Heute in den Feuilletons

Heute in den Feuilletons

Die kommentierte Kulturpresseschau. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
21.08.2001.

FAZ, 21.08.2001

Die FAZ veröffentlicht einen bisher unbekannten Brief Thomas Manns. Darin dankt er dem demokratisch orientierten Zeithistoriker Eugen Fischer-Baling für sein Buch "Volksgericht", das sich mit der Novemberrevolution auseinandersetzt: "Die Wahrheiten Ihres Buchs kommen gerade zurecht, um mit den schauerlichen Geschichtsfälschungen zu kontrastieren, die ein geflickter Lumpenkönig ins Mikrophon bellen darf", schreibt Mann. Geflickter Lumpenkönig! Ralf Forsbach, der sich akademisch mit Fischer-Baling befasst, porträtiert dazu den Autor des Buchs, der seit 1928 Leiter der Berliner Reichstagsbibliothek war.

Michael Allmaier fragt nach dem Rätsel des Erfolgs von "Der Schuh des Manitu", dem erfolgreichsten deutschen Film seit "Der bewegte Mann". Einer der Gründe für Allmaier ist, dass es sich um einen "entschieden deutschen" Film handelt, "auch wenn er im Wilden Westen spielt. Denn dieser Westen gehört natürlich Karl May (der hier als gestrandeter Trinker am Tresen auftritt) und seinem langen Nachhall in der Populärkultur."

Der Geisteswissenschaftler Christof Hoffmann setzt sich kritisch mit dem Naturwissenschaftler Wolf Singer auseinander, der in der FAZ eine kompetente "Vermittlung" wissenschaftlicher Erkenntnisse forderte, die er aber mehr als wertfreie Übersetzung verstanden wissen will: "Die Absicht, selbst vorzugeben, wer nach welchen Spielregeln über wissenschaftliche Vorgänge sprechen darf, die sich in seinem Begriff von Wissenschaftsvermittlung bemerkbar macht, läuft auf eine Abschottung gegen jedes nicht fachspezifische Argument hinaus. Was zu Forschungsunternehmen zu sagen ist, muß den Fragestellungen und Erklärungsmustern der jeweiligen Disziplin Genüge tun. Möchte man diese Vorgabe nicht erfüllen, findet man sich vor der Tür wieder."

Weitere Artikel: Eva Menasse hat Lesungen ungarischer Dichter bei den Salzburger Festspielen verfolgt. Anne Schneppen betrachtet Tiefen und Untiefen des japanisch-amerikanischen Verhältnisses. Martin Lhotzky stellt das multimediale Nibelungenmuseum in Worms vor. Gerd Roellecke schreibt zum Tod des Rechtsgelehrten Karl Michaelis. Michael Siebler würdigt die neue Verwaltungszentrale von Boehringer Ingelheim. Andreas Rosenfelder erzählt, wie das Städtchen Gelnhausen den 325. Todestags seines größten Sohns, nämlich Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, begeht. Timo John erzählt, wie sich die Bodenseeinsel Reichenau als Weltkulturerbe fühlt. Adam Bostanci bringt frohe Kunde aus Tasmanien: Die Insel erklärt sich zur gentechnikfreien Zone.

Im Medienforum erfahren wir von Jordan Mejias, dass das Durchschnittsalter der CNN-Zuschauer in den USA bei weit über 50 Jahren liegt ? der Sender steuert dagegen, indem er Stars aus Serien wie NYPD-Blues die Nachrichten sprechen lässt. Hans-Jörg Rother porträtiert Thomas Schadt, der eine Neuauflage von Walter Ruttmanns berühmtem Film "Berlin, Sinfonie einer Großstadt" dreht. Und Dietmar Polaczek erzählt, wie die italienischen Medien Michael Schumacher nach seinem vierten Titel für Ferrari feiern.

Besprechungen gelten dem Edinburgh Festival, Ausstellungen mit neuer indonesischer Kunst in Aachen und Köln und einer Retrospektive des Bildhauers Balthasar Permoser.

