspiele ("Wolfgang Wagner zeigte sich bei der Bayreuth-Eröffnung spröde. Dass Kunstminister Hans Zehetmair, Gegner im Machtkampf um die Nachfolgefrage, nur einen wortlosen Händedruck zur Begrüßung empfing, erstaunt nicht weiter."). Dietmar Polaczek resümiert italienische Diskussionen über die äußerste gewaltbereite Polizei beim Gipfel von Genua. Stefanie Peter berichtet, dass das Matonge-Viertel in Brüssel der eurokratischen Bauwut zum Opfer zu fallen droht. Katja Gelinsky erzählt den Fall eines Mannes in den USA, der ins Gefängnis kam, weil er in seinem Tagebuch päderastische Gewaltfantasien notierte.

Geburtstage und Tode: Michael Adrian gratuliert Karl-Ernst Tielebier-Langenscheidt zum Achtzigsten. Gerhard R. Koch gratuliert dem Komponisten und Verleger Johannes Fritsch zum Sechzigsten. Andreas Platthaus gratuliert dem Verleger Klaus G. Saur zum Sechzigsten. Andreas Rossmann schreibt zum Tod von Werner Haentjes. Matthias Rüb schreibt zum Tod von Miklos Meszöly.

Besprochen werden Christoph Marthalers "Figaro"-Inszenierung in Salzburg, eine Ausstellung mit Karl Schmidt-Rotluffs Druckgraphik im Berliner Brücke-Museum und der Film "Über kurz oder lang".

Auf der Schallplatten-und-Phono-Seite geht's um Gidon Kremers Einspielung der Violinkonzerte von Alfred Schnittke, um die Gruppe Cake und um die Jazzgeigerin Regina Carter.

NZZ, 27.07.2001

Peter Hagmann fragt nach der Aufführung von Christoph Marthalers "Figaro" in Salzburg stirnrunzelnd: "Wird hier nicht verulkt, was nicht verulkt gehört, die herrlichsten Ensembles zum Beispiel, die Mozart geschaffen hat, der tiefste Ausdruck menschlichen Gefühls, der sich nur in Tönen sagen lässt?" Nicht doch! Die Inszenierung sei "eine Clownerie erster Güte. Zur Gänze versammelt und in blühender Vielfalt ausgebreitet ist das Marthaler-Repertoire an Ticks, Wiederholungszwängen und anderen szenischen Absurditäten. Herausgehobene dramaturgische Funktion nimmt ein elektrisch bedienbarer Fernsehsessel ein, den der Gärtner Antonio genau zum falschen Zeitpunkt hereinrollt, zum erneut falschen Zeitpunkt von seinem schonenden Plasticüberzug befreit und nochmals zum falschen Zeitpunkt auf seine Funktionstüchtigkeit überprüft." Sylvain Cambrelings musikalische Interpretation nennt Hagmann an einer Stelle "hurtig und spritzig".

Weitere Artikel: Georges Waser porträtiert den britischen Politiker und Bestsellerautor Jeffrey Archer, der am 18. Juli wegen Meineids und der Irreführung der Justiz zu vier Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Oliver Herwig begutachtet kenntnisreich zeitgenössische Architektur in Nürnberg. Alice Vollenweider gratuliert dem Lyriker Federico Hindermann zum Achtzigsten.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Texten von Joseph Beuys im Düsseldorfer Heinrich-Heine-Institut und die erste Sonderausstellung im Neubau des Wallraf-Richartz-Museums, die dem "Meister des Bartholomäus-Altars" in Köln gewidmet ist.

FR, 27.07.2001

Bernd Greiner, Historiker am Hamburger Institut für Sozialforschung, verteidigt Christopher Hitchens' Kissinger-Buch - der linke amerikanische Publizist, will den ehamaligen US-Außenminister bekanntlich vor ein Menschenrechtstribunal bringen. In der Presse wurde dem Buch vorgehalten, es sei unseriös, aber Greiner ist da anderer Meinung: "Beispiel Vietnam: Kissingers Rolle zwischen 1969 und 1975 würde jedem Verteidiger vor einem internationalen Gerichtshof Schweißperlen auf die Stirn treiben. Schon als er sein Amt als Nationaler Sicherheitsberater antrat, wusste Kissinger, dass die Art der Kriegsführung darauf hinauslief, alle Regeln des Völker- und Kriegsrechts außer Kraft zu setzen... Er drängte auf eine Intensivierung des Schlachtens und bemühte sich nach Kräften darum, den menschlichen Preis dieser Entscheidung vor der Öffentlichkeit geheimzuhalten - unter anderem während der Operation Speedy Express im Frühjahr 1969. Eine Million Menschen, vorsichtig geschätzt, ließen für diesen als 'Realpolitik' firmierenden Furor ihr Leben. Hitchens Beispiele sind, Vietnam betreffend, wasserdicht." Zur Debatte brachten wir jüngst einen Link des Tages.