SZ, 21.08.2001

Thomas Steinfeld hat bei den Salzburger Festspielen einer Lesung von Peter Nadas, Imre Kertesz und Peter Esterhazy mit Musik von György Ligeti und György Kurtag zugehört und sich dabei in eine alte Bekannte verliebt: "So kennt man diese drei, so kennt man jeden von ihnen ? und doch entstand an diesem Abend etwas Neues, etwas, das diese drei nur gemeinsam tun konnten: eine programmatische Erklärung für die Literatur der radikalen Moderne, wie man sie in solcher Entschiedenheit seit über zwanzig Jahren nicht mehr vernommen hat." Zwar findet er, dass diese Moderne heute ein wenig "altertümlich" wirkt, "ihre Haut hat Risse und Falten, aber das erhöht ihren Reiz ? sie ist eben eine alte Bekannte und trägt ein sehr vertrautes Gesicht."

Richard Chaim Schneider stellt Dan Meridor, Repräsentant der "Center-Partei und neuer israelischer Minister ohne Portfolio vor. "Meridor, der an den gescheiterten Gesprächen in Camp David im vergangenen Jahr teilgenommen hatte, ist ein heftiger Streiter für eine einseitige Trennung Israels von den Palästinensern. Das würde eine unilaterale Aufgabe isolierter Siedlungen bedeuten und den Bau einer Mauer sowie eines Sicherheitszauns um ganz Israel herum, die ungefähr 700 Kilometer lang wäre. Rund 80 Prozent der Israelis befürworten inzwischen eine solche Lösung."

Weitere Artikel: In den USA zwei Bücher über amerikanische Gründerväter auf den Bestsellerlisten (David McCulloughs Biografie John Adams und Joseph Ellis' "Founding Brothers"). Außerdem wurde eine Statue von FD Roosevelt enthüllt, eine Statue von Ronald Reagan ist geplant. Alles zusammen lässt Petra Steinberger befürchten, dass die USA gerade der Götzenverehrung verfallen. Hilmar Klute hat sich mit dem österreichischen Krimiautor Wolf Haas über den Kriminalroman als Literaturversteck unterhalten. Und Hans Ulrich Gumbrecht setzt die Reihe zum 50. Geburtstag der Minima Moralia fort.

Besprochen werden eine Konzert von "Radiohead" in New Jersey, eine Ausstellung des Bildhauers Tony Cragg in Salzburg, der Rap-Sampler "Lyric Superbrand", die Uraufführung von Michael Clarks "Before and After: The Fall" beim "Tanz im August" in Berlin, Haydns "Il mondo della luna" als Opern-Comic-Strip in Innsbruck und Klaus Gietingers Railroad-Movie "Heinrich der Säger".

NZZ, 21.08.2001

Claudia Spinelli hat einige Länderpavillons bei der Biennale von Venedig besucht, unter anderem auch die Kirche San Stae, die von dem Sankt Galler Künstlerdo Möslang/Guhl mit einer offensichtlich diskreten Toninstallation bespielt wird, "eine sorgfältige Arbeit, mit Präzision und jener Abneigung gegenüber dem Spektakulären konzipiert, die uns Schweizer nun einmal charakterisiert."

Knut Henkel stellt die Casa del Caribe in Santiago de Cuba vor, eine Art Heimatmuseum, das die verschiedenen kulturellen Einflüsse darstellt, aus welchen sich die kubanische Kultur zusammensetzt.

Besprochen werden Auftritte von Maurizio Pollini und Alfred Brendel mit Matthias Goerne in Salzburg, eine Ausstellung über den Architekten und Konstrukteur Jean Prouve im Musee des Beaux-Arts von Nancy, das zweite Festival Alpentöne in Altdorf und einige Bücher, darunter Marielouise Janssen-Jurreits Roman "Das Verbrechen der Liebe in der Mitte Europas" und William Marshalls Krimi "Manila Bay". (Siehe unsere Bücherschau ab 14 Uhr)