Weitere Artikel: Eva Schweitzer setzt sich mit Antiamerikanismus in Europa und Antieuropäismus in den USA auseinander. Helmut Höge, äußert die Vermutung, dass die DDR nicht an zu viel Unfreiheit, sondern an zu viel Freiheit scheiterte (auf diese Idee kann wohl nur ein westlicher Linker verfallen). Wladimir Kaminer liefert die 20. Folge seiner "Notizen aus der Schönhauser Allee". Besprochen werden der "Figaro" in Salzburg, eine Ausstellung über "Paradiese der Moderne" im Bauhaus Dessau, die Ausstellung "Neue Welt" im Frankfurter Kunstverein und die Ausstellung " Bruder Poul sticht in See" der Künstlerin Cosima von Bonin im Hamburger Kunstverein.

SZ, 27.07.2001

Wolfgang Schreiber ist ganz weg von Christoph Marthalers Inszenierung des "Figaro" bei den Salzburger Festspielen. Auch das Publikum hat gegen diese "Parade vermeintlich Mozart-ferner Bühnenaktionen, -gags und -erleuchtungsblitze, nicht lauthals protestiert und sie am Ende durch wütende Buhs vernichtet, sondern es hat sie goutiert und gefeiert, mit verloren zaghaften Einsprüchen. Und somit Sloterdijks Diagnose bestätigt, wonach es Mortier gelungen sei, in Salzburg 'den Epochenspagat zwischen Barock und Postmoderne' virtuos in seine Programme zu 'implantieren'. Dieser Intendant hat tatsächlich sein Publikum, frei nach Schiller, durch die Jahre 'ästhetisch erzogen', kann es jetzt um den Finger wickeln, so scheint's." Nur Sylvain Cambrelings musikalische Begleitung fand Schreiber etwas "matt beatmet".

Alexander Kühn singt eine Hymne auf die Übersetzerin der Disney-Comics Erika Fuchs, die den Roswitha-Preis erhalten hat. "'Sie müssen einen sehr reichen Wortschatz haben', pflegt Erika Fuchs ... allen zu entgegnen, die ihr erzählen, dass sie als Kinder immer die Micky Maus gelesen haben."

Reinhard J. Brembeck feiert Christian Thielemanns Aufführung der "Meistersinger" in Bayreuth. Der Dirigent "scheint als Einziger an diesem langen Abend um die wahren Geheimnisse des Meistergesangs zu wissen. Thielemann legt elegant und oft mit zarter Ironie die unschlüssige Gebrochenheit, die vagierende Vieldeutigkeit dieses so schwer zu verstehenden und oft auch nur schwer zu liebenden Stücks dar. Kein Mischklang, kein martialisches Lärmen, kein aufrechtes Rumpeln aus stolzgeschwellter deutscher Seele, auch wenn sich die Aktschlüsse regelmäßig im Undifferenzierten verlieren. Aber das ist eher ein Problem der kaum strukturierten Sängermassen und der meist nach oben hin offenen Bühnenbilder von Wolfgang Wagner." Dessen Inszenierung "dümpelt politically correct an der Oberfläche."

Daneben berichtet W.B. kurz von einer Pressekonferenz Wolfgang Wagners: "Er sagt wirklich nichts."

Weitere Artikel: Ilija Trojanow porträtiert die Rebellin und Parlamentsabgeordnete Phoolan Devi, die am Mittwoch vor ihrem Haus von Unbekannten erschossen wurde. Thomas Meyer berichtet über eine Diskussion zwischen Kommentatoren und Interpreten Paul Celans im Münchner Graduiertenkolleg "Textkritik". Sonja Zekri erzählt vom Shaolin-Tempel, den die Familie des Musical-Tycoons Rolf Deyhle den Berlinern spendiert hat.

Besprochen werden Harmony Korines Film "Gummo" von 1997, die Ausstellung "Frankfurter Kreuz" in der Schirn und Peter Glotz' Buch "Von Analog nach Digital" (siehe auch unsere Bücherschau ab 14 Uhr).