FR, 21.08.2001

Ist Thomas Hürlimanns Erzählung "Fräulein Stark" antisemitisch? Das Literarische Quartett hatte diese Frage am Freitag aufgeworfen und zudem die Kritik dafür kritisiert, dass sie auf entsprechende Motive gar nicht einging. Ursula März kommentiert: "Die Vorwürfe, die Marcel Reich-Ranicki in der jüngsten Ausgabe des Literarischen Quartetts erhob, treffen zu. Landauf, landab habe die deutsche Kritik überhaupt nicht bemerkt, was mit dem erzählerisch umraunten Charakter des 'Katzenhaften' - nämlich im Klartext Jüdischen - gemeint ist, von dem im Text permanent die Rede ist. Was es mit dem 'Geheimnis' der Familie Katz auf sich hat - das sich nachweislich als deren jüdische Herkunft interpretieren lässt. Und worauf sich die, erzählerisch ebenfalls umraunte, Besonderheit der Katz'schen Nasen bezieht, die sich beim pubertären Helden der Erzählung als Prominenz des erotischen Geruchssinns auswirkt. Reich-Ranicki sprach im Fernsehen von einem 'Versagen der Kritik'. Man kann dies im Pathos als leicht überspannt... empfinden... Es ändert nichts an der Sache, und in dieser hat Reich-Ranicki, haben seine Mitdiskutanten Iris Radisch, Hellmuth Karasek und Robert Schindel als Gast der Sendung Recht." Wir widmen dem Thema unseren heutigen Link des Tages.

Harry Nutt hat ein Sozialamt von Kreuzberg besucht und schließt aus den Räumlichkeiten auf die Lage der Sozialhilfeempfänger: "Im Flur der Wartenden verweist alles darauf, dass es sich um einen Ort jenseits der Dienstleistung handelt. Der konstitutive Zeitüberschuss tritt dem Sozialhilfeempfänger in diesem Provisorium als Voraussetzung und Vorwurf entgegen. Die Schalensitze aus Hartplastik tragen stolz ihre Brandlöcher als Tätowierungen eines erzwungenen Zeitstaus. Unterwürfigkeit und Trotz halten die Grundstimmung des Raumes in der Waage."

Rudolf Walther bittet, die Globalisierungsgegner zu verstehen, denn "die herrschende Weltwirtschaftsordnung gewährt den Interessen der Starken fast uneingeschränkte Vorrechte - zum Nachteil und auf Kosten einer gewaltigen Mehrheit. Der vermeintlich eherne Zusammenhang von Markt, Demokratie und Menschenrechten - die Lebenslüge der verschwindenden Minorität von Gewinnern im weltweiten Spiel - hat sich als ideologisches Gespinst erwiesen." Na, wenn das so ist.

Weitere Artikel: Rudolf Maria Bergmann schildert Veränderungen auf der äußeren Ringstraße Wiens. Eva Schweitzer berichtet über ein "Decency Panel" des Bürgermeisters Giuliani, das unsittliche Umtriebe der Kunst vermeiden helfen soll. Peter Iden stellt das Nibelungenmuseum in Worms vor. Und Wladimir Kaminer liefert die 21. Folge seiner Szenen aus der Schönhauser Allee.

Besprochen werden der Film "Heinrich der Säger", ein philosophisches Kolloquium über die Liebe auf Schloss Elmau und die ungarischen Dichterlesungen in Salzburg.

TAZ, 21.08.2001

Brigitte Werneburg setzt die Serie über die Globalisierungsgegner fort und findet den englischsprachigen Ausdruck für die Bewegung, "Anticorporate movement", eigentlich treffender, "weil sich die Bewegung nicht in erster Linie gegen die Globalisierung als solche richtet und bei der WTO-, Weltbank- und IWF-Politik auf deren demokratische Reform drängt. Es ist die Ablehnung der global agierenden Konzerne, die die Mischung aus Verbraucherschutzbewegung, internationalen Gewerkschaften und naiver Graswurzelromantik eint."

Susanne Messmer liefert in der Rubrik "Yeah! Yeah! Yeah!" eine Hymne auf die Ohren alter Männer: "Was für prima alte Ohren es gibt! Welche mit fleischigen, welche mit angewachsenen Ohrläppchen, behaarte und geäderte, durchsichtige, abstehende, knorpelige, spiral- und muschelförmige. Ob Walter Matthaus, Gert Fröbes oder Hans-Dietrich Genschers Ohren: Es gibt keine hässlichen: Je älter, desto besser wird das Ohr."

Besprochen werden "Die Fledermaus" und "Ariadne" in Salzburg und Sven Regeners Roman "Herr Lehmann" und politische Bücher (siehe auch unsere Bücherschau heute ab 14 Uhr).

Schließlich Tom.